Originalmittheilungen vom Kriegsschauplatze 4.

Textdaten
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Autor: A. C. W.
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Titel: Eine Begegnung mit Garibaldi
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 32, S. 453–454
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Serie: Originalmittheilungen vom Kriegsschauplatze
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Originalmittheilungen vom Kriegsschauplatze.

IV. Eine Begegnung mit Garibaldi.

Man mag was immer für einer politischen Meinung in dem gegenwärtigen Kriege angehören, so wird man doch vom militärischen Standpunkte der kriegerischen Organisation und umsichtigen Leitung der franco-piemontesischen Armee gerecht werden müssen. Namentlich zeigt die Führung beider Armeen sowohl im großen wie im kleinen Kriege von vieler Umsicht, Kenntniß und Kühnheit, und die überraschenden Resultate, welche binnen zwei Monaten in Piemont, sowie auf den lombardischen Feldern erlangt wurden, sprechen mehr als alle Berichte und Gefechtsrelationen. Hinsichtlich des kleinen und Parteigängerkrieges, welcher in einem Kampfe mit politisch-nationaler Tendenz, wie der italienische, von besonderer Wichtigkeit ist, gebührt dem General Joseph Garibaldi ohne Widerrede der erste Rang. Wohl über keinen bedeutenden Mann der Neuzeit sind so widersprechende Ansichten und Urtheile, so verschiedene Gerüchte und Charakterschilderungen laut geworden, wie über Garibaldi. Während ihn die Einen als einen poetischen Helden Italiens mit allen Tugenden eines uneigennützigen Patrioten erheben, ihn ein militairisches Genie nennen, das nur die Werbetrommel zu rühren brauche, um in kurzer Zeit eine Schaar verwegener Bursche zu versammeln, jeden Augenblick bereit, für den geliebten Führer in den Tod zu gehen, – zeichnen ihn Andere mit den schwärzesten Farben, nennen ihn einen komödienhaften Abenteurer ohne Muth und Geschick, ja schieben ihm sogar die gemeinsten Verbrechen unter, obwohl hinsichtlich dieser Beschuldigung auch nicht der leiseste Schein der Rechtfertigung vorliegt. Mit einem Worte, es scheinen uns auf dieses sonderbare Gemisch von panegyrischen Urtheilen und Anschauungen, gehässigen Anklagen und Verdächtigungen ganz vornehmlich die Verse Schiller’s zu passen:

„Von der Parteien Gunst und Haß verwirrt,
Schwankt sein Charakterbild in der Geschichte.“ – –

Garibaldi’s Villa in Nizza. (Nach einer Originalzeichnung unseres Correspondenten.)

Es war im Monat December des verflossenen Jahres. Ich kehrte damals über Venedig, Mailand und Genua nach dem reizenden Nizza zurück, wo selbst in den strengsten Wintermonaten der Himmel blau und sonnig ist, während in den Orangen- und Citronenhainen die duftenden Früchte gleich goldenen Kugeln zwischen den hellgrünen Zweigen schimmern, und eine würzige Luft über die tiefblauen Wellen des Mittelmeeres weht. Die nette Stadt mit ihren weißen Häuserreihen am Meeresstrand, mit ihren koketten Villen auf den Olivenhügeln und der prachtvollen Alpenscenerie im Hintergrunde war schon mit Fremden überfüllt. Angehörige aller Nationen Europa’s geben sich hier jeden Winter ein freundliches Stelldichein, um sich im Immergrün dieser wundervollen Landschaft, an dem Wohlgeruch der Luft und an der milden Sonne des Südens zu laben, während zu Hause, im fernen Norden, der rauhe Wind durch die Straßen der Städte und über die traurigen, schneebedeckten Felder streift.

