Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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urspr. Personal des Isiskultes, später verächtlich 'Tugendschwätzer'
Band II,1 (1895) S. 670672
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Aretalogoi (ἀρεταλόγοι). Litteratur: Cassaubonus Animadv. ad Sueton. p. 150 (Paris. 1605). Wernsdorf PLM II 62f. Flögel Geschichte der Hofnarren (1789) 127–142 (unfruchtbar). Bernhardy Gr. Litt. II 2, 536ff. O. Jahn Persius XCIf. Grundlegend: Sal. Reinach Les arétalogues dans l’antiquité, Bull. hell. IX (1885) 257ff.; Nachtrag Rev. archéol. XIV 1889, 87. R. Meister Ber. d. Sächs. Ges. d. Wiss. 1891, 12ff. Susemihl Gr. Litt. in der Alexandrinerzeit I 236, 5.

Zeugnisse: 1) Philodem von Gadara περὶ ποιημάτων ed. Dübner Par. 1840, 13 ... οἱ μὲν οἰόμενοι τὸν ἐν τοῖς μύθοις καὶ ταῖς ἄλλαις ἠθοποιΐαις κἀν τῇ λέξει παραπλησίω[ς ἐκλάμπο]ντα ποητὴν ἄριστον εἶναι, λέγουσι μὲν ἴσως ἀληθές τι, τὸν δὲ ποητὴν τὸν ἀγαθὸν συνορίζουσι κατὰ μιμογράφου καὶ ΑΡΕΤΑΔΕΙΟΥ (schr. ἀρεταλόγου) [ἀλλ’] οὐ συγγραφέως ἀρετήν ... Wenn die ἠθοποιΐα auf den Mimus, die λέξις auf den συγγραφεύς geht, ist für den ἀρεταλόγος der Mythus das Charakteristische. 2) Delische Inschrift Bull. hell. VI 327 nr. 31 ... Ἴσι, Ἀνούβι .... Πυργίας (vom alexandrinischen πύργος auf Pharos?) ἀρεταλόγος κατὰ πρόσταγμα. 3) Delische Inschrift (1. Jhdt. v. Chr.), ebd. 339 nr. 43: Πτολεμαῖος Διονυσίου Πολυρρήνιος ὀνειροκρίτης καὶ ἀρεταλόγος καὶ ἡ γυνὴ Καλλίστιον Μαρσύου Ἀντιόχισσα Ἴσιδι Τύχῃ ὑπὲρ τοῖ δήμου τοῦ Ἀθηναίων κτλ. Beide Aretalogen wenden sich an die Isis; auch ihre Namen lassen Beziehungen zu Ägypten zu. 4) Strabon XVII 801 Κάνωβος ...ἔχουσα τὸ τοῦ Σαράπιδος ἱερὸν πολλῇ ἁγιστείᾳ τιμώμενον καὶ θεραπείας ἐκφέρον ...συγγράφουσι (vgl. den grammatea der Isis bei Apul. met. XI 17) δέ τινες καὶ τὰς θεραπείας, ἄλλοι δὲ †ἀρεταλογίων· ἀντὶ πάντων δ’ ἐστὶν ὁ τῶν πανηγυριστῶν ὄχλος κτλ. So lautet die strittige Stelle in mehreren massgebenden Hss.; die Vulgata ἄλλοι δὲ ἀρετὰς τῶν ἐνταῦθα λογίων wird von Reinach und Meister mit Recht als interpoliert betrachtet; Reinach erkennt am Schluss ἀρεταλογιῶν, Meister wenig wahrscheinlich ἀρετὰ λογίων ,Hübsches aus Orakelsprüchen‘ ,hübsche (Orakel)geschichten‘. [671] 5) LXX Jes. Sir. 36, 17: πλῆσον Σιὼν ἀρεταλογίας σου καὶ ἀπὸ τῆς δόξης σου τὸν λαόν σου. 6) Manetho Apotelesm. IV 444ff. Hermes μυθολόγους τεύχει τε καὶ αἰσχρορήμονας ἄνδρας ... ἐν τ’ ἀρεταλογίῃ μυθεύματα ποικίλ’ ἔχοντας, ψηφάων παίκτας τε καὶ ἐξ ὄχλοιο πορισμῶν βομβηδὸν ζώοντας. 7) Iuvenal in der Ägyptersatire XV 13ff. carnibus humanis vesci licet. Attonito cum tale super cenam facinus narraret Ulixes Alcinoo, bilem aut risum fortasse quibusdam moverat, ut mendax aretalogus. 8) Sueton. Octav. 74 Nam ... aut acroamata et histriones aut etiam triviales ex circo ludios interponebat (bei den Gastmählern), ac frequentius aretalogos. 9) Porphyr. ad Hor. Serm. I 1, 120 Crispini scrinia] Plotius Crispinus philosophiae studiosus fuit. idem et carmina scripsit, sed tam garrule, ut aretalogus diceretur; weniger gut Acro II 16 Hauth. 10) Auson. Epist. 13 Ῥωμαίων ὕπατος ἀρεταλόγῳ ἠδὲ ποιητῇ Αὐσόνιος Παύλῳ.

