Textdaten
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Autor: Ottilie Wildermuth
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Titel: Onkel Gottliebs Jugendliebe
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 47–48, S. 737–740, 765–766
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[737]
Onkel Gottliebs Jugendliebe.
Von Ottilie Wildermuth.

In der großen gemüthlichen Eckstube der Oberamtei, die man heutzutage Salon nennen würde, die aber dazumal, vor etwa vierundzwanzig Jahren, noch die Visitenstube hieß, saßen in emsiges Arbeiten und Plaudern vertieft drei junge Mädchen, zwei Gäste und ein Töchterlein des Hauses.

Es war ein vergnügliches Geschäft, zu dem man ihnen diesmal aus besonderer Vergunst dieses Staatszimmer eingeräumt hatte; der große runde Tisch vor ihnen, die Stühle, selbst der Fußboden, der sonst mit seiner alten getäfelten Arbeit so bübsch aussah: Alles war übersät mit leichtem, weißem Stoff, Bandstückchen, farbigen Bändern, Blumen, kurz mit all dem luftigen Apparat eines Ballstaates.

Ein bescheidener Ballstaat zwar möchte es erscheinen im Vergleich mit den Forderungen der Neuzeit: der Stoff, der damals für drei Mädchen hinreichte, würde heute nicht mehr genug sein, die breite Grundlage einer Einzigen zu überziehen, die weiße und rothe Rose und der Kornblumenzweig, mit dem Eugenie und Hedwig hier eine wundervolle Toilette herstellen wollten, hätte nicht den zehnten Theil einer der dicken laublosen Blumenkronen gegeben, mit denen unsere jungen Damen heutzutage als ein Mittelding zwischen Priesterin und Opferlamm die Bälle besuchen.

Nun, wie gesagt, die drei Mädchen, die hier an ihrem Ballstaat schneiderten, thaten es mit großer Befriedigung, in der Stille gewiß, daß sie in diesem Schmuck, wenn nicht bezaubernd und unwiderstehlich, – so hoch verstieg sich ihre Phantasie nicht – so doch recht nett und anmuthig aussehen würden, so gewiß, als dies unsere Mütter in ihren glattanliegenden Kleidern mit spannenlanger Taille, unsere Groß- und Urgroßmütter in Reifröcken und Schleppkleidern, Poschen und Haartouren auch geglaubt haben.

Eugenie, die Tochter vom Hause, putzte sich ein hübsches gewaschenes Mousselinkleid, in dem sie schon einmal als Brautjungfer aufgetreten, mit kornblumenblauen Schleifen aus; Hedwig nähte Spitzen um das nagelneue Kleidchen von schottischem Battist, das diesmal eingeweiht werden sollte; Jeannette aber saß etwas abgewendet von den Andern, wühlte und suchte in altem und neuem Kram von Bändern und Blumen, und Niemand durfte fragen oder wissen, was sie that, was die Neugier der Andern in nicht geringem Maße reizte.

„Höret,“ begann die kleine Hedwig bedenklich, „ich mag nun zählen, wie ich will, so bringe ich nicht mehr als neun Tänzer heraus …“

„Ach geh,“ rief ungläubig Jeannette aus ihrem Schlupfwinkel hervor.

„Gewiß,“ versicherte die Kleine ernsthaft, und rechnete an den Fingern, „da ist der eine Actuar, der andere hat eine Frau, die dazu noch krank ist, der Buchhalter, der Apothekergehülfe und zwei Commis …“

„Nur Einer tanzt,“ warf Eugenie sachverständig ein.

„Und der Doctor,“ fuhr Hedwig fort.

„Ist verheirathet,“ bemerkte Jeannette mit aufgeworfenem Mäulchen.

„Das genirt mich gar nicht,“ versicherte die Kleine genügsam, „ich plaudere eigentlich viel behaglicher mit Ehemännern, nur wundert mich, daß er noch tanzlustig ist.“

„Ach weißt Du, er tanzt um Kundschaft,“ meinte Jeannette, „so ein junger Prakticus muß Alles probiren, hie und da wird Einem übel auf einem Ball, da gibt’s immerhin Gelegenheit, sich nützlich zu machen. Aber Eugenie, nein, wie die dasitzt und phantasirt! freilich, die hat wohl ihr Schäfchen im Trocknen.“

Eugenie ward glühend roth, sie hatte freilich nicht gezählt und gerechnet, obwohl sie sich auch kindisch freute auf das seltene Vergnügen; Einen wußte sie, der heut kommen würde, Einen, den die Mädchen nicht gezählt, und den sie sich wohl hütete, zu nennen, – es war der junge Gutsbesitzer, der seit nicht lange dort drüben auf dem Rauhenstein hauste und allerlei menschenbeglückende Pläne in’s Werk zu setzen begann; – ihr guter Hausfreund, der Doctor, hatte ihr anvertraut, daß er die Einladung der hiesigen Honoratioren zu ihrem Königsball angenommen habe. Sie kannte ihn selbst noch nicht genau, aber bei einer Landpartie in die Thalmühle war sie neben ihn zu sitzen gekommen, und sie hatten allerlei schöne Ideen über Menschenwohl und Völkerglück miteinander ausgetauscht. Es waren ihr indeß noch ganz neue, vortreffliche Pläne über dies Thema eingefallen, und während sie hier ihre Schleifen und Blumen ordnete, dachte sie sich allerlei lange und interessante Gespräche aus, die sie wahrscheinlich mit ihm halten würde, wenn er, was gar nicht zu bezweifeln war, auf dem Balle sie alsbald erkennen und auffordern würde.

