Populäre heimische Vögel auf der Anklagebank

Textdaten
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Autor: Karl und Adolph Müller
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Titel: Populäre heimische Vögel auf der Anklagebank
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 44, 46, 49, S. 738–739,767–768, 810–812
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Populäre heimische Vögel auf der Anklagebank.

Eine praktische vogelkundliche Untersuchung.
Von Gebrüder Adolf und Karl Müller.

Das seit mehr als fünf Jahrzehnten übliche Losungswort „Schutz den Vögeln!“ wird heutzutage gerade da am meisten gehört, wo der tiefere Blick in das Leben der gefiederten Wesen fehlt, ja selbst in die neuerdings erlassenen Gesetze und Polizei- Ordnungen über den Vogelschutz haben sich mehrfache Ungereimtheiten und Widersprüche eingeschlichen, welche auf Unkenntniß der Sache zurückzuführen sind; so ist es denn sicher an der Zeit, das Publicum über die Nützlichkeit und Schädlichkeit der einzelnen Vogelarten von Neuem aufzuklären, und wir thun es an dieser Stelle um so lieber, als wir neben altbekannten Thatsachen hier wesentlich Neues über die Frage des Vogelschutzes mitzutheilen in der Lage sind – Ergebnisse der jüngsten Beobachtungen und Forschungen auf dem einschlägigen Gebiete.

Die Frage des Vogelschutzes beschäftigt gegenwärtig die Gemüther auf’s Lebhafteste, und Vereine und Privatpersonen erwägen sie immer auf’s Neue. Angesichts dieses Umstandes dürfen wir wohl bei den Lesern der „Gartenlaube“ gerade gegenwärtig ein genügendes Interesse für den Gegenstand voraussetzen, um die Einladung wagen zu können: den folgenden Betrachtungen über unsere populären heimischen Vögel und ihre Stellung zur Frage des Vogelschutzes freundliches Gehör zu schenken. Wir werden einige volksthümliche Vögel Deutschlands der Reihe nach in den Bereich der Betrachtung ziehen.

1. Die Diebereien der gemeinen Krähe und Dohle in Feld und Garten.

Schon im Jahre 1876 erklärten wir kraft fortgesetzter eingehender Beobachtungen der Rabenkrähe (Corvus corone) und der Dohle (monedula turrium), daß wir diesen beiden Rabenvögeln in unseren früheren Werken im Allgemeinen zu viel nutzenbringende Eigenschaften zugestanden. Neue ergänzende Erfahrungen nach dieser Richtung hin ließen in uns endlich die Ueberzeugung reifen, daß Krähe und Dohle allerorts dieselben sind: freche Diebe an den Früchten und dem Obste in Feld und Garten gefährliche Feinde den Klein- und Mittelvögeln.

Die Krähe ist langsam und ungewandt im Fluge und allen ihren Bewegungen. Das alte Klein- und Mittelgeflügel ist deshalb vor ihren Nachstellungen sicher. Aber man controllire einmal unausgesetzt den scheuen schwarzen Dieb zur Zeit seines Nistens! Wie er schon zeitig im Frühjahre, vom März und April an, die Nester der Ackerlerche, des Goldammers, der Stein- und Wiesenschmätzer, des Baumpiepers und unzähliger anderer nützlicher Erdnister zerstört durch Raub der Eier und Jungen, so bestiehlt er in Sträuchern und auf Bäumen die Nester ebenso vieler angenehmer und nützlicher Singvögel.

Dabei geht der geweckte Geselle planmäßig zu Wege: er hält eine förmliche Suche nach den Nestern, unterstützt durch sein scharfes, das dickste Gebüsch und den dichtesten Baumschatten durchdringendes Krähenauge. In derselben planmäßigen und unermüdlichen Weise, wie er den Eiern und Nestlingen nachspürt, verfolgt er die ausgeflogenen jungen Vögel. Schon früher beobachteten wir, wie Krähen eben flügge gewordene Steinschmätzer aus ihren Verstecken aufscheuchten und dann im Fluge durch wiederholtes Stoßen die Bedrängten nöthigten, in dem Wachsthum des Bodens Schutz zu suchen. Hierauf durchschritten die Verfolger in aufgerichteter Haltung die Plätze, woselbst die Vögel eingefallen waren und sich versteckt hielten, nach allen [739] Seiten hin scharf spähend mit den Gaunerblicken, um bald die Niedergekauerten auszukundschaften und zu tödten. Viele Räubereien an anderen Kleinvögeln haben wir seither in den verschiedensten Gegenden bis in die neueste Zeit hinein beobachtet, indem wir den diebischen Vogel immerwährend scharf im Auge behielten. Zumeist in der ersten Morgendämmerung, von Nichts gestört und beobachtet, stellt er seine Kundschaftungen an; er rückt mit immer zunehmender Frechheit aus dem Feld in die Gärten, bis nahe an die menschlichen Wohnstätten, Ja in deren Umgebungen, um seinen Raubgelüsten zu fröhnen. Im Hofe und der Nähe des Hauses ist junges Hausgeflügel nicht sicher vor diesem schwarzen Satan, besonders wenn er eine größere Brut zu ernähren hat. Es ist von guten, zuverlässigen Beobachtern des Oefteren wahrgenommen worden, daß Krähen in den zoologischen Gärten einen empfindlichen Raub an den Eiern der Schwimmvögel und den Gelegen der Gänse und Schwäne verübt haben. Selbst mit den Hausthieren hält die Krähe Mahlzeit, indem sie sich deren Futterplätze und die Freßnäpfe merkt, um sich daselbst rechtzeitig zum Zehnten der Fütterung einzustellen. An Gewässern lauert sie mit großer Ausdauer auf Krebse und Fische und merkt ersterem mit großer Schlauheit die Lebensgewohnheiten ab: wenn er Abends auf das Ufer krabbelt, steht sie schon da, um ihn zu packen; sie benutzt den niederen Stand der Bäche, um der Fische in den Tümpeln mit Erfolg habhaft zu werden. Ja, ihre Berechnung geht noch weiter: Wenn Schafe vor ihrer Schur in Bächen gewaschen werden, so weiß sie aus Erfahrung, daß hierdurch viele Fische betäubt oder gar getödtet werden und nun auf der Wasseroberfläche stromabwärts getrieben werden. Sogleich ist die allwissende Krähe zur Ausbeute dieser Thatsache da.

