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sehen in der ganzen Welt nichts anderes, als Totengebeine, welche durch sie einen Tag der Auferstehung zu erfahren berufen sind. Sie haßt die Welt in diesem Sinne nicht, sondern im Gegenteil, sie liebt ihre Kinder und schaut sie mit Augen der Hoffnung und mit Glauben und Vertrauen auf den barmherzigen Gott an, der da machen kann, daß die Kinder geboren werden, ehe sie noch die Wehen ankommen. Sie freut sich im voraus, ehe die Kinder zur Welt geboren sind, sie geht den Ungläubigen nun schon achtzehnhundert Jahre nach, und es ist ihr die Geduld noch nicht ausgegangen, ihr Gebet hat noch nicht aufgehört, ihre Sehnsucht, ihr Durst noch nicht abgenommen, damit sie der Kinder ewiges Wohlsein ersehnt! Sie macht zwischen Hohen und Niedrigen keinen Unterschied, sie liebt die Armen, wie die Reichen, und geht dem ärmsten Schaf in der Wüste nach, wie den reichsten! Sie gleicht der Mutter Hanna, die vor Andacht und Verlangen im Tempel vergehen wollte, die keine Worte fand für ihr glühendes Herz, der ihre Worte auf den Lippen starben, die bebte vor Liebe zu ihrem Samuel, der noch nicht da war, die ihn dem HErrn weihte, ehe er im Mutterleibe war, die ihn dem HErrn weihte von Mutterleibe an, die keine größere Freude kannte, als dem HErrn ihren erbeteten Samuel darbringen zu dürfen. – Brüder, liebe Brüder, auch euch, die ihr noch nicht geboren seid, liebt die Kirche, betet und sorgt für euch! O Dank, daß sie lebt, die werte Mutter, daß sie geboren ist, die Hoffnung vieler Kinder! Ihr Geburtstag sei gesegnet, ihr Gebet werde erhört, ihre Sorge möge geraten! Ihr Ehrentag, der heutige Tag, werde auch diesmal in den verschiedenen Lagerplätzen und Orten der Nationen von Gott durch viele Kinder gesegnet, und die morgende Sonne schaue ein Feld lieblicher Tautropfen, ja, Amen!


III.

 Die Kirche ist drittens eine fromme Mutter, weil sie ihre neugeborenen Kinder mit lauterer Milch des Wortes und des heiligen Sakramentes nährt. Seit Jahrtausenden reicht sie im