Ehe sie die muthwillige Jeannette noch weiter plagen konnte, ehe die kleine Hedwig dazu kam, ihren catalogue raisonné von der Tänzerwelt zu vollenden, kam die Mutter, die gute Mutter, die an solchen Tagen gewöhnlich des Tages Last und Hitze über sich nahm und dem jungen Volk freie Zeit ließ für seine Angelegenheiten. Sie sah aber diesmal ernst und bekümmert aus. „Leg’ die Sachen indeß bei Seite, Eugenie,“ sagte sie, „rühre etwas Wasser mit Johannisbeersaft und trag’s hinunter, bis ich einen Trank koche; die junge Frau unten ist gar nicht gut auf.“

[738] Eugenie legte willig ihre Herrlichkeiten bei Seite und ging mit der Erquickung in den untern Stock, wo seit einiger Zeit, in Ermangelung einer andern Wohnung, der Actuar mit seiner jungen Frau wohnte. Die Frau war Wöchnerin, das Kindlein, erst noch mit so unendlichem Jubel begrüßt, schlummerte nun fast unbeachtet in seiner Wiege, um das Bett der jungen Mutter aber, die bewußtlos in glühender Fieberhitze lag, stand angstvoll der Gatte, der Arzt und die Wärterin. Leise und schüchtern setzte Eugenie den Trank auf ein Tischchen, sie wagte nicht der kranken Frau näher zu kommen und wußte, so gern sie gewollt, hier nichts zu helfen, sie sah nach dem schlummernden Kindlein und schlich leise wieder herauf.

„Nicht wahr, die Frau ist sehr krank?“ fragte die Mutter.

„Ich meine doch nicht,“ versicherte Eugenie eifrig, „sie hat ja ganz rothe Wangen.“

„Eben diese Hitze ist das Aengstlichste,“ meinte die Mutter.

„O bewahre. Weißt Du, wie Tante Karoline einmal so krank war, die jetzt wieder ganz gesund ist? Gib nur Acht, die Frau Waldmüller wird gewiß wieder gesund!“

Die Mutter schüttelte bedenklich den Kopf und ging selbst zu der Kranken hinunter, während Eugenie, nicht mit demselben fröhlichen Herzen, wieder ihre anmuthige Arbeit aufnahm. Freilich kamen die drei Mädchen gar bald in dem Beschluß überein, daß die Krankheit der Frau Waldmüller gar nicht gefährlich sei und dieselbe wahrscheinlich morgen wieder hergestellt sein werde. Sie kannten selbst nicht den Egoismus ihres jungen Herzens, das nicht gern den Schatten fremden Leides auf seiner Freude leiden wollte.




Es war Nachmittag, der Ballstaat war fertig; ausgebreitet lagen die drei Gewänder mit ihrem Zubehör auf dem Sopha der Visitenstube, von ferne umkreist von den bewundernden jüngern Geschwistern, die Hedwig, die Hüterin der Schätze, immer wieder davon wegscheuchte; etwas ernst, aber recht anmuthig sahen die blauen Kornblumen zu Eugeniens weißem Kleid, sie trugen die Farbe ihrer Augen und mußten hübsch stehen zu der reinen, blühenden Gesichtsfarbe und den dunklen Haaren. Die kleine Hedwig verstand sich nicht auf Toilettenkünste, sie hatte eine ziemlich handfeste Schleife von starkem Rosa an ihrem Kleid vorne befestigt, eben solche an den Achseln, die ihrer etwas kurzen, runden Gestalt das Ansehen einer auffliegenden Taube geben mußten, sie baute aber getrost auf die rothe und weiße Rose, auf ihre siebzehn Jahre und ihr frisches blühendes Gesichtchen.

Die Mutter, die sonst so freundlich Theil nahm an aller Jugendlust, war wieder unten bei der kranken Frau, das ältere Knäblein, das man heraufgebracht, um das Krankenzimmer still zu erhalten, spielte in einem kleinen Gebirge abgängiger Spielsachen, mit denen ihn Oskar, Eugeniens kleiner Bruder, reichlich versorgte.

Da erscholl außen ein Freudengeschrei der zwei jüngern Kinder: „Onkel Gottlieb, Onkel Gottlieb!“ und mit dem überraschenden Lächeln eines Gastes, der sich willkommen weiß, ließ sich der Onkel in’s Zimmer schieben, wo er von den Großen mit demselben Jubel wie von den Kleinen empfangen wurde und nach seiner gewohnten Weise mit ruhigem Lächeln stehen blieb, bis der Begrüßungssturm vorüber war.

Onkel Gottlieb war Verwalter eines freiherrlichen Gutes, etwa sechs Stunden entfernt, ein Junggesell, mit dem löblichen Ehrgeiz so geliebt und so nützlich zu sein, als ob er Weib und Kind hätte. Da der Besitzer seines Gutes im Auslande lebte, so war er vollkommen unbeschränkt und fand in dem alten Schlosse Raum genug zu den höchst werthvollen Gegenständen, mit denen er seine verschiedenen Sammlungen bereicherte, und die er alle seiner Meinung nach um lauter Spottpreise, eigentlich geschenkt erhalten hatte.