Eines Abend erhielt ich eine Einladung von einer mir schon aus früherer Zeit bekannten Familie, deren gastliches Haus einen ungezwungenen, freundlichen Mittelpunkt der Fremdencolonie bildete und Liebenswürdigkeit, Wohlstand und künstlerischen Sinn auf eine schöne, harmlose Weise zu verknüpfen verstand. Alles, was Nizza in künstlerischer Beziehung Interessantes bot, Sänger, Musiker, Maler, Schriftsteller, sowie andere hervorragende Männer der Gesellschaft und liebenswürdige Damen, fand man in diesem elegant und behaglich eingerichteten Salon vereinigt, wo die Dame und der Herr des Hauses, Beide Italiener, auf die zuvorkommendste Art die Honneurs machten. So war es auch an jenem Abend, an dem ich die erwähnte Einladung erhielt.

Am großen Kamin, in den Ecksophas und Fensternischen bildeten sich Gruppen und unterhielten sich in allen Sprachen Europa’s. Italienisch, Französisch, Deutsch, Englisch, Schwedisch, Polnisch und Russisch klang in einem sonderbaren Gewirre durcheinander, aber überall herrschte die ungezwungenste Laune, der heiterste, gesellschaftliche Sinn; man sah es hier deutlich, daß die wahre Bildung kosmopolitischer Natur sei, die jedes nationale Vorurtheil, jeden absurden Racenhaß aus ihrem Kreise verbannt.

Mit einem Male öffneten sich die Flügelthüren des Salons und ein Diener annoncirte: „Il Signore Generale Garibaldi!“ Dieser Name durchzuckte wie ein elektrischer Schlag die Gesellschaft. Viele der Anwesenden, darunter auch ich, hatten den berühmten [454] Guerrilla-General noch nicht gesehen, denn er war erst wenige Tage in seiner Geburtsstadt Nizza[1], wohin er von der Insel Sardinien gekommen, wo er sich als friedlicher Bürger mit Ackerbau und Landwirthschaft beschäftigte. Durch die geöffnete Thür trat ein Mann im einfachen schwarzen Kleide, von mittlerer Größe. Das blonde, halblange Haar einfach zurückgekämmt, ließ eine hohe, edelgeformte Stirn sehen, während der freundliche Ausdruck der großen blauen Augen – eine Seltenheit bei den Italienern, namentlich bei den Bewohnern des südlichen Landestheiles, zu dem Nizza gehört – auf einen geraden, offenen Charakter schließen ließ. Oberlippe und Kinn beschattete ein blonder, in’s Graue spielender Bart, während sich um die Mundwinkel und an der Stirn einige leichte Falten zeigten, die wohl die verschiedenen Schicksale, Leiden und Gefahren, die er bestanden, ihm frühzeitig aufgedrückt haben mochten. Seine Landsleute, die ihn schon in früheren Zeiten, d. h. vor den bewegten Jahren 1848 und 1849 kannten, behaupteten, daß er sich im Laufe der letzten zehn Jahre merklich verändert hätte und jetzt älter aussehe, als er es wirklich sei. Er hatte aber auch in diesem Zeitraume die härtesten Schicksalsschläge zu bestehen. Seine mit aller Treue, Liebe und Aufopferung ihm anhängliche Frau, die selbst die gefährlichsten Expeditionen mit ihm theilte und, fortwährend zu Pferde, nie von seiner Seite wich, verlor er im Jahre 1849 auf seinem berühmten Zuge von Rom nach San Marino, wohin er sich mit 800 entschlossenen Leuten, darunter einem deutschen Officier, Namens Hofstetter, mitten durch die französische und österreichische Armee schlug, die ihm überall an den Fersen war, ohne ihn erhaschen zu können. Unfern von San Marino erlag seine edle Frau den Leiden, Entbehrungen und der brennenden Sonnenhitze, die ihr ein tödtliches Fieber zugezogen. Er mußte ihre Leiche zurücklassen, und begrub sie selbst in einem schattigen Olivenhain in der classischen Erde des alten Rom. Er nahm ein Stückchen dieser heiligen Erde mit und verwahrte es in einer Kapsel, die er bis heute als ein theures, schmerzliches Andenken wie ein Medaillon um den Hals trägt!

