Textdaten
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Autor: Friedrich Pecht
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Titel: Peter von Cornelius
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aus: Die Gartenlaube, Heft 29–30, S. 484–487, 503–505
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1879
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[484]
Peter von Cornelius.
Von Fr. Pecht.

In diesen Tagen – spät genug! – ist endlich der nationalen Pflicht genügt worden, demjenigen Meister ein Denkmal zu setzen, welchen einheimische und fremde Kunstgeschichte als den gewaltigsten Genius auf dem Gebiete der neueren deutschen Malerei preist. Peter von Cornelius heißt er, und der Ort, welcher jüngst in glanzvoll festlicher Weise sein Gedächtniß feierte, ist Düsseldorf. (Vergl. „Blätter und Blüthen“ dieser Nummer.)

Wenn man die Bedeutung des Mannes, dessen tiefsinnig großartige Schöpfungen dem populären Verständniß mehr oder weniger fremd geblieben sind, zu kurzem Ausdruck bringen will, so drängt sich zuerst die Bemerkung auf: daran, daß es eine wahrhaft nationale Kunst bei uns giebt, hat Cornelius einen mindestens ebenso großen Antheil, wie jeder Einzelne des Dreigestirns Lessing-Goethe-Schiller an der Schaffung einer deutschen Nationalliteratur.

Hierzu kommt noch ein zweiter Punkt.

Jeder wahrhaft große Mann wirkt in zweierlei Weise auf die Nachwelt: zunächst durch das was er geschaffen, nicht minder aber auch durch das Bild seines Charakters, seines Ringens. Das aber, was Cornelius von so vielen Anderen unterscheidet,

[485]

Gartenfest des „Malkasten“ in Düsseldorf zur Cornelius-Feier am 24. Juni 1879.
Nach der Natur aufgenommen von Max Volkhart.

[486] ist eben, daß er nicht nur ein großer Künstler, sondern vor allem auch ein großer Mensch war, ja, daß seine Werke gerade dadurch erst eine Bedeutung bekommen, die ihnen vermöge ihres specifisch künstlerischen Gehaltes niemals zuerkannt werden könnte, wie bedeutend auch immer derselbe sei.

Eine kurze Darstellung seines Lebens und Wirkens möge nachstehend das eben Ausgesprochene darthun.

Peter von Cornelius ist in Düsseldorf als der Sohn eines kurfürstlichen Gallerie-Inspectors und Lehrers an der dortigen Akademie am 17. September 1783 geboren. Er genoß also, abgesehen von der Vererbung des Talentes, den Vortheil, unter classischen Kunstwerken aufzuwachsen, und durchwanderte denn auch in früh hervortretender Neigung zur Kunst als Kind schon beständig die Gallerie und die Antikensammlung. In der ersteren soll ihn besonders Rubens angezogen haben, er ward aber vom Vater, welcher der damals fast allein herrschenden Mengs’schen eklektischen Schule angehörte, vielmehr auf Raphael hingewiesen. Sei es nun, daß sein Talent damals noch nicht ganz zweifellos war, möglich auch, daß er durch hartköpfige Selbstständigkeit sich das Mißfallen des Directors von Langer zuzog – kurz, nach dem frühen Tode des Vaters rieth dieser der mittellosen Mutter, den Jungen lieber ein Handwerk lernen zu lassen. Dazu hatten nun weder sie noch der Sohn Lust, der vielmehr sich bald durch Zeichnungen für Buchhändler, durch Portrait- und Kirchenfahnenmalerei u. dergl. so viel verdiente, daß er der Mutter mit ihrer zahlreichen Familie zu Hülfe kommen konnte. Leider verhinderte ihn diese Brodarbeit an einem gründlichen Studium der Technik seiner Kunst, ein Mangel, der ihm sein ganzes Leben hindurch anhaftete. Gänzlich unbefriedigt von dem, was er um sich her sah, eine inhaltslose Kunst ohne Ideal auf’s Tiefste verachtend, unentschieden und suchend, bewegte er sich nun einige Jahre in verschiedenen Richtungen herum, malte bald antikisirend, bald naturalistisch und zeigte dabei eine große Gewandtheit, sich in verschiedene Stilformen zu finden.

Wie mühselig aber das Fortkommen in einer Zeit war, wo des Krieges kein Ende ward und die Fremdherrschaft auf’s Furchtbarste speciell die Rheinlande bedrückte, das zeigt auf das Klarste das Leben unseres Künstlers. Beständig mit Noth und Armuth ringend, wird er nur durch den Glauben an seinen Beruf und die Kraft seines unbeugsamen Charakters aufrecht erhalten. Das Aufbäumen des Nationalgefühls gegen die fremde Vergewaltigung aber ist es andrerseits gerade, was ihn zum Wiederverjünger der nationalen Kunst macht. Er hatte sich bei vielen Gelegenheiten emporzubringen gesucht, so namentlich sich an den von Goethe ausgeschrieben Concurrenzen, wenn auch fruchtlos, betheiligt, hatte sogar die Kuppel von St. Quirin in Neuß mit Bildern von Aposteln und Engeln verziert, als er durch die Bekanntschaft mit den Brüdern Boisserée in das romantische Fahrwasser gerieth und durch sie auf die altdeutsche Kunst hingewiesen ward, die sein Patriotismus um so trotziger auf den Schild hob, als ihre Principien den Künstler in ihm sofort gefangen nahmen. Hieraus, und zugleich aus seiner eigenartigen poetischen Begabung – seine Briefe aus dieser Zeit zeigen bei seltener Gewandtheit des Ausdrucks eine tief innerliche und schwärmerisch-idealistische Geistesart – entsteht denn bald seine neue Richtung, welche einen entschiedenen Gegensatz zu den bisher in Deutschland herrschenden künstlerischen Anschauungen bildete. Ihm, wie einst Dürer und Holbein, ist die Kunst vor allem eine Sprache, um seine Gedanken auszudrücken, seine Weltanschauung in ihr niederzulegen; das Vergnügen an der schönen Form an sich kömmt bei ihm erst in zweiter Linie.

