Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Primus, M. Feldherr Vespasians
Band I,2 (1894) S. 2635 (IA)–2637 (IA)
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89) M. Antonius Primus (der Vorname bei Martial. X 32, 3. IX 99, 1. X 73, 8), Feldherr Vespasians gegen Vitellius und Sieger in der zweiten Schlacht von Betriacum im October 69 n. Chr. (Tac. hist. II 86–IV 80. Dio LXV 9–20. Joseph. bell. Iud. IV 11, 2–4). Er war geboren in Tolosa in Gallien (Suet. Vit. 18. Mart. IX 99, 3) um 30–35 n. Chr., da er um 95–98 n. Chr., als Martial sein 10. Buch herausgab, etwas über 60 Jahre alt war (X 23, 2). In seiner Kindheit hatte er den Beinamen Becco (Suet. Vit. 18). Im J. 61 wurde er in Rom als Testamentsfälscher verurteilt (Tac. ann. XIV 40; hist. II 86. Dio LXV 9, 3), beim Ausbruch des Bürgerkrieges 68–69 erlangte er aber den Senatorenstand zurück, erhielt von Galba den Befehl über die legio VII Galbiana in Pannonien, bot sich dem Otho vergeblich als Parteiführer an, ward dann aber, als die Herrschaft des Vitellius ins Schwanken geriet, eine starke Stütze für die Partei Vespasians (Tac. hist. II 86). Als in Poetovio, dem Winterlager der legio XIII Gemina, wohin die flavianischen Parteiführer zusammengekommen waren, Kriegsrat über die Führung des Krieges gehalten wurde, drang er in feuriger Rede darauf, den Feldzug sogleich zu eröffnen (Tac. hist. III 1–3).

Mit wenigen leichten Truppen fiel er selbst [2636] in Italien ein, besetzte Aquileia, Opitergium und Altinum und machte erst nach einem siegreichen Gefecht in Patavium einige Tage Halt. Hier stiessen die beiden pannonischen Legionen, die VII Galbiana, deren Legat er selbst war, und die XIII Gemina zu ihm, und nunmehr wurde Verona zur Operationsbasis für den Feldzug bestimmt (Tac. hist. III 6–8). Caecina Alienus, der Führer des feindlichen Heeres, wagte ihn hier trotz seiner überlegenen Streitkräfte nicht anzugreifen, so dass sich die drei moesischen Legionen, die VII Claudiana, die III Gallica und die VIII Augusta in Verona ungehindert mit den beiden pannonischen vereinigen konnten (Tac. hist. III 9–10). über dieses ganze Heer bekam Primus die alleinige Gewalt, da die beiden über ihm stehenden Consularlegaten Tampius Flavianus, Statthalter von Pannonien, und Aponius Saturninus, Statthalter von Moesien, durch einen Soldatenaufstand zur Flucht genötigt wurden, und die gleichstehenden Collegen bei dem Ansehen, das er beim Heere besass, sich ihm freiwillig fügten (Tac. hist. III 10–11; vgl. Dio LXV 9, 3–4). Als nun Caecina nach einem misslungenen Versuche, von Vitellius abzufallen, von seinen eigenen Truppen in Fesseln gelegt war und die sechs bei Hostilia stehenden Legionen sich mit den beiden nach Cremona vorausgeschickten (der I Italica und XXI Rapax) vereinigen wollten, suchte Primus durch einen schleunigen Angriff die führerlosen Feinde vor ihrer Vereinigung zu schlagen. Er eilte also von Verona mit seinem ganzen Heere in zwei Tagemärschen nach Betriacum (zwischen Cremona und Hostilia), liess hier vorläufig die Legionen zurück und zog mit den leichten Truppen weiter auf Cremona los. Die Besatzung von Cremona rückte gegen ihn aus und errang zunächst einen Vorteil; dann aber gewann Primus hauptsächlich durch seine eigene geschickte und mutige Führung einen vollständigen Sieg und warf die Feinde nach Cremona zurück (Tac. hist. III 