Predigten für die festliche Hälfte des Kirchenjahres/Am 2. Pfingsttage 1836 (Ps. 107, 1–7)
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Ps. 107, 1–7. Danket dem HErrn, denn ER ist freundlich, und Seine Güte währet ewiglich. Saget, die ihr erlöset seid durch den HErrn, die ER aus der Not erlöset hat, und die ER aus den Ländern zusammengebracht hat, vom Aufgang, vom Niedergang, von Mitternacht und vom Meer; die irre gingen in der Wüste, in ungebahntem Wege, und fanden keine Stadt, da sie wohnen konnten, hungrig und durstig und ihre Seele verschmachtet; und sie zum HErrn riefen in ihrer Not, und ER sie errettete aus ihren Ängsten, und führete sie einen richtigen Weg, daß sie gingen zur Stadt, da sie wohnen konnten.
Wie paßt dieser Text zum heutigen Feste, liebe Brüder? Ich denke, er paßt recht wohl. Alle, die in Wahrheit erlöset sind aus der Not, wer sind sie anders, als die Glieder der Kirche Gottes? Die, welche aus allen Ländern zusammengebracht sind, die, welche irre gingen, die hungrig und durstig waren, die zum HErrn riefen, wer sind die anders, als die Kinder der heiligen Kirche Gottes? Ja, die Stadt, wohinein sie gingen und sich versammelten, was ist das anders, als der Schoß der Kirche? Und wer nun aus der Welt zur Kirche, aus der Wüste zur sicheren Weide der Schafe versammelt ist, soll der nicht sich und seinesgleichen zurufen: „Danket dem HErrn, denn ER ist freundlich, und Seine Güte währet ewiglich!“? Soll er’s nicht heute thun, heute, am Geburtstag der Kirche, die eine Mutter aller Gläubigen ist? Denn daß an Pfingsten der Kirche Geburtstag ist, das leidet keinen Zweifel. Seht, liebe Brüder, darum habe ich diesen Text unserer jetzigen Predigt vorangestellt, und von ihm will ich den Ton| zu ihr nehmen, wenn ich in derselben darlegen will, daß Pfingsten ein Tag des Dankes ist, weil es der Geburtstag der heiligen Kirche ist. Gott gebe uns dazu Seine Gnade und Seinen Segen um Christi willen! Amen.
Die Kirche ist nichts anderes, als die Sammlung oder Versammlung aller Gläubigen. Der Tag, an welchem Gott anfing, sich eine Gemeinde aus den Menschen zu sammeln, ist der Geburtstag der Kirche. Gott aber fing an, Seine Gemeinde zu sammeln im Alten Testament fünfzig Tage nach Ostern, nachdem ER Sein zur Gemeinde auserwähltes Volk zum Berge Horeb oder Sinai geführt hatte, und dies ist das Pfingsten des Alten Testaments. Als aber dieser Alte Bund die von Gott ihm bestimmte Zeit gedauert hatte, da, ebenfalls fünfzig Tage nach Ostern, da goß ER auf die heiligen Apostel Seinen Geist aus, daß sie mit mancherlei Zungen redeten und anfingen, aus Parthern und Medern und Elamitern und allen Völkern ihrem HErrn eine Gemeinde zu sammeln, die Ihm wohlgefällig wäre. Also ist Pfingsten der Geburtstag der neutestamentlichen Kirche, wie es der Geburtstag der alttestamentlichen gewesen war. Diese Sammlung von Gläubigen, die zuerst nur aus den heiligen Aposteln, den übrigen Jüngern JEsu und deren Schülern bestand, hat sich ausgebreitet über die ganze Erde und ist ein Segen aller Völker geworden. Alle Völker haben darum den Tag ihres Anfangs, ihren Geburtstag, zu feiern und Gott für alle die Segnungen und Wohlthaten zu danken, welche ihnen durch sie von Gott zugestellt wurden zu allen Zeiten. Auch wir wollen dies nun thun. Lasset uns miteinander der Wohlthaten Gottes gedenken, die wir durch die heilige Kirche von Gott empfangen haben, auf daß wir freudenvoll und dankbar sprechen: Danket dem HErrn, denn ER ist freundlich, und Seine Güte währet ewiglich!