Im Jahre 1853 verlor er bei einem mexicanischen Bankhause einen bedeutenden Theil seines Vermögens, und vier Jahre später ging ein ihm zugehöriger Kauffahrer zu Grunde. Es blieb ihm fast nichts als eine bescheidene Villa an der Promenade „Vittorio Emanuele“ in Nizza, welche unfern des kleinen, aber malerischen Hafens beginnt. Wir geben von dieser Besitzung, welche von Orangen-, Oleander- und Olivenbäumen halb versteckt am Meeresufer liegt, anbei eine getreue Abbildung.

Diesen erschütternden Verlusten gegenüber mußte er auf eine neue Thätigkeit und Arbeit denken. Er hatte die Absicht, auf der höchst fruchtbaren, durch eine wundervolle Vegetation ausgezeichneten, aber noch im halbwilden Zustande befindlichen Insel Sardinien eine große landwirthschaftliche Colonie zu gründen, und durch diese Handelsbeziehungen mit Genua, Livorno und anderen Häfen des Mittelmeeres anzuknüpfen. Er war schon an die Ausführung seines Planes gegangen, als mit einem Male der italienische Krieg ausbrach. Er zögerte nicht, den friedlichen Spaten neuerdings mit dem Degen zu vertauschen, und bald rief ihn das Vertrauen des Königs Victor Emanuel als General-Major in das piemontesische Heer.

Im Umgange ist Garibaldi sehr freundlich und mittheilsam, ohne geschwätzig zu sein. Seine großen, hellen Augen, die er fortwährend auf Den richtet, mit welchem er gerade spricht, nehmen oft einen Ausdruck von Bonhomie und poetischer Schwärmerei an, der aber einen energischen Zug um den Mund nicht ausschließt. Seine Bewegungen sind leicht und ungezwungen, wie es die eines Mannes der guten Gesellschaft sein sollen. Bei Damen ist er besonders zuvorkommend, galant und ritterlich. Auch in jener Abendgesellschaft, wo ich ihn zum ersten Mal sah, unterhielt er sich mit feiner Liebenswürdigkeit längere Zeit mit der schönen, jugendlichen Hausfrau und andern Damen; ja als diese nach dem Thee in einem Nebensalon einen Contredanse arrangirten, schlug er eine lächelnde Einladung der Hausfrau, mit ihr in die Reihen der Tanzenden zu treten, nicht aus, und ich muß sagen, er entledigte sich auch dieser angenehmen Aufgabe mit Anstand und Grazie. Dies ist also der berühmte Guerrilla-General – oder wie ihn einige deutsche Journale zu nennen belieben – der „Räuberhauptmann“ Garibaldi!