Die älteren Erklärer gehen meist (mit Casaubonus) von der Horazstelle aus, und sehen in den A. schwatzhafte Bettelphilosophen, ‚Tugendschwätzer‘. Aber nicht ein einziges Zeugnis kann mit Sicherheit auf einen Philosophen bezogen werden; für Crispin ist das Wort Spitzname. Erst Reinach hat reicheres Material herbeigeschafft und den Bann der alten Anschauung durchbrochen. Er sucht in dem ersten Componenten (ἀρετα-, ἀρετή) einen religiösen Terminus für ‚Wunder‘ (miracle) nachzuweisen, und beruft sich dafür auf inschriftliches Material, das er, wie Meister 16 darthut, nicht richtig geschrieben und gedeutet hat; nach ihm sind die A. ‚Wundererzähler‘. Meister sucht nachzuweisen, dass diese Deutung auch zu den Zeugnissen nicht recht passe, zieht den ersten Teil des als attisch reclamierten Wortes zu dem ziemlich verschollenen Worte ἀρετός = ἀρεστός ,gefällig, hübsch, schön‘; ἀ. ist = ἡδυλόγος, ‚Erzähler hübscher Geschichten‘, nach Art des Philepsios (auf den schon Lobeck Agl. 1317 k in diesem Zusammenhang hingewiesen hatte; S. 39 hätte Meister vor allem auf das Prototyp der zunftmässigen Erzähler, Aesop, hinweisen sollen). Susemihl greift in der Hauptsache wieder auf die alte Erklärung zurück; die A. sind = Ethologen und gehören (wie auch Bernhardy a. O. angenommen hatte) nach Unteritalien zu jenen Komikern niedern Stils, ‚die ihre vielfach unsaubern Darstellungen mit Tugendpredigten und moralischen Sprüchen zu verbrämen liebten‘.