Je mehr die Bedürfnisse seiner sauberen Nachkommenschaft zunehmen, desto mehr steigt die Verwegenheit dieses Rabenvogels; das Beispiel eines frechen Krähenpaares weckt und ermuntert ein zweites, ein drittes, das Gleiche zu thun. Und so kommt es, daß es dem aufmerksamen Auge des frühwachen Beobachters öfters gelingt, einen Trupp Krähen zu entdecken, der aus gemeinschaftlichem Diebszuge begriffen ist. Hin und wieder verhält sich die eine oder die andere Krähe bei solchen Nachstellungen anscheinend gleichgültig, indem sie sich an dem Aufspüren und dem Verfolgen ihrer Gesellschafterinnen nicht betheiligt, aber es sind dies nur Ausnahmen bei einzelnen Individuen, und diese selbst nehmen, durch das augenfällige Beispiel der Räubereien der Sippschaft verführt, nach und nach den Charakter des großen Haufens an.

Die Krähe ist ein Ueberall und Nirgends der Flur, und nichts entgeht so leicht ihren wachen Sinnen: Wie sie sie sich der Vogelwelt dadurch dienstbar erweist, daß sie dem Kleingeflügel durch Geschrei und lebhaftes Verfolgen den Raubvogel verräth, so zeigt sie sich dem den Räubern glücklich entkommenen Vogel höchst verderblich: Vielmals haben wir gesehen, daß sie den Ort sich merkte, wo kleinere, vor dem Raubvogel sich an den Boden flüchtende Vögel Zuflucht gesucht hatten – sie erhaschte schnell die ängstlich in ihrer Lage Verharrenden.

Es ist nicht zu verwundern, daß ein so geweckter, scharfsichtiger Vogel, wie die Krähe, leicht jede Quelle für Diebstahl und Raub entdeckt. Neben den Singvögelbruten sind die Krähen bei ihrem ständigen Aufenthalte in den Fluren den Bruten der Rebhühner, der Wachteln selbst der Fasanen, sowie dem „Satz“ (Jungen) der Hasen, also den jagdbaren Kleinthieren, sehr gefährlich. Wie oft haben wir gesehen, wie beide Krähengatten zur Zeit ihrer Jungenpflege Rain, Wiese, Acker ebenso eifrig nach Vogelnestern und jungen Vögeln absuchten wie nach Insecten und sonstiger Nahrung. Dabei beweist sich die Krähe höchst vielseitig. Hier benutzt sie lauernd die Abwesenheit des Brutvogels, um unbarmherzig das Nestgelage zu plündern; dort lauscht sie nach dem Gezirp hungernder junger Vögel, um sie entweder zu beschleichen oder jählings zu überfallen. In anderen Fällen wieder erhebt sie beim Ansichtigwerden oder Verfolgen eines jungen Häschens meist laute Signalrufe, auf welche sofort die Schwestern in der Flur erscheinen, um desto erfolgreicher den Raub gemeinschaftlich an dem entdeckten Opfer zu begehen. Regel bei ihr ist jedoch schlaues Lauern, hinterlistiger Raub, und nur bei vollkommener Sicherheit greift sie offenkundig an, indem sie alte Brutvögel gewaltsam vom Neste aufstöbert.

Die Krähe bewährt sich als eine Allesfresserin. Obgleich sie die thierische Nahrung der pflanzlichen vorzieht, so verschmäht sie die letztere durchaus nicht, ja sie geht zeitweise derselben sehr eifrig und unausgesetzt nach. Wer hat nicht im Hochsommer und Herbst die Diebin beim empfindlichen Raube von unreifen und reifem Obste ertappt? Von der Kirsche, der Aprikose und anderem Steinobste bis zum Apfel zehntet sie die Feld- und Gartenbäume. Kaum sind die Feldfrüchte in der Höhe, so stellt sich auch schon die Krähe zum Stehlen ein. Nun überfällt in Schaaren auch ihre kleinere Verwandte, die ungemein rührige Dohle mit ihren ausgeflogenen Jungen, die Felder, die Fluren, die Baumstücke, die Haage, und wenn im Herbste die Garben unsere Felder bedecken, dann wimmelt’s von diesem Diebsgesindel überall bedrohlich. Wer dann die Verheerungen dieser Flüge nicht gewahrt, der ist blind für die Erkenntniß solcher und ähnlicher Naturerscheinungen. Ganze Krähenfamilien plündern völlig die Erbsenländereien, indem viele Schoten von ihnen nur angebissen und dann zu Boden geschleudert werden. Diese Plünderungen geschehen in einer wahren Hast und verwüstenden Leidenschaft. Schon im Vorsommer fallen die alten Dohlen die Erbsenstrecken an und füttern ihre Jungen mit der halbreifen Frucht.

Krähe und Dohle schicken sich vermöge ihres wachsamen, klugen Wesens, ihrer Anstelligkeit und Emsigkeit in alle Lagen, in jedes Verhältniß und beuten jede Gelegenheit aus, und Vorsicht und Frechheit halten sich bei beiden, in erster Linie aber bei der bedächtigeren Krähe, das Gleichgewicht. Mit zunehmender Sicherheit, da wo sie sich geschont und geschützt fühlen, wächst ihre Kühnheit, und sie dringen alsdann auf dem Felde in die Hausgärten, um über Erbsen und Obst herzufallen und die früher schon erwähnten Unbilden an Nest und Vogel zu begehen.

