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Autor: C. Falkenhorst
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Titel: Opfer des Blitzes
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aus: Die Gartenlaube, Heft 38, S. 641–643
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1891
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Themenseite Blitz
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Opfer des Blitzes.

Die Zahl der Menschenleben, welche der Blitz alljährlich fordert, ist größer, als man gewöhnlich glaubt. Die Statistik, welche in vielen Staaten darüber geführt wird, ist zwar noch sehr lückenhaft, immerhin aber gestattet sie schon einige Schlüsse; man kann annehmen, daß in unseren Kulturstaaten von 200 000 bis 250 000 Personen je eine jährlich vom Blitz getötet wird.

Die Blitzgefahr ist nicht in allen Gegenden in gleicher Weise vorhanden. In gewissen Gebirgsländern Süddeutschlands scheint sie größer zu sein als in der Ebene. Nach Mittheilungen, die Dr. Katterer neuerdings in der Vierteljahrsschrift für gerichtliche Medizin veröffentlicht hat, kann man in Steiermark, Kärnten und Tirol unschwer Menschen finden, die in ihrem Leben einmal vom Blitze niedergeschlagen oder gestreift worden sind. Die Bevölkerung ist an diese Unglücksfälle gewöhnt; die Toten werden begraben; und da diejenigen, welche mit dem Leben davongekommen sind, sich in der Regel rasch wieder von der Betäubung erholen, so wird der Arzt nicht aufgesucht. Daher gelangt nur ein Bruchtheil der Unglücksfälle zur allgemeinen Kenntniß. Das ist zu bedauern, denn die Wirkungen des Blitzschlags auf den Menschen sind bis jetzt nur wenig erforscht.

[642] Der Blitz, „der war, eh man ihn sah“, tötet in der Regel im Augenblick. Bekannt ist der von Reimarus erzählte Fall, wo zwei Menschen, die vor dem Gewitter hinter einer Hecke Schutz gesucht hatten, dort vom Blitze getötet wurden. Man fand sie in ganz unveränderter Lage, mit offenen Augen; der eine hielt nach ein Stück Brot in der Hand, das er einem Hunde reichen wollte, der auf seinem Schoße saß und mit erschlagen wurde.

Häufig findet man an den Leichen der vom Blitz Getroffenen nicht die geringste Verletzung, in anderen Fällen läßt der Blitz Spuren seiner Gewalt zurück. Am bekanntesten sind die „Blitzfiguren“, geröthete, baumartig verzweigte Streifen, welche sich vom Gesicht bis zur Fußsohle erstrecken können und keineswegs dem Lauf der Blutgefäße oder Nerven entsprechen, sondern bloß die Bahn des Blitzfunkens bezeichnen. Dann trifft man wieder nur kleine umschriebene Hautabschürfungen oder blutunterlaufene Stellen und lochförmige Oeffnungen. Daneben aber finden sich breitere Wunden, ja die Verletzungen können, wenn auch sehr selten, in mächtigen Zerstörungen, im Abreißen ganzer Gliedmaßen und in Schädelbrüchen bestehen. Verbrennungen der Haut und Versengungen der Haare werden gleichfalls öfter beobachtet.

Ebenso verhält es sich mit den inneren Verletzungen, bald zeigen sich gar keine Veränderungen, bald tiefe Schädigungen der edelsten Organe.

Regelmäßiger erblickt matt deutliche Spuren des Blitzes an den Kleidern der Getroffenen, sowie an den Gegenständen, die sie bei sich getragen haben. Die Kleider können verbrannt oder zerrissen sein, namentlich werden oft Risse am Schuhwerk beobachtet; doch kommt es auch hier vor, daß alle Spuren fehlen. Die sonderbarste Erscheinung bilden wohl jene Fälle, in denen die Kleider unversehrt bleiben, aber metallene Gegenstände wie Messingknöpfe, Geld, Uhren, Ketten geschmolzen werden. In medizinischen Fachblättern wurde kürzlich Folgendes mitgetheilt: Jäger fanden in Tirol unter einem Baume die Leiche eines Mannes. Wenige Tage vorher waren über der Gegend heftige Gewitter niedergegangen, und so lag die Vermuthung nahe, daß der Mann vom Blitze erschlagen worden sei. Obwohl nun an der Leiche selbst keine Spuren von Verletzungen bemerklich waren, so trug der Tote doch den deutlichsten Beweis des Blitzschlages in seiner Tasche. Eine Anzahl Kupfermünzen war dort zu einem festen Haufen zusammengelöthet, da ihr Rand an verschiedenen Stellen geschmolzen war.

