Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Geschwister der Vaterseite in der Rechtssprache
Band IV,1 (1900) S. 889891
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Consanguinei sind in der Redeweise der römischen Juristen nicht die Blutsverwandten (trotz Dig. XXXVIII 16, 1, 10 consanguineos autem Cassius definit eos, qui sanguine inter se conexi sunt), sondern die Geschwister von der Vaterseite, im Gegensatze zu den uterini, den Geschwistern von der Mutterseite, Inst. III 2, 4. 9, 3. Coll. leg. Mos. XVI 6. Gai. III 10. Dieser Sprachgebrauch mag auf der Anschauung beruht haben, dass die Blutsgemeinschaft vorwiegend auf der Verwandtschaft von der väterlichen Seite beruhe (vgl. Isid. orig. IX 6 nam semen viri spuma est sanguinis, ad instar aquae in scopulos collisae) und auf dem Bestreben, den Namen der von der Vaterseite verwandten auf die wichtigste Verwandtengruppe zu beschränken. Erst hinterher mag man den Namen C. auf Geschwister, die durch Adoption in die Familie gekommen sind, ausgedehnt haben (Dig. XXXVIII 16, 11. Coll. XVI 6).

Die c. gehören zu den agnati (s. Agnatio) und darum auch zu den civilrechtlichen Erben, den legitimi (Cod. V 30, 3 tam consanguineus, [890] id est frater, quam patruus ceterique legitimi ad pupillarum feminarum tutelam vocantur). So auch Ulp. XXVI 1 (ebenso Paul. Coll. XVI 3), während derselbe Ulpianus in Dig. XXXVIII 16, 2 ungenauerweise die c. von den agnati unterscheidet und ebenso Coll. XVI 7 sie von den legitimi absondert.

Die Redeweise der späteren Zeit, in der die technischen juristischen Ausdrücke sich verwischten, kehrt zu der Bedeutung des Wortes c., die seinem Wortlaute entspricht, zurück und verwendet es zur Bezeichnung der Blutsverwandten (Cod. Theod. IV 21, 1), sogar der Abkömmlinge (Cod. XIV 4, 5) und des blutsverwandten Oheims, consanguineus patruus III 17, 2. Es wird sogar schliesslich der filius consanguineus als blutsverwandter Sohn zu dem adoptierten Sohne in einen Gegensatz gestellt, Cod. Theod. V 1, 2. Diese Redeweise ist aber in Iustinians Rechtsbüchern wieder aufgegeben, wozu die Sammlung der Pandektenstellen aus älteren Juristen Anlass gegeben haben mag. In ihr sind die c. nur die Geschwister von der Vaterseite.

Zur Zeit der römischen Republik war der Begriff der consanguinea dadurch von besonderer Bedeutung, dass die Jurisprudenz das Recht der zwölf Tafeln, welche die agnatischen Frauen den Männern gleichgestellt hatte, aufhob und zwar Voconiana ratione, d. h. nach Analogie der lex Voconia (s. d.), die im Hinblicke auf den Sittenverfall das testamentarische Erbrecht der Frauen beschränkt hatte, Coll. XVI 3, 20. Paul. sent. IV 8, 20 (22). Den agnatischen Schwestern nahm man jedoch ihr Erbrecht nicht, so dass sie den andern Agnatinnen gegenüber in eine bevorzugte Sonderstellung kamen, nostrae verae hereditates ad feminas ultra consanguineorum gradum non pertinent. Coll. XVI 2, 14. Ulp. XXVI 6. Gai. III 23. 29. Iustinian beseitigte dies und kehrte zum Rechte der zwölf Tafeln zurück, Cod. VI 58, 14. Inst. III 2, 3 b. Cuq (Les institutions juridiques des Romains, Paris 1891, 528) sucht die erwähnte eigentümliche Bevorzugung der agnatischen Schwestern vor den übrigen Agnatinnen durch eine Vermutung zu erklären. Die Geschwister eines Verstorbenen seien die einzigen Agnaten, deren Arbeit im Elternhause bei dem Erwerbe des vom Erblasser früher ererbten väterlichen Vermögens mitgewirkt habe. Darum habe man ihnen allein unter allen Agnaten ein Erbrecht gewähren wollen, habe aber gegenüber dem Wortlaute der zwölf Tafeln diesen Gedanken nur bei Frauen, nicht bei Männern durchgeführt. Hiergegen ist zu erwägen, dass das alt-römische gesetzliche Erbrecht auf Erhaltung der Familienmacht abzielte, nicht auf Belohnung einer Erwerbsthätigkeit, und ein Streben, entferntere Agnaten auszuschliessen, dem nicht entsprochen haben würde. Immerhin mögen aber Erwägungen der von Cuq angegebenen Art von Einfluss darauf gewesen seien, dass man nicht Voconiana ratione alle Agnatinnen von dem gesetzlichen Erbrechte ausschloss, sondern bei dieser weiberfeindlichen Bewegung die agnatischen Schwestern verschonte.

Bevorzugt waren die c. auch nach dem SC. Tertullianum unter Hadrian, das der Mutter unter gewissen Bedingungen ein Erbrecht an den Nachlass ihres Kindes gewährte, Gai. III 24. Inst. [891] III 3. Dig. XXXVIII 17. Cod. VI 56. Während nämlich die Mutter hierbei allen andern Seitenverwandten vorgezogen wurde, musste sie dem frater consanguineus nachstehen und mit einer soror consanguinea den Nachlass teilen, was Iustinian abänderte, vgl. Puchta-Krüger Institutionen10 431ff. § 304. Leonhard Institutionen 374. 375. — Während des Druckes erschien und konnte nicht mehr berücksichtigt werden: J. Binder Die Korrealobligationen im römischen und im heutigen Recht, Leipzig 1899.