Da die Dohle die Krähe aus ihren Streifereien im Frühling und Herbst vielfach begleitet, so lernt erstere der schlaueren, geriebeneren Verwandten manche ökonomische Unbilden ab. Beide, vornehmlich die Krähe, folgen zwar dem Pfluge des Landmannes und nehmen herausgepflügte Engerlinge und Regenwürmer auf, allein die Ausbeute an den bloßgelegten Maikäferlarven ist nicht besonders hoch anzuschlagen, da erfahrungsmäßig die an die Luft gesetzte Larve doch stirbt. Es sollen übrigens hiermit den Krähen und Dohlen ihre regen Bethätigungen am Erbeuten von Kerfen in allerlei Gestaltungen nicht abgesprochen werden. Haben wir doch schon 1876 über ein Zusammenrotten von Krähen und Dohlen berichtet, wo beide an Büschen und Bäumen sitzende Brach- oder Sonnenwendkäfer (Melolontha solstitialis) erbeuteten, sich jedoch bei dieser Ernährung bei weitem nicht so anstellig zeigten, wie dies ihre Verwandte, die nützlichere Saatkrähe, bei ihrer bekannten Maikäferjagd thut.

Zu den erwähnten seelischen Eigenschaften tritt bei beiden Raubvögeln auch noch ihre allbekannte Neugierde. Ueber diese ist bereits so viel geschrieben worden, daß wir hier füglich darüber schweigen können.

Der Mäusefang spielt eine große Rolle im Leben der Krähe, aber mit ihm ist es gerade so bestellt, wie mit der erwähnten Kerfnahrung: die Krähe unterbricht diese Bethätigung gar oft, um in der Ernährung zu wechseln, und sie richtet im Vergleich mit viel gewandteren und ausgiebiger der Erbeutung hingegebenen Mäusejägern, wie Mäusebussarden, Eulen, Wieseln, Füchsen, Katzen u. a. m. wenig, in wirklichen Mäusejahren oft so viel wie nichts aus.

Aus diesem lebensgetreuen Bilde der beiden Rabenvögel folgt nun der Schluß, daß der ökonomische Schaden, den sie anrichten, den Nutzen sehr überwiegt, welchen man ihnen zuschreiben kann. Daraus ergiebt sich in unser Aller Interesse folgende Regel: man wehre den Krähen und Dohlen soviel wie möglich das Vorrücken in die Gärten und verfolge sie überhaupt mit allen Mitteln – nicht aber in der Brutzeit! Und selbst während dieser nehme man ihnen, soweit es möglich, die Brut! Wir empfehlen den Jagdbesitzern, sich getrost der seiner Zeit so sehr geschmähten Krähenhütten unter Zuhülfenahme des Uhus oder einer sonstigen gezähmten Eule zu bedienen, und zwar unbekümmert um das Geschrei, welches darüber mancherseits erhoben werden mag. Diese Anstalten sind die erprobtesten Mittel zum erfolgreiche Erlegen der durch sonstige Jagd kaum erreichbaren Raubvögel.

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2. 0Die Ueberhandnahme des Haussperlings.

In gewissem Sinne ist der Haussperling unter den gefiederten Wesen dasjenige, welches sich – wie der Hund unter den Säugethieren – den menschlichen Verhältnissen am meisten anzuschließen versteht. Er hat dem Gebieter der Erde Manches abgesehen und von ihm Mancherlei gelernt – aber umgekehrt wie der intelligente und treue Hund – im Verkehr mit dem Menschen sich hauptsächlich nur schlechte Gewohnheiten angeeignet.

Der Haussperling ist ein Culturvogel, und sein Bestehen knüpft sich eng an den Ackerbau: nur in Gegenden des landwirthschaftlichen Betriebs und unter Verhältnissen, welche diesem Vogel wesentlich die Nahrung aus Feld- und Gartenerzeugnissen bieten, nistet er sich ein; er vermehrt sich dort zusehends. Wenn wir schon im Jahre 1873 in unserem Werke „Die einheimischen Säugethiere und Vögel nach ihrem Nutzen und Schaden in der Land- und Forstwirthschaft“ im Allgemeinen zu dem Resultate kamen, daß der Schaden des Sperlings seinen Nutzen entschieden überwiege, so müssen wir kraft unserer fortgesetzten Untersuchungen und Ermittelungen dieses Urtheil heute vollauf bestätigen, ja noch schärfer als früher aussprechen:

Den Schaden, den Krähe und Dohle in großem Maßstabe anrichten, verübt unser Spatz im Kleinen. Aber die Masse, in welcher er auftritt, steigert die Verderblichkeit seines Thuns und Treibens. An Klugheit, Vorsicht und Frechheit giebt er der Krähe nichts nach, und dazu kommt, daß er sich kraft der vielfachen Beziehungen zu menschlichen Verhältnissen eine Lebenspraxis angeeignet hat, die ihn bei seinen Plünderungen nur allzu oft vor Nachstellungen schützt. Sein Naturell ist zählebig wie seine geistige Begabung vielseitig, und wie die Krähe in der Flur jede Nahrungsquelle ausfindig macht, so fühlt er sich in Haus, Hof, Garten, Haagen und Baumstücken daheim. Seine ganze nutzenbringende Thätigkeit beschränkt sich wesentlich auf die Zeit im Frühlinge, wo er seine ersten Bruten mit Insecten nährt, und zwar meistens mit Raupen. Die Nestlinge füttert er mit Kerfthieren – aber nur, so lange sie noch nackt sind; sobald sie die Kiele gestoßen haben, fängt sofort die Atzung mit Körnern, und zwar mit milchigen jungen Erbsen und Getreide, an, welche Nahrung allmählich die ausschließliche bei Jung und Alt wird. Den zweiten und späteren Bruten reicht der alte Sperling in den meisten Fällen nur Körner.

Mit dem Beginne der Kerffütterung aber fällt eine andere schädliche Bethätigung des Sperlings zusammen: er beißt freventlich die Blüthen- und Blattknospen an den Obstbäumen ab. Wenn nun neuerdings behauptet wird, daß alle abgebissenen Knospen Blüthenbohrer, wie z. B. den Apfelblüthenbohrer (Anthonomus pomorum), enthielten, so ist dies nicht zutreffend: wir haben uns wiederholt durch innere Untersuchungen frischerlegter Sperlinge davon überzeugt, daß die Masse im Kropfe vorhandener Blüthenknospen nur aus gesunden Exemplaren bestand. Das Abbeißen der Knospen artet bei diesen Vögeln in Unart, in Spielerei aus. Daß die Entdeckung eines Kerfs in den Knospen den Unhold bei solchen Ausartungen zum Abbeißen und Untersuchen von Knospen nach Insecten antreibt, wollen wir zwar nicht in Abrede stellen; denn oft genug haben wir wahrgenommen, daß er eine Zeitlang die abgebissenen Knospen im Schnabel herüber und hinüber wirft, um sie sodann fallen zu lassen. Daß er aber diese Verheerungen auch an ganz gesunden Knospen anrichtet, davon haben wir uns öfters genau überzeugt.