Heute streift er in den Bergen von Sondrio oder in den Thälern des Baltelingebiets umher, nachdem er in Sesto-Calende, Varese, Como, Bergamo, Iseo und Brescia mit seinen kriegsgeübten, verwegenen Schaaren als Sieger seinen Einzug hielt, und wird nächstens nach Mailand marschiren. Die Legion Garibaldi’s dürfte sich gegenwärtig auf ungefähr zwölftausend Mann belaufen, die größtentheils aus Infanterie und nur einer kleinen Abtheilung Reiterei (Guiden) besteht. Die Kleidung und Bewaffnung der erstern ist ganz die der piemontesischen Bersaglieri; nur die Farbe der Waffenröcke ist grau mit grünem Kragen und Vorstoß. Der runde Federhut, das Faschinmesser und die sichere Miniébüchse sind wie bei den Bersaglieri. Indessen tragen die Garibaldischen Jäger in der gegenwärtigen heißen Jahreszeit auch blaue, leinene Blousen, graue aus ähnlichem Stoffe gemachte Pantalons und eine leichte Mütze. In einer Jagdtasche verwahren sie die nothwendigste Wäsche, Munition und etwas Mundvorrath. Plötzliches, unverhofftes Erscheinen, Raschheit und Präcision bilden die Hauptbedingungen der Garibaldischen Manöver. Oft nehmen, wenn es einen Ueberfall oder eine rasche Expedition gilt, die 1300 Lanzenreiter, welche die Legion zählt, je einen Infanteristen hinter den Sattel und erscheinen, während das Gros aus Wagen und Maulthieren folgt, plötzlich in den Flanken oder im Rücken des Gegners. Glaubt Garibaldi einen Ort oder eine Position nicht halten zu können, so wählt er sich eigenthümliche Kundschafter, die ihm später auf seiner Rückzugslinie Nachrichten von den feindlichen Bewegungen bringen. Kommt er nämlich nach einer Stadt oder Ortschaft, aus der er wegen der feindlichen Uebermacht wieder bald zurück zu weichen glaubt, so nimmt er dahin aus den Dörfern und Flecken, welche auf seiner Rückzugslinie liegen, eine Anzahl Hunde mit, welche einigen Vertrauten in der zeitweilig besetzten Ortschaft übergeben werden. Erfolgt nun wirklich der Rückzug und das Einrücken des Feindes in die verlassene Position, so notiren jene Vertrauten mit größter Sorgfalt die Zahl und die Bewegungen der Oesterreicher, binden den betreffenden Zettel einem der Hunde unter das Halsband oder in die Wolle und lassen ihn laufen. Das Thier läuft natürlich schnurstracks nach seinem Heimathsorte, d. h. zu Garibaldi, dessen Leute den sonderbaren Boten einfangen und die mitgebrachte Depesche dem General übergeben. Die Oesterreicher haben zwar die Sache entdeckt und schießen auf alle Vierfüßler, welche über die Vorpostenlinie laufen, allein diese sind natürlich noch schwerer zu treffen, wie die Garibaldischen Jäger.

Einer andern Kriegslist bediente sich Garibaldi bei Varese, mit der wir unsere heutige Skizze beschließen wollen. Er hatte nämlich in Sesto-Calende erfahren, daß ihm die Oesterreicher in Varese wenigstens um das Dreifache überlegen seien und Miene machten ihn anzugreifen, um ihn über den Tessin oder den Lago maggiore zurückzuwerfen. Rasch war sein Entschluß gefaßt. Er schickte den Obersten Medici mit etwa 300 Reitern und 600 Jägern gerade gegen Varese, während Garibaldi selbst mit dem Gros in geringer Entfernung nachfolgte. Es brach eben die Nacht herein, als die Spitze der Colonne unter Medici unweit Varese auf den Feind stieß, der sehr lebhaft angriff. Ein heftiges Feuer entspinnt sich, die Garibaldischen Cacciatori fallen zur Freude der Oesterreicher wie Mücken, der Rest ergreift nach kurzem Widerstande die Flucht. Nun rücken die Oesterreicher hitzig nach und stoßen auf das Gros Garibaldis, das sich aber ganz verteufelt zur Wehre setzt. Plötzlich kracht im Rücken der Oesterreicher eine Décharge, während zugleich der Ruf: „Evviva Garibaldi“ ertönt. Die Oesterreicher, an eine Umgehung glaubend, wenden sich, jagen in wilder Hast querfeldein nach Varese zurück und berichten dem dort commandirenden General Urban von einer feindlichen Macht von „30,000 Mann!“ – Es waren aber blos die bei dem ersten Angriff gefallenen und todt geglaubten Jäger Garibaldi’s, welche, von der Dunkelheit der Nacht begünstigt, hinter dem Rücken der Oesterreicher wieder lebendig wurden und diese herzhaft angriffen. Der General Urban hatte nichts Eiligeres zu thun, als Varese über Hals und Kopf zu räumen, um sich nach Como zurückzuziehen, das er später auch verlor. Gegen 2 Uhr Morgens rückte Garibaldi mit nur 5000 Mann in Varese ein.

A. C. W.

  1. Viele Biographen, namentlich deutsche, lassen Garibaldi in Genua geboren sein. Es ist dies ein Irrthum, denn er so wie seine ganze Familie sind aus Nizza gebürtig. Eine ausführlichere Biographie Garibaldis werden wir später geben.      D. Red.