RE:Conreus
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft | |||
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Gesamtschuldner | |||
Band IV,1 (1900) S. 886–888 | |||
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Conreus (correus) ist der in einer einzigen Stelle der Digesten (XXXIV 3, 3, 3) so genannte Gesamtschuldner, d. i. ein Schuldner, der neben einem oder mehreren anderen für eine nur einmal notwendige Leistung haftet, so dass der Gläubiger die Wahl hat, an wen von ihnen er sich halten will. Er wird anderweitig reus promittendi genannt, falls seine Haftung auf einer stipulatio (s. d.) beruht, Inst. III 16 (17). Dig. XLV 2. Cod. VIII 40. In Anlehnung an die genannte Stelle (Dig. XXXIV 3, 3, 3) nannte man alle Gesamtschuldner Correal- oder Solidarschuldner. Dies hat sich jedoch infolge einer bahnbrechenden Schrift von Ribbentrop geändert: Zur Lehre von den Korrealobligationen, Göttingen 1831, die sich an Ausführungen von Keller Litis-Contestation und Urteil § 49. 52ff. anlehnt. Seitdem unterscheidet man (ohne hierzu einen Anhalt in den Quellen zu haben) zwei Arten von Solidarschulden: die Correalschulden und die nichtcorrealen Solidarschulden. Bei jenen stehe, so nimmt man an, hinter der Verpflichtung der mehreren Schuldner eine Einheit, bei diesen eine Mehrheit der Obligation, so dass nur bei jenen alle solche Tilgungsgründe, die den ,objectiven Bestand‘ der Obligation tilgen, alle Schuldner befreien. Diese vielfach angefochtene Ansicht bedarf jedoch weit mehr der Erklärung, als sie eine solche zu bieten vermag. Sie ist weniger unrichtig, als unklar. Ihre einzige sichere Grundlage in den Quellen ist der von Keller hervorgehobene Umstand, dass bei gewissen Gesamtschulden der Processbeginn des Gläubigers mit einem Schuldner alle andern befreite (Dig. XLV 2, 2), während dies bei andern nicht der Fall war, vgl. die bei Vangerow Pandekten⁷ III 69 angeführten Stellen. Iustinian hob diese Befreiung auf (Cod. VIII 40 [41] de fideiuss. c. 28) und damit den einzigen sicheren Unterschied zwischen den beiden Gruppen von Gesamtschulden. Die von Iustinian beseitigte Vorschrift wird am befriedigendsten von Dernburg (Pandekten⁵ II 196, 4) daraus erklärt, dass sie der Gefahr einer mehrfachen Beitreibung derselben Schuld vorbeugte. Diese Gefahr schien nur dann Beachtung zu verdienen, wenn zwischen den Gesamtschuldnern eine solche Vertragsbeziehung bestand oder doch möglich erschien, aus der der eine von dem andern eine Erstattung des auf die Schuld Gezahlten verlangen konnte, nicht aber dann, wenn solche Beziehungen unter den mehreren Schuldnern dem äusseren Anscheine nach fehlten, also namentlich nicht bei der Haftung mehrerer aus demselben Delicte, Dig. IV 3, 17 pr. IX 3, [887] 1, 10 frg. 2. 3. 4 ceteri liberantur perceptione, non litis contestatione, vgl. aber auch XLII 24, 15, 2. So erklärt es sich, warum gerade da, wo die Gesamtschuld aus einem Vertrage hervorging und in einigen ähnlichen Fällen jeder Gesamtschuldner, sobald er verklagt wurde, dagegen Sicherung fand, dass nicht hinterher ein anderer Mitschuldner nochmals verklagt und zur Zahlung genötigt werden könnte, dem er vielleicht dadurch ersatzpflichtig werden würde. Diesen bis zu Iustinian durch eine besondere Kraft des Processbeginnes ausgezeichneten Fällen der Gesamtschuld teilte man (ohne Anhalt in den Quellen) den Namen ,Correalobligationen‘ als technische Bezeichnung zu.
Im übrigen nimmt man aber an, dass der erwähnte Unterschied zwischen correalen und nichtcorrealen Gesamtschulden nicht der einzige ist. So bezieht sich jedenfalls Iustinians Vorschrift, dass eine Verjährung, wenn man sie gegenüber einem Gesamtschuldner unterbricht, auch gegenüber den andern unterbrochen sein solle, Cod. VIII 39 (40) c. 5, nach dem Wortlaute des Gesetzes nur auf Gesamtschulden aus demselben Rechtsgeschäfte. Die andern Rechtssätze aber, die für gewisse correale Gesamtschulden bezeugt und von der herrschenden Lehre auf diese beschränkt werden (vgl. namentlich Dig. XLV 2, 2. 18. XLVI 4, 16. XII 2, 28, 3), sind in den Quellen keineswegs in diesem beschränkten Umfange aufgestellt. Wenn und insoweit z. B. acceptilatio (s. d.), novatio (s. d.) und Eid der Zahlung allgemein gleichgestellt wurden, so mussten sie folgerichtigerweise alle Solidarschulden vollständig tilgen, da ja die Zahlung ohne Zweifel diesen Erfolg hatte. Von grosser Bedeutung ist, ob die correi socii sind, d. h. aus der Eingehung der Gesamtschuld gegenseitige Rechte und Pflichten haben oder nicht (vgl. Dig. XLVI 1, 71 pr. II 14, 25. XLV 2, 10. IV 8, 34 pr.). Einen Regressanspruch haben nämlich die correi als solche untereinander der richtigen Meinung nach nicht, es kommt vielmehr darauf an, aus welchen Gründen sie in die Gesamtschuld hineingeraten sind. Wenn z. B. zwei Schuldner sich samt und sonders für Rückzahlung einer Darlehenssumme verpflichten, der eine, um das Geld zu bekommen, der andere, um ihm Credit zu verschaffen, vgl. z. B. Dig. XV 3, 10, 10, so ist es klar, dass der erstere gegen den letzteren keinen Regressanspruch hat, falls er später zahlt. Im übrigen ist die Frage des Regresses unter C. sehr bestritten (s. v. Vangerow a. a. O. 70ff.). Noch zweifelhafter ist der Sinn der Novell. 99, in der Iustinian für Gesamtschuldner eine Rechtswohlthat der Teilung einführt, jedoch nur für die ἀλληλεγγύως ὑπεύθυνοι, dies sind wohl die durch eine Regresspflicht gegenseitig verbundenen. Doch ist dies überaus bestritten (vgl. v. Vangerow a. a. O. 78ff. Dernburg Pand.⁵ II 200 § 73).
