Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft
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Staatsverwaltung,Finanzverwaltung
Band V,1 (1903) S. 786 (IA)–790
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Διοίκησις ein häufig vorkommendes Wort, welches hier in seiner speciellen Verwendung für [787] Staatsverwaltung und, was ja die Hauptsache jeder Staatsverwaltung ist, für Finanzverwaltung zu betrachten ist. Wenn Xenophon vom Tyrannen Polydamas sagt: τὰς προσόδους ἐπέτρψαν λαμβάνοντα ὅσα ἐγέγραπτο ἐν τοῖς νόμοις εἴς τε τὰ ἱερὰ ἀναλίσκειν καὶ εἰς τὴν ἄλλην διοίκησιν (hellen. VI 1, 2), so ist in diesen Worten der Gegensatz von τὰ ἱερά und τὴν ἄλλην διοίκησιν ohne weiteres klar; die Tempelverwaltung ist verschieden von der allgemeinen Staatsverwaltung. Das ist dasselbe, was Demosthenes (XXIV 96) mit den Worten ausdrückt τὴν διοίκησιν τὴν θ’ ἱερὰν καὶ τὴν ὁσίαν. Und diese Trennung der beiden Gebiete, des geistlichen und des weltlichen, führte naturgemäss auch dazu, das Tempelgut abgesondert vom Staatsgut zu verwalten und die Finanzverwaltung der Tempel von derjenigen des Staates zu scheiden. Das war allgemeiner Grundsatz in den griechischen Staaten. So bedeutet δ. sowohl allein, als auch mit den Zusätzen κοινή oder τῆς πόλεως Finanzverwaltung des Staates. Wenn eine unbekannte Stadt bei Kern Inschriften von Magnesia 53 ihren ταμίας anweist, die Ausgaben für die den magnetischen Gesandten zu gebenden Xenia δοῦναι ἐκ τῆς διοικήσεως so würden wir das gut mit Staatscasse wiedergeben können, gerade wie in einer Inschrift aus Teios bei Kern a. a. O. 97 das den Gesandten zu zahlende Reisegeld vom Volke angewiesen, von irgend einem Beamten (dieser Teil der Inschrift ist sehr schlecht überliefert) ausgezahlt und ihm von der Staatscasse dann restituiert werden soll – ἀποκαταστῆσαι δὲ ἐκ τῆς διοικήσεως; mag auch das dem ἀποκαταστῆσαι Vorangehende unklar sein und die richtige Herstellung erst gefunden werden müssen, über die Bedeutung des ἐκ τῆς διοικήσεως in diesem Zusammenhang kann kein Zweifel bestehen. Beide Inschriften stützen und erklären sich gegenseitig. In einer Inschrift aus Kyme (Bull. hell. XII 362 nr. 6; für die Erklärung im ganzen s. Swoboda Festgaben für Büdinger 64) handelt es sich um Vorschüsse für Gesandte, welche mitsamt den inzwischen aufgelaufenen Zinsen aus bestimmt bezeichneten Einnahmen der Tamias – τὸν ταμίαν τὸν ἀποδειχθησόμενον ἐπὶ τᾶς διοικήσιος – zurückzuzahlen angewiesen wird; hier kann der ταμίας ἐπὶ τᾶς διοικήσιος doch nur der für die allgemeine Finanzverwaltung der Stadt bestellte Tamias sein im Gegensatz zu dem aus anderen Staaten bekannten ταμίας τῶν ἱερῶν, dem Verwalter der Tempelgelder; der Zusatz ἐπὶ τᾶς διοικήσιος erklärt sich in diesem Falle daraus, dass der Tamias noch nicht ernannt, sein Name also noch nicht bekannt war, der sonst ja genügt hätte, den Charakter der Verwaltung, ob nämlich weltlich oder geistlich, zu bezeichnen, wie es denn zu Anfang nur τὸν ταμίαν Εὔιππον heisst, also ohne nähere Bestimmung.

