Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Römische Göttin
Band I,2 (1894) S. 2189 (IA)–2190 (IA)
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Angerona, eine ihrem Wesen nach rätselhafte römische Göttin, über die uns folgendes thatsächliche Material vorliegt. Nach Angabe der augusteischen Kalender wurde zu ihren Ehren am 21. December das staatliche Fest der Divalia oder Angeronalia gefeiert; an diesem Tage brachten ihr alljährlich die Pontifices ein Opfer dar und zwar in dem an der Westseite des Palatin nahe der porta Romanula (Varro de l. l. V 164. Fest. 262; vgl. Richter in Iw. Müllers Handbuch III 751, dazu den Plan vom Palatin A) gelegenen Heiligtume der Volupia (fast. Maff. CIL I p. 307. fast. Praen. CIL I p. 319. Plin. n. h. III 65. Macrob. I 10, 7; Varro de l. l. VI 23 nennt als [2190] Kultlocal die curia Acculeia), wo A., den Finger an den verbundenen und verschlossenen Mund legend, bildlich dargestellt war (Macrob. I 10, 8. 9. III 9, 4. Plin. III 65. Solin. I 6). Auf der Grundlage dieser Thatsachen haben alte und neue Erklärer ihre Vermutungen aufgebaut. Von der Etymologie des Wortes ausgehend, sah Verrius Flaccus (Macrob. I 10, 7) in ihr eine von Angst und Sorgen erlösende Göttin, während Iulius Modestus (Macrob. I 10, 9. Fest. ep. 17) den Namen mit angina in Verbindung brachte, einer bräuneartigen Krankheit, von der die Römer durch ein Gelübde an die A. genesen seien. Durch die eigenartige Darstellung der Göttin und ihre Beziehung zu Volupia sollte nach Masurius Sabinus (Macrob. I 10, 8, ähnlich Hartung Rel. d. Röm. II 247) darauf hingedeutet werden, dass Geduld und standhafte Ertragung des Schmerzes nicht nur zur Befreiung von demselben, sondern auch zur Freude) und zum Glücke führe. Eine andere Erklärung giebt Plinius (a. O.), welcher berichtet, die Verehrung der A. sei deshalb in Rom eingesetzt worden, damit der geheime Name Roms nicht bekannt gemacht würde, ja nach Macrobius (III 9, 4) ist A. selbst die Schutzgöttin von Rom, die durch die Gebärde des Stillschweigens sich als die Hüterin des über dem Namen der Stadt Rom waltenden Geheimnisses kund giebt. Auf einem Missverständnis beruht wahrscheinlich die Angabe des Gloss. Labb. p. 12: Angeronia ἡ θεὸς τῆς βουλῆς καὶ καιρῶν. Die Bedeutung der zeitlichen Lage des Festes für die Begriffsbestimmung der Göttin haben Preller (Röm. Myth. II³ 36f.) und Mommsen (CIL I p. 409) in den Vordergrund gestellt. Wegen der unmittelbaren Nähe der den Erdgottheiten geltenden Feste der Saturnalia, Opalia, Larentalia erklärt jener die A. für eine der Ops, Acca Larentia und Dea Dia verwandte Göttin der römischen Stadtflur; Mommsen dagegen hält sie, da die Angeronalia in die Zeit der Wintersonnenwende fallen, für eine Göttin des neuen Jahres und leitet den Namen her ab angerendo = ἀπὸ τοῦ ἀναφέρεσθαι τὸν ἥλιον. Eine Deutung, die auf die Fragen nach der Etymologie, nach der Darstellung der A. und ihrer Verbindung mit Volupia, sowie nach der Lage des Festes eine allseitig befriedigende Antwort zu geben vermöchte, ist bisher noch nicht gefunden worden. Auch die Meinung früherer Gelehrten, dass in einer Anzahl von Denkmälern, die eine gewisse Ähnlichkeit mit der Statue in sacello Volupiae aufweisen, Abbildungen der A. erhalten seien, hat sich als irrtümlich herausgestellt (Letronne Revue archéol. IV 130f.), da dieselben teils als blosse Amuletfiguren, teils als Werke griechischen Ursprungs, teils als Producte moderner Fälschung erkannt sind; vgl. Wissowa in Roschers Myth. Wörterbuch I 350.

[Aust. ]