Das Schloß, wo Onkel Gottlieb hauste und in stillem Vergnügen seinen Liebhabereien lebte, war das Eldorado für die Kinder der Familie, die alten großen Räume, die weitläufigen Gärten, die reiche Bibliothek, die vielen Gemälde, das Alles war die reichste Nahrung für junge Phantasie. Sie konnten aber dies Glück selten genießen, der Onkel mochte nicht zu oft Gäste empfangen in dem Schloß, das nicht sein Eigenthum war. Dagegen war er ein häufiger, ein gern gesehener und ein äußerst freigebiger Gast, der bei seinen kurzen Besuchen, auf denen er immer liebte zu überraschen, schöne Geschenke mitbrachte und fröhliche Partien veranstaltete. Seine kleinen Reisen zu Verwandten machte er immer zu Pferd, da er behauptete, es sei eine Schande, daß diese männliche und schöne Art zu reisen so abgekommen sei, und sich etwas darauf einbildete, ein vortrefflicher Reiter zu sein und prächtig zu Pferde zu sitzen.

Da ritt er denn auf einem wohlgenährten Braunen seinen steten Trott, eine willkommene Erscheinung für alle alten Weiber, Handwerksbursche und barfüßige Jungen auf der Landstraße, denn er hielt geduldig an bei jeder Bitte und ließ keinen Armen unbeschenkt ziehen; der bewundernde Jubel, mit dem ein paar arme Kinder sich in den Regen von halben Kreuzern theilten, das aufleuchtende Gesicht eines müden Handwerksburschen, dem er statt des landesüblichen Kreuzers einen Dreibätzner verabreicht hatte, konnte ihm auf dem ganzen Wege noch wohlthun.

Er kam, wie gesagt, immer unvorhergesehen und wollte ja Niemand lästig fallen. „Ich kann mich mit dem dümmsten Kerl noch gut unterhalten,“ rühmte er oft und nicht ganz mit Unrecht, er hatte Interesse für Alles und ein Herz für Alle. Daß also auch heute sein Bruder, der Oberamtmann, noch in der Amtsstube, die Schwägerin bei der kranken Frau war, bekümmerte ihn gar nicht, er wußte sich bei den Kindern so willkommen als bei den Alten. Nachdem der erste Begrüßungssturm vorüber war und er auch von den zwei jungen Gästen mit einigen Scherzen Notiz genommen hatte, setzte er sich recht bequem in den Lehnstuhl am Fenster, „des Onkels Sessel“ genannt, überlieferte dem jungen Volke, das beutegierig in einiger Entfernung lauerte, eine vielversprechende Tüte und ließ sich ohne Umstände gefallen, daß Eugenie, die seinen Geschmack schon kannte, ihn mit klarem rothem Landwein und sehr anständigen Resten des Mittagsbratens bediente.

„So, so, das ist leichtes Geschütz für den Königsball?“ sagte er, indem er wohlgefällig lächelnd die Ausstellung auf dem Sopha betrachtete, vor der Hedwig immer noch als Hüterin stand; „nu, sei nur ruhig Kleine, Du wirst etliche Tänzer bekommen, ich habe einigen Herren, denen ich unterwegs begegnete, schon ein gutes Wort gegeben und ihnen einen guten Schoppen Elfer versprochen, wenn sie fleißig mit Euch tanzen.“

„Aber Onkel, nein, ich bitte Dich!“ rief Hedwig, die die Späße des Onkels noch nicht so kannte, in tugendhafter Entrüstung, „meinst Du, so wollen wir uns ausbieten lassen?“

„So, so, Ihr meint wohl, Ihr bekommt von selbst Tänzer genug,“ lachte der Onkel, „weil Ihr so schön seid? Ich sag’ Euch, Ihr seid noch lange nicht so schön, wie die jungen Frauenzimmer zu meiner Zeit gewesen sind. Alle Wetter, ihr hätte sollen die Gertrud Engelmann sehen.“

„War das nicht eine Verwandte, Onkel?“ fragte Eugenie.

„Freilich war’s Eine, und was für Eine! Ja, ja, Mädchen, ich habe nichts gegen Euch, aber der dürft ihr Alle zusammen das Wasser nicht reichen! Wißt Ihr denn, Mädchen,“ und der Onkel nahm dazwischen eine Prise, um seine weichgewordene Stimme zu verbergen, „wißt Ihr, daß es heute vielleicht etwa gerade siebenunddreißig Jahre her sind, daß ich hier von diesem Hause aus als ein junger, schmucker Mensch auch meine Dame auf den Ball geholt habe? Ihr wißt ja, unser Vater war Oberamtmann hier, wie jetzt mein Bruder, Eugeniens Vater.

„Ein anderer Bursch war ich damals, als jetzt, das kann ich Euch sagen, schlank und gerade wie ein Grenadier – hätte nicht viel gefehlt, so hätte mich der alte König einmal zum Reiter gemacht – und frisch und gesund, kein Wassertropfen wär’ auf mir stehen geblieben. Ich war in den Ferien daheim, hatte den Preis für eine Arbeit bekommen, Ordnung gehalten mit meinem Geld, wie in meinen Studien, obschon ich überall ein flotter Kerl war. – Merkt’s Euch, Ihr Buben da, dann kommt man anders nach Haus, als wenn sich so ein Lump und Nichtswisser von Studenten daheim in allen Ecken herumdrückt und dem Vater nicht mehr kecklich vor’s Gesicht darf, wenn der in seine unbezahlten Rechnungen geschaut hat. Ich durfte meinem Vater unter die Augen treten! Und als ich zum ersten Mal wieder zu Hause am Tische saß, nach der Preisarbeit, da machte mir der Vater Platz neben sich, schenkte mir ein mit eigner Hand und sagte: „Frau, daß Du’s weißt, der Gottlieb trinkt von nun an aus meiner Bouteille.“ – Na Buben, was meint Ihr, glaubt Ihr nicht, daß Einem das heute noch wohl thut?

