RE:Abrogatio 2
Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft | |||
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völlige Aufhebung eines Volksgesetzes, neben derogatio für einen Teil | |||
Band I,1 (1893) S. 114 (IA)–115 (IA) | |||
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2) Abrogatio legis heisst die völlige Aufhebung eines Volksgesetzes (Cic. rep. II 63. Liv. III 20, 7. III 32, 7. XXXIV 1–8. Nov. Valentin. 8, 2, pr. Haenel p. 157), neben der häufig die derogatio (vgl. Fest. ep. p. 82), d. h. das Ausserkraftsetzen eines Teiles der Lex, genannt ist (Cic. inv. II 134. Mod. Dig. L 16, 102), ferner die obrogatio, d. h. die teilweise Abänderung: Cic. ad Att. III 23, 3; de rep. III 33 (= Lactant. Inst. VI 8, 8). CIL I 1409 Z. 9 (zuverlässig ergänzt), endlich bei Ulp. Fragm. Einl. (1,) 3 noch die subrogatio, das Hinzufügen einer neuen Bestimmung.
Jedes jüngere Gesetz hebt das ältere auf, insofern es mit diesem im Widerspruch steht oder die Aufhebung besonders anordnet (Liv. VII 17, 12 aus L. XII tab., Liv. IX 34, 6 f.). Da die A. selbst Gesetzgebung ist, so gelten für sie die allgemeinen Regeln über das Zustandekommen von Leges (s. Art. Lex). Iulian (Dig. I 3, 32, 1) erklärt es unter Pius für unbestritten (receptum est), dass auch eine dem Volksgesetz entgegenstehende dauernde Übung (desuetudo) abrogierende Kraft hat (vgl. Ad. Schmidt Gewohnheitsrecht. Leipz. Decanatsprogr. 1881, 19–26). Nicht selten versuchten es römische Leges, ihre Aufhebung zu verbieten (Cic. ad Att. III 23, 2. CIL I 1409 Z. 9. Fest. p. 314), und bedrohten auch wohl Rogatoren, die dem zuwider handelten, mit Strafen (CIL I 198 Z. 56, dazu Mommsen p. 68). Indes kann sich der souveräne Gesetzgeber unmöglich selbst binden. Das neuere Gesetz beseitigt mit dem sonstigen Inhalt des alten auch jenes Verbot. Dessen ungeachtet gab es (Cic. ad Att. III 23, 2) ein caput tralaticium (welches alle Strafdrohungen des alten Gesetzes aufhob), si quid contra alias leges eius legis ergo factum sit; vgl. CIL VI 930 Z. 34–39. Nur beschworene Volksgesetze (besonders durch Gemeindebeschluss bestätigte Internationalverträge) [115] galten den Römern als unabänderlich, ebenso die durch den Eid der Plebejer geschützten Beschlüsse der Plebs; s. Mommsen St.-R. III 362f., dazu I³ 243. 246–255. II³ 16, 1. 2. 286f. 711–713. III 148.
Litteratur: Rudorff Röm. Rechtsgesch. I 17f. Jhering Geist des röm. Rechts III 1 § 55. Lange Röm. Altertümer II³ 651f. Willems Droit public rom.⁶ 185. Karlowa Röm. Rechtsgesch. I 429. Mommsen St.-R. III 360–363. 1239. P. Krüger Quellen und Litteratur d. R. Rechts 20f.