Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Amme des Zeus, Erdgöttin, zunächst Nymphe, dann auf Ziege übertragen
Band I,2 (1894) S. 1721 (IA)–1723 (IA)
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1) In der Kindheitslegende des Zeus dessen Amme oder Pflegerin, zunächst wohl als Nymphe gedacht; dann der Name auf die Ziege übertragen, die nach einer Fassung des kretischen Zeusmythos den Zeus genährt hatte.

a) Als Nymphe ist sie eine Naiade, Tochter des Okeanos und Schwester des Acheloos, dem sie ihr Horn der Fülle (s. u.) giebt (Pind. in Schol. Il. XXI 194. Hyg. fab. 182); oder sie ist Tochter des Haimonios (Pherek. frg. 37, FHG I 82) oder des Olenos (Arat. 164 mit Schol.); mit der Zeussage verknüpft wird sie zur kretischen Nymphe (Musaios b. Eratosth. Katast. XIII p. 100 Rob., daraus Ovid. fast. IV 115ff. Schol. Il. XV 229) oder zur dodonischen Nymphe (Hyg. fab. 139) oder zu einer der Töchter des Melisseus (Didymos b. Lactant. Inst. I 22, 19. Hyg. fab. 182; Poet. Astr. II 13).

b) Die Ziege, die das Zeuskind in der Grotte auf Kreta (oder in Aigion, Strab. VIII 387) nährte, war ursprünglich namenlos, nur als Αἴξ bezeichnet; sie galt als Tochter des Helios und Eigentum der Themis und der Nymphe A. (Musaios a. a. O.), vgl. auch das Sprichwort Αἲξ οὐρανία, Zenob. I 26 (der in der Erklärung freilich den Namen hinzufügt). Zum Dank versetzt sie Zeus unter die Sterne (Musaios a. a. O. Ps.-Plut. prov. 127. Serv. Aen. IX 665; Georg. I 205). Zu einer Zeit, da man die Aigis als Ziegenfell auffasste, erklärte man sie für das Fell der kretischen Ziege, das Zeus im Titanenkampfe als Schild verwendet, weil die Ziege durch ihr schreckliches Aussehen den Titanen Grauen einflösste (Schol. Il. XV 229). Dann wurde auch der Name A. auf die Ziege übertragen (Parmeniskos Hyg. Poet. Astr. II 13. Kallim. Hymn. I 46ff. mit Schol. Apollod. I 1, 7. Nonn. Dion. XXVIII 318. XLVI 16ff. Zenob. I 26. II 48). Sie gilt dann als Eigentum der Töchter des Melisseus; ihr Hirt ist Pan. Theokr. Syrinx 1f. Nonn. Dion. XXVII 294ff.

c) Der A. kam aber zweifellos eine allgemeinere Bedeutung zu; sie war eine Art nährende Erdgöttin, daher auch in Verbindung mit Ge-Themis; darum gebührt ihr auch das Attribut des Hornes, des Symbols von Reichtum und Überfluss. Wir finden das Füllhorn im Besitze aller der Gottheiten, von deren Macht man die Fülle des Erdsegens abhängig glaubte; so hat es Hades (s. d.) in seiner Eigenschaft als Pluton, so gehört es der Ge, dem chthonischen Hermes, den Horen, Hesperiden, Naiaden, Flussgöttern, dem Eniautos (Athen. V 198a), aber auch dem Ἀγαθὸς δαίμων, der Tyche, dem Sosipolis u. a. Mythisch verwandt wird es in der Sage von Herakles und Acheloos; sowohl dem Herakles als Gott des ländlichen Segens, wie dem Acheloos als Flussgott κατ’ ἐξοχὴν kommt das Füllhorn zu (vgl. R. P. Hartwig Herakles m. d. Füllhorn, Diss. Leipzig 1883); die Sage lässt den Herakles dem Acheloos ein Horn abbrechen, das nun zum Horn der Fülle wird. Auch die Nymphe A. ist im Besitz eines Füllhornes, das bald als Horn eines ihr gehörigen Stieres aufgefasst wird (Pherekyd. frg. 37, FHG I 82. Philemon frg. 65 Kock), bald als das der Ziege A., das sie an einem Baum abgebrochen habe. Schliesslich ward es mit dem Horn des Acheloos in Verbindung [1722] gebracht, indem man entweder erzählte, Acheloos habe das Horn der A. dem Herakles gegeben und dafür das seine zurückerhalten (Pherekyd. frg. 37, FHG I 82. Schol. Il. XXI 194. Zenob. II 48), oder es geradezu mit dem Horne des Acheloos identificierte (Diod. IV 35, 4. Strab. X 458. Dion Chrys. LXIII 7). Oder das Horn der Fülle ward einfach als das abgebrochene des Acheloos angesehen, ohne Rücksicht auf A. (Ovid. met. IX 85ff. Hyg. fab. 31. Philostr. iun. 4).