„Aber um auf den Ball zu kommen, so wurde an diesem [739] selbigen Tage, unser Herr war eben erst zur Regierung gekommen, hier ein festlicher Ball veranstaltet zu Ehren seines Geburtstages. – „Gottlieb,“ sagte meine Mutter zu mir, „Gottlieb, jetzt gehst Du hinauf auf den Rauhenstein und ladest die gnädigen Fräulein von Schleppengrill auf den Ball.“ – Dazumal wohnte nämlich auf dem Rauhenstein ein alter lahmer Baron von Schleppengrill mit Familie, sie sind jetzt alle ausgestorben; an wen ist wohl das Gut verkauft?“

„An einen Herrn Oswald, glaub’ ich,“ antwortete Eugenie, die es sehr wohl wußte, zögernd und hocherröthend.

„Also die Fräulein von Schleppengrill sollt’ ich holen,“ nahm der Onkel seinen Faden wieder auf. „„Frau Mutter, das thu’ ich nicht,“ sagt’ ich. – Das braucht Ihr nicht nachzumachen, Buben, es war das ein Ausnahmsfall. – „Das thu’ ich nicht, die Fräulein sind alt und wüst, und die ganze Familie hat mich immer hochmüthig behandelt.“ – „Ei was, jetzt werden sie höflich sein,“ meinte meine Mutter, „der alte Herr hat von Deiner Preisarbeit gehört, und daß Du so geschickt seiest, er hat selber den Vater nach Dir gefragt, gib nur Acht, sie sind diesmal gewiß artig.“ – „Ist mir eins,“ sagte ich, „jetzt will ich erst nicht, warum sind sie nicht vorher höflich gewesen, – seien Sie nur ruhig, Mama,“ damals war’s noch nicht der Brauch, daß man die Eltern ohne Weiteres duzte, ist erst mit der Revolution aufgekommen, – „seien Sie nur ruhig,“ sagte ich, „ich will schon eine Tänzerin bringen.“ –

„So hetzt’ ich denn meines Vaters Amtssubstituten hinüber auf den Rauhenstein, – dem war’s noch eine Ehre, und ich wußte, wenn die Fräulein gern tanzen wollten, so gingen sie auch mit dem. Ich aber ging hinaus in die Vorstadt, Hagenau zu.

„In der Vorstadt da wohnte in einem kleinen Häuschen der Herr Vetter Extraprobator. Wie wir eigentlich verwandt gewesen sind, weiß ich so genau nicht, ich glaube, seine Mutter war ein zugebrachtes Kind aus der ersten Ehe meiner nachmaligen Stiefgroßmutter; – genug, man hieß ihn eben Herr Vetter. Der Herr Vetter war von jeher etwas schwach im Geiste gewesen, seit dem Nervenfieber, wie seine Frau behauptete, war er immer noch schwächer geworden, und lebte nun von einem kleinen Ruhegehalt allhier, wo es damals wohlfeil zu leben war und wo sie den Genuß eines Bürgerstückchens hatten.

„Die Frau Base, des Herrn Vetters Frau, war eine grundgescheidte Frau, sie erhielt ihren Mann in Ehren, so dumm er war, und machte ihm seine alten Tage behaglich mit sparsamen Mitteln. Ihr einzig Kind, die Gertrud, war fort gewesen als Hausjungfer, im Dienen, sagte man dazumal noch, heutzutage würde man sagen in einer Stelle zur „Unterstützung der Hausfrau“. – Wie dem auch sei, die Gertrud war mir und auch andern Leuten so respectabel, wie eine Königin. Daheim bei uns hatte gar Niemand an sie gedacht, da die Frau Base in noblem Stolz sich immer zurückhielt von den vermöglichen Verwandten. Ich aber dachte an sie, ich hatte sie schon etlichemal im Vorbeigehen gesehen, seit ich in der Vacanz war.

„Hinter des Herrn Vetters Hause war ein ganz kleines Gärtchen, so schön gepflegt und erhalten, wie ein Paradiesgärtchen, es blühte da prächtig zusammen mit späten Nelken, Levkoy und Herbstrosen. Gertrud aber ruhte nicht in einer Geisblattlaube, wie’s in den Romanen der Brauch ist, nein, sie stand an einem Waschzuber, den sie, weil’s im Häuschen so eng war, herausgestellt hatte, in einem allen Barchentkleidchen und wusch. – Das that aber nichts zur Sache, – nichts für ungut, Mädchen, aber so Eine kommt nur alle hundert Jahr einmal auf die Welt, – eine prächtige Gestalt, wie eine Herzogin, solche wundervolle Haare, Augen wie Sonnen, und Gott weiß, wie sie’s angegriffen hat, daß sie mit all dieser hellen Pracht von Schönheit doch so sanft und so demüthig ausgesehen hat!