O JEsu, JEsu, erbarme Dich und segne den Vortrag! Amen.
des HErrn Braut und Sein Weib nach der Schrift. Wie ein Mann mit einem Weibe Kinder zeuget, so erzeugt der HErr durch den Dienst Seiner lieben Kirche, die ER mit dem heiligen Geiste erfüllt, Kinder Seiner Gnade. Seine Kirche predigt durch ihre Diener den Ungläubigen und tauft die jungen Kinder, durch die Predigt werden viele Ungläubige, durch die heilige Taufe viele Kinder neugeboren und Gottes Kinder. Wäre die Kirche nicht, so wäre das Mittel nicht, durch welches Gott sich Kinder für den Himmel schafft, so wären Predigt und Sakrament nicht. Nun sie aber ist, so wird sie von Ihm immer wieder gesegnet; einst war sie die Einsame, nun aber hat sie das Haus voll Kinder, Kinder, wie Tau aus dem Morgenrot geboren wird. – O Brüder, der HErr, der einst dem ersten Adam seine Eva zugeführt hat, aus seinem Fleisch und Bein geschaffen, derselbe hat unserm HErrn JEsu Christo Seine Braut, die heilige Kirche, zugeführt, aus Seinem Geist, wie aus Seinem Fleisch und Blut geboren! Wenige unter euch, vielleicht gar keiner, haben sich noch neugebären lassen durch Wort und Sakrament. Gelobt sei Gott, daß ER euch noch die Kirche gönnet, daß ER sie nicht weggenommen und auf diese Weise allen unsern Grund der Hoffnung entrissen hat! Wohl euch, daß die Kirche geboren ist und lebt, daß ihre Predigt und ihre Sakramente noch verwaltet werden! Danket dem HErrn, ER ist sehr freundlich! Auch euch will ER noch sammeln und zu sich ziehen, euch irrende Schafe zur grünen Weide, euch verlorene Kinder in den Schoß Seiner heiligen Kirche sammeln, die euch heimtragen soll zu Seiner ewigen Freude!
Sehet, Brüder, da haben wir der Segnungen der heiligen Kirche gedacht, die da heute geboren ist. Wie vieles thut sie uns, und wie vieles haben wir an ihr in Zeit und Ewigkeit! Wie wohl dürfen wir einen Tag des Dankes aus ihrem Stiftungstag, aus ihrem Geburtstag machen! O lasset uns unserm Gott danken, lasset uns nicht danken mit eitlen Worten, sondern nach Seinem Willen im Geist und in der Wahrheit! Im Geist und Wahrheit aber, wie dankt man für die Gabe der heiligen Kirche?
Ferner, ist jemand unter euch wiedergeboren, der höre, wer aber nicht wiedergeboren ist, den erinnere, wenn er’s jemals werden wird, der Geist der Gnade daran, daß er dann sich erinnert: also ist jemand wiedergeboren, der bleibe bei der reinen, lautern Milch der göttlichen Gnade und lasse sich von der guten Mutter nähren! Er werfe sich nicht an die, die ihn nicht geboren haben, sondern bleibe im Gehorsam seiner Mutter, durch welche Gott mit ihm redet! Die Kirche bleibe Dir treulich anbefohlen! Treue gegen die Kirche ist Dank gegen den, welcher sie gab, welcher sie heute geboren hat durch Seine Allmacht und aus JEsu Christi Seite gebildet!
Ferner verachte die Zucht der heiligen Mutter Kirche nicht, sondern laß dich züchtigen. Küsse die Hand, die dich züchtigt, denn sie giebt dir, was dir gut ist, und ist weiser wie du. Viele sind, welche eine Zucht der Kirche, eine Kirchenzucht, hassen, als einen Zwang mehr; aber wohl dem, der keinen Zwang darin findet, sich züchtigen zu lassen, der sich gern züchtigen läßt, der sich erkennt als ein irrendes Wesen, das allezeit der Zucht bedarf! Wohl dem, der mit Dank und Freude trinkt, was bitter ist nach seinem Wahn, daß es ihm gedeihe zum Leben! – O Vater, gnadenreicher, barmherziger, o Du Heiland, ewiger Bräutigam, gieb treue Diener Deiner heiligen Kirche, die da mit ernster und barmherziger Liebe uns züchtigen, auf daß Deine Kirche nicht werde wie Eli, der Deinem Gebot nicht folgte, da Du ihm gebotest, seine Kinder zu ziehen in der Zucht und Vermahnung zum HErrn! Ach, laß Deine Kirche vor Dir Gnade finden, wir wollen Dir danken für ihr Leben, auch wenn Du uns züchtigst, sonderlich, wenn Du uns züchtigst! Denn ihre Züchtigungen annehmen, das ist Dank vor Dir!