Neben den Gesamtschulden, namentlich den plures rei promittendi, giebt es auch Gesamtforderungen, namentlich plures rei stipulandi, vgl. rubr. Inst. III 16. Cod. VIII 39 (40). Diese dürfen nicht nach Analogie der Gesamtschulden beurteilt werden. Zwar ist auch bei ihnen nur eine einzige, einmal nötige Leistung vorhanden und eine Mehrheit von Beteiligten. Ihr Zweck ist aber dem Zwecke der Gesamtschulden gerade [888] entgegengesetzt. Bei den Gesamtschulden dient die Mehrheit der auf einer Seite Beteiligten zur Verstärkung des Anspruches des Gläubigers, bei den Gesamtforderungen dient sie zu seiner Abschwächung. Der Gläubiger hat hier Mitbewerber neben sich, die ihm zuvorkommen und ihn schädigen können, und hat daher das Recht, auch seinerseits ihnen zuvorzukommen. Deshalb darf ihm dies Recht auch nicht durch confusio (s. d.) verkürzt werden (vgl. Arndts Pandekten § 273, 2). Es zerstört also die confusio die Gesamtforderung, die Gesamtschuld aber nicht, Dig. XLVI 1, 71 pr. Dass der Processbeginn des einen Gesamtgläubigers mit dem Schuldner die andern ausschliesst (Cod. VIII 40 [41], 28 also keine analoge Anwendung finden darf), gilt aus demselben Grunde auch noch im iustinianischen Rechte. Andererseits zerstört jeder Gesamtgläubiger durch ein constitutum debiti (s. Constituere) mit dem Schuldner die Rechte seiner Nebengläubiger (Dig. XIII 5, 10), während das constitutum eines Gesamtschuldners die Nebenschuldner nicht befreit. Ein Missgriff ist daher auch, den Unterschied der correalen und der nichtcorrealen Schulden auf die Gesamtforderungen zu übertragen und Correalforderungen von activen Solidarobligationen zu unterscheiden. Dies ist, namentlich gegen v. Jhering (Dogm. Jahrb. XXIV 128ff.), erwiesen von Ludwig Dambitsch Entsteht aus dem Versprechen der Leistung an einen Dritten nach § 335 des Bürgerlichen Gesetzbuches ein Gesamtgläubigerverhältnis? Diss. Breslau 1897, 4ff.
Die Litteratur über Correalschulden findet sich bei v. Vangerow Pandekten⁷ III 59. Windscheid Pandekten⁷ II 118 § 292. Dernburg Pandekten⁵ II 192 § 71, 1. Windscheid bemerkt a. a. O. am Ende der Litteraturübersicht: ,Noch im J. 1829 konnte geschrieben werden (Guyet Abhandl. aus dem Gebiete des Civilrechts 262): ,Es ist ... nicht leicht über irgend einen andern Hauptpunkt des römischen Rechts die Litteratur so dürftig, wie über diesen.‘ ,Mancher möchte vielleicht diesen Zustand zurückwünschen.‘ Diese unnatürliche Fruchtbarkeit in einer verhältnismässig untergeordneten Frage dürfte auf den verkehrten Ausgangspunkt zurückzuführen sein, von dem aus sie seit Ribbentrop behandelt zu werden pflegt. Er liegt in der Frage, ob und wie weit der Einheitsbegriff auf Gesamtschulden anwendbar sei oder nicht. Als ungeschichtlich muss es aber bezeichnet werden, dass man den von praktisch-politischen Gesichtspunkten beherrschten römischen Juristen es allen Ernstes zutraut, die rechtliche Behandlung der correi nicht aus den Bedürfnissen des Lebens und des Gemeinwohls abgeleitet zu haben, sondern aus doctrinären Erwägungen über Einheit und Vielheit; vgl. hierzu auch Leonhard Institutionen 405ff. Ein besonderes Verdienst um die Anfechtung der bisher üblichen Methode ist neben Dernburg (Preuss. Privatrecht II § 47, 7) G. Hartmann zuzuschreiben (Ztschr. f. schweizerisches Recht VI 1886, 113ff.).