Textdaten
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Autor: E. J.
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Titel: Prätendenten-Segen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 40, S. 640
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[640] Prätendenten-Segen. Wie die neuesten Nachrichten von der hesperischen Halbinsel melden (diese Zeilen wurden am 11. September geschrieben), hat König Franz II. von Neapel seine Hauptstadt dem siegreichen Dictator Garibaldi überlassen; binnen Kurzem dürfte er auch seinem Reiche den Rücken gekehrt und in Oesterreich, Spanien oder England ein Asyl gesucht haben. Damit wäre dann das Dutzend der europäischen Kronprätendenten voll. Von dieser Zahl kommt die Hälfte auf Italien, und zwar sind solches neben König Franz noch folgende Pnnzen: 1) der Erzherzog Ferdinand von Oesterreich, seit dem August vorigen Jahres durch die Thron-Entsagung seines Vaters Leopold Großherzog von Toscana. 2) Der Erzherzog Franz von Oesterreich-Este, welcher trotz seiner zweimaligen Verjagung (1848 und 1859) sich noch immer „Herzog von Modena, Reggio, Massa und Carrara“ nennt. 3) Die im Sommer vorigen Jahres vertriebene Herzogin-Regentin Louise von Parma, geborne Prinzessin von Bourbon, Vormünderin ihres Sohnes, des minorennen Herzogs Robert. 4) Fürst Karl Honorius von Monaco, Reclamant der Duodez-Staaten Mentone und Roccabruna. 5) Prinz Lucian Murat, Sohn des im October 1815 zu Pizzo in Calabrien erschossenen Exkönigs Joachim Murat, Schwagers Napoleon’s I., welcher den von seinem Vater in den Jahren 1808 bis 1815 besessenen neapolitanischen Thron für sich in Anspruch nimmt.

Die sechs außeritalienischen Kronprätendenten sind: 1) der Infant Dom Miguel, Prinz von Braganza, reclamirt den Thron von Portugal, welchen er von 1828 bis 1834 mit Blut und Schmach besudelte. 2) Der Infant Don Carlos von Spanien, welcher seinen vermeintlichen Rechten auf die Kronen von Spanien und beiden Indien erst kürzlich durch eine Don-Quixotiade Geltung zu verschaffen suchte, dabei gefangen ward, um frei zu kommen verzichtete, als er diesen Zweck erreicht hatte, aber (echt bonrbonisch und echt ritterlich!) seine Verzichtleistung wieder zurücknahm. 3) Der „Graf von Chambord“ Henri Dieudonné, Herzog von Bordeaux, welcher seinen Anhängern, den Legitimisten, als rechtmäßiger König „Heinrich V.“ von Frankreich und Navarra gilt. 4) Der „Graf von Paris“, Louis Philippe, Herzog von Orleans, beansprucht zwar nicht wie sein Vorgänger den französischen Thron als ein „von Gottes Gnaden“ ihm zustehendes Erbe, gilt aber seiner Partei nichtsdestoweniger als rechtmäßiger „König der Franzosen“. 5) Prinz Gustav Wasa, aus der jüngeren Linie des herzoglichen Hauses Holstein-Gottorp, Sohn des 1809 vertriebenen und 1827 verstorbenen Königs Gustav IV. von Schweden, welcher, zur Zeit General und Gutsbesitzer in Oesterreich, bei jedem Thronwechsel im Hause Bernadotte seine Rechte auf den schwedischen Thron in Erinnerung bringt. Endlich ist 6) noch ein Herr Demetrius Komnenos in Paris, welcher bei dem vermutheten baldigen Hinscheiden des „kranken Mannes“ miterben, ja sogar der Haupterbe sein will.

Er beansprucht nämlich, als angeblicher Abkömmling der alten ruhmreichen (später freilich entarteten) byzantinischen Kaiserfamilie der Komnenen, diejenigen Provinzen des türkischen Reiches, welche seine angeblichen Vorfahren zu der Zeit besaßen, als sie auf den Thronen von Constantinopel und Trapezunt saßen; also etwa das heutige Königreich Griechenland, die europäisch-türkischen Provinzen Thessalien, Macedonien und Rumelien und den größten Theil von Kleinasien. Ein Weiteres begehrt Herr von Komnenos nicht, und hat erst vor wenigen Wochen in mehreren Pariser Zeitungen „den Herrschern und den Völkern von Europa“ seine „wohlfundirten“ Rechte auf die genannten Länder ans Herz gelegt; wir haben jedoch nicht vernommen, daß irgend eine Großmacht geantwortet oder ihm auch nur die Insertions-Gebühren seiner Proclamation erstattet hätte.

Zu keiner andern Zeit jemals ist Europa so gesegnet mit Prätendenten gewesen, wie gegenwärtig; selbst nicht zur Zeit der Throne umstürzenden Gewaltherrschaft des ersten Napoleon. Zwischen den Prätendenten von damals und denen von jetzt waltet übrigens der große Unterschied ob, daß jene sämmtlich, mit einziger Ausnahme des schon genannten Königs Gustav IV. von Schweden, durch das Schwert eines Eroberers von ihren Thronen verdrängt wurden, während sämmtliche jetzige Prätendenten entweder selbst von ihren Unterthanen vertrieben wurden, oder Söhne oder Nachkommen solcher Fürsten sind, die ihre resp. Kronen durch Verbrechen oder Thorheit verscherzten.
G. J.