Eine eben erschienene neue Ausgabe von Dürer’s Gebetbuch Kaiser Maximilian’s ist es, die nunmehr seiner Formgebung als Leitstern dient; den ersten Stoff zur Anwendung des neugewonnenen Formprincips bietet ihm der eben erschienene Faust. Das war freilich etwas Unerhörtes im damaligen Deutschland, das gewöhnt war, sich an alle möglichen fremden Formen mit charakterloser Bewunderung anzulehnen, und nur von einer nationalen nichts wissen mochte.

Zu dieser Wendung kam Cornelius in Frankfurt, wohin er 1809 gezogen war, voll Hoffnung, in der Residenz des kunstliebenden Primas die beste Unterstützung zu finden. In der That kaufte ihm dieser auch ein Bild, eine heilige Familie, ab und bot ihm ein Stipendium nach Rom an. Als er aber die Bedingung daran knüpfte, daß der junge Künstler sich an die Manier des der David’schen Schule angehörigen Hofmalers Kaufmann halte, wies derselbe es stolz zurück. So stark war schon der Haß gegen alles Fremde in ihm, daß selbst nach zehnjährigem Leiden ihm dergleichen doch als eine nicht zu ertragende Demüthigung erschien. Dafür fand er jetzt aufopfernde Freunde an Xeller und Barth, und einen Verleger für seine Faust-Compositionen an dem wohlhabenden Kunsthändler Wenner. Das Hochstrebende, Ideale in dem jungen Manne übte offenbar eine Anziehungskraft, die weit über den Werth seiner damaligen Leistungen hinausging. Es malt sich am besten in den Worten, die er bei Uebersendung der ersten Blätter des Faust an Goethe schrieb: „Albrecht Dürer’s Randzeichnungen habe ich von dem Tage an, wo ich mein Werk begann, in meiner Werkstätte. Damals, wo ich das Wesen dieser Kunstgattung zu ergründen strebte, schien es mir nöthig, in einer Zeit, wo man so gerne alle Höhen und Tiefen ausgleichen möchte, nicht im mindesten mit dieser schlechten Richtung unseres Zeitgeistes zu capituliren, sondern ihm streng und mit offener Stirn den Krieg zu erklären.“

Er zeigt hier bereits jenes starke ethische Element, jenes bewußte Wollen, welches seine Kunst fortan durchaus von der bis dahin herrschenden eklektischen oder dem leeren Pathos der auch in Deutschland überall eindringenden David’schen Richtung unterscheidet. Sein „Faust“ ist denn auch die completeste Kriegserklärung gegen beide, die man sich denken kann, überall setzt er das Dürer’sche Streben nach rücksichtsloser Charakteristik und Wahrheit an die Stelle der sentimentalen oder gespreizten Phrase. Dabei glaubt man auf manchen Blättern das Studenten- oder Turnerthum jener Tage sporenklirrend einherschreiten zu sehen, voll echter Kraft, aber auch ein wenig ungeschlacht und lärmend, ganz und gar nicht nach dem Geschmack des alternden Geheimraths Goethe, der hier offenbar dieselben widerwärtigen Eindrücke empfing, wie sie ihm dreißig Jahre früher Schiller’s „Räuber“ bereitet. Er verhielt sich daher auch sehr kühl dagegen.

Cornelius aber machte sich noch vor dem Erscheinen der ersten Blätter mit Unterstützung Wenner’s 1811 nach Rom auf den Weg, zu Fuße, mit allen Leiden und Mühen der Armuth ringend. Land und Volk in Italien, das ihm doch bald zur zweiten Heimath werden sollte, gefallen ihm denn auch anfangs ganz und gar nicht, noch ein halbes Jahr später schreibt er aus Rom, daß ihm das Wesen der deutschen Kunst erst hier recht in seiner Glorie erschienen, und wie er es mit Schmerz und mit Freude fühle, daß er ein Deutscher bis in’s innerste Lebensmark sei. Das spiegeln nun die rasch nach einander fertig werdenden weiteren Blätter des „Faust“ wider; sie sind in manchem Sinne noch deutscher als die ersten. Allerdings sind sie doch zugleich mächtig gehoben und veredelt durch den Einfluß der classischen Kunst. Dasselbe gilt auch von den „Nibelungen“, zu denen er kurz nach dem „Faust“ gegriffen, als zu den beiden großartigsten und nationalsten Stoffen, die wir überhaupt besitzen. Wo wäre dergleichen seinen Vorgängern, auch einem Carstens oder Wächter, eingefallen? Mußte doch selbst der schon vor ihm nach Rom gekommene Rauch erst durch den Krieg von 1813 und die Begeisterung für dessen Helden in die nationale Bahn förmlich gedrängt werden, durch deren Einschlagen er zum Regenerator der deutschen Bildhauerkunst ward!