„Sie wandte sich um, als sie mich kommen hörte, und blickte mich an. – So kann Einen Niemand mehr grüßen auf dieser Welt, wie sie. „Gertrud,“ sagte ich, „heute Abend ist Königsball, und Du mußt meine Ballkönigin werden.“ – „Ist’s Dein Ernst?“ fragte sie und gab sich gar keine Mühe, ihre helle Freude zu verbergen. Das arme Kind war achtzehn Jahre alt und hatte noch selten erfahren dürfen, daß sie jung war. Mit der Mutter hatten wir einen schweren Stand, bis sie’s erlaubte; „ich zweifle wirklich,“ sagte sie endlich nach ihrer klugen Weise, „ob’s der Papa zugibt, er ist so eigen in diesen Sachen.“ Der Papa, du lieber Gott, der war froh, wenn man ihn in Ruhe ließ. Als ich ihm den Fall vortrug, sagte er sehr bedächtig: „ich habe über die Sache bereits der Mutter meine Ansicht mitgetheilt,“ – nun kurz und gut, sie mußten nachgeben.“

„Aber, Onkel, wie war’s möglich, daß die Gertrud noch einen Ballanzug herrichten konnte?“

„Das war ihre Sache; ich sage Euch, wenn Ihr heut in dem Euren nur den zehnten Theil so schön ausseht, wie sie ausgesehen, so dürft Ihr Gott danken.

„Kam also der Abend; ich ließ die Mama auf dem Glauben, daß ich die Fräulein Schleppengrill abhole, und putzte mich.“

„Recht schön, Onkel?“

„Will’s meinen; anders als die Bursche heutzutage, die sich nicht entblöden, im Ueberrock zu tanzen; da hätte zu meiner Zeit ein Frauenzimmer mehr auf sich gehalten, als daß sie mit so Einem getanzt hätte. Milchweiße, seidene Strümpfe hatte ich an und kurze Suwarowstiefeln mit rothen Kappen und kurze Hosen von echtem Nanking; Eure Bursche jetzt, die Waden haben wie eine kranke Lerche, die können freilich so etwas nicht riskiren – und eine gestickte Weste nebst einem blauen Frack vom feinsten Tuch, die Elle hatte neun Gulden gekostet, und ich hatte mir ihn selbst angeschafft von dem Preis.“

„Aber die Gertrud?“

„Nun, ein weißes Kleid brauchte damals keinen solchen Umstand und war nicht so weit wie ein Kirchenrock; aber schön gestickt war das Kleid der Gertrud von ihrer eignen fleißigen Hand, sie hatte es mit grünen Epheublättern garnirt, und grüne Epheublätter trug sie in ihren prächtigen Haaren, die griechisch aufgewunden waren, dazwischen eine echte Perlenschnur, und Perlen um den Hals – so ein Schmuckstück fand sich damals in jeder honnetten bürgerlichen Familie – es kann gar nichts Schöneres mehr geben als diese Jungfrau …“ Der gute Onkel mußte wieder eine Prise nehmen und konnte lange nicht mehr fortfahren; er bemerkte auch nicht, wie bei seiner langen Erzählung mit den vielen eingeschalteten Sätzen da und dort Eins von seinen jungen Zuhörern sich fortgeschlichen, nur Eugenie hörte ihm noch mit wahrem, lebendigem Interesse zu.

„Meine Eltern und Schwestern waren schon im Saal,“ hob er endlich wieder an, „auch die Schleppengrillen mit dem Substituten waren bereits angerückt in unmäßigem Staat mit Schäferhütchen und Turbanen – wie aber die Thür aufging und ich hereintrat mit meiner Dame in all der hellen Pracht ihrer Jugend und Schönheit, da hättet Ihr sehen sollen, wie sie aufschauten!“

„Wie in dem Märchen von der Aschenbrödel, Onkel?“

„Meinetwegen ja, – „ist das des Extraprobators Gertrud?“ – fragte Eins das Andere. Ja, die war’s! Und wir tanzten Menuet und Ecossaise, nichts Schöneres, und die Mama hatte auch nichts mehr dagegen …“

Eugenie bemerkte jetzt, daß Jeannette sich weggeschlichen, um den Anfang ihrer Toilette zu machen; da trat die Mutter mit sehr ernstem, trübem Gesicht herein, das nicht aussah, wie eine Ballvorbereitung. „Es ist keine Hoffnung mehr,“ sagte sie, als sie den Onkel kurz und herzlich begrüßt hatte, und brach in Thränen aus, „es kann heute Nacht noch zu Ende gehen; die armen Kindlein, der arme Mann!“

„O, ist’s möglich?“ sagte bestürzt Eugenie, deren Gedanken eben wieder von dem Ball aus alten Tagen zu dem heutigen Balle gewandert waren, und die so ziemlich der kranken Frau vergessen hatte.

„Es ist gewiß,“ sagte die Mutter traurig, „ich werde die Nacht bei ihr wachen.“ In dem Augenblick kamen Hedwig und Jeannette, um mit Vorsicht den Ballstaat zu holen, die Mutter theilte ihnen den traurigen Stand der Krankheit mit. „Daß von uns aus nicht die Rede sein kann auf einen Ball zu gehen, so lang eine Hausgenossin in den letzten Zügen liegt, werdet ihr natürlich finden,“ fuhr sie fort. „Frau Lenz war so freundlich mir anzubieten, daß sie Euch mitnehmen wolle; ich stelle es Euch frei; von Dir, Eugenie, nehme ich an, daß Du selbst nicht daran denkst zu gehen.“

„Ich würde sehr gern zurückstehen, Tante,“ versicherte Jeannette geläufig, „ich kann Dich versichern, die Freude ist mir eigentlich ganz genommen – nur denke ich – da ich die Frau so garnicht näher kenne – es – es könnte sie alteriren, wenn sie zufällig erfahren sollte, daß sie uns um das Vergnügen gebracht hat …“