Ferner, wenn euch bange ist um die Seele, sei es eine Bangigkeit, welcher Art sie auch sein mag, ach, dann danket Gott für die edle Mutter Kirche dadurch, daß ihr ihren Trost suchet. Kann denn einer besser getröstet werden, denn wie ihn| seine Mutter tröstet? O ihre Tröstungen sind Balsam in Seelenwunden! Wer sollte nicht genesen wollen, und wer, wenn es zum Sterben geht, sollte nicht ein leichtes Gehen wünschen? Ihren Sterbenstrost nehmt an, ihr lieben Brüder! Sie tröstet euch nicht falsch, nicht nach dem Fleisch, nicht, wie ihr gern wollt, sie tröstet euch mit himmlischem Trost! Danket für ihren Trost, für ihre Liebe auch im Sterben, so wird ihr Trost euch ein Himmelswagen werden und euch entführen dorthin, wo sie euch aufnehmen wird in die ewigen Hütten!Liebe Brüder, endlich betet auch für die heilige Kirche, daß es ihr wohlgelinge in dieser letzten, bösen Zeit! Denn wahrlich, sie ist sehr voll der Bösen Spott, sie haben die Hochgeborene gebunden in gar mancherlei Ketten, sie haben ihr eine Dornenkrone aufs Haupt gesetzt, sie haben ihr die Schmach Christi in reichem Maße gegeben, sie trägt schwer an ihren Lasten, sie ist wie eine niedergehende Sonne. Betet, sie wird nicht untergehen, sie wird wieder aufgehen, sie wird am letzten Tage der Welt über den Gräbern scheinen, denn sie ist zwar sehr in Verachtung, aber dennoch geliebt bei dem, der ist A und O, der Allmächtige! Sie wird siegen, aber betet, auf daß unter eurem Beten ihr Haupt erhoben werde und sie verjüngt, wie ein Adler! Betet, betet, daß ihr als fromme Kinder erfunden werdet, betet, daß ihr gegeben werde der Geist der Gnade und des Gebets, der Geist des Bräutigams, der uns erneut und führt, wie die Jugend! Betet, daß sie möge einhergehen in der Kraft des HErrn, wie Heeresspitzen schrecklich den Bösen, den Frommen lieblich und ehrwürdig, als des Königs Braut! Solches Beten ist Dank!
Und nun, geliebte, teure Brüder, freuet euch in dem HErrn an diesem Freudentage und sprechet mit mir also:
Ich danke Dir, HErr, daß Du Dir heute eine heilige Kirche geschaffen hast, ich danke Dir und freue mich! Nun, HErr, erlöse unser armes Bertholdsdorf aus der Not der Blindheit und Bosheit der Sünde und führe uns, die wir am Ende der Welt wohnen, im verborgensten Winkel der Erde, führe uns, die wir in diesem engen Thale irre gehen,| führe uns, die wir, geschaffen zu Dir und Deinem ewigen Abendmahl, hungrig und durstig bleiben und verschmachten müssen, führe uns auf richtigem Wege zu Deiner Stadt, wo Deine Kirche wohnt, uns alle, uns alle, ach Gott, unser und unserer Väter Gott, zu dem Berge Zion und zu der Stadt des lebendigen Gottes, zu dem himmlischen Jerusalem und zu der Menge vieler tausend Engel, und zu der Gemeine der Erstgebornen, die im Himmel angeschrieben sind, und zu Gott, dem Richter über alles, und zu den Geistern der vollkommenen Gerechten, und zu dem Mittler des Neuen Testaments JEsu, und zu dem Blut der Besprengung, das da besser redet, denn Abels – o HErr, mit einem Worte, zu Deiner Kirche, in ihren Schoß, an ihre Brust! Amen. In JEsu Namen! Amen.O Gott, salbe mich und Deine Gemeinde zu diesem und allen Feiertagsvorträgen mit Deinem heiligen Geiste! O Gott, thue das Beste, wenn ich auf der Kanzel stehe! Gieb mir ein einsames, stilles, Dich innig liebendes Herz! Gieb mir Stille, daß meine Laute aus der tiefsten Stille komme! O bewege Herzen und Gemüter zu Deinem Gehorsam! Um JEsu willen! Amen.
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