Gerade jetzt aber schien Cornelius einen ganz anderen Weg einschlagen zu wollen. Er hatte in Rom Overbeck getroffen, der, ihm in vieler Beziehung richtungsverwandt, als fertiger und abgeschlossener Charakter großen Einfluß auf ihn ausübte, sodaß er sich sogar eine Zeitlang zu der von Overbeck gegründeten Künstlergenossenschaft der „Klosterbrüder von St. Isidoro“, den sogenannten Nazarenern, hielt. Lange dauerte es freilich nicht, denn mittlerweile brach das Jahr 1813 herein, und Cornelius wollte voll Begeisterung zurück, um in die Armee einzutreten; nur schwer war er angesichts der Unmöglichkeit, durchzudringen, davon abzuhalten. Wie richtig er unsere nationale Aufgabe damals schon beurtheilte, sieht man am besten aus seinen an Wenner geschriebenen Worten: „Wenn die Freiheit, die jetzt gewiß und wahrhaft errungen werden wird, würdig soll genossen und den künftigen Zeiten gesichert werden, so muß der Genius der Nation durchdringen in allen Dingen bis zum untersten Glied. Denn nicht große Armeen sind der Schutz eines Volkes, sondern sein Glaube, seine Gesinnung! Daß beinahe Alles in unserem Vaterlande [487] anders werden muß, wenn es der Zeit und dem Sinne des Volkes gemäß sein soll, begreift und fühlt ein Jeder. Nicht Jeder kann die Quelle des Uebels aufspüren, in meiner Kunst kann ich’s, ich sehe deutlich, wo es hier fehlt.“

Das hat er denn auch bewiesen durch eine lange Reihe unsterblicher Werke, die fortan entstanden, um durch die Größe und Erhabenheit der Gesinnung, die aus ihnen spricht, wie ihre bis zur Härte gehende Ehrlichkeit und Verachtung alles leeren Scheins überaus wohlthätig auf die deutsche Malerei zu wirken. Freilich konnte er nicht ahnen, daß der Kampf, den er gegen das Ueberwuchern des Antinationalen in unserer Kunst wie in unserem Leben begann, noch heute auf allen Gebieten mit gleicher Schärfe fortdauern werde, ja daß unser Theater, unsere Literatur, unsere Industrie, unsere Sitten, unsere religiösen und politischen Institutionen noch heute die Fremdherrschaft nicht völlig abgestreift haben, daß Rom, Paris und Jerusalem sich sogar in dieselbe theilen würden.

Er selber wandte sich jetzt zunächst Shakespeare und Dante zu, verwandten Geistern, zu deren Dichtungen er einige Compositionen von großer Schönheit zeichnete. Im Umgang mit ihnen wuchs mächtig seine Ehrfurcht vor der Kunst und ihrer Mission im Volksleben; er verlangte jetzt für sie, in einem merkwürdigen Briefe an Görres, Befreiung von ihrer entwürdigenden Stellung als hungrige Schmeichlerin von Privatpersonen; die Erzieherin und Bildnerin zu allem Edeln und Hohen im öffentlichen Dienste solle sie werden, also ihre uralte religiöse Mission erfüllen können, was sie nur durch monumentale Leistungen vermöge. Daß die monumentale die eigentliche Kunst des Volkes sei oder sein solle, begriff er ebenso, wie der Instinct des Genies ihn daneben, ganz so wie drei Jahrhunderte früher Dürer und Holbein, zur Illustration als der zweiten Form volksthümlicher Kunst geführt hatte. Durch sie sollte sich später seine Schule, Schwind, Schnorr, Ludwig Richter und Kaulbach voran, so unvergängliche Verdienste um das deutsche Volk erwerben.

Inzwischen hatte sich der junge Meister 1814 mit einer schönen Römerin vermählt, eine Verbindung, die, wie glücklich sie ihn auch später gemacht hat, zunächst doch nur seine Sorgen um das tägliche Brod vermehren mußte, sodaß er aus der Noth gar nicht herauskommen zu sollen schien. Dafür hatte sich um ihn schon eine große Schaar begeisterter Freunde gesammelt: nach den beendeten Befreiungskämpfen waren Veit und Schadow, die sie mitgemacht, aus Berlin, Eberhard aus München, Führich aus Wien, Julius Schnorr, Olivier und Vogel aus Sachsen, Fohr aus Heidelberg gekommen und hatten in ihm ihren geistigen Mittelpunkt gefunden.

Selbst die lang ersehnten monumentalen Aufgaben und damit Befreiung wenigstens aus der allerdrückendsten Noth nahten jetzt allmählich. Zunächst durch den preußischen Consul Bartholdy, der den jungen Künstlern den Vorschlag machte, ihm die Gemächer seines neu erworbenen Palastes Zuccaro mit Fresken zu verzieren. Freilich nur gegen Ersatz der Auslagen. Sie wählten mit Rücksicht auf des Bestellers Confession die Geschichte von Joseph in Aegypten, und Cornelius, der das Ganze leitete, übernahm für sein Theil die Auslegung des Traumes und das Wiedersehen mit den Brüdern, die er in lebensgroßen Figuren ausführte. Beide sind überaus achtbar gelungen. Sie bezeichnen aber auch einen neuen Abschnitt in seiner Entwickelung, den Uebergang von der romantischen zur classischen Kunst, eine neue Renaissance, die, ohne das nationale Streben nach scharfer Charakteristik aufzugeben, sich doch an die Formen der großen Meister des 16. Jahrhunderts anschließt.

