Parfümerien (Die Gartenlaube 1855)

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Titel: Parfümerien
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aus: Die Gartenlaube, Heft 52, S. 698
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[698] Parfümerien. Wir haben neulich von den duftigen Geistern der Blumen gesprochen, die des Menschen Nerven und Herz so hübsch zu erquicken wissen. Aber der kultivirte Mensch begnügt sich nicht damit, sondern sammelt diese Geister und steckt sie in Alkohol und Fett und packt sie in niedliche Gläser und Büchsen und salbt sich das Haar damit und giebt seinem Barte Farbe, Stand und Stellung im Leben und bringt sich mit dem parfümirten Taschentuche in lieblichen Geruch vor den Leuten. Wir sind weit entfernt, diese Einbalsamirungen des Lebens zu denunciren, vorausgesetzt, daß das Haar nicht glänzt, wie Speckschwarte, und der Geruch des Taschentuches nicht an die aufgedonnerte Küchenmagd erinnere, welche recht tüchtig gießt und „starken Tobak“ wählt; obwohl der natürliche Geruch der Gesundheit und innern Lebensfrische besser ist als die ächteste Farina-Cologne und das kostbarste Rosenöl, per Tropfen einen Ducaten. Wir machen hier eben blos einige statistische und naturwissenschaftliche Bemerkungen über die Industrie mit Blumengeistern. Die unzähligen Blumengärten von Nizza, Grasse, Montpellier und Cannes in Frankreich, von Adrianopel in der europäischen, von Brussa und Uslak in der asiatischen Türkei, von Mitcham in England und einige andere Anstalten und Ortschaften der Art liefern so ungeheuere Massen von Blumen blos für die Bereitung von Parfümerien, daß man erstaunen muß. Als Beispiel führen wir an, daß ein einziger Parfümeur in Paris von seinen Blumengärten bei Grasse allein jährlich 80,000 Pfund Orangeblüthen, 60,000 Pfund Cassiablumen, 54,000 Pfund Rosenblätter, 32,000 Pfund Jasminblüthen, 32,000 Pfund Veilchen, 20,000 Pfund Tuberosen, 16,000 Pfund Flieder, außerdem X - Pfunde und Centner von Rosemarin, Münze, Citrone, Thymian u. s. w. für Parfümerien bezieht und die Geister daraus in Pomadenbüchsen und wohlriechende Fläschchen steckt, die dann in den Schaufenstern der Pomadiers und Parfümeurs in ihrer niedlichen Gestalt und glänzenden Etiquette so viel Verlockendes für Damen und jugendliche Liebhaber ausüben.

Es giebt besonders vier Arten, die Wohlgerüche aus den Blumen zu ziehen: Anspressung, Destillation, Maceration und Absorption. Die Maceration (Einweichung und Aussaugung) besteht einfach darin, daß man die Blumen oder Blüthen eine Zeit lang im geschmolzenen Talge „ziehen,“ d. h. gezogen werden läßt. Das Fett zieht die ätherischen, wohlriechenden Oele aus den Blumen heraus. Nimmt man statt Talg oder Fett Olivenöl, so erhält man das „huile antique“ von der Blume. Die Flüchtigkeit der wohlriechenden Oele erfordert, daß man die Parfümerien stets gut verschlossen, kühl und gegen das Sonnenlicht geschützt halte. Die Arbeit, manche Wohlgerüche zu extrahiren, ist so kostbar und erfordert so viel Sorgfalt, daß man dafür in der Regel andere, weniger kostbare nimmt und sie durch Etiquetten erst in den Stand der kostbareren erhebt. In der großen Ausstellung von London fand man im Departement von Tunis ein Fläschchen Jasminöl (von Jasminum odoratissimum zwölf Loth Flüssigkeit enthaltend. Das Fläschchen ward für 54 Pfund Sterling, 350 Thaler, verkauft. Fälschungen sind daher mit allen kostbaren Parfümerien die Regel, was in dieser Sphäre gar nichts zu sagen haben würde, wenn das Publikum nur nicht die kostbaren Taufnamen bezahlen müßte. Aber es ist auch hier, wie in vielen andern Fälschungen selbst Schuld. Die Welt will betrogen sein. Sie verlangt den kostbaren Namen, den höheren Schein, statt anspruchsloser Aechtheit billiger zu kaufen.