[740] „Na, gnad Gott deinem Mann!“ brummte der Onkel für sich, „um Ausreden bist du nicht verlegen, wenn sie auch diesmal etwas dumm sind.“

„Ich bliebe auch gern da, Tante,“ begann Hedwig einen Entschuldigungsversuch, „wenn – wenn ich mich nicht so gefreut hätte.“

„Geh’ immer hin,“ sagte die Mutter, lächelnd ihre Stirn streichelnd, „Katharine bringt einen großen Korb zu Euren Kleidern, Ihr könnt Euch auch ankleiden bei Frau Lenz.“

Eugenie legte schweigend ihre Schleifen und Kornblumen in ein Körbchen und trug ihr Kleid hinaus; sie hätte sich geschämt sehen zu lassen, wie nah’ sie dem Weinen war; sie schämte sich auch, als in ihrem Stübchen die Thränen nun doch unaufhaltsam flossen, aber sie konnte nicht anders.

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Die Fenster des Ballsaals im Gasthof zur goldnen Krone waren hell erleuchtet, man konnte die Helle noch von den Fenstern der Oberamtei aus sehen, den fernen Klang der Tanzmusik hören. Unten vernahm sie Niemand, wo hinter geschlossenen Läden das trübe Lichtchen der Krankenstube hervorschimmerte; auch oben brannte noch ein Licht, in dem großen Zimmer, von dem man hinunter sehen konnte nach dem Gasthof; da saß Eugenie, die unmöglich schon zu Bette gehen konnte, obgleich der Vater sich zur Ruhe gelegt hatte, und der Onkel noch ein wenig ausgegangen war, um einige Bekannte in der Krone zu sprechen.

Wir können nicht leugnen, Eugeuie, obwohl ein vernünftiges Mädchen, hatte lange an dem offenen Fenster gelehnt, hatte nach den Lichtern gespäht, nach den flüchtigen Tönen der Musik gelauscht, sogar getrachtet, ob sich unter den Schatten, die dort am Fenster vorbei huschten, nicht eine Gestalt unterscheiden ließe. – Die Tanzmusik selbst ließ ihr junges Blut nicht ganz unbewegt, es war ein Vergnügen, das sie so selten genießen konnte, übermächtiger war doch die Frage: war er da? mit wem wird er reden? wird er mich wohl vermissen? Endlich hatte sie das Fenster geschlossen und sich gesetzt, es war gar stille um sie. Sie dachte, wie ihr so nahe eine Seele vielleicht den letzten Kampf kämpfe, den furchtbar ernsten Schritt thue in die dunkle, unendliche Ewigkeit. Es war eine gute, stille Frau gewesen, die Kranke unten, sie hatte ihrem Manne, ihren Kindlein, ihrer Pflicht gelebt frommen und einfältigen Herzens, – wie seltsam, wie unheimlich fast kam Eugenien der Ballsaal vor, wenn sie ihn im Stillen verglich mit dem Sterbekämmerlein, wo die Kranke, wie sie sie heute Abend gesehen, so still mit gefalteten Händen dalag.

Sie dachte an ihn, den sie gehofft zu sehen, – man sagte, er habe sein Gut verpachtet und gehe auf ein paar Jahre nach England, – dann sah sie ihn vielleicht nie wieder. Sie blätterte in dem Gesangbuch, in dem die Mutter diesen Abend gelesen, eh’ sie ihre Nachtwache antrat, sie schlug auf und traf die Worte:

Der beste Will’ ist Gottes Will’,
In diesem ruht man sanft und still,
Begib dich all’zeit frisch hinein,
Begehre nichts, als nur allein
 Was Gott gefällt.

Wie hatte sie sich denn so vergeblich grämen können? Wenn es Gottes Wille war, daß sie ihn wieder sehen sollte, – weiter wollte sie noch nicht denken, – lag es dann nicht in Gottes Hand sie zusammen zu führen? Es wurde gar stille in ihr: das Leben der jungen Frau unten, all ihr eignes Sein und Leben konnte sie recht zuversichtlich in Gottes Hand legen, und ein Frieden zog durch ihre Seele, ein stilles, herzinniges Glück, wie sie es nie empfunden in Licht und Glanz des Ballsaals. – Draußen tönte die Klingel; sie fuhr auf und eilte hinab; war es die Mutter mit der Todeskunde? Es war der Onkel, der vom Gasthaus zurückkam.

„Es war nichts,“ sagte er etwas verdrießlich, „vernünftige Leute können einander nicht recht sprechen neben solchem Gethu, aber wenn Du nicht schläfrig bist, und Du bringst mir ein Gläschen von Deiner Mutter Stachelbeerwein, so bleibe ich noch bei Dir.“

Eugenie bediente den Onkel und saß gemüthlich neben ihm auf dem Sopha; wer da drüben gewesen, das konnte sie trotz aller Mädchendiplomatie nicht herausbringen, – der alte Herr lebte in vergangnen Zeiten.

„Es war mir seltsam zu Muthe da drüben,“ gestand er dem jungen Mädchen, „es ist noch derselbe Saal.“

„Und hast Du noch oft dort mit der Gertrud getanzt?“ fragte Eugenie etwas schüchtern.

„Nie mehr,“ sagte der Onkel fast feierlich. „Siehst Du,“ hob er wieder an, „heut’ Nacht ist mir’s nun gerade, als sollt’ ich Dir Alles erzählen – es ist kurz beisammen – und wenn Dir Dein verlorner Ball ein Bischen weh gethan hat, so kannst Du sehen, daß man oft auf mehr verzichten muß als auf einen Ball.