Dabei ist er geblieben; von jetzt an giebt es kein Schwanken mehr bei ihm. Da auch Overbeck’s und Veit’s Arbeiten sehr schön ausfielen, so machte diese Production der jungen Deutschen in Rom großes Aufsehen und veranlaßte den Marchese Massimi, sich ebenfalls ein paar Säle seiner Villa mit Bildern aus „ Dante“, Tasso“ und „Ariost“ durch sie ausmalen zu lassen. Cornelius übernahm den „Dante“ und hatte auch bereits einige Compositionen gezeichnet, als der Kronprinz Ludwig von Baiern im Januar 1818, glühend von Kunstliebe, nach Rom kam. Er sah Cornelius’ Arbeiten bei Bartholdy, und sie gefielen ihm so, daß er ihm die Ausmalung zweier Säle seiner neu erbauten Glyptothek übertrug. Das war nun freilich der größte Glücksfall, der dem jungen Meister begegnen konnte nach mehr als zwanzigjähriger bitterer Noth; weniger groß um deswillen, weil er eben diese Noth endete, welch seine Energie keinen Augenblick gebrochen hatte, als weil er ihn der Gefahr entriß, dem Vaterlande immer fremder zu werden. Losgetrennt von demselben und seiner geistigen Arbeit, war die Stellung dieser jungen Deutschen nachgerade eine durchaus ungesunde geworden, wie denn gerade dieser Trennung das Ueberhandnehmen des Nazarenerthums, des Anheimfallens an die katholische Romantik in dem Overbeck’schen Kreise mit ihrer schemenhaften Heiligenmystik, hauptsächlich zuzuschreiben ist. Rom kann für deutsche Künstler nie etwas Anderes sein, als eine Schule, die man ein paar Jahre besucht, um sich den Geschmack auszubilden, den Sinn zu erweitern; bleibt man länger, so führt es die Heimathslosigkeit herbei. Die Künstler gewöhnen sich dann, die Kunst als Selbstzweck anzusehen, nicht als einen Factor im bürgerlichen Leben neben anderen, der diesem Leben zu dienen, es zu veredeln und zu zieren, seine Ideale zu gestalten, aber eben darum sie auch zu verstehen und zu theilen hat. Der Künstler, welcher sich auf einen solchen Isolirschemel gesetzt und sich außerhalb der Gemeinschaft der Bürger gestellt hat, sinkt sehr bald zum Virtuosen herab, verfällt dem gröbsten Egoismus und der Selbstvergötterung, oder verkauft wohl auch gar, wie es die Nazarener gethan, das Vaterland an den Ultramontanismus. Das sah auch Niebuhr sehr wohl ein, dessen Umgang seit zwei Jahren auf Cornelius außerordentlich bildend eingewirkt, seinen Horizont mächtig erweitert hatte. Wie er ihn längst dem preußischen Staat zu gewinnen gedacht, so war er es, der ihn jetzt dem Kronprinzen von Baiern empfohlen.

Ohne Zweifel war die Beschäftigung mit der griechischen Göttermythe, wie sie durch die Verzierung eines Gebäudes bedingt ward, welches die Perlen antiker Kunst enthalten sollte, ein großes Glück für Cornelius und hat ihn vor dem Mysticismus aller anderen Romantiker gerettet. Von den beiden Sälen ward der eine der Götter-, der andere der Heldensage, also der Theogonie des Hesiod und der Ilias zugetheilt. War Cornelius schon immer einer tiefsinnigen Betrachtung menschlicher Geschicke wie jener Personification der Naturkräfte, aus welcher die griechische Göttermythe hervorgegangen, zugeneigt gewesen, so gab ihm dieser Vorwurf Gelegenheit, jetzt an ihm die ganze Fülle seines Geistes wie seiner mächtigen Gestaltungskraft zu erproben. Seine Auffassung dieser Mythen unterscheidet sich gründlich von jener der Renaissance, welche dieselben mehr als eine heiter spielende Fabelwelt behandelt; sie ist durchaus modern philosophisch. Die schönsten der Cornelius’schen Compositionen, zumal die Unterwelt, entstanden noch in Rom unter dem Einfluß Raphael’s und Giulio Romano’s, deren Stilprincipien der Meister mit einer weit eingehenderen und tieferen Charakteristik der einzelnen Persönlichkeiten verband, als sie die „Cinquecentisten“, die großen italienischen Meister der Jahre 1500 bis 1600, gewöhnlich haben. Man kann denn auch die Compositionen des Göttersaals zum Größten und Besten rechnen, was die moderne Kunst überhaupt hervorgebracht, ja es möchte keine Nation ihnen Aehnliches von sinn- und geistvoller Erfindung an die Seite zu setzen haben. Der Aufbau der Gruppen, die Bethätigung eines außerordentlich feinen rhythmischen Sinnes, ist überaus großartig und einfach; nichts ist umsonst und nichts zu viel da. Cornelius’ Kunst ist eben kein Ausfluß naiver Schilderlust, sondern lediglich eine Sprache, um seine Ideen auszudrücken. Sie erzeugt daher bei allem Reichthum nicht sowohl das Gefühl des Behagens, als durch ihre ernste Hoheit das der Bewunderung und eine Anspannung der Seelenkräfte. Durchaus männlich-herber Art, verschmäht sie das sinnlich Reizende, wenn es nicht im harmonischen Wohllaut der Linien liegt. Zeigt sich hier in der Composition, der Auffassung und Behandlung des ganzen Stoffes wie der Charakteristik der einzelnen Gestalten Cornelius den größten Meistern aller Zeiten ebenbürtig, so kann man nicht dasselbe in Betreff der Ausführung, der Zeichnung und Modellirung sowohl wie ganz besonders der Malerei, sagen. Doch das führt uns nach München und auf die Verhältnisse, unter denen er seine Compositionen dort an die Wand malen mußte.