Lichtenberg, der berühmte Naturforscher und satirische Schriftsteller des vorigen Jahrhunderts, hat gesagt, die Menschen würden vom Blitz erschlagen, weil sie es nicht anders haben wollten. Ein gut Theil Wahrheit ist in diesem Wort enthalten; denn die Schutzmittel gegen den Blitzschlag werden immer noch nicht in genügender Weise benutzt, und manchmal wird die Gefahr sogar herausgefordert. In früheren Zeiten war die Sitte des Wetterläutens allgemein, und da ereignete es sich nicht selten, daß der Glöckner erschlagen wurde, da der Blitz gerade in die Glocke fuhr. Kein Wunder, denn Metallmassen, und vollends hoch angebrachte, ziehen den Blitz an. Aber noch heute besteht in vielen Gebirgsdörfern diese Sitte fort und fordert ihre Opfer, wie genaue Kenner der betreffenden Gegenden versichern. In ähnlicher Weise werden auch die Waffen der Soldaten gefährlich; es ist bekannt, daß der Blitz besonders häufig in militärische Lager oder marschierende Truppentheile einschlägt, wie sich das bei Berlin in diesem Jahre zweimal ereignete. Der größte Unglücksfall dieser Art traf 1864 ein nordamerikanisches Regiment, welches sich auf einem Hügel gelagert hatte, der die Ebene ringsum beherrschte. Eine ungeheure Feuersäule fuhr auf die Anhöhe herab, zerstreute das Lager, warf sämmtliche Mannschaft zu Boden und tötete fast alle Pferde. Achtzehn Mann waren tot, die andern beinah alle mehr oder weniger verletzt. Bei zwei Gewehrpyramiden entluden sich die Läufe, und die Geschosse töteten drei Soldaten in einem anstoßenden Lager.

Es wird ferner angenommen, daß größere Ansammlungen von Menschen schon für sich genügen, um den Blitz herbeizuziehen. Jedenfalls gestaltet sich hier die Verheerung viel schwerer. Am besten beobachtet wurde der von Heusner 1864 in den „Wiener medizinischen Blättern“ beschriebene Fall, wo der Blitz in eine Menschenmenge einschlug, welche aus Anlaß eines Wettrennens sich angesammelt hatte. Zwanzig Personen wurden getroffen; von ihnen blieben vier sogleich tot, während die übrigen theils nach wenigen Minuten, theils erst nach einer Stunde sich erholten, aber der Mehrzahl nach erhebliche Beschädigungen davontrugen. Diese bestanden in Verbrennungen und „Blitzfiguren“ an verschiedenen Körperstellen oder in weißgrau umsäumten Durchlöcherungen der Haut an den Fußsohlen, besonders an den Fußkanten, und in Rissen an den betreffenden Stellen der Strümpfe und Stiefel; das alles erinnerte im Aussehen an die Löcher, welche der elektrische Funke durch Kartenblätter schlägt. Auch die Kleider zeigten bei mehreren Verletzten ähnliche Brandlöcher, die sich dort, wo mehrere Schichten über einander lagen, nach innen zu vergrößerten. Bei Personen, welche Nagelschuhe trugen, waren solche Oeffnungen nicht vorhanden, offenbar weil die Nägel selbst dem Blitz als Leiter dienten. Die Wunden am Unterkörper sahen ganz anders aus als die am Oberkörper, was auf polare Verschiedenheiten des elektrischen Stromes zurückgeführt wurde. Auch bewiesen die mehrfachen, nebeneinander sichtbaren Durchbohrungen der Kleider und der Haut, daß der Blitz nicht in einfachem Strahl, sondern in ganzen Garben auf die Betreffenden niedergefahren war.

Daß hohe Bäume den Blitz anziehen weiß jeder, trotzdem suchen die Leute immer wieder während eines Gewitters Schutz unter Bäumen. Gewisse Bäume wie z. B. Buchen sollen jedoch verhältnißmäßig seltener vom Blitz getroffen werden, am häufigsten schlägt er in Eichen ein; der Grund dieser Erscheinung ist nicht ermittelt, vielleicht spielt hier die Bodenbeschaffenheit mit herein.

