Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Priester d. Hephaistos in Troia
Band IV,2 (1901) S. 22132214
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Dares. 1) Priester des Hephaistos in Troia, Vater des Phegeus und Idaios, Hom. Il. V 9f. Tzetz. Homeric. 53f. An diesen D., dem man wegen seines priesterlichen Standes schriftstellerische Neigungen zutrauen durfte, hat späte Erfindung die in einer lateinischen Bearbeitung erhaltene historia Daretis Phrygii de excidio Troiae angeknüpft, eine Darstellung des troianischen Krieges, welche von dem Fortleben und der Gestaltungsfähigkeit dieses Sagenstoffes auch gegen Ausgang des Altertums Zeugnis ablegt und nebst dem nahe verwandten Diktys (s. d.) in einem ähnlichen Verhältnis zu Homer steht, wie etwa die apokryphen Evangelien zu den biblischen. Die erste Erwähnung findet sich bei dem Lügenmythographen Ptolemaios Chennos I extr. (vgl. Eustath. Odyss. p. 1697, 58): Ἀντίπατρος δέ φησιν ὁ Ἀκάνθιος Δάρητα πρὸ Ὁμήρου γράψαντα τὴν Ἰλιάδα μνήμονα γενέσθαι Ἕκτορος ὑπὲρ τοῦ μὴ ἀνελεῖν Πάτροκλον, ein Sagenzug, der jedoch bei dem lateinischen Dares nicht vorkommt. Noch deutlicher sagt Aelian. v. h. XI 2 von D., οὗ Φρυγίαν Ἰλιάδα ἔτι καὶ νῦν σωζομένην οἶδα. Dem entsprechend erzählt der Verfasser der lateinischen historia de excidio Troiae in der Vorrede, worin er unter dem Namen des Cornelius Nepos sein Buch dem Sallustius Crispus widmet, er habe das griechische Original in Athen gefunden und wörtlich ins Lateinische übertragen. Diese Angabe verdient an und für sich allerdings keinen Glauben, aber der ausdrückliche Hinweis des Aelian auf ein zu seiner Zeit vorhandenes Werk und noch mehr die Thatsache, dass die Schilderung der äusseren Erscheinung der griechischen und troischen Helden und Frauen bei Malalas und D. bis auf unbedeutende Abweichungen die gleiche ist, beweisen, dass der lateinische D. in der That aus einem ausführlicheren griechischen Werk übersetzt ist (H. Haupt Philologus XL 107f.). Das muss vor Isidor geschehen sein, da dieser orig. I 41 die lateinische Fassung kennt.

Die Erzählung beginnt mit der Fahrt der Argonauten und der Eroberung Troias durch Herakles und schliesst mit der Zerstörung der Stadt. Die Ausdrucksweise der nur 44 Capitel zählenden Schrift ist so knapp und kurz, dass die Vermutung, das Erhaltene sei nur ein Auszug aus einer ausführlicheren Darstellung (G. Körting Dictys und Dares 70. G. Paris Revue critique 1874, 289; Romania 1874, 129) manches für sich hat. Dabei weist die halbbarbarische, sehr nachlässige Latinität frühestens auf das 5. Jhdt. als Entstehungszeit hin. Doch berechtigen die Worte des einleitenden Briefes: (de Homero) Athenis iudicium fuit, cum pro insano haberetur, quod deos cum hominibus belligerasse scripserit nicht dazu, mit Teuffel-Schwabe den Verfasser für [2214] einen Christen zu halten. Der öfters ausgesprochene Zweck der Schrift ist im Gegensatz zu dem ‚viel später lebenden‘ Homer den troianischen Krieg durch einen Augenzeugen erzählen zu lassen; auch sucht der Verfasser durch scheinbar sehr genaue Angaben über die Zahl der Gefallenen, die bis auf Tage berechnete Dauer des Krieges u. ä. den Eindruck der höchsten Zuverlässigkeit zu machen. Zugleich steht er überall in bewusstem Widerspruch zu Homer und der mythographischen Überlieferung, indem z. B. Helena von der insula Cytherea geraubt wird, Telephos auf seiten der Griechen steht und der Tod des Patroklos im Anfang des Krieges vor dem Zorn des Achilleus stattfindet, welcher wieder durch dessen Werbung um die Polyxena und Annäherung an die Troianer begründet wird. Bemerkenswert für die Entstehung der griechischen Vorlage ist, dass die attischen Helden, Menestheus und Akamas, sich mehr auszeichnen als bei Homer und Palamedes die Rolle des selten erwähnten Odysseus übernimmt. An die Stelle des hölzernen Pferdes tritt entsprechend späterer Grammatikerweisheit (Serv. Aen. II 15) ein am skaeischen Thore ausgehauener Pferdekopf, und Troia fällt nur durch den Verrat des Aineias, Antenor, Dolon, Polydamas und Ukalegon, welche dies Thor den Griechen öffnen. Überhaupt wendet der Verfasser seine Gunst mehr den Troianern als den Griechen zu, was sich auch darin ausspricht, dass Achilleus oft verwundet wird, die Gesamtzahl der gefallenen Griechen 886 000, die der Troianer 676 000 beträgt und Aias, der Sohn des Telamon, durch einen Pfeil des Paris erlegt wird. Diese Richtung, die bereits Vergil angebahnt hat, namentlich aber die vorgegebene Autopsie des Verfassers haben bewirkt, dass das Buch im Mittelalter viel gelesen und benützt wurde. Ausser dem roman de Troie des altfranzösischen Trouvère Benoit de Sainte-More gehen auf D. die deutschen Bearbeitungen desselben Stoffes durch Konrad von Würzburg und Herbort von Fritzlar zurück. Auch sind viele Hss. erhalten, von denen der Parisinus 7906 (9. Jhdt.) wohl die älteste ist, s. F. Meister Über Dares von Phrygien de excidio Troiae, Breslau 1871, 1f. und vor seiner Ausgabe IIIf. Von den Ausgaben scheint die zu Köln 1470 zusammen mit Dictys erschienene die älteste zu sein. Erwähnung verdienen noch die von Jos. Mercier (Paris 1618. Amsterdam 1631), A. Daciera in usum Delphini (Paris 1680. Amsterdam 1702), U. Obrecht (Strassburg 1691), L. Smids (Amsterdam 1702, darin Jac. Perizonius De historia belli Troiani), A. Dederich (Bonn 1835. 1837) und F. Meister (Leipz. 1873). Über die Quellen und Benutzer s. ausser den unter Diktys angeführten Schriften H. Dunger Die Sage vom troianischen Kriege in den Bearbeitungen des M.-A. und ihre antiken Quellen, Dresden 1869. A. Joly Benoit de Sainte-More et le Roman de Troie ou les métamorphoses d’Homère et de l’épopée greco-latine au moyen âge, Paris 1870f. Meister vor seiner Ausgabe S. XVIf. G. Körting Dictys und Dares, ein Beitrag zur Geschichte der Troiasage in ihrem Übergange aus der antiken in die romantische Form, Halle 1874. R. Jäckel Dares Phrygius und Benoit de Sainte-More, Breslau 1874. C. Wagener im Philologus XXXVIII 91f. Teuffel-Schwabe Gesch. d. röm. Litt.⁵ 1209f.