[503] Cornelius war im Januar 1819 nach München gekommen, längst erwartet vom Kronprinzen. Leider brachte dieser einen guten Theil seiner unsterblichen Verdienste um die deutsche Kunst dadurch um ihre beste Wirkung, daß es ihm durchaus an der Geduld fehlte, große Werke so langsam ausreifen zu lassen, wie es absolut nothwendig ist, wenn etwas von dauerndem Werth entstehen soll. Gleich den meisten Fürsten, wollte auch er womöglich morgen schon fertig sehen, was er heute bestellt hatte. Das war unter allen Umständen ein sehr schweres Uebel, ein doppelt schweres deshalb, weil die langen Kriege von 1789 bis 1815 in Deutschland fast alle technische Tradition aufgehoben hatten, die man doch in Paris zu keiner Zeit hatte aussterben lassen. Während Napoleon der Kunst die mächtigsten monumentalen Aufträge und daher einen unerhörten Aufschwung gab, dachte man in Deutschland nicht an dergleichen, ja, während die Bourbons bei ihrer Wiedererlangung des französischen Thrones sofort zwanzig Millionen Franken aussetzten für Fortsetzung begonnener und Anfang neuer Arbeiten, um „die Kunstfertigkeit der Nation, die Quelle ihres Wohlstandes“ nicht versiechen zu lassen, bewilligten die Sieger in Berlin sechshundert Thaler für Ankäufe von Gypsabgüssen, und es brauchte noch Jahre, bis man sich, obwohl im Besitze eines Schinkel und Rauch, auch nur zum Bau – einer Hauptwache entschloß. Akademien hatte man freilich überall; daß Schulen aber absolut nichts helfen können, wenn man nicht sorgt, daß die Künstler nachher zu thun haben, das hat man in Deutschland noch heute nicht begriffen.

Unter den beiden erwähnten Uebelständen litt die Ausführung der Compositionen des jungen Meisters auf eine verhängnißvolle Weise. Das Schlimmste war, daß die in München noch vorhandenen technisch geschulten Kräfte aus der Mengs’schen Schule sich ihm, dem Eindringling, feindlich gegenüberstellten. Er selbst hatte zwar eine Fülle von Compositionen gezeichnet, aber, Autodidakt wie er war, durch die zwei Bilder in der Casa Bartholdy kaum einen Begriff vom Malen erlangt, konnte also, da er keine Technik, kein System besaß, doch nicht seinen Schülern lehren, was er selber nicht gelernt hatte. So blieb ihm denn zur ersten Hülfe Niemand, als zwei mittelmäßige Künstler der Langer’schen Schule, Schlotthauer und Clemens Zimmermann, denen er seine eigenen Schüler Neureuther, Stürmer, Stilke und Andere nach und nach beigesellte, nicht immer zum Vortheil der vorschreitenden Arbeit. Da es außerdem gar keine Kunstkenner gab, und sein eigenes Selbstgefühl durch die nach jahrzehntelanger Noth und plötzlich von allen Seiten über ihn hereinstürmende Glückesfülle sehr gesteigert worden war, so fehlte es auch durchaus an der so nöthigen Kritik.

Hierzu kam noch, daß ihn kurz nach seiner Ankunft in München die Ernennung zum Director der Akademie in Düsseldorf traf, die Niebuhr bei der preußischen Regierung endlich durchgesetzt hatte. Da reiste er denn schnell erst nach Berlin, um dann in München eiligst anzufangen; schon 1821 im October trat er in Düsseldorf sein Amt an. In der rheinischen Malerstadt strömten ihm von allen Seiten Schüler zu, unter denen Kaulbach, Förster, Eberle, Hermann, Gözenberger sich bald bemerklich machten; dort wurden nun im Winter die Cartons gezeichnet, die im Sommer in München ausgeführt werden sollten, da aber der Göttersaal allein einige zwanzig figurenreiche Compositionen enthält, so war von einem gründlichen Studium auch nur der Zeichnung bald keine Rede mehr, angesichts des ewig drängenden Königs.

Im Sommer 1823 wurde der Göttersaal fertig, und Cornelius fing die Cartons für den trojanischen Saal an. Die schönste Composition desselben ist „Der Brand von Troja“, die furchtbare Schlußscene, wo der Meister ein so großartig dramatisches Leben zeigt, daß er in der Kraft der Charakteristik der Haupthelden durch Handeln und Thun schon dicht an Shakespeare hinstreift, obwohl die Schwäche der Ausführung hier noch sehr gesteigert wiederkehrt, da Cornelius dieselbe nicht einmal persönlich überwachen konnte, sondern in Düsseldorf bleiben mußte. Die Erfindung der umringt von ihren Töchtern verzweiflungsvoll dasitzenden Hekuba, über der sich Kassandra erhebt, um den durch Rauch und Flammen eindringenden Bedrängern die fürchterliche Rache zu verkünden, die das Schicksal an ihnen nehmen werde, ist eben so genial, wie die Auffassung dieser Bedränger selber. Die meisten anderen Scenen bleiben weit hinter denen des Göttersaals zurück.