Es giebt einzelne Stellen, die eine besondere Anziehungskraft auf den Blitz ausüben: dieselben Pappeln am Wege, dieselben Weiden am Wasser wurden schon so und so viele Male getroffen. Diese Behauptung hört man sehr oft, wenn man auf Reisen mit Landwirthen über Blitzschläge spricht. Solche Orte sind besonders zu meiden, denn ihre Gefährlichkeit rührt höchst wahrscheinlich von unterirdischen Wassermassen her, welche den Blitz anziehen. Wenn man aber während eines Gewitters sich nicht unter einen Baum stellen soll, so ist es andererseits auch nicht gerathen, auf dem freien Felde zu bleiben, denn hier bildet man gerade einen hervorragenden Punkt, nach welchem der Blitz zielt. Schnelles Laufen und Reiten soll ebenso die Gefahr vermehren. In der That werden die meisten Opfer des Blitzes auf freiem Felde erschlagen, man hört seltener, daß Personen in Häusern getötet wurden, und so würde scheinbar hier der Spruch stimmen: „Mein Haus, meine Burg.“

Allein diese Burg ist selbst nicht immer sicher, deshalb hat sie der erfinderische menschliche Geist mit einem besonderen Schutzmittel, dem Blitzableiter, versehen. Da in den letzten Jahrzehnten die Zahl der Blitzschläge bedeutend zugenommen hat – nach statistischen Erhebungen sollen jetzt etwa dreimal soviel Gebäude vom Blitz beschädigt werden als vor dreißig und vierzig Jahren – so hat man der Blitzableiterfrage eine erneute Aufmerksamkeit zugewendet. Was die Städte anbelangt, so werden diese in Zukunft besonders gut gegen die Gewittergefahr ausgerüstet sein, wenn man erst die Blitzableiter an die Röhren der Gas- und Wasserleitungen angeschlossen haben wird; denn diese großartigen unterirdischen Rohrnetze bilden das trefflichste Reservoir, in welchem der Blitz neutralisiert werden kann. Eine derartige Verbesserung beschäftigt jetzt Städteverwaltungen, Wasser- und Elektrotechniker aufs lebhafteste, sie ist nicht weniger für weitere Kreise von hohem Interesse.

Der Blitz zieht sehr oft die Gas- und Wasserleitungen dem Ableiter selbst vor, weil sich ihm hier der bequemste Weg zu dem großen zusammenhängenden Leiter der Elektricität, zur Erdmasse, darbietet. Er sucht darum jene Röhren mit aller Kraft zu erreichen, selbst wenn er große Widerstände zu überwinden hat. Hier einige bezeichnende Beispiele: Im Jahre 1871 hat der Blitz in Alatri einen 10 m langen und 3/4 m tiefen Graben im Erdreich aufgeworfen, um von dem eigentlichen Ableiter zur Wasserleitung zu gelangen. Im Jahre 1877 fuhr der Strahl vom Ableiter der Kirche in Itzehoe mit Durchbrechung einer Mauer von der Dicke eines halben Meters auf die Gasleitung über, und im Jahre 1880 sprang er vom Ableiter der Nikolaikirche in Flensburg hinüber auf die Gasleitung des an der Kirche liegenden Schulhauses.

Denken wir uns nun ein Haus mit einem Blitzableiter, der mit dem ebenfalls vorhandenen Netz der Gas- und Wasserröhren nicht verbunden ist. Hier ist der Raum zwischen den beiden [643] getrennten Leitungen stets von der Blitzgefahr bedroht, denn der elektrische Funke wird immer das Bestreben zeigen, zu den Gas- und Wasserrohren überzuspringen. Selbst wenn diese viele Meter von dem Blitzableiter entfernt sind, so sichert das nicht unbedingt vor der Gefahr; das würde nur dann der Fall sein, wenn innerhalb des Zwischenraumes keinerlei auch nur vorübergehend angebrachte und nur mäßig leitende Gegenstände vorhanden wären. Es liegt aber auf der Hand, daß bei bewohnten Gebäuden eine solche Voraussetzung äußerst selten zutrifft, da jeder gewöhnliche Klingelzug, jede Goldleiste etc. zu ungeahnten Brücken und Verbindungsgliedern werden kann.