Zu δ. in dieser Bedeutung wird oft noch eine nähere Bestimmung hinzugefügt, welche den Gegensatz, worin δ. zur Tempelverwaltung und zur Tempelcasse steht, noch besonders hervorheben soll. In den Inschriften von Magnesia (Kern 89. 94. 98 = Dittenberger Syll.² 553) werden wiederholt die οἰκόνομοι angewiesen, eine Ausgabe zu bestreiten ἐκ τῶν πόρων ὧν ἔχουσιν εἰς πόλεως διοίκησιν, womit doch nur Einnahmen gemeint sein können, welche in die Staatscasse – im Gegensatz zur Tempelcasse – [788] flossen. Die magnetischen Oikonomen waren also die Verwalter sämtlicher Einnahmen, von denen die εἰς πόλεως διοίκησιν hestimmten eine Casse für sich bildeten, nachdem die für andere Zwecke bestimmten von ihnen geschieden waren und ihrerseits wieder besonders verwaltet wurden. Ganz so heisst es auf Psephismen von Eresos und Mytilene IGIns. II 527, 59. δ 5, 16 und 15 τῶν ἐγχειριζομένων κατ’ ἐνιαυτὸν εἰς διοίκησιν χρημάτων. Hier steht δ. τῆς πόλεως bezw. δ. allein in dem Sinne von λόγος, wie es auf einer Inschrift von Halikarnass heisst: ἐκ τοῦ λόγου τῆς πόλεως, Bull. hell. XIV 97 nr. 4. Statt des Zusatzes πόλεως findet sich auch bei δ. das Adjectivum κοινή wie in Andros – Athen. Mitt. I 136. XXIV 352 – wo die Tamiai die Ausgabe ἀπὸ τῆς κοινῆς διοικήσεως zu bestreiten angewiesen werden. Wenn nun auf einer Inschrift einer unbekannten Stadt bei Kern Inschriften von Magnesia 57 gesagt wird: ὅπως δοθῇ τοῖς νικῶσιν τὸν ἀγῶνα (nämlich die Ehrenpreise) οἱ ἄνδρες οἱ αἱρούμενοι ἐπὶ τὰν διοί[κησιν] τᾶς πόλι[ος π]ρονο[είσθων, so sind auch hier die zur Leitung des städtischen Finanzwesens, zur Verwaltung der städtischen Casse erwählten Männer zu verstehen.

Auch in Athen hatte δ. diese specielle Bedeutung von Finanzverwaltung. So sagt Aischines von seinem Bruder Aphobetos (II 149) καλῶς δὲ καὶ δικαίως τῶν ὑμετέρων προσόδων ἐπιμεληθείς, ὅτε αὐτὸν ἐπὶ τὴν κοινὴν διοίκησιν εἵλεσθε und Hypereides frg. 118 von Lykurgos ταχθεὶς δὲ ἐπὶ τῇ διοικήσει τῶν χρημάτων εὗρε πόρους. Man hat früher diese Stellen zusammengebracht mit Ps.-Plutarchs vit. X orat. 852 b und 841 c, um das inschriftlich erst am Ende des 4. Jhdts. vorkommende Amt des ὁ ἐπὶ τῇ διοικήσει schon für die Mitte des 4. Jhdts. nachzuweisen; aber da Aristoteles in seiner πολιτεία Ἀθηναίων dieses Amt nicht erwähnt, wird man gut thun, die Einsetzung des stehenden Beamten mit dem Titel ὁ ἐπὶ τῇ διοικήσει nach Aristoteles zu setzen und Leute wie Aphobetos und Lykurgos als commissarisch mit der Finanzverwaltung betraut zu betrachten, s. Busolt in Müllers Handbuch der classischen Altertumswissenschaft IV 239. Gilbert Griech. Staatsaltertümer I² 276f. mit den Anmerkungen.

Regelmässige, ständige Beamte mit dem Titel ὁ oder οἱ ἐπὶ τῇ διοικήσει. Anfangs, am Ende des 4. und zu Anfang des 3. Jhdts., finden wir nur einen Beamten dieser Art, den ὁ ἐπὶ τῇ διοικήσει – CIA II 251 zwischen 307 und 300. 167, 35 nach 307. 300 im J. 295/4 –, später, nach 294 v. Chr. deren mehrere, die οἱ ἐπὶ τῇ διοικήσει – CIA II 311. 312 = Dittenberger Syll.² 194. 195 im J. 286/5. 314 = Ἐφημ. ἀρχ. 1890, 71 = Dittenberger 197 im J. 284/3. 320 = Dittenberger 201 und IV 2 p. 159 nr. 614 c. = Dittenberger 505 im J. 282/1. 316 = Dittenberger 520 und IV 2 p. 87 nr. 318 b = Dittenberger 636; richtig hergestellt in IV 2 p. 107 nr. 407 e = Dittenberger 481. Dann gab es nach dem J. 280 v. Chr. wieder nur einen ἐπὶ τῇ διοικήσει – CIA II 331 = Dittenberger 213; hergestellt in IV 2 p. 93 nr. 371 b = Dittenberger 207. II 334 = Dittenberger 232 vor dem J. 229 v. Chr., während in der aus dem [789] J. 217/6 datierten Inschrift CIA IV 2 p. 101 nr. 385 c = Dittenberger 241 wieder mehrere Beamte dieses Namens genannt werden. Aus dem 2. Jhdt. v. Chr. giebt es wenige Inschriften mit ὁ oder οἱ ἐπὶ τῇ διοικήσει, aber auch da schwankt ihre Zahl; CIA II 453 nennt τὸν ἐπὶ τῇ διοικήσει, während die athenische Inschrift bei Kern Inschriften aus Magnesia 37 τοὺς ἐπὶ τῇ διοικήσει aufweist. Das durchaus Reguläre ist der Dativ nach ἐπὶ, also ὁ oder οἱ ἐπὶ τῇ διοικήσει, sehr selten ist der Genetiv nach ἐπἰ, also ὁ ἐπὶ τῆς διοικήσεως wie CIA IV 2 p. 93 nr. 371 b = Dittenberger 207. Dagegen ist die Inschrift CIA II 328, wo οἱ ἐπὶ διοικήσει (also ohne Artikel, der sonst in dieser Verbindung constant ist) genannt werden, suspect, s. Hartel Studien zum attischen Staatsrecht 136.

