23) Antiochos Hierax. Er war der Sohn des Antiochos Theos und der Laodike, der jüngere Bruder des Königs Seleukos II. Kallinikos. Sein Geburtsjahr steht nicht fest. Das Leben dieses Mannes ist noch immer zum grossen Teil in Dunkel gehüllt. Namentlich die chronologische Ansetzung der von ihm bekannten Einzelheiten unterliegt vielen Zweifeln, zumal die beiden Hauptquellen, Iustin. XXVII 2ff. und Eusebios chron. I 251, stark zu divergieren scheinen, was zu den verschiedensten Viten geführt hat (vgl. u. Litteratur). Schon mit 14 Jahren wurde A. zu einer wichtigen politischen Rolle berufen: sein Bruder Seleukos, der damals in Syrien durch Euergetes I. in schwere Bedrängnis versetzt war, bat ihn um Hülfe und versprach ihm dafür die Herrschaft über Kleinasien bis zum Tauros (Iust. XXVII 2, 6). Daraus folgt nicht, wie Niebuhr u. a. meinten, dass A. ‚über Land und Leute geherrscht hätte‘ (nämlich Cilicien, vgl. Nr. 24), sondern es heisst nichts anderes, als dass A. an der Spitze der Streitkräfte Kleinasiens, soweit es den Seleukiden gehorchte, dem Seleukos zu Hülfe ziehen solle, wofür er als Mitregent in Kleinasien anerkannt werden würde. A. folgte dieser Aufforderung und nahte mit dem kleinasiatischen Aufgebot, wodurch Euergetes so eingeschüchtert wurde, dass er mit Seleukos Frieden schloss (Iust. XXVII 2, 9). Sei es, dass A., mit Kleinasien nicht zufrieden, das gesamte Seleukidenreich zu besitzen wünschte (fratri totum eripere cupiens Iust. XXVII 2, 7), sei es, dass Seleukos, von dem ägyptischen Bedränger befreit, sein Versprechen, den A. als Mitregenten in Kleinasien anzuerkennen, nicht halten zu wollen Miene machte (Iust. XXVII 3, 4 bellum propter Asiam gerebant), A. eröffnete gegen den Bruder Feindseligkeiten und lud damit die Verantwortung für den unheilvollen Bruderkrieg auf sich (Iust. XXVII 2, 10 pax interpellatur a fratre, scil. Antiocito). A. hatte einen Rückhalt an seiner Mutter Laodike (Plut. de frat. am. 18) und Alexandros, dem Bruder derselben, der Commandant von Sardes war (Euseb. a. O.). Vielleicht hatten diese ihn zu seinem Vorgehen aufgereizt. Seine militärische Stellung stützte sich vor allem auf die Galater, die er als Söldner geworben hatte (Iust. Euseb. a. O.). Möglich, dass [2458] er sie schon vorher im Auftrage des Bruders geworben (conducto Gallorum mercennario exercitu pro auxilio bellum Iust. a. O.), nunmehr aber für sich persönlich verpflichtet hatte. Um die auflodernde Empörung zu ersticken, eilte Seleukos nach Kleinasien. Die erste Schlacht, in Lydien geschlagen, war für A. unglücklich. Doch blieb Sardes in der Hand seines Oheims Alexandros (Euseb. a. O.). A. scheint sich von dort ostwärts gewendet zu haben, denn die nächste Schlacht erfolgte bei Ankyra in Phrygien (Trog. Prol. 27). Hier errang er einen entscheidenden Sieg über den Bruder dank der Tüchtigkeit seiner galatischen Söldner. Auch sein Schwager Mithradates von Pontos hatte ihn unterstützt (Euseb. a. O.). Als sein Bruder nach dieser Schlacht tot gesagt wurde, soll A. grosse Trauer gezeigt haben, die sich in ebenso grosse Freude verwandelte, als sich jene Nachricht als falsch herausstellte (Plut. a. a. O.). War auch der Bruder zunächst aus dem Felde geschlagen, so erhoben sich jetzt die siegreichen galatischen Söldner gegen A., um ihm wie es scheint, seine Herrschaft in Kleinasien zu entreissen (Iust. XXVII 2, 11). Er entkam nach Magnesia, wo er, von ägyptischen Truppen unterstützt, deren Garnisonen wohl gleichfalls von den plündernden Horden bedroht waren, den Kelten eine Niederlage beibrachte (Euseb. a. O.). Trotz seines Sieges musste sich A. bequemen, durch grosse Geldgeschenke ihre Gunst wiederzugewinnen und ein Bündnis mit ihnen zu schliessen (Iust. XXVII 2, 12). Durch die Heirat mit der Tochter des Ziaelas von Bithynien hoffte er seine erschütterte Stellung zu sichern. Da erstand ihm ein neuer Feind in Attalos von Pergamon (Iustin nennt aus Versehen Eumenes von Bithynien), der den Bruderzwist benützte, sich selbst Kleinasien zu erkämpfen. Nach Eusebios a. O. 253 siegte Attalos im J. 229 zweimal in Lydien und darauf bei Koloë (in der Nähe von Pergamon) über A., worauf er ihn 228 nochmals in Karien schlug. Nach Iustin XXVII 3, 1 gelten diese Kämpfe des Attalos dem A. und den mit ihm verbündeten Galatern. Die pergamenischen Siegesinschriften des Attalos (Fränkel Inschr. v. Pergam. I 1890) erwähnen u. a. einen Sieg über A. im hellespontischen Phrygien (nr. 22), einen anderen beim Aphrodision (bei Pergamon) über ‚die galatischen Tolistoagier und Tektosagen und A.‘ (nr. 23), ferner den Sieg bei Koloë(?) über A. (nr. 27) und den in Karien über denselben (nr. 28), endlich einen anderen Sieg über ‚Lysias und die anderen Strategen des A.‘ (nr. 26). Nach nr. 25 scheinen auch die pisidischen Σελγεῖς zu den Verbündeten des A. gehört zu haben (zu den vom Herausgeber citierten Stellen ist vor allem Polyb. V 74, 4 nachzutragen, wo von besonderen Beziehungen zwischen A. und den Selgensern die Rede ist). So wurde A. in zahlreichen (vgl. auch nr. 29) hartnäckigen Kämpfen aus Kleinasien hinausgeschlagen. Er wandte sich nach dem Osten, stiess hier mit den Truppen des Bruders zusammen und wurde in Mesopotamien (Trog. Prol. 27) von dessen Feldherren Andromachos und Achaios geschlagen (vgl. Polyaen. IV 17). Nun schien sein Mut gebrochen, er floh nach Kappadokien zum Schwager Ariarathes (Iust. XXVII 3, 7 nennt ihn Ariamenes und Schwiegervater) und entwich von dort, [2459] da er Verrat fürchtete, zum Ptolemaios. Von diesem in Haft genommen, entkam er (Iust. XXVII 3, 8ff.) nach Thrakien, wo er bald darauf (227) von keltischen Räubern erschlagen wurde (Iust. XXVII 3, 11. Trog. Prol. 27. Euseb. a. O., vgl. Plin. n. h. VIII 42. Aelian. h. a. VI 44. Solin. 46). Über die Münzen, die eventuell diesem A. als König von Kleinasien zuerkannt werden können, vgl. Babelon Rois de Syrie LXVIIIff.
Litteratur: Droysen Hell. III 1, 386ff. U. Koehler Hist. Ztschr. XLVII 1882, 4ff. Löpp Rh. Mus. XXXIX 1884, 220ff. Beloch Hist. Ztschr. LX 1888, 499ff. Holm Griech. Gesch. IV 270ff.