Die Fälschungen in Parfümerien sind deshalb durchweg in der Sache unwesentlich, weil die ätherischen Blumenöle vielfach die Eigenschaft haben, sich gegenseitig zu ersetzen. Vereinigte Blumen geben genau den Geruch einer andern, höheren. Die Geruchstöne der beiden vereinigen sich zu der nächst höhern Octave, welche die wohlriechendere, ganz anders riechende Blume auf den Saiten unserer Geruchsnerven anschlägt. Hier steckt noch eine neue Wissenschaft: der Generalbaß und die Musik der Gerüche. Gerüche setzen die Geruchsnerven in eben so bestimmtem Tonstufen in Bewegung, wie Töne die Gehörnerven. Mandel, Vanille, Ketschup und Orangeblüthen – jeder Geruch schlägt einen verschiedenen, bestimmten Ton an. Citrone, Orangenschale, Verbena u. s. w, spielen in höhern Octaven. Sie liegen in ganzen Tönen auseinander. Andere Blumen geben halbe Töne und Moll, wie z. B. die Rose und Rosengeranium. – Das ist eine schwache Andeutung der Aesthetik und Musik der Gerüche. Zur Begründung und Durchführung dieser Andeutungen bis zu bestimmter Wissenschaft werden hier gerade die feinsten Experimente, die delicatesten Untersuchungen und der zarteste Geruchssinn gehören. Die Idee dazu ist elegant und schön, und lange nicht so sehr aus der Luft gegriffen, als es scheinen mag. Hat man bereits zu den feinsten, himmlischsten Wirkungen der Musik und des Gesanges das mathematische Gesetz, die bestimmte Anatomie und Physiologie gefunden und zwar so genau, daß man den Kehlkopf der berühmtesten Sängerin von Gummi und Pappe nachmachen und ihn wirklich singen lassen kann; ist nicht einzusehen, warum die Natur die so bestimmten, so klar unterschiedenen Gerüche nicht auch unter bestimmt schwingenden Gesetzen durch die Nase fahren lassen sollte.

Manche Blumengerüche spielen so nahe neben oder in einander, daß man sie oft nicht von einander unterscheiden kann. So verschieden die Pflanzen auch sein mögen, die Luftoxydation ihrer duftenden Oele ist dieselbe, so daß man Aussicht auf die Kunst hat, aus wohlfeileren Blumenölen die kostbareren zu machen, z. B. Rosenöl aus Rosmarin. Kommt dazu noch der Generalbaß der Gerüche, können wir uns schon die Toilette der feinen Dame von Welt mit ihren wohlriechenden Fläschchen, Pomaden-, Schmuck- und Schminkbüchsen als ein gut gestimmtes Fortepiano für die Saiten der Geruchsnerven denken mit verschiedenen Fächern und „Registern,“ die man ziehen und schließen kann, um jetzt im hohen, freudigen Allegro zum Balle, zum Tanze, zur Hochzeit, dort in tiefem, schwerem Andante dem Kranken, dem Ohnmächtigen, zu Begräbnissen, zu Trauer und Thränen zu spielen. Der Parfümeur würde sich dann zum Tonkünstler und respective zum musikalischen Instrumentenmacher erheben müssen und Büchsen und Kästchen construiren, die wie Spieldosen diese und jene Melodie spielen. Dann würden auch die Saiten unserer Geruchsnerven, jetzt noch ein ziemlich unkultivirtes und selbst verwahrlos’tes Register auf der Orgel unserer Wahrnehmungen und Empfindungen, ein feines, interessantes Object der Erziehung und Bildung, geselliger und einsamer Freuden und Genüsse werden.

„Wenn sich Herz und Mund soll laben,
Muß die Nase auch was haben!“