Unsere Hausfrauen und Gärtner ärgert der freche Eindringling gleich im Frühjahre durch Auflesen der ausgestreuten Sämereien. Vergeblich sind hier Scheuchen und Klappern aufgestellt worden, wie man sie auf den Obstbäumen zum Schutze der Früchte anwendet. Der Wohlerfahrene hat diese Popanze und Lärmmaschinen längst als ungefährliche Spielereien kennen gelernt und scheut sie deshalb absolut nicht, wie er umgekehrt die eiserne und steinerne Falle, welche ihm die Jugend stellt, respectvoll meidet. Die stillen Frühstunden oder die sonst irgendwie gesicherten Tageszeiten werden von dem Pfifficus schlau benutzt; er lockt seine Cameraden durch Rufe zu gemeinsamem unbedrohtem Handeln herbei. Unter und auf den bunt mit allen möglichen Drohungszeichen und Lärmapparaten decorirten Rabatten hebt das graue Gesindel nun frech die eben aufgekeimten Erbsenpflänzchen aus der Erde, um die angeschwollene Frucht zu verzehren oder die Jungen damit zu füttern, und wenn die Ranke die ersten Schoten treibt, dann ist der Spitzbubenhaufen der Alten mit der herangewachsenen Brut schon wieder zur Verheerung da. Ebenso fällt Monsieur Sperling häufig in den Weizen, die Gerste und den Hafer, ehe diese Früchte noch reifen, um seinen Jungen die willkommenen Körner zuzutragen. Gleich wie die Frucht des Feldes, so wird das Obst der Baumstücke und Gärten heimgesucht, und vor Allem liebt der Sperling das Steinobst; er liebt es leidenschaftlich. Zur Zeit der Reife dieser Obstart haben sich schon die meisten Bruten des Vorsommers als angehende selbstständige Spatzen zusammengeschaart und bemächtigen sich nun der besten Kirschen, Pflaumen, Aprikosen, Mirabellen, Reineclauden, Zwetschen etc., deren sie nur irgend habhaft werden können; sie schlürfen begierig den süßen Saft. Zuletzt kommen die Weintrauben an die Reihe, die von einzelnen Räubern und ganzen Räuberschaaren unter dem heimlichen Dämmer der Spaliere und des Gemäuers geplündert werden.

Vorher schon hat der Spatz in den ansehnlichen Flügen des August die Frucht- und Samenäcker, vornehmlich die den Ortschaften und Städten zunächstliegenden, überfallen. Im Hanfe, in der Hirse und dem Mohne zehntet er gehörig, sodaß unter dem Gewichte der sich niederlassenden Vögel die Halme sich beugen und zur Erde knicken am dort nach allen Richtungen hin verzerrt und verbissen zu werden. Die aufgestellten Garben umsitzt und umhängt das Diebsvolk oft wie ein grauwimmelnder Bienenschwarm den Korb. Auch das eingeheimste Getreide bestiehlt der Sperling den Winter über in den Scheunen und Diemen, wie die aufgeschüttete Frucht auf den Böden.

Was bedeutet nun die geringe Ausbeute des Vogels an Kerfen, welche er im Frühjahr macht – was bedeutet sie diesem Diebeshange nach Körnernahrung gegenüber? Was will die Leistung des im Fluge unbeholfenen Vogels beim Maikäfer-, Schmetterlings- und sonstigen Insectenfange sagen? Sie ist nicht erwähnenswerth im Vergleiche z. B. mit dem Nutzen, welchen die Saatkrähe uns durch massenhaftes Erbeuten des Mai- und Junikäfers leistet, indem sie ihn morgens mit Flügelschlägen von den Zweigen zur Erde wirft – nicht erwähnenswerth neben dem emsigen Haschen dieses Insects durch die gemeine Fledermaus. Und doch erweisen sich auch die Vertilgungen durch Krähe und Fledermaus in einem sogenannten Maikäferjahre nur als ohnmächtig. Noch weniger von Gewicht ist die nur gelegentliche und vorübergehende Ernährung des Sperlings durch Regenwürmer und Erdkerfe. Den Nutzen, welcher durch diese ganz untergeordneten Bethätigungen erzielt wird, drängt der Allesfresser wieder in den Hintergrund durch die nur wenig unterbrochenen Plünderungen in den Gehöften an ausgestellten Käsen, am Fleische und Fette der Metzgerläden, in den Vorrathskammern der Wohnungen, welche Orte alle er ebenso keck und aufgeräumt wie mißtrauisch und vorsichtig besucht, abgesehen von unzähligen anderen Diebswegen. Er lebt mit dem ganzen Volke des Hausgeflügels; ja er weiß sich sogar mit den Hofhunden zu vertragen, die ihm gern den Zehnten ihrer Futternäpfe überlassen.

Werfen wir nach der Schilderung dieser einzelnen Lebensäußerungen des Sperlings nunmehr einen Blick aus sein charakteristisches Betragen, sein Auftreten überhaupt dem Menschen und der gefiederten Weit gegenüber! Ueberall bekundet er sich als ein kecker, durch lange Duldung und Hegung immer muthwilliger und unverschämter gewordener Strolch, der vorübergehende, nicht durchgreifende Verfolgungen nur zu verhöhnen scheint, der sich mit der Miene eines übermüthigen Wohlberechtigten allerorten breit macht, wo er sich vorwitzig eingedrängt hat. Sein Losungswort heißt: ubi bene, ibi patria – zu deutsch: wo mir’s behagt und wo ich stehlen kann, da bin ich daheim, und er erweitert zu Gunsten seiner Beeinträchtigungen fremden Eigenthums diesen Spruch, indem [768] er noch hinzufügt: da will ich der Erste sein. So sehen wir ihn das beinahe fertig gebaute Nest der Hausschwalbe usurpiren und in gleicher Weise die ihm zugänglichen Nistkasten den nützlichen Höhlenbrütern zänkisch und malitiös streitig machen.

