Pariser Bilder und Geschichten/Salon der Gräfin d’Agoult

Textdaten
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Autor: Sigmund Kolisch
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Titel: Pariser Bilder und Geschichten: Salon der Gräfin d’Agoult
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 20, S. 309–311
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1865
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Pariser Bilder und Geschichten.

Von Sigmund Kolisch.
Salon der Gräfin d’Agoult.[1]

Es sind nun fünfzehn Jahre her, daß ich Weimar, die letzte deutsche Zufluchtsstätte für den „Versprengten“, verließ, um in dem fremden Frankreich Sicherheit und Unterkunft zu suchen. O Erinnerung voll Trauer!

Nachdem ich in Leipzig von der Polizei verhaftet, dann mit einem Zwangspaß aus der Stadt gewiesen worden war, hatte ich mich nach Weimar begeben, weil meine Beziehungen zu Herrn Franz Lißt mir einen angenehmen Umgang und eine moralische Erleichterung meiner Existenz mitten unter unbekannten Leuten in Aussicht stellten. Dreiviertel Jahre verlebte ich in der kleinen Residenz mit zwölftausend Einwohnern, und wenn mir auch daselbst nicht viel des Erfreulichen widerfuhr, so hatte ich jedenfalls die lohnende Gelegenheit, die ausgesuchte Zartheit, die vollendete Bildung, mit einem Worte, die trefflichen Privateigenschaften des berühmten Musikers kennen zu lernen, dessen Wesen um so mehr anzieht und gewinnt, je unbefangener, je schmuckloser und ungefälschter es sich giebt.

Franz Lißt ist der Einzige von meinen früheren Verbindungen, welcher sich des Flüchtigen annahm, der sich ihm gefällig und hülfreich erwies. Wäre tief gefühlter Dank Lohn, der würdige [310] Mann wäre reichlich belohnt. Die lange Zeit hat wahrlich nicht um einen Grad die Wärme meiner Erkenntlichkeit herabgedrückt. Außer einigen schriftlichen Empfehlungen an hervorragende politische Persönlichkeiten, gab mir Lißt eine mündliche an die Gräfin d’Agoult mit nach Paris, welche in der literarischen Welt unter dem Namen Daniel Stern bekannt ist.

Die mündliche Bestellung, welche Lißt mir auftrug, lautete: „Sagen Sie der Gräfin, daß ich Sie ihr nicht empfehle, damit Sie um so besser bei ihr empfohlen seien.“ Verhältnisse aller Art hatten die früher eng Verbundenen auseinander gebracht, zerworfen. Ich verfuhr der Weisung gemäß und wurde von der Schriftstellerin mit französischer Liebenswürdigkeit aufgenommen. Die Gräfin d’Agoult gehört in die Reihe derjenigen Adeligen in Frankreich, welche die überkommenen Pergamente beim Lichte der neu aufgegangenen Sonne betrachteten und sie bedeutend wurmstichig befanden, die eben so offen als rasch und entschieden von dem mittelalterlichen Mysticismus zur modernen Prüfung und Klarheit übergingen. Sie hielt stets zu Lamennais und Lamartine, war denselben aber auf dem Wege zur demokratischen Ueberzeugung, eine Zeit lang wenigstens, zuvorgekommen. Sie übertrifft offenbar Beide an zersetzender Schärfe und Energie des Verstandes. Weder der Eine noch der Andere hat jemals mittelalterliche Anwandlungen los werden können, ihre umflorten Blicke haben nie aufgehört, Gespenster zu sehen, während vor den Augen der Frau all die Gebilde einer umnebelten Einbildung längst in Nichts zerronnen sind. Vielleicht verdankt sie die Gesundheit des Denkens der protestantischen Luft Deutschlands, in der sie geboren ist und in der sie noch immer zu athmen liebt. Sie sagt es selber, daß sie mit ihrer Bildung eher Deutschland als Frankreich angehört.

Die Gräfin d’Agoult erblickte das Licht der Welt zu Frankfurt am Main im Jahre 1805. Ihr Vater war der emigrirte Vicomte Flavigny, ihre Mutter die Tochter des Frankfurter Bankiers Bethmann. Herr v. Flavigny war in seiner Jugend Page der Königin Marie Antoinette gewesen und folglich dem königlichen Hause sehr nahe gestellt. Seine Tochter stand eben im Begriff, als Edeldame in das Gefolge der Dauphine (Herzogin von Angoulème) zu treten, als die Ordonnanzen des Grafen von Polignac die Bewegung von 1830 hervorriefen, welche den Thron der ältern Linie der Bourbonen in Frankreich wahrscheinlich für immer umwarf.