„Noch eh’ ich die Gertrud auf den Ball geführt, an die überhaupt daheim bei mir Niemand dachte, hatte mir mein Vater ein feierliches Ehrenwort abgenommen, daß ich mit keinem Mädchen vom Verlieben und Verloben sprechen wolle, bis ich mein eigen Amt und Brod habe, – „das frühe Versprechen taugt den Kuckuk nichts,“ meinte er, „wenn Du aber so weit bist, daß Du auf eignen Füßen stehen kannst,“ hatte er gesagt, „so wähl’ mit Gott, Du sollst einen guten Rath haben, wenn Du willst, aber ich verspreche Dir, daß ich auch Deine freie Wahl ehren will, und die Jungfrau, die Du mir bringst, soll uns als Tochter willkommen sein.“ – Mein Vater hatte oft etwas Feierliches in seiner Redeweise.

„So hatte ich denn mit der Gertrud kein einziges Wort gesprochen, als was Vetter und Base zusammen reden dürfen. Die Aussichten auf Anstellung waren dazumal auch lang, und man dachte gar nicht daran, daß sich ein Student verloben könnte. Auch wir dachten nicht so weit, nur eine rechte Freude hatten wir aneinander, so oft wir uns sahen. Als ich von den Ferien wieder auf die Universität ging, gab sie mir ein Wandersträußchen mit auf den Weg, Immergrün und ein Spätröschen. Als ich in die Osterferien kam, sagte mir die Mutter, Gertrud sei wieder fort als Weißzeugverwalterin in einer großen Fabrik. Das wird auch anders werden, dacht’ ich bei mir und studirte und schaffte, als gält’s Minister zu werden. – Wenn Dir einmal Einer sagt, er habe Dich gern, Mädchen, so paß zuerst auf, ob er daneben tüchtig studirt, oder was sonst sein Geschäft ist auf der Welt; thut er das nicht, so laß ihn laufen; eine Liebe, die Einen faul macht, die ist nichts nutz.

„Als ich im Herbst wieder kam, brachte ich einen Brief mit vom Professor Schemmeler, des Vaters Jugenfreund und Factotum, der strich mich so heraus, daß der Vater mir seine goldene Uhr schenkte; ich war voll lauter froher Hoffnung und konnte es diesmal fast nicht erwarten, bis ich zu dem Häuschen in der Hagenauer Vorstadt hinauskam. Noch ein Jahr, so hatte ich ja absolvirt und doctorirt; wer weiß, ob nicht da schon der Vater ein Bischen weich gab, und das eigene Brod konnte dann in keinem Falle mehr weit sein. Auch fiel mir erst ein, daß ich nur versprochen, mit keinem Mädchen vom Verloben zu reden; wenn ich gegen eine Mutter ein Wörtchen fallen ließe, so war’s am Ende keine Sünde.

„Unter solchen Gedanken kam ich zum Häuslein des Vetters. Alle Wetter, war’s da aufgeputzt, und stand ein neuer Lehnsessel im Zimmer mit grünem Saffian und goldnen Nägeln, in dem saß der Herr Vetter in einem prachtvollen Schlafrock von gestepptem Kupferzitz; kam die Frau Base in einer Spitzenhaube und einem seidenen Kleid; „was ist bei Ihnen los, Frau Base?“ fragte ich, war mir aber nichts Gutes vor. – „Wissen Sie’s denn noch nicht, Herr Vetter? Unsere Gertrud ist ja Braut mit dem Associé des Herrn Fehringer, bei denen sie im Hause war? Nicht wahr, so ein Segen kommt nicht oft über ein armes Mädchen? Und da sehen Sie, wie generös der neue Herr Tochtermann ist, und unser Fritzle kann jetzt studiren, und unsern Gottlobele nehmen sie in’s Geschäft. Heute Abend noch erwarten wir sie.“ – Sie fand gar kein Ende. Ich aber machte, daß ich weiter kam. Ob sie etwas gemerkt hatte, weiß ich nicht; ich glaub’s, sie war ein gescheidtes Weib. Meine Mutter hat’s gemerkt, das sah ich an ihrem Gesicht, als ich wieder heim kam, aber sie that mir die Liebe und sagte nichts.“ Der Onkel war lange still.

„Hast Du sie nicht mehr gesehen?“ fragte Eugenie schüchtern.

„Warum nicht?“ sagte der Onkel in fast rauhem Ton, „hat sie doch Brautvisite gemacht bei meinen Eltern in einem grünseidenen Kleid und einem langen weißen Shawl, der sechszig Gulden gekostet, und einer goldenen Uhr mit Perlen eingefaßt und einer goldenen Erbsenkette!“

„Und wie war der Bräutigam?“

„Wie wenn ihn der Dreher von verlegenem alten Buchsbaumholz gedreht hätte, nicht jung und nicht alt, nicht warm und nicht kalt, der langweiligste Kerl auf Gottes Erdboden.“

[765] Nach einer Pause fragte Eugenie schüchtern, wie um den Onkel zu besänftigen: „Aber brav und rechtschaffen war Gertrudens Bräutigam?“