Unter diesen Arbeiten erhielt Cornelius nach Langer’s Tode die Berufung zum Director der Münchener Akademie, die er um so weniger Bedenken trug anzunehmen, als es sich längst gezeigt hatte, daß in Preußen vom Staat absolut nichts für monumentale Kunst, wenigstens für ihn, zu hoffen war, obwohl die Verzierung des eben angefangenen Museums mit Fresken doch ganz wie für ihn gemacht schien. Jene unaufhörliche Reibung mit der preußischen Bureaukratie, die so charakteristisch für die preußischen Akademieverhältnisse bis heute geblieben ist, hemmte jede schöpferische Thätigkeit, und nur dem bei der königlichen Familie so überaus beliebten Rauch gelang es, ab und zu sie zu überwinden. Kunst galt als etwas ganz Ueberflüssiges unter Friedrich Wilhelm dem Dritten. Wie man die Reihe der Monumentalbauten mit einer Hauptwache begonnen, so wurde auch als einziges historisches Bild die berühmte „Wachtparade“ von Krüger beliebt, selbst Menzel aber gar keiner Aufmerksamkeit gewürdigt, geschweige denn Cornelius.

Schon während der Arbeit in der Glyptothek war diesem die Ausschmückung des Corridors der neuen Pinakothek mit [504] Fresken vom König übertragen worden, und er hatte die Compositionen dazu in den Abendstunden von 1826 an gezeichnet. Sie stellen eine Geschichte der Malerei und ihrer Hauptmeister von Cimabue bis Claude und Poussin, Rubens und Murillo dar und entwickeln eine Fülle der schönsten Motive. Leider ward in Folge eines bereits beginnenden Intriguenspiels gegen den großartig arglosen Meister die Ausführung dieser Entwürfe vom König ganz gegen Cornelius’ Intention an Cl. Zimmermann übertragen, der sie denn auch so geist- und leblos besorgte, daß man kaum irgend ein Vergnügen an ihrer Betrachtung finden kann. Während man hier auf’s Aeußerste knauserte – hatte doch Cornelius selber für die Compositionen zur Glyptothek nur ein Honorar von 10,000 Gulden erhalten – wußte es der Architekt des Baues, Klenze, durchzusetzen, daß man für höchst überflüssige Seidentapeten der Pinakotheksäle 80,000 Gulden verwendete, statt die Plafonds seinen Schülern zu übertragen, wie er es gewünscht hatte. Die Tapeten hängen heute schon in Fetzen herunter.

Cornelius selber aber sah sich noch vor der Vollendung der ersten vom König für eine andere große Aufgabe in Anspruch genommen, für die Verzierung der Ludwigskirche mit Fresken. Das war ein Auftrag, der ihn mit Entzücken erfüllte, trotz der Beschränkung, die seine Pläne bald erfuhren. Um seine classischen Erinnerungen aufzufrischen, ging er 1830 wieder nach Rom, mit der Absicht, die Cartons dort auszuführen, nachdem er die Entwürfe schon früher großentheils gezeichnet und damit ein Beispiel seiner fast unerschöpflichen Productivität gegeben hatte. Auch in diesen Arbeiten überrascht Cornelius wieder, obschon im Ganzen in den Formen des großen historische Stils der Malerei verbleibend, wie er durch die Cinquecentisten, Leonardo, Michel Angelo und Raphael festgestellt worden, durch die Einfachheit, Großartigkeit und Klarheit seiner Erfindung, in der er kaum hinter jenen zurückbleibt, durch den Reichthum der Phantasie, den er überall bekundet. Ja, gerade das Erhabene ist seine wahre Sphäre; auch darin gleicht er auffallend dem ihm in so vielen Dingen verwandten männlichen Geiste Schiller’s, daß alles Gemeine, Gewöhnliche tief unter ihm bleibt. Daß er trotzdem des anmuthigsten Spieles fähig war, beweisen seine herrlich erfundenen Arabeskeneinfassungen in der Glyptothek. Von Interesse ist es, zu beobachten, wie der Meister, bei aller sichtbaren Schulung durch die Italiener, auch in dieser religiösen Malerei sich deutsch national offenbart, sowohl durch den tiefen Ernst, die warme Ueberzeugung, die den Grundton seines Wesens bilden, als das schlichte, allem Theatralischen abgeneigte Wesen. Hatte er schon die homerischen Helden in’s Deutsche übersetzt, aus Achill eine Art Siegfried gemacht, so muthen uns auch seine Heiligen überall deutsch an. Am meisten aber bleibt er es in der Neigung zum Philosophiren, in der sittlichen Kraft seines Idealismus. Ihm sind Natur und Geschichte nicht etwas, was er gleichgültig hinnähme, nein, er will überall die Geschichte benutzen, um uns die Nothwendigkeit unserer Veredelung einleuchtend zu machen. Darum aber studirt er beide in seiner Weise. Sind die Bibel, Dante und Homer seine steten Begleiter, so beobachtet er auch das gewöhnliche Leben unaufhörlich in seinen Aeußerungen auf den einsamen Spaziergängen, die er beständig macht. Ihnen verdankt er, daß er in hohem Grade Meister eines natürlichen Ausdrucks ist und dabei doch niemals der Würde und des Maßes vergißt.

War er mit diesen Eigenschaften zur religiösen Malerei wie geboren, die denn auch fortan die ganze zweite Hälfte seines Lebens ausfüllt, so kamen noch persönliche Erlebnisse hinzu, welche diese Richtung in hohem Maße begünstigten. Er mußte die Erfahrung machen, wie wandelbar die Fürstengunst ist und wie selten Könige im Stande sind, unabhängige und stolze Charaktere lange neben sich zu dulden. War er schon neben dem schlauen Hofmann Klenze immer zu kurz gekommen, so bereiteten Andere ihm bald noch viel schlimmere Erfahrungen. Dazu kam nach einander der Tod erst einer Tochter, dann seiner Schwester, endlich der geliebten Gattin, sodaß er auf einmal fast allein dastand. Das war nun ganz geeignet, ihm den Sinn auf die letzten und höchsten Probleme des Daseins zu richten.