Erzogen wurde die Tochter des Herrn von Flavigny in der vielbekannten, von Jesuiten geleiteten Anstalt für Mädchen, sacré coeur genannt, welche noch heute viel adelige Töchter aufnimmt und ausbildet. Religiös wie politisch, durch Abkunft, Beispiel und Unterweisung, wurde das Urtheil der Dame in vielfache Fesseln geschlagen, doch dem Simson vergleichbar, hat es all die Bande zerrissen. Wie viel sie zu überwinden hatte und überwand, läßt sich an ihrem Bruder, dem Grafen Maurice Flavigny, ermessen, der in drei Kammern, der Deputirten- und Pairskammer unter der Juliregierung, und im gesetzgebenden Körper unter dem zweiten Kaiserreich, für reactionäre Maßregeln stimmte und sprach und der seit dem italienischen Kriege in der römischen Frage so weit zurückging, daß die kaiserliche Regierung seine Wahl in den gesetzgebenden Körper, die sie früher gefördert hatte, hintertrieb. Der Graf Maurice Flavigny war dem Bonapartismus zu reactionär; das sagt Alles.

Wie es herkömmlich ist, wurde Fräulein Flavigny ohne ihre Zustimmung, ohne auch nur befragt zu werden, dem Grafen d’Agoult vermählt, einem würdigen Manne übrigens, der aber um zwanzig Jahre älter war, als seine Gattin, und vielleicht außer Stande, den Träumen eines jungen Frauenkopfes, den Bedürfnissen eines zu Leben und Liebe aufblühenden Weiberherzens zu entsprechen. Außerdem waren die Gedankenströmungen des Momentes und die Mode in dem damaligen Frankreich dieser Art von ehelichen Verbindungen ungünstig. Der Frauenemancipationsschwindel hat sich aus dem nach Geltung ringenden St. Simonismus herausgearbeitet und, demselben voraneilend, die Geister erfaßt. Madame George Sand predigte mit großer Kühnheit durch das Beispiel, mit außerordentlichem Talent durch das Wort für die Unabhängigkeit des weiblichen Gefühls von der religiösen Vorschrift und von den gesellschaftlichen Bestimmungen. Der Freiheitskampf, welcher überhaupt an der Tagesordnung war, wurde sogar in das Haus versetzt und der Unterschied zwischen heiligen und unwürdigen Banden fing an zu verschwinden. Nach sechs Jahren peinlicher Vereinigung trennte sich Frau d’Agoult von ihrem Gatten, wie Mme. Georges Sand kurz zuvor von Herrn Dudevant, um nach ihrem Geschmack und ihrer Neigung zu leben.

Als ich sie im Jahre 1850 kennen lernte, da hatte sie bereits ein Stück vielbewegten Lebens hinter sich; aber die Spannkraft und der Eifer ihres Geistes waren ungeschwächt geblieben. Von der Wirkung einer erlittenen Niederlage war auch nicht eine Spur an ihr wahrzunehmen, und auch jetzt noch ist sie ohne Blasirtheit für alle großen und kleinen Vortheile des Daseins empfänglich, und ihr Wünschen und Wollen ist von jugendlicher Lebhaftigkeit. Herr von Lamartine war nach beiden Seiten hin im Wahren, als er ihr kürzlich schrieb, um ihr für einen geleisteten Dienst zu danken, daß er, der Abgelebte, Verzweifelnde, sie, die Ungebeugte, Unternehmende, die Zuversichtliche, durch seinen Besuch nicht stören, nicht verstimmen wolle.

Durch Abkunft, Bildung und Naturell, sogar durch die erhaltene Frische ihres Ehrgeizes, ist die Gräfin d’Agoult dazu gemacht, den Mittelpunkt eines einflußreichen Salons zu bilden. Sie ist eine Weltfrau im strengsten Sinn des Wortes, vertraut mit den Interessen, welche die bessere Gesellschaft bewegen und beherrschen; ihr Benehmen ist leicht und ungezwungen. Der Verkehr ist das Element, in dem sie ohne die leiseste Anstrengung, wie der Fisch und nicht wie irgend ein abgerichteter Schwimmer im Wasser, sich umhertummelt. Ihre äußere Erscheinung ist imposant und doch gefällig. Eine hohe, schlanke Gestalt, welche die Jahre mit ihren entstellenden Ueberladungen an Fett verschont haben, giebt ihr ein gebieterisches Aussehen, das ihre zuthuliche, bescheidene Art vortheilhaft hervorhebt. Der Kopf ist von plastischer Schönheit, ein geeigneter Vorwurf für den Bildhauer. Unter der bedeutenden, von den Haaren zierlich eingefaßten Stirn blicken die klugen Augen, die Eindrücke lebhaft widerspielend, die sie während der Unterhaltung empfängt. Man sieht, daß sie theilnehmend zuhört, wenn Jemand zu ihr spricht. Die Nase tritt mächtig und doch in gefälliger Biegung hervor. Das Kinn ist stark herausgearbeitet und vollendet den Ausdruck von Energie in den Zügen des Gesichts. Die Frau lächelt häufig, man sieht sie aber selten lachen.