Er macht sich an allen Orten frech geltend, wohin ihn auch immer sein Diebssinn, seine Gewohnheiten, seine Launen führen mögen. Die Sucht des Sich-Hineinmischens in alle fremden Verhältnisse und Vorkommnisse der Vogelwelt, das freche, anmaßende, unruhige und lärmende Wesen des Herrn Spatzen vertreibt denn auch die lieblichsten und nützlichsten Vögel, die mit ihm unsere Wohnstätten umschwirren; ja wir sind mit dem vortrefflichen Beobachter und Kenner des Vogellebens E. F. von Homeyer zu der Ueberzeugung gekommen, daß alle zarten Sänger die Oertlichkeiten meiden und fliehen, an welchen der Sperling sein Wesen treibt.

Fassen wir nun noch die unumstößliche Thatsache in’s Auge, daß sich die Sperlinge von Jahr zu Jahr – und gerade in diesem letzten ganz besonders merklich – außerordentlich vermehrt haben, sodaß Flüge von Tausenden das Wachsthum der Felder und Gärten ernstlich beeinträchtigen, so muß entschieden der Stab über den Angeklagten ob seiner mannigfachen Unbilden gebrochen werden. Es ist von Homeyer festgestellt worden, daß 3 Morgen Weizenacker, auf 30 oder 36 Scheffel Ertrag geschätzt, bis auf 1 Scheffel Ernte durch Sperlinge zerstört wurden; es ist von uns constatirt worden, daß Gärten durch diese Vögel ihres edlen Obstes beraubt worden sind; wir haben in vielen Jahren, in besonders auffallendem Grade aber während dieses Nachsommers, Schwärme von mehreren Tausend Sperlingen über stehende Fruchtäcker, sowie über Garben Weizen, Gerste und Hafer herfallen sehen und nach kurzer Zeit diese befallenen Stätten bis auf ein Weniges zerstört gefunden. Solcher Schaden trifft in der Regel die Besitzungen unmittelbar an den Dörfern, die dann eben vollständig ruinirt werden. Der Spatz ist, wie das Kaninchen, örtlich, sporadisch in hohem Grade schädlich, aber den Werth seiner Zerstörungen zu berechnen, ist kaum möglich.

Wir haben oben gesagt, daß die Existenz des Sperlings als eines Culturvogels an die Ackerbauwirthschaft gebunden sei. Dies hat sich überall bewahrheitet, wohin auch der Mensch diesen gefiederten Räuber gebracht hat. Er ist nach Amerika, nach Australien verpflanzt worden und hat sich dort allerorts zum Schaden des Feld- und Gartenbaues erstaunlich vermehrt. Wir sehen die Einzelregierungen Neuhollands bereits eingreifen in die Reihen dieser diebischen Vogelart; denn man hat daselbst Preise für Lieferungen von Sperlingsköpfen ausgesetzt. Es wurden für je 100 Eier 2,5 Schilling und für 12 Köpfe 0,8 Schilling gezahlt, wonach in einem Zeitraume von zwei Monaten 81,600 Eier und 8000 Sperlingsköpfe eingeliefert wurden, gegenüber der dortigen Massenvermehrung des Vogels immerhin noch ein unzulängliches Resultat.

Angesichts der thatsächlich auffallenden Ueberhandnahme des Sperlings sollten in unserem Vaterlande die Regierungen nicht hinter den Behörden des Auslandes zurückstehen und die Frage ebenfalls in ernste, gründliche Erwägung ziehen; die Sächsische Kammer hat ja neuerdings die Aufhebung des Schongesetzes für den Haussperling bereits in ernste Erwägung gezogen.

Der Vermehrung dieses schädlichen Vogels muß unbedingt entgegengetreten werden. Schon die Consequenz in Hinsicht auf die Verfolgung anderer Vogelarten, eben der besprochenen Krähen und Dohlen, bedingt dies.

Bereits vor einem Jahrzehnt schlugen wir in unserem mehrerwähnten Werke vor, daß die Regierungen der einzelnen deutschen Staaten nicht gerade Vertilgungsverordnungen gegen den Sperling erlassen, die zu allerlei grausamen Ausschreitungen gegen diese Thiere führen könnten, wohl aber dem Landmanne und Weinbergsbesitzer, dem Inhaber von Gärten und Obstpflanzungen außer der Brutzeit die Freiheit der Nothwehr gegen den Spatz gestatten möchten.

Heute müssen wir einen Schritt weiter gehen und nicht allein das Erlegen des Sperlings außer der Brutzeit, sondern auch das Ausheben der Nester desselben empfehlen. Dies ist bei seinem allgemeinen Nisten an zugänglichen Oertlichkeiten der Wohn- und Hofgebäude leicht zu bewirken und hält, wenn es während mehrerer Sommer consequent und gründlich durchgeführt wird, die Vermehrung nieder. Ausrotten läßt sich der kluge, pfiffige Sperling so wenig wie der Gauner Fuchs, dem gewiß waidmännisch mit allen Kräften nachgestellt wird und der, widerstandsfähig wie er ist, trotz alledem sich siegreich behauptet. Bei allen Anstrengungen zur Verhütung der Zunahme wird der lebenszähe Spatz stets ein hinlängliches Contingent zur zeitweisen Raupenlese im Vorsommer abgeben.

Haltet die Ausbreitung des Sperlings nieder und schützt unsere Meisen, unsere Spechte und die entschiedenen Kerffresser! Das sei das Losungswort des Vogelschutzes in Bezug auf diesen argen geflügelten Dieb!

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3. Eisvogel und Wasseramsel.

