Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Volk nördlich der ackerbauenden Skythen
Band I,2 (1894) S. 2168 (IA)–2169 (IA)
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Androphagoi (Ἀνδροφάγοι) gab es nach Hdt. IV 18. 106 (vgl. 53) nördlich von den ackerbauenden Skythen, wenn man 10 bis 14 Tagfahrten von der Mündung des Borysthenes aufwärts zurückgelegt hatte, bis weit in das unbekannte Nordland hinein; sie bildeten ein eigenes, von den Skoloten verschiedenes Volk mit einer Sprache für sich; sie wanderten unstät herum, hatten keine Gesetze und sollen dort die einzigen gewesen sein, welche Menschenfleisch genossen (106). Auf Herodot beruhen die zahlreichen Angaben Späterer, welche Ukert Geogr. III 2, 425 gesammelt hat; Amadokoi, d. i. ,Rohfleischesser‘, scheint der skolotische Name für dieses Volk gewesen zu sein (s. d.). Man muss ihnen finnische Abkunft beimessen und als ihre Nachkommen dürfen die Mordwa Muroma und Mêrja bezeichnet werden; noch zu Tacitus Zeit nährten sich die Fenni von rohem Fleisch des Wildes, zur Zeit der äussersten Not mögen sie ausnahmsweise auch zu Menschenfleisch gegriffen haben, wie dies noch zu unserer Zeit bei den Jenisei-Ostjaken beobachtet wurde. Als uralter ständiger Brauch findet sich die Anthropophagie, wenn wir von den A. [2169] absehen, welche Ptolemaios VI 16, 4 im mongolischen Grenzgebiet Serikes über den Anniboi ansetzt, sonst nur in heissen Erdstrichen. So in Indien über dem Gangesdelta im heutigen Asam, wo Ptolemaios die Tamerai neben den Kiratai anführt (vgl. Peripl. mar. Erythr. 62); ferner in Pegu, dem Lande der Mon oder Besyngeitai; endlich auf den indischen Archipeln der Andamanen, wo Ptolemaios die Sindai, und der Nikobaren, wo derselbe die Maniolai und Barusai als Menschenfresser bezeichnet. Ebenso hatte der africanische Continent seine Anthropophagen z. B. an der Ostküste gegenüber Zanzibar bis Sofala herab, wo Ptolemaios IV 8, 3 (Agathem., Marc. Heracl.) Αἰθίοπες ἀνθρωποφάγοι anführt, übereinstimmend mit arabischen und portugiesischen Berichten der späteren Zeit; auch in der oberen Nilregion kennt Plinius VI 195 Menschenfresser. Eine Abart der Anthropophagie war mit dem Ahnenkultus der tibetischen Völker verknüpft; vgl. Hdt. IV 26 über die Totenfeier der Issedones und Megasthenes bei Strabon XV 710 über die Stämme des indischen Kaukasus, ‚welche das Fleisch von den Körpern ihrer Verwandten verzehren.‘