Seitdem die Gräfin d’Agoult mit ihren Familienverhältnissen gebrochen, hat sie sich mit künstlerischen, schriftstellerischen, staatsmännischen Berühmtheiten umgeben. Ihre näheren Beziehungen zu Lißt, die einige Jahre gedauert haben, sind Niemandem ein Geheimniß. In den Jahren 1848 und 1849 waren die Herren von Lamartine und Lamennais jede Woche einmal bei ihr zu Tische, wo sie die wichtigen Tagesfragen besprachen und auseinandersetzten. Um jene Zeit hatten die beiden Freiheitskämpfer nichts als Bewunderung für einander, sie waren auf’s Innigste verbunden und tauschten bei jeder Gelegenheit Weltverbesserungs- und andere politische, sociale und religiöse Gedanken aus. Eines Tages las Lamennais Herrn v. Lamartine, damals Mitglied der provisorischen Regierung, und zwar bei der Gräfin d’Agoult, eine von ihm fertig ausgearbeitete Constitution vor, nach welcher Frankreich zu regieren und zu beglücken wäre. Mir sind die Staatseinrichtungen nicht bekannt, welche der Theologe in der Schrift vorgeschlagen; doch weiß ich, daß einer von den Zuhörern sich mit dem Worte: „Paroles d’un croyant“ (Worte eines Gläubigen[2]) über den Werth dieser Verfassung ein wenig wegwerfend ausgesprochen.

Schon durch ihre Beziehungen zur vornehmen Welt, durch den kecken Bruch mit ihren Verhältnissen, durch ein glückliches schriftstellerisches Auftreten in Girardin’s Presse mit den beiden Novellen „Hervé“ 1841 und „Valentia“ 1842, die ihr einen Vergleich mit Mme. Georges Sand eintrugen, und die Besprechung einer Kunstausstellung 1842 und 1843, durch ihre Verbindungen mit den bedeutendsten Persönlichkeiten gab Frau d’Agoult ihrem Namen weitgehend Klang und ihrem Salon vielfache Anziehungskraft. Die Februarrevolution, der sie sich ohne allen Rückhalt anschloß, sollte sie politisch emporheben; der regelmäßige Umgang mit den beiden obgedachten berühmten Männern in dem Augenblick, als die Ereignisse den Einen auf die höchste Höhe menschlicher Größe hoben, dem Anderen das viel bestrittene Ansehen eines Hohenpriesters der modernen Gottheiten verliehen, machte der ebenso begabten wie strebsamen Frau eine Stellung in der politischen Welt; die Meisterschaft, mit welcher die Gräfin d’Agoult die Geschichte [311] der Februarrevolution schrieb, die selbst ihre Gegner anzuerkennen nicht umhin konnten, wiesen der Schriftstellerin einen bestimmteren Platz an, als sie bis dahin eingenommen, und die demokratischen Grundsätze, zu welchen sie sich in dem Werke, deren erster Band 1850 erschien, bekannte, hoben, indem sie ihm die natürliche Richtung klar vorzeichneten, ihren politischen Einfluß. Der Salon der Gräfin erhielt einen vorherrschend politischen Charakter von ausgesprochener Färbung.