Es ist im volkswirthschaftlichen Interesse freudig zu begrüßen, daß zum Zweck einer stärkeren Bevölkerung unserer Gewässer mit schmackhaften Fischen größere und kleinere Gesellschaften in neuerer Zeit eine segensreiche Arbeit beginnen. Zum Schutz der Fischereien reichen sich Regierungen und Freunde des Volkswohls die Hände, und man folgt dabei auch mit Recht den Winken der Autoritäten, um durch Verfolgung und Vertilgung [811] der Feinde der Fische die Schongesetze und die Schutzmaßregeln zu unterstützen.

Nun zählt man aber ganz irrthümlich unter die Feinde der Fische auch Thiere, deren Eingriffe in den Fischbestand nicht von solchem Belang sind, daß man berechtigt wäre, sie für vogelfrei zu erklären und so hat man denn auch, bewogen durch eine überspannte Liebe zum Fischereigewerbe und zur Fischzucht, neuerdings zwei Vögel ganz ungerechtfertigter Weise vor Gericht gezogen. Eisvogel und Wasseramsel - ja sie haben sogar an gewisser Stelle schon ihr Urtheil empfangen - das Todesurtheil.

Den Eisvogel, diesen fliegenden Edelstein, dessen Smaragd- und Lasurschiller das Auge des Menschen wahrhaft entzückt, brauchen wir nicht näher zu schildern denn alle Welt kennt ihn, und sein Bild ist dem Leser durch die „Gartenlaube“ (Jahrg. 1870,S. 388) bereits vorgeführt worden. Das Minnespiel eines Eisvogelpaares im Frühling oder das Treiben der Alten und der ausgeflogenen Jungen im Sommer prägen sich dem Naturfreunde unvergeßlich ein, wenn sein beobachtender Blick sich einmal daran ergötzt hat. Ein solches Juwel unserer Gewässer der Vernichtung preiszugeben - dieser Entschluß kann nur gebilligt werden, wenn der Verurtheilte des schweren Verbrechens völlig überwiesen ist und kein Milderungsgrund das Strafmaß oder die Strafart abzuschwächen vermag.

Wohl steht der Eisvogel seiner Natur und Körperbeschaffenheit nach als ausgeprägter Fischfresser in der Reihe der befiederten Fischjäger. Man betrachte nur den langen, geraden, vierseitigen Schnabel und den keilförmigen Bau seiner ganzen Gestaltung, und man wird hierin schon die typische Grundlage zu einem tüchtigen Taucher, Ruderer und Stoßfischer erblicken.

In der That liegt er der Fischjagd vom frühen Morgen bis zum späten Abend ob, und lauernd sitzt er an Wehren, auf Schleußen und seinen sonstigen Lieblingsplätzen, um sich kopfüber in das Wasser zu stürzen, sobald sich ihm ein Opfer darbietet. Doch stößt er auf seinen Fischjagden nach unserer sorgfältigen Beobachtung sehr oft fehl, zumal wenn das Wasser trüb ist. Auch betreibt er keineswegs ganz nebensächlich die Insectenjagd, mit Vorliebe sogar die Verfolgung der Libellen. Er erscheint überaus als rastloser Fischer, und da er ausgezeichnet verdaut und sich nach kurzer Siesta durch den Auswurf des Gewöllballens den Appetit immer wieder erneuert, so darf die täglich ihm zur Beute fallende Anzahl kleiner Fische nicht unterschätzt werden.

Nun entsteht die Frage, in wie fern ein solcher Raub den vorhandenen Fischbestand schädigt.

Zunächst fällt entlastend für den Schaden der Umstand ins Gewicht, daß die eigentliche Heimath des Eisvogels die Ebene bildet mit ihren größeren und breiteren Flüssen, welche reich sind an allerlei gemeinen Fischarten, besonders an kleinen Fischen, welche eben ihrer Unbedeutendheit wegen gar nicht oder nur in sehr geringem Umfange den Menschen zur Nahrung dienen und etwa nur als Futter für Raubfische willkommen erscheinen. Unter diesen Arten und weniger unter den edleren Fischen räumt der Eisvogel auf, aber seine Räubereien sind außerdem schon darum für den Fischer weniger empfindlich, weil er ein weites Jagdgebiet beherrscht, das oft eine viertel oder halbe Stunde Weges beträgt; denn die verschiedenen Paare grenzen eifersüchtig ihre Wohngebiete gegen einander ab. Die in der Nähe von großen Flüssen liegenden Teiche werden ab und zu auch von dem Eisvogel besucht, aber auch hier hält er sich hauptsächlich an die werthloseren Fische, wenn sie ihm durch Fürsorge der Teichbesitzer geboten werden.

Anders freilich verhält es sich mit seinem Raube in den Gebirgsgewässern, welche seicht sind und vorzüglich die edle Forelle beherbergen. Wäre er da so häufig vertreten, wie in der Ebene, so würde man genöthigt sein, sein Artcontingent zu beschränken. Aber wie wenige Paare trifft der Forscher und Beobachter im Gebirge an, wie hoch erfreut ist er, wenn er an einer Mühle endlich auf einen Eisvogel stößt! Und nun gar im Winter, wo die Nahrung des Eisvogels lediglich aus Fischen besteht! Er weicht alsdann dem Gebirgsklima aus oder wird oft, wie in dem kalten Jahre 1879, ein Opfer des Todes. Hier, wie in der Ebene hat die allwaltende, ausgleichende Natur Sorge getragen, daß seine Vermehrung nicht allzu bedenklich werde: den Bruten der Eisvögel drohen die Elemente und gewisse Thiere sehr häufig Zerstörung.

Nur an Fischzüchtereien soll man den Eisvogel nicht dulden. Da verurtheile und vertilge man ihn! Fern von denselben aber verdient dieser brillanteste der europäischen Vögel rücksichtsvolle Schonung. Nichtsdestoweniger hat der Fischerei-Verein in Kassel die Entfernung des Eisvogels aus der Reihe der durch das Gesetz geschützten Vögel bei der betreffenden Regierung durchgesetzt, sodaß seine Tödtung mit einer Prämie belohnt wird, und ein gleiches Schicksal theilt mit ihm die anmuthige, allerliebste Wasseramsel (Cinclus aquaticus), der Sänger der klaren, kies- und steinreichen, erlenbewachsenen Gebirgsflüßchen

Die Thierschutzvereine haben gegen diese unbillige Maßregel Protest eingelegt, und unser Gutachten über das Verhältniß beider Vogelgattungen erbeten. Wir haben uns mit den besten Gründen dem Proteste angeschlossen.

