Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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A. f. Vocula, C. Leg. der legio XXII primigenia in Germania superior
Band V,1 (1903) S. 643646
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2) C. Dillius A. f. Vocula aus der Tribus Sergia, Legat der leg. XXII primig. in Germania superior während des grossen keltisch-germanischen Aufstandes unter Führung des Iulius Civilis (Tac. hist. IV 24–27. 33–37. 56–59. 77). Über seine Laufbahn sind wir durch die von seiner Gattin gesetzte Grabinschrift, CIL VI 1402 ( = [644] Wilmanns 1141) unterrichtet: er war zuerst IIIIvir viarum carandarum, Militärtribun bei der leg. I, dann Quaestor in Pontus und Bithynien, Tribunus plebis und Praetor. Hierauf kam er als Legat zur leg. XXII primig., die in Mogontiacum (Mainz) in Obergermanien stand. Hier stand er unter dem Obercommando des Hordeonius Flaccus, eines alten, kranken Mannes ohne Energie und Autorität bei den Soldaten (Tac. hist. I 9. IV 24 u. a.), als der Bürgerkrieg des J. 69 und der sich daraus in Gallien entwickelnde allgemeine Aufstand ausbrach und die rheinischen Truppen zu aufreibenden Kämpfen und ihrer fast vollständigen Auflösung führte. In diesen Kämpfen war D. der einzige Officier, der wenigstens einigermassen die Lage zu beherrschen im stande war. Hordeonius Commando waren bei dem Abzuge des Vitellius nach Italien offenbar auch die Truppen Niedergermaniens provisorisch unterstellt worden (Tac. hist. II 57 cura ripae .... permissa); so musste er auf die Nachricht, dass Iulius Civilis ganz Gallien und Germanien aufzubieten versuche, um die zwei in Castra Vetera (unweit des Rheins) eingeschlossenen unterrheinischen Legionen (leg. V alaud. und XV primig.) – es waren zusammen nur ca. 5000 Mann, den Rest hatte Vitellius nach Italien mitgenommen – zur Übergabe zu zwingen, Entsatz den Bedrängten senden, und er schickte zu diesem Zwecke eben den Legaten D. mit Auserlesenen der beiden Mainzer Legionen (leg. XXII prim. und IV Mac.) in Eilmärschen längs des Rheinufers voraus. Er selbst rückte nach. Über Bonna (Bonn) kam man nach Colonia Agrippina (Köln). Hier, wo sich die Truppenteile offenbar wieder vereint hatten, drohte ein Aufstand der Legionssoldaten gegen Hordeonius auszubrechen, den aber D. durch energisches Eingreifen noch glücklich zu verhindern wusste. Die unmittelbare Folge war, dass ihm der Statthalter, auch von den Soldaten dazu gedrängt, nunmehr ganz die Leitung des kommenden Kampfes überliess. Im weiteren Vorrücken nach Norden schloss sich in Novesium (Neuss) die XVI. Legion an D.s Eliteschar an, und nördlich davon, bei Gelduba, bezogen beide ein Lager. Kaum hatte sich D. mit einer Abteilung zu einer Strafexpedition in benachbartes Gebiet entfernt, brach unter den im Lager Zurückgebliebenen, infolge eines für sie ungünstig ausgegangenen Gefechtes mit Germanen vom jenseitigen Rheinufer, eine neuerliche Revolte aus, die wiederum erst D. nach seiner Rückkunft mit Strenge unterdrückte. Durch die Nachricht vom Siege der vespasianischen Sache bei Cremona und die Eidesabnahme für den neuen Kaiser wurde kurz darauf die Stimmung der im Herzen Vitellius anhänglich gebliebenen Soldaten noch feindseliger gegen ihre Führer. D. wurde indessen von einem Angriffe germanischer Truppen überrascht und war fast schon verloren, als die Römer unerwartete Hülfe durch vasconische Cohorten erhielten, die im Rücken der germanischen Angreifer erschienen. So war D. von den für ihn verderblichen Folgen einer fast schon sicheren Niederlage verschont geblieben. Warum er nun den augenblicklichen Vorteil seiner Lage nicht ausnützte und durch sofortigen kräftigen Vorstoss den endlichen Entsatz von Vetera vollzog, ob es Unfähigkeit oder sonstige Hindernisse, etwa [645] Proviantmangel, war (vgl. Tacitus Tadel c. 34, der ihm Mangel an Siegeszuversicht vorwirft), können wir nicht beurteilen. Erst nach einigen Tagen langte er in Vetera