Selbst zum Widerstreben nach den verschiedensten Richtungen hin berufen, geneigt und veranlaßt; selbst in steter Auflehnung gegen überkommene Traditionen, gegen gesellschaftliche und religiöse Satzungen, gegen Vorschriften des Herkommens, fühlte sich die Gräfin besonders von Persönlichkeiten angezogen, welche durch ihr Widerstreben gegen befestigte Uebelstände sich hervorthaten. Unter den Emigrationen aller Länder, wie sie sich in Paris zusammenfinden, zählt sie Freunde. Bei meiner Ankunft in der französischen Hauptstadt fand ich im Salon der Gräfin eine Gesellschaft, welche größtentheils aus Magyaren bestand. Ladislaus Teleki, welcher nachmals von der sächsischen Regierung an Oesterreich ausgeliefert wurde und durch einen politischen Selbstmord tragisch endete, war der geistig Hervorragendste unter ihnen; er führte das große Wort. Die Gräfin interessirte sich sehr lebhaft für den Heldenmuth und nach dem Schiffbruch von Vilagos für das Unglück der Ungarn. Der Staatsstreich, indem er den Nerv des geistigen Lebens in Frankreich mit dem Schwerte zerhieb, machte den Herrlichkeiten der Salons ein Ende. Noch weniger als Napoleon der Erste konnte Napoleon der Dritte den eingeführten Austausch von Gedanken, selbst in dem engeren Umkreis des geselligen Verkehrs, dulden. Napoleon der Erste verjagte die Staël aus Frankreich, um den Versammlungen, welche in ihren Salons gehalten wurden, die Seele zu rauben und sie aufzuheben; Napoleon der Dritte ließ den Salon der Fürstin Lieven schließen, und diese Maßregel, verbunden mit dem Recht, das er sich zuerkannte, ohne jede gerichtliche Begründung der öffentlichen Sicherheit wegen zu deportiren, und mit dem zur höchsten Ausbildung gediehenen Spionirsystem, lähmte zur Genüge die Unterhaltung zwischen mehr als zwei Personen. Unter den Leichen des 2. December befanden sich übrigens viele sogenannte „Ueberzeugungen“.

Nach diesem Tag des Schreckens und der Trübsal wurde von den Franzosen das Bedürfniß kaum empfunden, sich gegen die Gewaltsamkeit auch nur mit dem Wort zu erheben. Man schwieg und spielte an der Börse. Die Gräfin d’Agoult blieb selbst nicht frei von der moralischen Erschütterung, die der Staatsstreich hervorgebracht. Sie fiel von ihrem Glauben nicht ab, sie bat jedoch ihren Glauben, sich ein wenig den Verhältnissen anzupassen. Sie ließ ihn die alten Gewänder ablegen und ihn nach der neuen ein wenig imperialistischen Mode ankleiden, in der Ueberzeugung, daß diese Umgestaltung vortheilhafter nicht allein für sie, sondern auch für ihren Glauben selbst sei. Sie schwärmte von nun an, sprach und schrieb für die nationale Befreiung der Völker, ganz wie Herr Guéroult in der „Opinion nationale“, und in ihrem Salon war man türkisch gegen Rußland, italienisch gegen Oesterreich, dann polnisch wieder gegen Rußland und so weiter. Für die italienische Sache zeigten sich die Gräfin und ihre Umgebung am lebhaftesten eingenommen. Sie kannte den Grafen Cavour und noch andere von den mehr oder weniger maßgebenden Patrioten jenseits der Alpen. Sie war viel in Italien gereist, sie kennt und liebt das tausendfach begünstigte Land. Sie erzählt sehr Interessantes über ihre Beziehungen zu angesehenen Italienern in der Vorrede zu ihrem vor einiger Zeit unter dem Titel „Turin und Florenz“ erschienenen Buche.

Jetzt sind die drei Hauptfiguren ihres Salons: Der Prinz Napoleon, Emil von Girardin und ihr Schwiegersohn Emil Ollivier. Die Gräfin war es, welche Herrn Ollivier mit dem Prinzen Napoleon zusammengebracht. Ob und wie viel sie Theil hat an der Schwenkung, die der bekannte Deputirte Ollivier dem Bonapartismus entgegengemacht, bin ich außer Stande anzugeben. Auch weiß ich nicht, ob es mit der viel verbreiteten Annahme seine Richtigkeit hat, daß in dem Salon der Gräfin d’Agoult ein Ministerportefeuille zur Welt kommen werde.



  1. Vielleicht vor allen andern Größen der heutigen französischen Literatur verdient die Gräfin Marie d’Agoult, unter ihrem Schriftstellernamen Daniel Stern in weitesten Kreisen bekannt geworden, einen Platz in der Gartenlaube, weil sie durch ihre Geburt mindestens zur Hälfte Deutschland angehört und mit größerer Sachkenntniß und Unparteilichkeit, als wir sie in dieser Beziehung sonst unsern überrheinischen Nachbarn vindiciren können, deutsche Verhältnisse und Persönlichkeiten mehrfach zum Gegenstande ihrer journalistischen Veröffentlichungen gemacht hat. Auch ihre mehrjährigen Beziehungen zu Franz Lißt geben ihr einen Anspruch auf unser besonderes Interesse.
    D. Red.
  2. Dies ist bekanntlich der Titel eines berühmten Buches von Lamennais.