Palermo (Die Gartenlaube 1885/42)

Textdaten
<<< >>>
Autor: –i.
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Palermo
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 42, S. 696
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1885
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[696] Palermo. Wieder einmal geht der Name der berühmten sicilianischen Stadt von Mund zu Mund, die in dem herrlichen Thale der „Goldmuschel“, zwischen dem Fuße des Monte Pellegrino und dem Gestade des tyrrhenischen Meeres, in feenhaftem Schmucke prangend, seit Jahrtausenden gewinnlustige Kaufherren und ruhmbegierige Eroberer in ihre Mauern lockte. Aber diesmal verleugnet die Gastliche ihren stolzen Namen; das alte Panormos der Hellenen, der „Allhafen“, weigert sich, fremde Schiffe in der stillen Bucht aufzunehmen; von französischer Küste brachten die Seefahrer die schreckliche Pest an die reben- und olivenumkränzten Ufer, die Cholera haust grausam in den Vierteln der Armen und den Häusern der Vornehmen, und Palermo will sich grollend von der Welt abschließen, in wilder Verzweiflung allein fertig werden mit dem Leid, das so plötzlich über die Stadt verhängt wurde.

Sonderbar! Die mächtigen Wandlungen der Neuzeit, die Riesenfortschritte der Kultur gingen spurlos an dem Charakter des Sicilianers vorüber. Er scheint ewig der Alte zu bleiben, ewig derselbe mit den alten menschlichen Schwächen und menschlichen Leidenschaften.

Der Hafen von Palermo mit Blick auf den Monte-Pellegrino.

Vor fast einem halben Jahrhundert hatte dieselbe Geißel die Insel heimgesucht. In Palermo allein raffte sie in fünf Wochen gegen 24 000 Menschen dahin! Und mitten in der Schreckensherrschaft der Seuche erwuchs derselbe Wahn, der im finstern Mittelalter, da die Pest wüthete, zu den zahllosen Opfern derselben noch seine eigenen Opfer forderte. Damals geschah es oft, daß die unerklärliche Verbreitung ansteckender Krankheiten auf Rachsucht und menschliche Tücke zurückgeführt wurde. So klagte man einst in Mailand eine große Zahl Unschuldiger an, sie hätten im Geheimen den aus Leichen gewonnenen Ansteckungsstoff zu einer Salbe verarbeitet und mit dieser die Straßenmauern bestrichen, um also dem Weitergreifen der Seuche Vorschub zu leisten. Kein Beweis konnte für die Richtigkeit dieser Beschuldigung erbracht werden, aber der Wahn beeinflußte auch die Richter, und als die Häupter der Unglücklichen gefallen waren, setzte man an der Stätte des Justizmordes sogar eine Denksäule, welche die Schande der Verurtheilten verewigen sollte! Aufgeklärtere Zeiten haben längst jenes Schandmal entfernt, aber der Aberglaube hat sich bis auf unsere Tage erhalten. Als im Jahre 1837 die Cholera die Bevölkerung von Palermo decimirte, da erhob sich das Volk und rief laut, daß die Armen auf Befehl der Regierung von den Aerzten vergiftet würden, und die geballte Faust des Pöbels wüthete gegen diejenigen, die ihm Hilfe bringen wollten.

Heute, da die Cholera wiederum in die Stadt ihren Einzug gehalten, wiederholt sich dasselbe Schauspiel. Die aufgeregten Volksmassen wollten den Hafen sperren, die Eisenbahn wurde zerstört, damit kein Gift in das Land hineingeschleppt werde, und selbst die Desinfektionsmittel, welche die Regierung nach den bedrohten Ortschaften senden zu müssen glaubte, wurden von dem Pöbel angehalten und vor den Thoren der Stadt verbrannt. Und so groß war in den letzten Septembertagen die Aufregung der Bevölkerung, daß die bewaffnete Macht einschreiten und Ordnung schaffen mußte.

Wie stimmt diese traurige Wirklichkeit zu dem volltönenden Namen: Palermo la felice – das Glückliche! Nun, es wechseln auf Erden Stürme und Sonnenschein, und der lachende Himmel Italiens hat dieser Stadt wohl mehr Glück als Unheil beschieden. Oft hatte der Kriegsgott dieselbe heimgesucht, und seit jener Zeit, da der Karthagerheld Hamilkar Barkas mit seinem Heere drei Jahre lang auf der natürlichen Veste des Monte Pellegrino gelagert, den Römern fünfzehn Schlachten geliefert und unbezwungen die Abhänge des Berges verlassen hatte, bis zu jenem denkwürdigen Tage, an welchem Garibaldi mit seinen „Tausend“ unter dem „Regen von 2000 Bomben“ die Stadt im Sturm eingenommen hatte, ward Palermo unzählige Male von Feinden umringt und der Willkür des Siegers preisgegeben.

Aber stets hatte sich der „Allhafen“ rasch von den Schlägen des Schicksals erholt und glänzte von Neuem, gleichviel ob das Kreuz oder der Halbmond von seinen Thürmen in die weite See hinausschaute. Eine Perle im Städtekranze Italiens wird Palermo mit Recht genannt, und in ewiger Frische ist es heute noch dasselbe, wie es ein maurischer Schriftsteller des 12. Jahrhunderts gepriesen: eine Stadt von verführerischer Pracht, an die sich herrliche Lustgärten schmiegen, „wie eine reiche Halskette um den Nacken eines schönen Mädchens“. – i.