Herakles giebt es den Naiaden (Ovid. met. IX 87. Hyg. fab. 31) oder den Hesperiden (Hyg. fab. 31) oder den Aitolern (Diod. IV 35, 4) oder dem Oineus (Strab. X 458) oder der Deianeira (Philostr. iun. 4). Nach anderer Version empfängt es Herakles von Hermes bei der Fahrt nach Erytheia (Hesych. s. Ἀμαλθείας κέρας), oder er gewinnt es von Pluton (litterarisch nicht überliefert; aus den Monumenten erschlossen von Furtwängler Roschers Lex. I 2186ff.). Oder schliesslich die Nymphe A. giebt es dem Zeus (Ovid. fast. V 123ff.; umgekehrt: Zeus giebt es den Nymphen, Zenob. II 48. Ps.-Plut. proverb. 127).

Immer gilt das Horn als Symbol der Fülle, es spendet dem Besitzer alles was er will und ist unerschöpflich (Phokyl. frg. 7 Bgk. Anakr. frg. 8. Philox. frg. 3. Antiphanes b. Athen. XI 503b = II 54 Kock. Philemon frg. 65 Kock. Diod. IV 35, 4). Variante: aus dem einen Horn der Ziege A. quillt Nektar, aus dem andern Ambrosia (Schol. Kallim. Hymn. I 49). Daher sprichwörtlich gebraucht Αἲξ οὐρανία und κέρας Ἀμαλθείας (Zenob. I 26. II 48. Et. M. s. Ἀμάλθεια. Hesych. und Suid. s. Ἀμαλθείας κέρας. Ps.-Plut. proverb. 127. Eustath. Il. XIII 21 p. 917, 45ff. Himer. b. Phot. bibl. 368b 14; vgl. Plut. Stoic. parad. 5. Luk. Rhet. praec. 6).

So nannte man auch eine Art von Parkanlagen mit reichlicher Bewässerung κέρας Ἀμαλθείας (Diod. III 68, 2. Duris b. Ath. XII 542a = FHG II 479), vgl. Amaltheion.

Darstellungen. Die Ziege A. findet sich auf kretischen Münzen der Kaiserzeit, bald von Zeus geritten (Overbeck Kunstmythol. Zeus, Münztaf. V 3), bald neben dem auf der Kugel der Adrasteia (s. d.) sitzenden Zeus (ebenda V 2). Zeus in einer Grotte von der Ziege genährt auf Münzen von Aigion (Overbeck Münztaf. V 1).

Die Nymphe A. das Zeuskind tragend, mit Füllhorn oder Ziege auf Münzen von Kreta (Overbeck Münztaf. V 5), Aigai in Kilikien (Head HN 598), Synnada in Phrygien (Head 569), mit Verwendung des sonst für Tyche mit Plutos üblichen Typus. Die sitzende Frau mit dem Zeuskind zwischen Kureten auf Münzen von Kreta (Overbeck Münztaf. V 4), Apameia (ebenda V 6) und Laodikeia in Phrygien (Head 566) ist nach der Inschrift der kretischen Silbermünze für Kreta Diktynna zu nennen; so muss man auch für die phrygischen Städte den Namen der kinderpflegenden Nymphe offen lassen.

Plastisch nur auf zwei römischen Reliefs: Tc.-Rel. Campana, Mon. d. Inst. III 17 (Zeuskind von A. gesäugt, zwischen Kureten); Relief der Ara Capitolina, Helbig Führer I nr. 511, abg. Overbeck Atlas zur Kunstmyth. I Taf. 4, 1.

Ein elfenbeinernes ‚Horn der A.‘ hatte der [1723] ältere Miltiades im Schatzhaus der Sekyonier zu Olympia geweiht (Paus. VI 19, 6). Den Tausch der Hörner zwischen Herakles und Acheloos möchte Hartwig a. a. O. 9 in dem Arch. Ztg. XX Taf. 168A abgebildeten Vasenbild erkennen.

Unsicher ist die Arch. Ztg. XLIII 229ff. versuchte Deutung eines Tc.-Rel., mehrerer Spiegel und eines Sarkophagreliefs auf A., vgl. v. Wilamowitz Isyllos 88, 68. 193f. Fälschlich auf A. bezogen ist eine Statue des Mus. Chiaramonti (Helbig Führer I nr. 78. Overbeck Atlas I 4, 11) und das Brunnenrelief im Lateran (Helbig I nr. 622. Schreiber Die hellenist. Relief b. Taf. XXI).