14–18). In der Abenddämmerung langten auch die fünf Legionen selbst von Betriacum her auf dem Schlachtfelde an, und schon erwog man die Möglichkeit eines nächtlichen Angriffes auf Cremona, als man plötzlich erfuhr, die sechs Legionen der Vitellianer, die bis dahin bei Hostilia gewesen waren, seien nach einem Gewaltmarsche soeben in Cremona angelangt (Tac. hist. III 19–21; vgl. über diesen auffälligen Marsch und über die Schlachten bei Betriacum überhaupt Mommsen Herm. V 1871, 169–173). Ohne sich auszuruhen und das Licht des Tages abzuwarten, erneuerten nun die Vitellianer, obwohl ohne Führer, mit erbitterter Wut bei Anbruch der Nacht den Kampf. Die ganze Nacht hindurch rangen die Legionen vom Rhein und die von der Donau mit einander in übermenschlicher Anstrengung um den Sieg; nach Sonnenaufgang endlich wird die mörderische Schlacht zu Gunsten Vespasians entschieden, und noch an demselben Tage (Ende October 69 n. Chr., vgl. Tac. hist. III 37) wurde Cremona erstürmt, geplündert und in Brand gesteckt (Tac. hist. III 22–33. Dio LXV 11–15. Joseph. bell. Iud. IV 11, 3. Vict. Caes. 8, 5). A. liess nach diesem entscheidenden Siege den Hauptteil seines Heeres in Verona zurück und zog selbst mit dem kleineren Teile, verstärkt durch die legio XI Claudiana [2637] aus Dalmatien, nach Südosten, überstieg nach kurzem Aufenthalt in Fanum Fortunae den Apennin und lagerte einige Zeit bei Carsulae den in Narnia stehenden Vitellianern gegenüber, bis sich ihm nach dem Eintreffen seiner Legionen die Feinde am 16. oder 17. December (vgl. Tac. hist. III 67) ergaben (Tac. hist. III 49–53. 59–61. 63). Nun feierte er in dem nahen Ocriculum unthätig das Saturnalienfest (17.–19. December), so dass man sein Zögern schon als Verrat deutete, als ihn die Nachricht von der dem Capitol drohenden Gefahr am 19. aufscheuchte. Auf der Via Flaminia kam er am späten Abend bis nach Saxa rubra, unweit von Rom, wo er den Brand des Capitols und den Tod des Stadtpraefecten Flavius Sabinus erfuhr (Tac. hist. III 78–79). Am nächsten Tage, den 20. December, wurde nach hitzigen Kämpfen Rom erstürmt und Vitellius ermordet (Tac. hist. III 82–84. Dio LXV 19–21. Suet. Vit. 15–18. Joseph. bell. lud. IV 11, 4: τρίτη μηνὸς Ἀπελλαίου, d. h. am 20. December, vgl. B. Niese Herm. XXVIII 1893, 203, 3). Nun besass A. in Rom die höchste Gewalt, und der Senat erkannte ihm die Consularabzeichen zu (Tac. hist. IV 2. 4). Als aber Licinius Mucianus, Vespasians Oberfeldherr, der längst mit Antonius Primus zerfallen war (vgl. Tac. hist. III 52–53. 78), in Rom eintraf (nach Joseph. bell. Iud. IV 11, 4 geschah dies schon am 21. December), verlor A. nicht nur seine Machtstellung, sondern wurde auch von Mucianus so unwürdig behandelt, dass er zu Anfang des J. 70 Rom verliess und sich zu Vespasian begab (Tac. hist IV 11. 39. 68. 80). Dieser nahm ihn zwar nicht so, wie er gehofft hatte, aber doch ohne Abneigung auf, behandelte ihn aber bei seinem anmassenden Benehmen allmählich kälter, und nur zum Scheine dauerte die Freundschaft fort. Soweit Tacitus (hist. IV 80). Dass er noch gegen Ende der Regierung Domitians lebte, sehen wir aus Martial, der ihn in vier Epigrammen feiert (IX 99. X 23. 32. 73). über seinen Charakter vgl. Tac. hist. III 49. 53. IV 2. 80; besonders II 86: strenuus manu, sermone promptus, raptor, largitor, pace pessimus, bello non spernendus.