Überblickt man die Zeugnisse, so ergiebt sich zunächst mit Wahrscheinlichkeit, dass das Wort nicht dem attischen oder überhaupt dem ältern Sprachgut angehört, sondern der hellenistischen κοινή; weiter, dass es im Orient, und zwar in Ägypten geprägt ist, denn Philodem (1) war ein Syrer, die nächsten Stellen (2–4) handeln vom Isis-Sarapiskult, die Septuaginta (5) und Manetho (6) sind in Ägypten entstanden, und der Verfasser der 15. Satire des Iuvenal kennt und schildert ägyptische Sitte. Die beiden Inschriften (2. 3) haben sacralen Character; ὀνειροκρίτης ist der Kreter Ptolemaios sicher im Dienste der Isis; Kreter spielen, als die natürlichen Vermittler zwischen Ägypten und Griechenland, auf den Inselkulten der Isis überhaupt eine grosse Rolle (vgl. Compte rendu de l’acad. des inscr. 4. sér. VII [672] 1879, 130f. die Inschrift in iambischen Kurzversen ἐνύπνια κρίνω τοῦ θεοῦ ... Κρής ἐστιν ὁ κρίνων τάδε, dazu Kallim. Epigr. 37 = Anth. Pal. XIII 7 ὁ Λύκτιος Μενοίτας ... Σάραπι), und ὀνειροκρίται oder ἐνυπνιοκρίται, d. h. Deuter der Heilträume, gehören zu dem ständigen Personal der Isis- und Serapistempel (Drexler in Roschers Lexikon II 524. S. Reinach 261); Ptolemaios und Pyrgias werden also auch als A. im Dienst der Isis gewirkt haben, der ihre Inschriften gewidmet sind. Das scheint auch die leider corrupte Strabonstelle (4) zu bestätigen; die einen schreiben τὰς θεραπείας auf, d. h. die Heilträume, wie die bei Artemidor II 44 (vgl. Ael. n. an. XI 31ff.) genannten Gewährsmänner, ἄλλοι δὲ ἀρεταλογίαν (so wird zu lesen sein). Religiöse Bedeutung hat von unsern Zeugnissen nur die Stelle aus der LXX; hier ist ἀρεταλογία = ‚Lobpreisung‘. Das Wort will also aus dem alexandrinischen Sprachgebrauch heraus verstanden sein. Meister selbst bemerkt a. a. O. 16, dass ἀρετή im Sinne von θεία δύναμις besonders aus der LXX und dem N. T. bekannt sei. Vgl. Jes. 42, 8. 12 τὰς ἀρετὰς αὐτοῦ (Gottes) ἐν ταῖς νῆσοις ἀναγγελοῦσι. 43, 21 τὰς ἀρετάς μου (Gottes) διηγεῖσθαι, ähnlich 63, 7. Habac. 3, 3. I Petr. 2, 9, und in ägyptisch-hellenistischen Excerpten Diod. V 71 διενέγκαι δὲ τὸν θεὸν ... ἁπάσαις ἀρεταῖς. Der ἀρεταλόγος ist also fast identisch mit dem ὑμνολόγος (hymnologus auch in Inschriften); er verkündet die ἀρεταί der Gottheit, wie sie sich in der heiligen Sage und in ihren neuen Wundern manifestieren; man wird die von Diodor I 27 benutzten Isishymnen (Kaibel Epigr. 1028) als ἀρεταλογίας ansprechen dürfen. Diese Hymnen zeigen auch das dialektische α (für η); bei den engen Beziehungen zwischen Ägypten, Kyrene und Kreta wäre das Eindringen solcher Elemente in die sacrale Terminologie wohl verständlich; eine Kyrenäerin Ἀρετα-φίλα lernen wir bei Plut. virt. mul. 19 (Polyaen. VIII 38) kennen. Doch mag die Lösung der lautlichen Schwierigkeiten auf sich beruhen bleiben: in der Sache behält Reinach Recht. Wer die Litaneien der Isishymnen liest, wird begreifen, dass Derartiges als Typus der Geschwätzigkeit (9), des Fabulierens (1. 6) und der Lügenhaftigkeit (7) gelten konnte, und dass man gerade ein carmen garrule scriptum (9) als Aretalogus-Werk bezeichnete. Sänger und Flötenbläser erscheinen in einer Isisprocession (Apul. met. XI 9), bei der es, wie auch Strabon andeutet, ausgelassen genug herging: so mögen die von August zur Tafel befohlenen Aretalogi alexandrinische Lieder vorgetragen haben, gleich den pueri Alexandrini des Trimalchio (Petr. 31. 68). Der verächtliche Ton, in dem Ps.-Manetho von den ἀρεταλογίαι redet, ist gerade unter diesen Voraussetzungen wohlverständlich; nicht günstiger wird in diesen Gedichten über die Gallen und ähnliche fahrende Priester gesprochen. Was Ausonius sich unter dem Worte gedacht hat, bleibt unklar; an den gallischen Isiskult hat man schwerlich zu denken.

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S. 670 zum Art. Aretalogoi:

Neuere Funde gestatten heute mit größerer Sicherheit über die Bedeutung des Wortes Aretalogos zu urteilen, als es vor 30 Jahren möglich war, vgl. die nur mit großer Vorsicht zu benutzende Dissertation von A. Kiefer Aretalogische Studien, Freiburg i. Br. 1929, die wenigstens einen großen Teil des Materials zugänglich macht. etc. etc.

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Band R (1980) S. 41
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