Zur Charakterisierung dieser Beamten dient, was Pollux VIII 113 sagt: ὁ δὲ ἐπὶ τῆς διοικήσεως αἱρετὸς ἦν ἐπὶ τῶν προσιόντων. Darnach wurden sie gewählt und hatten die Aufsicht über die Einnahmen und Ausgaben des Staates. Gilbert a. a. O. 278 erklärt das Amt für einjährig, während man früher nach dem, was Plutarch über Lykurgos Thätigkeit berichtete, eine vierjährige, mit den Panathenaien, also mit dem dritten Olympiadenjahr, beginnende Amtsperiode annahm. Da aber, wie wir gesehen haben, das, was von Lykurgos und anderen berichtet wird, nicht einfach auf die ständigen Beamten mit dem Titel ἐπὶ τῇ δ. übertragen werden darf, hat auch Gilbert wohl recht, wenn er eine einjährige Amtsperiode dieser Beamten, wie das auch sonst bei athenischen Beamten üblich war, annimmt. Aus den Inschriften lernen wir noch Folgendes, was die Thätigkeit der οἱ ἐπὶ τῇ δ. näher erläutern kann, kennen. Mit den Poleten zusammen sind sie bei der Verdingung öffentlicher Arbeiten beteiligt, CIA II 167; sie weisen das Geld an für die Beschaffung und das Beschreiben einer Stele II 300. 307. 316. 334. IV 287 nr. 318 b; ihnen wird die Sorge für die Beschaffung eines Ehrenkranzes und einer Bildsäule übertragen, während der ταμίας τοῦ δήμου das dazu nötige Geld zu geben angewiesen wird, CIA II 251, das ist in einer noch ins Ende des 4. Jhdts. fallenden Inschrift; im 3. Jhdt. weisen sie selbst wie für die Beschaffung und das Beschreiben einer Stele, so auch für die Anschaffung eines Kranzes und das Aufstellen einer Bildsäule die dazu erforderlichen Gelder an, CIA II 311. 12. 14. 20. 31. Übrigens teilen sich in die Anweisung des Geldes die οἱ ἐπὶ τῇ δ. mit dem ταμίας τῷν στρατιωτικῶν, CIA II 327. IV 2, 101 nr. 385 c. 107 nr. 407 c, mit dem ταμίας (ohne Zusatz) in der Inschrift aus dem Ende des 2. Jhdts. bei Kern Inschriften von Magnesia 37. Dass die οἱ ἐπὶ τῇ δ. unter sich Schreiber haben, lehrt CIA IV 2, l59 nr. 614 c.

Ägypten. Hier bezeichnet δ. im Gegensatz zu τὰ ἱερά die Staatscasse im Gegensatz zur Tempelcasse, überhaupt alles, was bei der Steuer-und Magazinverwaltung zum Ressort der staatlichen Behörden gehört, während die Tempelverwaltungen ihren eigenen Verwaltungskreis haben. So liest man bei einem Verkauf von confiscierten Gütern βούλομαι ὠνήσασθαι ἐκ τῷν εἰς πρᾶσιν ὑπερκειμένων τῆς διοικήσεως περὶ τὴν προκειμένην [790] κώμην Amherst Papyri II 97 aus den J. 180/192 und bei einer Bitte um eine Concessionserteilung τῶν εἰς ἑτέρους λόγους πρὸς διοίκησιν τελουμένων ὄντων πρὸς ἐμέ a. a. O. aus dem J. 162/3. So heisst in den Papyri ἔστι δὲ διοικήσεως: das und das ist an die Staatscasse zu zahlen, s. Grenfell-Hunt Fayûm towns XL col. I u. II. LXXXVI, und τῆς διοικήσεως λόγος ist die Rechnung der Staatscasse, s. Papyri Brit. Mus. 164, 2. Auch in der Magazinverwaltung tritt dieselbe Bedeutung von δ. zu Tage, θησαυρὸς διοικήσεως ist im Gegensatz zum θησαυρὸς ἱερῶν die staatliche Magazinverwaltung. Beispiele bei Wilcken Griechische Ostraka 656, wozu noch neuerdings das Ostrakon mit μεμετ[ρήκασιν] εἰς τὸν τῆς διοικήσ[εως θησαθρόν] aus der Zeit des Traian kommt, s. Proceedings of the Society of biblical archeology XXIII 212 nr. 5. Andererseits findet sich auf ägyptischen Urkunden auch δ. im Gegensatz zu οὐσιακά, wo δ. die allgemeine Staatsverwaltung, οὐσιακά die Verwaltung der Privatgüter des Kaisers bedeutet. Ich verweise dafür auf Grenfell-Hunt Fayûm towns XXVI 9 und Griech. Urkunden der Berliner Museen 84, 5. Im allgemeinen vgl. Wilcken Griech. Ostraka 656ff. 149, dazu 656 Anm. 2 u. 179. Über ägyptische Beamte, in deren Titel ἐπὶ διοικήσεως vorkommt, vgl. den Art. Διοικητής.