Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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List, Arglist
Band V,1 (1903) S. 12921294
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4) D. bezeichnet etwas Heimliches, Verstecktes (List, Arglist) und bildet so einen Gegensatz zur sichtbaren, offenen Gewalt (vis), Tac. hist. IV 24 (fraudem et dolum obscura). Dig. XVIII 1, 43, 2. II 7, 3, 2. XLVII 8, 2, 8. Als gleichbedeutende Begriffe werden daher calliditas, simulatio, dissimulatio, machinatio, fallacia von den römischen Juristen zur Definition verwendet, Dig. II 14, 7, 9. IV 3, 1, 2. Es giebt keine Grade des D. D. ist civilrechtlich 1. im weiteren Sinne der mit dem Bewusstsein der Rechtswidrigkeit verbundene Wille zur Begehung einer widerrechtlichen Handlung; 2. im engeren Sinne betrügerische Absicht, Dig. II 14, 7, 9. IV 3, 1, 2. XVIII 1, 43, 2. Die durch den D. hervorgerufene Willenserklärung des Betrogenen ist keineswegs nichtig, aber durch Einrede und Klage anfechtbar. Die exceptio doli wurde im stricti iuris iudicium in die vom Praetor zu erteilende Formel mit den Worten: si in ea re nihil dolo mala A. A. factum sit neque fiat aufgenommen; in den bonae fidei iudicia war die Berücksichtigung des D. dem Richter ohne weiteres geboten: exceptio doli mali inest bonae fidei iudiciis; contrarium esse dolum bonae fidei, Dig. XXIV 3, 21. Cod. Iust. IV 44, 5. Neben dieser exceptio doli (specialis) wegen Betrugs wurde jeder exceptio in factum in einem allgemeinen Sinne (generaliter) die Bedeutung einer exceptio doli beigelegt, Dig. XLIV 4, 2, 5. Die actio doli — nach Cic. de off. III 60; de nat. deor. III 74 auf C. Aquilius Gallus zurückzuführen — wurde subsidiär für den Fall gewährt, si alia actio non sit, Dig. IV 3, 1, 4ff. 7 pr. Insbesondere konnte aus dem angeführten Grunde bei den bonae fidei negotia ein Anspruch wegen D. mit der Klage aus dem Rechtsgeschäfte selbst geltend gemacht werden. Da die Verurteilung auf Grund der actio doli Infamie nach sich zog, wurde actio in factum gegeben, wenn das Motiv der dolosen Handlung kein gemeines, sondern Mitleid, Humanität oder dgl. war, Dig. IV 3. 7, 7. XI 3, 5 pr. XVI 3, 7 pr. Besonderen Schutz hatten schon vor [1293] Einführung der actio doli nach der Lex Plaetoria (Mitte des 6. Jhdts. d. St.) die minores XXV annis gegen Betrug genossen, Cic. de off. III 61; de nat. deor. III 74. Eine doli clausula enthielten die im Formularprocess üblichen praetoriae stipulationes am Schlusse (daher clausula novissima); aus der Clausel entsprangen Ersatzansprüche wegen Nichterfüllung des gegebenen Versprechens; diese Ansprüche wurden später zu gesetzlichen, als die Stipulationen aus dem Process verschwanden. Solche Clauseln kamen auch bei den Verkehrsstipulationen vor, Dig. XLV 1, 22. 53. Der D. war endlich auch iusta causa für die in integrum restitutio des Betrogenen, Dig. IV 3, 1, 6. Ausnahmsweise blieb die obligatorische Haftung auf D. beschränkt (dolum praestare) z. B. bei depositum. Litteratur: Pandekten von Dernburg, Regelsberger, Windscheid. F. L. Keller-Wach Der römische Civilprocess und die Actionen⁶ 1883.

Strafrechtlich ist D. = d. malus 1. der auf etwas Rechtswidriges gerichtete Wille (Vorsatz), Gai. III 211. Coll. leg. Mos. I 3, 1. IV 9; dem dolo malo verwandt sind die Ausdrücke proposito, consilio, consulto, data opera, prudens, sciens, sciens prudensque. Die Zusammensetzung sciens dolo malo (Inst. IV 2, 1. Dig. XXIII 2, 44 pr. XXVII 6, 7 pr. 1. XXIX 5, 3, 18ff.) hebt ein im D.-Begriff enthaltenes Merkmal besonders hervor. D. schliesst in sich Wissen von der Verwirklichung der Thatsachen, welche den Thatbestand bilden, und Bewusstsein der Rechtswidrigkeit (bestritten; s. Error und die ob. cit. Stellen). Da Recht und Sitte sich nicht decken, ist der rechtswidrige Wille nicht notwendig ein unsittlicher. Deshalb ziehen nicht alle Delicte die Infamie als Straffolge nach sich; diese sowie andere Ehrenfolgen sind nur angemessen, wenn der rechtswidrige Wille zugleich gegen das Sittengesetz verstösst, Dig. XLVIII 1, 7. Wie die sittliche Schlechtigkeit nur die Motive, nicht den Willen selbst berührt, so beeinflusst auch der Affect (impetus) als ein durch das Motiv erzeugter Gemütszustand nur die Entstehung des D., nicht sein Dasein; der Affect schliesst den D. nicht aus, wird aber im Rechte der Kaiserzeit als Strafmilderungsgrund berücksichtigt, Dig. XLVIII 5, 39, 8. 8, 1, 5. Dagegen wird der D. durch Furcht (vi metuve) ausgeschlossen, Dig. XL 12, 16, 1. IV 2, 1, demgemäss auch durch den Befehl einer Person, welcher der Thäter Gehorsam schuldig ist; die That wird alsdann dem Befehlenden zum D. zugerechnet, Dig. XLVII 10, 17, 7. L 17, 4. 167. 169. 2. bezeichnet D. auch die dolose That selbst, so in den Ausdrücken dolum admittere, committere, Dig. X 2, 45, 1. XVI 3, 1, 15. 18. XLIV 4, 2, 2. Der subjectiven Auffassung der römischen Juristen genügte jedoch als Voraussetzung der Bestrafung schon das Hervortreten des rechtswidrigen Willens (dolus pro facto accipitur), Dig. XLVIII 8, 1, 3. 7. 10, 1. XLVII 11 pr. 1, 2. Coll. leg. Mos. I 7, 1 (consilium non factum puniendum est). Cic. pro Mil. 19. Senec. de benef. V 14. Ursprünglich bildete den Gegensatz der casus, Dig. XLVIII 8, 1, 3. Coll. leg. Mos. I 10; noch in Nov. Valentiniani III tit. 19 (im J. 445) de homicidiis casu an voluntate factis (Haenel Novellae constitutiones 186); [1294] erst die Kaiser liessen extra ordinem öffentliche Strafen bei Fahrlässigkeitsdelicten (culpa) zu. Im Gegensatz zu d. malus wird d. bonus = der rechtmässige Wille, eine vom Recht gebilligte List gebraucht Dig. IV 3, 1 § 3. Fest. ep. p. 69. Gell. XII 9, 1. Litteratur: K. Binding Die Normen und ihre Übertretung II (1877) 269ff. A. Löffler Die Schuldformen des Strafrechts Bd. I (1895). A. Pernice Labeo. Römisches Privatrecht im 1. Jhdt. d. Kaiserzeit Bd. II² 1895. Th. Mommsen Röm. Strafrecht, Leipzig 1899, 86ff. 678.