Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Quintilianus Verfasser einer Schrift peri mousikes
Band II,1 (1895) S. 894896
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25) Aristides Quintilianus, Verfasser einer Schrift περὶ μουσικῆς in drei Büchern. Die zwölf ersten Kapitel des ersten Buchs enthalten eine Harmonik, zum Teil aus Aristoxenos, zum Teil aus älteren Quellen, den sog. παλαιοί, geschöpft. Solch eine ältere Quelle scheinen in erster Linie die Lehren Damons von Athen zu bilden, welcher mittelbar wenigstens Platons Lehrer war und von diesem als Autorität angeführt wird, wo es sich um den ethischen Wert bestimmter Tonarten handelt (Rep. III 400 B). Mit diesem Damon hat nämlich A. nicht nur den Ausdruck (φερόμενοι für die beweglichen Töne des Tetrachords, sondern auch das Forschen nach dem ethischen Gehalt der Musikformen gemein (II 14 p. 95); vgl. darüber Herm. Deiters De A. Q. doctrinae harmonicae fontibus, Progr. Düren 1870. Mehrfache Wiederholungen und Widersprüche zeugen von flüchtiger compilatorischer Arbeit. Dass aber A. in der That eine sehr alte Quelle benützt, zeigt neben der alten Notentabelle (I 7), welche vielfach vier Zeichen für eine Tonstufe enthält, und neben den unverständlichen Tonleitern (I 9) besonders der Umstand, dass er allein unter dem σύστημα τέλειον blos eine Octave versteht (I 6. 8 u. s. w.). I 13–19 enthalten die Lehren der Rhythmik. Eine früher von Westphal (in der ersten Harmonik [1863] S. XL, auch in der zweiten Metrik [1867] I 88) aufgestellte Scheidung in Partien, welche von Aristoxenos und anderen Lehrern herrühren, bei denen die Rhythmik und Metrik getrennt behandelt sei (Chorizontes), und in Partien, stammend aus Schriftstellern, welche rhythmische und metrische Lehren verbänden (Symplekontes), wurde von Susemihl in vielen Einzelheiten angefochten (Ind. [895] lect. Greifsw. 1866/67, auch Jahrb. f. Phil. 1873, 295) und scheint später von ihrem Urheber selbst aufgegeben worden zu sein (Rhythmik³ 1885 S. 21). Das von da oder dort Entnommene lässt sich eben in diesen Compilationen aus später Zeit gar schwer rein ausscheiden; in der Regel kommt man ohne Annahme mehrerer Mittelglieder nicht aus. Der dritte Teil des ersten Buchs (Kap. 20–29) enthält metrische Lehren und ist von Westphal bei Aufstellung seines Systems der Synarteten benützt (Metrik² II 138. 141; Allgemeine Metr.³ 262ff.). Das zweite Buch des A., welches man παιδευτικόν überschreiben könnte, beschäftigt sich mit dem ethischen Gehalt der Musik und ihrer Rhythmen (vgl. Sauppe Gött. gel. Anz. 1882, 1473), das dritte Buch φυσικόν sucht in pythagoreisch-platonischer Weise allerlei Analogien zwischen der Musik und der natürlichen Welt auf, mit den Zahlen im allgemeinen, den Mondphasen, Jahreszeiten, geometrischen Körpern u. s. w.

Über die Zeit, in welcher A. schrieb, ist viel gestritten worden. Ein fester Terminus post quem ist II 6 durch die Erwähnung Ciceros gegeben. Ein Terminus ante quem lässt sich kaum finden; denn wenn auch Deiters (Über das Verhältnis des Martianus Capella zu A. Q., Programm Posen 1881, 8) erwiesen zu haben glaubt, Martian müsse aus A. direct übersetzt haben, sieht er sich doch später (S. 9. 10. 13) genötigt, für Martianus eine vollere Quelle als unsern A. anzunehmen. Alle Combinationen, welche sich an das Cognomen Quintilianus knüpften und einen geschichtlichen Zusammenhang mit dem berühmten Rhetor herzustellen suchten, dürfen wir hier beiseite lassen und uns sogleich der Frage zuwenden, welcher Philosophenschule A. anzugehören scheint. Der Herausgeber des A., A. Jahn, möchte (praef. p. XXII) ihn unter die Neupythagoreer des 2. Jhdts. n. Chr. rechnen. Dagegen weist jedoch Caesar, welcher in seinen Grundzügen der Rhythmik 1ff. die Frage nach der Zeit des A. äusserst gründlich behandelt, überzeugend nach, dass die II 17 gegebene Darstellung vom Herabsteigen der Seele aus der Region des Aethers, ihrem Durchgang durch die Mondregion und der Bildung des Körpers erst neuplatonischen Ursprungs sei und mit Porphyrios Lehre genau übereinstimme (v. Jan Phil. Rundschau 1883, 1198 vergleicht namentlich Porphyrios Sentent. 32), und demgemäss führt auch Zeller Gesch. der Phil. III 2³, 678 den A. unter ‚Porphyrs, vielleicht auch Iamblichs Schülern‘ auf. Für Jahns Ansatz des A. in das 2. Jhdt. trat zwar noch Westphal ein (Mus. d. gr. Altert. 1883, 251; Rhythmik³ 21); indes darf nach Caesars erneuter Behandlung der Frage (Ind. lect. Marburg 1882/83 und 1884) für ausgemacht gelten, dass A. frühestens im 3., vielleicht erst im 4. Jhdt. n. Chr. gelebt und geschrieben hat.

Nach der Editio princeps von Meibom (Amstelodami 1652) wurden anfangs nur die rhythmisch-metrischen Abschnitte neu gedruckt in Westphals Fragmenten und Lehrsätzen 1861; Metrik I² 1867, sowie in Caesars Grundzügen der gr. Rhythmik, Marburg 1861. Die Notentabellen wurden kritisch behandelt von Fr. Bellermann Tonleitern und Musiknoten, Berlin 1847, 61. Erst 1882 erschien der ganze Text in [896] der Recension von Albert Jahn (Berlin), auch jetzt noch ohne genügende diplomatische Grundlage und ohne Angabe der abweichenden Lesarten. Eine wertvolle Ergänzung dazu bilden die von Amsel (Breslauer philol. Abhandlungen I 3, 128) mitgeteilten Collationen Studemunds; vgl. auch die kritischen Bemerkungen von v. Jan in Berl. Phil. Wochenschrift 1882, 1381. Wichtige Hss. wie Marc. VI 10 und Neap. III C 4 sind indes noch gar nicht ausgebeutet.