an und schlug, unterstützt durch einen Ausfall der Belagerten, Civilis. In seinen weiteren Anordnungen vermissen wir einen klaren Plan, wie auch Tacitus nicht die wünschenswerte Anschaulichkeit aufweist. Er unterliess wiederum eine ausgiebige Verfolgung des Feindes und verschanzte sich zunächst. Der Mangel an Lebensmitteln muss aber so drückend gewesen sein, dass er in dieser vorgeschobenen Lage nicht bleiben konnte. Als daher ein Fouragierungscorps, das er nach Novesium gesendet hatte, von Civilis überfallen wurde und sich nur mit Mühe in das kurze Zeit vorher errichtete Lager von Gelduba durchschlug, entschloss er sich allem Anscheine nach zum Rückzug, der ihn zugleich etwaigen Verstärkungen aus Italien näherbrachte. Er gab aber merkwürdigerweise Vetera dem Feinde nicht ganz preis, sondern liess 4000 Mann der Besatzung – also 1000 Mann weniger als ursprünglich! – zurück. Diese 1000 Erlesenen der zwei Legionen schlug er zu seinem Heere. Natürlich wurde die Stadt sofort nach seinem Abmarsche wieder von Civilis eingeschlossen. Er selbst befreite auf dem Rückwege offenbar die nach Gelduba geflohenen Cohorten (seines Fouragierungscorps) und zog dann von hier nach Novesium zurück. All diese Vorgänge vernichteten den letzten Rest von Disciplin in den Truppen, die fortwährend an Verrat ihrer Führer glaubten; als Hordeonius ihnen schliesslich eben eingelangtes Geld (noch von Vitellius geschickt) im Namen des bei ihnen unbeliebten Vespasian austeilte, da wurde in den darauf folgenden Schwelgereien sein Ende beschlossen und der Mord auch sofort ausgeführt. D. selbst entging, obzwar er kurz vorher ein glückliches Reitertreffen geschlagen hatte, demselben Schicksale nur mit grosser Mühe – er musste, als Sclave verkleidet, aus dem Lager entfliehen. Als sich nun die führerlosen Soldaten entscheiden sollten, für wen und gegen wen sie kämpfen wollten, trat eine Spaltung ein; bei den Truppen der 1., 4. und 22. Legion überwand das Reichsinteresse ihr Misstrauen, und sie liessen sich von dem wieder zurückgekehrten D. zum Entsatze des belagerten Mainz führen, der Rest, von der 5. und 15. Legion, ging zu den Germanen über; dass gerade jene Truppen treu blieben, scheint hauptsächlich D.s Persönlichkeit ein letztesmal bewirkt zu haben; diese drei Legionen kannten ihn ja, die 4. und 22. hatte er ja aus Obergermanien geführt und in der ersten hatte er früher gedient. Freilich in Begeisterung für ihn zogen sie kaum daher, Verrat und Abfall wuchsen auch jetzt um ihn, zumal die Nachricht von Vitellius Tod eintraf und dem Aufstand der Kelten und Germanen verstärkten Anstoss gab; Civilis und seine Anhänger standen fortwährend in geheimer Fühlung mit seinen Leuten. Man sann bald nur noch darauf, auch ihn aus dem Wege zu räumen, um auch über den Rest des ‚vitellianischen Heeres‘ Herr zu werden. Er ward gewarnt, war aber ohnmächtig. In dieser verzweifelten Lage änderte er neuerdings seine Marschrichtung und zog neuerlich über Köln in die Nähe von Vetera und dann [646] wieder – offenbar planlos, vielleicht getäuscht durch falsche Kundschaftsberichte (vgl. Gallorum fraude inlectus Anf. c. 57) – südlich nach Novesium. Hier machte er den letzten Versuch, seine Person für die römische Sache einzusetzen, und hielt an das versammelte Heer eine Rede voll Kraft und Ernst, dabei resigniert und entschlossen, sich selbst hernach den Tod zu geben – wie dies wenigstens Tacitus erzählt. Daran (hinderte ihn seine nächste Umgebung, und so wurde er bald auf andere Weise, von einem Deserteur der 1. Legion, Aemilius Longinus, aus der Welt geschafft. Nunmehr hatte das neue imperium Gallorum (c. 59) am Rhein keinen Feind mehr, Mogontiacum und Vetera capitulierten bald darauf. Groag vermutet, dass D. und C. Dillius Aponianus (vgl. Nr. 1) Verwandte, vielleicht Brüder waren. Litteratur vgl. Schiller Gesch. d. röm. Kaiserz. I 1, 501ff. Wietersheim-Dahn Gesch. der Völkerwanderg 199ff. Pfitzner Gesch. d röm. Kaiserleg. 217f.