Er hatte für die Ludwigskirche die Erschaffung der Welt, ihre Erlösung durch das Christenthum und endlich das letzte Gericht gewählt. Bei Darstellung der ersteren ist die Anlehnung an Michel Angelo, wie bei der Kreuzigung die an Raphael unverkennbar; am originellsten und großartigsten ist die Anbetung der heiligen drei Könige, die Cornelius ganz symbolisch ohne jede Spur von unmittelbarer Natur, aber mit außerordentlicher Hoheit und Größe auffaßt. Das Christkind ist ihm lediglich die Personification einer Idee, vor deren Macht die Weisen und Gewaltigen wie die armen Hirten sich gleich tief beugen.

Weitaus am bedeutendsten ist indeß das jüngste Gericht, das er nach der Vollendung jener Bilder, die er von Anderen hatte ausführen lassen, begann und ganz allein durchführte. Er hatte den Carton in Rom gezeichnet, eben nachdem er jene Verluste erlitten, und trug in München bei der Ausstellung desselben 1835 einen unerhörten Erfolg davon. Das mußte ihn für vieles Andere, besonders die wachsende Opposition gegen seine gesammte Kunstrichtung, trösten, und so ging er denn schon 1836 an die Arbeit der Ausführung des ungeheuren Bildes in Fresco, und vollendete dieselbe eigenhändig bis 1839. Auch hier ist der ganze Vorgang wiederum symbolisch, ein innerliches Erlebniß als äußerer Vorgang gefaßt. Wenngleich Cornelius als gläubiger Katholik malt, so kann man ihn doch kaum orthodox und am allerwenigsten bigott und beschränkt nennen, wiewohl er weit entfernt ist so viel Heidenthum in seine Darstellung zu mischen, wie Michel Angelo oder gar Rubens.

Auch bei ihm thront oben Christus als Weltrichter, umgeben vom Chor der Heiligen und Propheten; unter ihm steigen rechts die Seligen in feierlichem Zuge auf; links ringen die Verdammten ohnmächtig gegen die Teufel, die sie in die Hölle ziehen; vorn empfängt sie Satan, Judas und Segest als Verräther an Gott und Vaterland unter den Füßen, vor sich die Vertreter der sieben Todsünden, darunter mehrere feiste Pfaffen und ein eidbrüchiger König sich demüthig vor ihm windend. Durchdacht ist hier Alles mit einer Schärfe, die man weder bei Rubens noch selbst bei Michel Angelo findet.

Dieses Bild ist die bedeutendste Schöpfung der Münchener Schule bis heute geblieben, um so mehr, als es auch in der Ausführung weit geistvoller und meisterhafter gerieth als Alles, was Cornelius sonst in München ausgeführt hat oder vielmehr durch Andere ausführen ließ. Mit der Vollendung dieses Bildes war denn auch seine Mission dort zu Ende; blieb ihm doch jede Anerkennung für diese letzte und höchste Leistung versagt! Beide, König und Malerfürst, schieden leichten Herzens von einander, als den Letzteren im Jahre 1840 der König Friedrich Wilhelm der Vierte nach Berlin als Director an die dortige Akademie berief.

Allerdings muß man gestehen, daß die Cornelianische Schule in München eine Unmöglichkeit, ein Anachronismus geworden war, da sie sich gänzlich unfähig erwiesen hatte, die ihr anhaftenden schweren Mängel zu verbessern. Sie mußte daher von einer realistischen Richtung abgelöst werden, und ein Kaulbach und Schwind konnten das so wenig hindern, wie der Meister selbst.

Kurz ehe er München verließ, hatte Cornelius Paris besucht und war dort überaus ehrenvoll empfangen worden; König Ludwig Philipp hatte ihm selbst sein neues Versailler Museum gezeigt und ihn zur Tafel gezogen, eine Ehre, die ihm seitens des Münchener Hofes niemals widerfahren sein soll. In Berlin nahm ihn der König Friedrich Wilhelm nicht minder mit offenen Armen auf, und auch die geselligen Verhältnisse mit Humboldt, den Grimm’s, Steffens, Rauch und Anderen knüpften sich leicht und rasch. Kaum hatte er sich etwas eingewöhnt, so traf ihn der Antrag, über den Schmuck des neuen Parlamentshauses in London ein Gutachten abzugeben. Seine Reise dorthin über Brüssel glich einem Triumphzuge; er ward mit Ovationen überschüttet. Nach seiner Rückkehr war seine erste Arbeit die Zeichnung zu dem berühmten Glaubensschilde, den König Friedrich Wilhelm als Taufpathe dem Prinzen von Wales zum Pathengeschenk machte. Erntete seine Bewältigung der Aufgabe hier mit Recht die allgemeinste Bewunderung, so ward sie um so weniger einem für den Grafen Raczynski in Oel gemalten Christus in der Vorhölle zu Theil, einer allerdings schwer verständlichen Composition, die durch die Ausführung in einer dem Meister ganz fremden Technik nicht an Reiz gewann.