Wir sind es allerdings gewesen, die zuerst durch tagelange Beobachtungen mittelst des Doppelperspectivs im Freien zu der Einsicht gelangt sind, daß und wie die Wasseramsel die Fischjagd betreibt. Auf die von uns erlangten Resultate berief sich der Fischerei-Verein ohne zu vermuthen, daß der Vogel trotz seiner Vorliebe für Fischfleisch unserer warmen Fürsprache sicher sei.

Die Grundstimmung der weniger bekannten und nur im Gebirge heimischen Wasseramsel ist eine auffallend heitere und findet in den sich häufig wiederholenden Knicksen des Vogels ihren charakteristischen Ausdruck. Die Wasseramsel taucht vortrefflich, schwimmt mit raschen Ruderstößen, als ob sie durchs Wasser stiege, und läuft sogar ganze Strecken auf dem Boden der Gewässer. An klaren, seichten Stellen erbeutet sie die kleinen Fische durch raschen Sturz in das Wasser, jedoch nicht als Stoßfischer; an tieferen Plätzen, namentlich in der Fluth und an Orten, die von Wassergewächsen umgeben sind, gebraucht sie, schwimmend und am Ufer watend, den Schnabel, ähnlich der Ente, als Tastwerkzeug. Oder sie stürzt sich auch in die Tiefe und treibt die Fischchen in die Enge, wo sie dann leichter von ihr ergriffen werden können.

Die stecknadelgroßen Fischchen verschlingt sie ganz, die größeren zerstückt sie auf Steinen oder am Ufer mit Schnabelhieben. Im Frühjahre 1879 haben wir bei hoher, reißender Fluth im Flüßchen Schwalm bei Alsfeld mehrere Paare beobachtet, wie sie sich vereinigt der Fischjagd hingaben. Mit bewundernswürdiger Gewandtheit fingen die Wasseramseln die winzigen Fischchen, und da ihnen andere Nahrung mangelte, so war ihre Ausbeute eine beträchtliche. Nachdem aber der normale Wasserstand wieder eingetreten war, fanden wir die Paare auf je zwei Kilometer Entfernung von einander getrennt und hauptsächlich der Jagd auf den Flohkrebs (Gammarus pulex), ein zwanzig Millimeter langes Thierchen, welches unter Steinen, im Uferrasen und Schlamm des Flüßchens und der Mühlgräben lebt, eifrig hingegeben. Der Vogel wälzte sogar mit dem Schnabel faustdicke Steine am seichten Ufer um und pickte eilend die darunter befindlichen Flohkrebse im Wasser auf - ein Beweis seiner Vorliebe für diese Nahrung.

Im Winter bildet der Flohkrebs, wie wir uns unwiderleglich überzeugt haben, die Hauptnahrung der Wasseramsel, und was sie da an Fischchen erbeutet, berührt nur in verschwindendem Maße den Bestand der Forellen, die sich in der Tiefe halten. Im Sommer aber tritt die Fischjagd zurück vor der Menge der Wasserinsecten und den Weichtieren, die dieser Vogel nicht weniger als die Fische liebt. Hauptsächlich sind es dann auch Insecten und Flohkrebse, mit welchen er seine Jungen im Neste und bei der Führung außerhalb desselben füttert. Das Paar beherrscht die bereits angegebene Strecke von zwei Kilometern und duldet in seinem Jagdgebiete kein zweites Paar, es sei denn zur Zeit der Noth, welche im strengsten Winter eintreten kann, und außerdem bei Hochfluth. Die Schädigung des Fischlaichs durch die Wasseramsel ist kaum in Anschlag zu bringen, jedenfalls aber nicht im Entferntesten mit der Raubtätigkeit unserer zahmen Enten nach dieser Richtung hin zu vergleichen. Eine Uebervölkerung der Wasseramsel ist vermöge der Unduldsamkeit derselben gegen Ihresgleichen nicht möglich. Selbst die Jungen müssen, sobald sie selbstständig geworden sind, der rücksichtslosen Herrschsucht und Selbstsucht ihrer Artgenossen weichen und sehr oft in andere Fluß- oder Bachthäler auswandern.

Gestützt auf unsere gründlichen Untersuchungen und Beobachtungen rufen wir den Verfolgern der Wasseramsel ein ernstes Halt zu und alle Regierungen zum Schutze der verkannten und mißhandelten Vögel an. Wir wiederholen an dieser Stelle, was wir in unserem eben scheinenden illustrirten Werke „Thiere der [812] Heimath. Deutschlands Säugethiere und Vögel. Verlag von Theodor Fischer in Kassel“ zur Erhaltung der Wasseramsel sagen:

„So lange im Gebirge Krystallwellen über Kiesgrund rieseln, schaumbenetztes Felsgestein das bemooste Haupt aus der Strömung erhebt, geschwätzige Mühlen aus den Erlenwäldchen hervorschauen und die muntere Forelle aus der Stromschnelle emporspringt, so lange soll auch der Wasserschwätzer einstimmen in das Murmeln und Klingen hier oben und seine belebende Erscheinung der Gebirgsnatur Anmuth und Reiz verleihen.“ -


4. Haustaube.

Unter den Vögeln wird endlich noch unsere Haustaube angeklagt, sie fliege auf das Feld und suche dort ihre Nahrung. Das bestehende Gebot des Einsperrens der Haustauben zur Zeit der Aussaat der Feldfrüchte im Frühjahre und Spätherbste beruht auf der Annahme, daß die Tauben im Felde dem Landwirthe nicht unbeträchtlichen Schaden zufügen. Neuerdings haben sich von verschiedenen Seiten Stimmen gegen diese Maßregel erhoben, und die Opposition stützt sich auf die Behauptung, daß die Tauben durch Vertilgen einer Menge von Unkrautsamen beträchtlichen Nutzen stiften, die Fruchtkörner dagegen verschmähen oder doch wenigstens zur Zeit der Aussaat nur solche Saatfrüchte wegpicken, welche auf der Oberfläche der Aecker frei liegen bleiben, somit dort nicht aufkeimen können und ohnehin verloren sind.