Schließt man aber den Blitzableiter durch eine eigene metallische Leitung an das Röhrennetz im Hause an, so ist jedes Ueberschlagen des Blitzes und ebenso jede Gefährdung der Röhren ausgeschlossen, vorausgesetzt, daß die letzteren in ihrem gesammten Verlaufe gleichfalls metallisch miteinander verbunden sind. Ist dies jedoch nicht der Fall, sind gewisse Stellen der Rohrleitung durch einen Elektricität nicht fortleitenden Kitt miteinander vereinigt, dann wird der Blitz solche Stellen in Gestalt eines Funkens überspringen und die Röhren schmelzen können, was jedoch auch ohne den Anschluß geschehen würde, wenn der Strahl die Wasser- und Gasleitung erreichen sollte. Allein unter allen Umständen bleibt dabei ausgeschlossen das mit Mauerdurchbruch verbundene Ueberschlagen des Blitzes von dem Ableiter zu den Röhren, ausgeschlossen ist die damit gegebene Bedrohung von Personen. „Durch den Anschluß des Blitzableiters an die Wasser- und Gasröhren,“ heißt es in einem Gutachten des Berliner Elektrotechnischen Vereins über diesen Gegenstand, „verschwindet in den meisten Fällen jegliche Gefahr, und in keinem Falle wird eine wesentliche Vermehrung der ohne den Anschluß bestehenden Gefahr bewirkt.“

Alle unsere Schutzmaßregeln sind nun zwar geeignet, die Blitzgefahr einzuschränken, allein gänzlich kann sie nicht beseitigt werden, und so werden ihr nach wie vor Menschen zum Opfer fallen; für das Verhalten diesen gegenüber ist es von Werth, sich eine Hauptregel zu merken. Wir müssen bedenken, daß der Blitzschlag nicht in allen, sondern nur in vielen, vielleicht in den meisten Fällen tötet; diejenigen, die mit dem Leben davonkommen, erholen sich in der Regel in kurzer Zeit, oft schon in wenigen Augenblicken. Doch kann es sein, daß die Bewußtlosigkeit tagelang andauert; jedenfalls ist es also für den Laien geboten, jeden vom Blitz Getroffenen, selbst wenn er ohne Lebenszeichen daliegt, bis zur Ankunft des Arztes als einen Scheintoten zu betrachten und dementsprechend zu behandeln.

Leute, die sich vom schweren Blitzschlag wieder erholen, haben keine Erinnerung an den Vorfall, wenn sie aus ihrer Betäubung erwachen; sie haben weder den Blitz gesehen, noch den Donner gehört.[1] Glücklicherweise geht die Mehrzahl mit raschen Schritten der völligen Gesundheit entgegen; manchmal aber hat der Blitzschlag langandauernde nervöse Erkrankungen im Gefolge, die indessen im großen und ganzen dann auch mit völliger Heilung abschließen.

Der Blitztod beschäftigt nur äußerst selten den Gerichtsarzt. Prof. E. Hofmann erwähnt einen höchst sonderbaren Fall, in dem er ein Gutachten abzugeben hatte: im Juni 1879 war während eines ungemein heftigen, mit Hagelschlag verbundenen Gewitters ein Fensterflügel einer Wohnung im dritten Stock so heftig vom Sturme zugeworfen worden, daß die mittlere Querleiste des Fensters brach und die Trümmer sämmtlicher Scheiben weit in das Zimmer hineingeschlendert wurden. Zwei fingerlange messerklingenartig geformte Glassplitter waren einem siebzehnjährigen Mädchen in die Brust gedrungen und hatten dessen Tod durch innere Verblutung veranlaßt. Obgleich ein im Zimmer anwesender Mann in dem Augenblicke, wo das Fenster in Trümmer ging, weder den Blitz gesehen noch den Donner gehört hatte, so wurde doch von den Angehörigen eine Tötung durch Blitzschlag angenommen, ebenso von dem herbeigerufenen Arzte, der auch in diesem Sinne den Totenschein ausstellte, worauf die Beerdigung erfolgte. Erst nach drei Wochen wurde der Fall durch genauere Erhebungen aufgeklärt und die wahre Todesursache festgestellt.

Wir schließen diese Bemerkungen mit der Hoffnung, daß es den unermüdlichen Forschungen der Wissenschaft gelingen werde, die Elektricität, die wir täglich mehr in unseren Dienst stellen, auch da so weit als möglich zu bezwingen, wo sie in Gestalt des Blitzes uns Gefahr droht.C. Falkenhorst.     


  1. In den Fällen, wo eine solche Erinnerung nach dem Erwachen aus der Betäubung besteht, ist man geneigt anzunehmen, daß der Blitz in der unmittelbaren Nähe der Betäubten niedergefahren ist und daß die nervösen Störungen der Betroffenen als sogenannte Schreckneurose aufzufassen sind.