Hatte man ihn in Berlin wie einen Propheten empfangen, so sollte er jetzt die Kehrseite kennen lernen, da die Presse ihn mit unsäglich grober Rücksichtslosigkeit behandelte. Das verleidete ihm Berlin, und er ging 1843 auf einige Zeit nach [505] Rom, um dort die Entwürfe zu den Bildern der vom Könige geplanten großen Friedhofshalle zu fertigen, welche die Gräber des Hohenzollerngeschlechts aufnehmen sollte. Als er nach etwa zwei Jahren zurückkehrte, brachte er dieselben vollendet mit, bei der kolossalen Ausdehnung der Arbeit ein Beweis der außerordentlichsten Schaffenskraft in so vorgerücktem Alter – um so mehr, als sie in Bezug auf Conception unzweifelhaft das Bedeutendste sind, was nicht nur er, sondern was die ganze neuere Zeit nach dieser Seite hin hervorgebracht hat. Bestimmt, die Grundlehren des Christentums den Menschen vor Augen zu führen, wurde dieser Vorwurf von Cornelius mit einer Hoheit des Gedankens, mit einer erhabenen Anschauung menschlicher Geschicke ausgeführt, die ihres Gleichen eigentlich nirgends mehr findet. Diese Entwürfe sind so allgemein verständlich, gehen so entschieden auf die ersten Bedingungen und Bedürfnisse der menschlichen Natur zurück, daß auch der größte Materialist von der Mehrzahl derselben ganz ebenso ergriffen werden kann und muß, wie der gläubigste Christ.

Erbarmen, Liebe, Duldung, Abscheu vor dem Gemeinen, Pflichterfüllung und Demuth sind niemals eindringlicher und mit hinreißenderer Beredsamkeit gepredigt, die letzten und höchsten Fragen des Daseins sind nie in erhabenerer, ehrfurchtgebietenderer Form zu lösen versucht worden, als hier in diesen wunderbaren Compositionen. Jede Spur von Confessionalismus ist ausgetilgt und aus dem alten wie neuen Testament nur dasjenige ausgewählt, was entweder unmittelbar verständlich, oder doch als Allegorie bei nur einiger Aufmerksamkeit nicht mißzudeuten ist. Es gehört zu den mancherlei Unbegreiflichkeiten unserer Zeit, daß man aus dem Ganzen dieses herrlichen Cyclus nicht längst ein Andachtsbuch, eine Art Nationalschatz gemacht hat, der Allen erreichbar, in Jedermanns Händen sein müßte, wie es einst die Holzschnitte Dürer’s oder Holbein’s Todtentanz waren, denen sie an ethischem Gehalte doch so weit überlegen sind. Jene reinigende und erhebende Wirkung, die das Ziel aller echten Kunst ist, sind diese wunderbaren Schöpfungen jedenfalls besser auszuüben befähigt, als, nächst denen Raphael’s, irgend welche andere ähnliche Kunstwerke. Es ist daher tief beschämend, daß unsere Zeit, in der man doch so viel von der Nothwendigkeit der Zurückführung der Nation zu Glauben und Sitte spricht, nichts weiter mit den Cartons anzufangen gewußt hat, als sie in ein Museum als „Sehenswürdigkeit“ zu verpflanzen, statt den Bau, den zu schmücken sie bestimmt waren, endlich zu errichten.

Zu den berühmtesten unter diesen Compositionen zählen die Apokalyptischen Reiter, Pest, Kriege und Theuerung, die als Genossen des Todes die sündige Menschheit niederwerfen. Hier übertrifft er Dürer’s furchtbaren Realismus noch durch die Gewalt und Größe seiner Auffassung und den wilden Humor in der Schilderung der Vernichtung. Ferner zählt dazu ganz besonders das himmlische Jerusalem, jene herrliche Figur der Seligkeit, die herniedersteigt, um die Guten und Herzensreinen zu belohnen. Diese Versinnlichung eines solchen ganz innerlichen Vorganges läßt an Deutlichkeit und Ueberzeugungskraft ihrer wunderbar edel erfundenen Figuren nichts zu wünschen übrig. Nicht minder Petrus und der Kämmerer, die Ausgießung des heiligen Geistes und einige entzückende Idyllen unter den Werken der Barmherzigkeit in den Predellen, den Sockelbildern, zu den zwölf Hauptscenen. Diese selber werden wieder durch die Gestalten der acht Seligkeiten geschieden, von denen mehrere eines Michel Angelo vollkommen würdig erscheinen.

Cornelius selber, der von 1848 an fast mehr in Rom als in Berlin gelebt und dort nach dem Tode seiner zweiten Frau sich mit dreiundsiebenzig Jahren sogar noch zum dritten Male verheirathet hatte, kehrte endlich 1861 heim, um Berlin fortan nicht mehr zu verlassen. Aber er zog sich jetzt von einer Gesellschaft, die ihn nicht verstand und nicht zu würdigen wußte, allmählich immer mehr zurück und lebte blos der Ausführung seiner Entwürfe. Das Bild des Greises, wie er unermüdlich, mit sinkender Kraft, aber ungebrochenem Vertrauen auf die unvergängliche Dauer seiner Werke fortarbeitet, unbekümmert um die drängende und treibende Welt rund um ihn herum, nur dem Ewigen zugewendet, hat etwas großartig Ergreifendes. Endlich, am 6. März 1867, entsank der Stift der müden Hand, und er schlief sanft und schmerzlos ein, es ruhig seinen Werken überlassend, ein dauerndes Zeugniß der Größe seiner Kraft, seines Strebens und Charakters abzulegen. – Und sicher muß man sagen, daß, wie Vieles ihnen auch fehlen mag, um absolut classisch zu sein, sie bis jetzt doch ihres Gleichen an Hoheit der Gesinnung und schlichter Größe weder bei uns, noch bei anderen modernen Völkern gefunden haben.