Dagegen[s 1] läßt sich nun Manches einwenden. Untersuchen wir zunächst die Kröpfe der Tauben zur Ernte- und Saatzeit! Wir brauchen sie nicht einmal aufzuschneiden, sondern nur von außen aufmerksam zu befühlen, denn schon bei dieser Untersuchung erkennt man deutlich die Erbse, die Gerste, den Hafer und anderes Fruchtkorn zwischen den Fingern. Schlachtet man gar die Taube, so findet man den untrüglichsten Beweis in den unverdauten Fruchtkörnern des Kropfinhaltes. Namentlich fällt die Taube über die Frühjahrssaat her, weil ihr das Feld zu jener Zeit noch wenig oder keine andere Nahrung bietet. Was nun aber das Vertilgen des Unkrautsamens betrifft, so fällt diese Thätigkeit der Tauben nur zum geringsten Theil in die Saat- und Erntezeit für Feldfrüchte, vielmehr hauptsächlich in die Sommermonate, wo die Früchte des Feldes noch stehen und den gefräßigen Vögeln für sich und ihre Bruten keine andere Nahrung draußen erreichbar ist, als der Same des weitverbreiteten Unkrauts auf den Feldern auf Triften und Wiesen. Uebrigens reicht oft dieses Futter zur erwähnten Zeit nicht aus, und eine Folge davon ist das häufig vorkommende Verhungern der Nestlinge auf den Taubenschlägen, oder auch an sehr kühlen Tagen das Erstarren derselben, da sich sowohl das Männchen wie das Weibchen zugleich um Futter bemühen müssen und hierdurch die nothwendige Erwärmung der Brut zu lange unterbrochen wird. Aufmerksame Taubenzüchter helfen darum bei derartigen Anlässen durch Füttern auf dem Schlage nach. Auch an gelinden Wintertagen und im Frühjahre vor der Früchte-Aussaat eignen sich die Tauben Unkrautsamen an.

Ferner wird die Behauptung, daß die auf der Oberfläche des Bodens den Tauben zur Beute werdender Fruchtkörner doch verloren wären, durch die Erfahrung hinfällig, daß bei günstiger Witterung noch viele derselben zum Keimen gelangen können. Außerdem aber picken die Tauben die Fruchtkörner aus der Erde heraus, auch wenn sie zum Theil bedeckt sind und nur ein wenig hervorschimmern. Welche Emsigkeit aber die Taubenschnäbel auf einem frischbesäeten Acker entwickeln, ist jedem Landwirth zur Genüge bekannt. Gewöhnlich schaaren sich viele derselben zusammen und befallen als scharfsichtige Auskundschafter in stärkeren oder schwächeren Flügen die Saatäcker. Während der Sämann hier den Samen ausstreut, beeilen sich dort die dreisten Vögel, die lockenden Körner aufzulesen. Wo die Sämaschine nicht zugleich mit der Ausstreuung der Früchte auch die Unterarbeitung derselben bewerkstelligt, vermögen die Tauben sehr empfindlichen Schaden anzurichten.

Schließlich fallen sie sogar zur Erntezeit über die gemähten Garben und Erbsenschoten her und picken eifrig den Inhalt aus Aehren und Hülsen. Doch soll diese letztere Unart nicht in die Wagschale fallen.

Aus allen diesen Beobachtungen ergiebt sich nun die wohlberechtigte Forderung: wer Tauben zum Vergnügen oder zur Befriedigung des Gaumens oder auch zum Zweck des Handels züchtet, der muß sich das Opfer des vierzehntägigen Fütterns und Einsperrens seiner Pfleglinge ruhig gefallen lassen, hier hat das Sonderinteresse vor dem allgemeinen zurückzutreten. Natürlich richtet sich die Schutzmaßregel nach Ort und Verhältnissen. Unseres Wissens erachtet man z. B. in Sachsen, wo die Sämaschine den praktischstes Vortheil gewährt, gegenwärtig das Einsperren der Tauben für unnöthig.

Aber außer den genannten werden noch andere Einwände gegen dieses Einsperren der Tauben erhoben, von thierschutzvereinlicher Seite ist es als thierquälerischer Act bezeichnet worden. Zu einer derartiges Anschauung kann aber doch nur ausgeprägte Sentimentalität sich verirren. Die Taube ist auf dem Schlage geboren, er ist ihre Zufluchtsstätte bei Verfolgungen, ihr Schutzort bei tobenden Wettern, ihre Schlafkammer und das anheimelnde Plätzchen, wo sie die Tagesruhe hält und verdaut. Hier wird geruckst, und hier erfolgt die Paarung, hier wird der Kampf mit den Rivalen ausgefochten und die große Gemeinschaft zu Aus- und Einflügen gebildet. Die Entbehrung des Ausflugs auf kurze Zeit wird ja unstreitig von den die Freiheit gewohnten Tauben empfunden, aber sie geben sich bei guter Pflege und Fütterung alsbald auch mit einem längeren Aufenthalte im Schlage zufrieden. Müssen doch die Tauben im Winter bei tiefem Schnee und anhaltendem Frost wochen-, ja monatelang eingesperrt bleiben, warum also sollte gerade das Einsperren zur Frühjahrs- und Herbstaussaat eine besondere Qual für sie sein?

Hiermit beschließen wir unsere Betrachtungen über die „Populären heimischen Vögel auf der Anklagebank“. Wir fordern keine unbedingte Schonung und Hege für die Vögel und beweisen das gerade durch diese Abhandlungen in der Beurtheilung der Dohle, der Krähe und des Sperlings. Es leitet uns nur das Bestreben, das Verhalten der Menschen in ihren mannigfachen Interessen gegenüber der Thierwelt in maßvolle Grenzen zurückzuführen und der hierauf bezüglichen Gesetzgebung die gewissenhafteste Grundlage gerechter Abwägung und exacter Forschung zu bieten.


Anmerkungen Wikisource
  1. Vorlage: Dagen


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