„Brav und rechtschaffen; nun ja meinetwegen, das ist seine verfluchte Schuldigkeit!“ brummte der Onkel immer noch ungnädig, „aber langweilig war er, auch in seinem Geschäft war kein frisches Regen und Bewegen; als meine Mutter erwähnte, daß Gertrud so schön singe, und fragte: „der Herr Vetter werden auch ein Instrument spielen?“ da sagte er mit einiger Verlegenheit: „ich trommle zuweilen zu meinem Vergnügen auf dem Dachboden, es ist das ein Instrument, das sich selten verstimmt und bei dem man zugleich Motion hat.“ – Habt ihr auch schon einen Kerl gesehen, der zu seinem Vergnügen trommelt?“

„War Gertrud glücklich?“

„Dummheit! wie kann denn so ein Mädchen glücklich sein mit so einem hirschbeinernen Langweiler, wenn sie einen Burschen wie mich gekannt hat?“

„Aber zufrieden?“

„Ja, ja, sie war immer wie ein Engel!“ rief der Onkel, ungeduldig daß er seine Weichheit nicht unterdrücken konnte, „sie sah mich an mit dem sanften, schönen Blick, mit dem nur sie Einen ansehen konnte, sie bot mir die Hand und sagte: „Nicht wahr, Du wünschest mir Glück, und meinem Bräutigam auch, der so gut ist und meinen Eltern das Alter so leicht macht?“ – Nun, das hätt’ ich ja meinetwegen auch gethan; dem alten Extraprobator hätte nichts sollen abgehen, wenn ich auch nicht gleich Saffianstühle hätte polstern lassen können, auf einem Barchentüberzug wäre er nicht ausgerutscht! Aber freilich, warum hatt’ ich nicht reden dürfen!“

Der Onkel ging rasch im Zimmer auf und ab, und Eugenie mußte im Stillen denken, der Mama Stachelbeerwein bekomme eine gewaltige Lücke, ganz in Gedanken schenkte er das zierliche Gläschen ein Mal um’s andere voll.

„Ist’s gut gegangen?“ fragte endlich Eugenie leise.

Der Onkel setzte sich ruhig neben sie und sagte langsam, fast feierlich: „Das will ich Dir sagen, Mädchen, wie’s gegangen ist. Was ich da erzähle, war im Herbst; im Frühling sollte die Hochzeit sein; der Bräutigam, der Herr Huzelberger, wollte zuvor noch ein neues Haus bauen. Ich arbeitete nun erst wie toll, Tag und Nacht, um mein Examen noch ein halbes Jahr früher zu machen; ich hatte mich engagirt, dann den jungen Baron von Holst auf Reisen zu begleiten – ich wollte gern recht weit fort sein. Das Examen war glücklich vorüber, und ich schickte mich an nach Hause zu gehen, um mich zur Reise zu rüsten, es freute mich nichts auf der Welt recht – da klopft’s an meine Thür; wer meinst Du, daß herein kam?“

„Gertrud?!“ rief Eugenie erstaunt.

„Warum nicht gar?“ brummte der Onkel, „der Bräutigam war’s, der Herr Huzelberger, er sah aber nicht so gebügelt aus wie sonst, hatte auch nicht seine sieben Lachets an der Uhr hängen. Was in aller Welt wollte der bei mir? Seine Fabrik lag freilich nicht weit von der Universitätsstadt, aber er hatte mich noch nie besucht und ich ihn noch seltener.

„Herr Vetter,“ hub er an, „ich wende mich an Sie in einer traurigen Familienangelegenheit, wo ich selbst nicht den Muth habe zu reden.“ – Was konnte das sein? – „Mein Associé hat Bankerott gemacht,“ fuhr der Mann mit ruhiger Desperation fort, „er hat mich betrogen, wie alle Welt. Alle meine Ersparnisse, das Resultat meines ganzen Lebens, sind verloren, ich muß von Grund wieder anfangen. Der Chef eines Handelshauses in H., der weiß, wie unschuldig ich bei der Sache bin, hat mir eine Stelle als Buchhalter mit 800 fl. Gehalt angeboten, ich nehme es an – aber das ist keine Zukunft, die ich meiner Braut anbieten darf. Sehen kann ich sie nicht mehr,“ – ich muß sagen, dem armen Mann war das Herz recht schwer, als er das sagte, – „aber ich hörte, daß Sie nach U. reisen; wollen Sie, Herr Vetter, in eigner Person oder durch Ihren Herrn Vater Gertruden und ihren Eltern mittheilen, daß ich sie ihres Wortes förmlich und feierlich entbinde, daß ich unsere Verbindung als aufgelöst betrachte und mich aller weiteren Ansprüche enthalten werde, daß ich fernerhin“ – daran mußte der Kaufmann natürlich denken – „sie bitte, alle die kleinen Pretiosen und sonstigen Werthgegenstände, die ich ihr in der Zeit unsres Brautstandes verehrt, als Andenken zu behalten, da es mir auch ohne dies möglich sein wird, sämmtliche Passiva zu decken, die noch an meiner Person haften möchten.“

„Gott weiß, der arme Mann dauerte mich von Herzen; ich ließ vom besten Markgräfler kommen und wartete ihm auf, er wollte aber nichts nehmen. Ich versprach ihm, Alles ins Reine zu bringen, und hatte nie zuvor so freundlich und respectsvoll von ihm Abschied genommen wie jetzt, wo er bankerott war. Ich hatte zuerst kein fröhliches Herz und mußte viel an den armen Mann denken, wie ich so heimwärts ritt. Aber es war herrliches Frühlingswetter, grüne Wiesen und Felder und Lerchengesang; nach und nach kam mir denn doch Alles anders vor. Es war ja sichtbar Gottes Finger, daß Gertrud frei wurde von dem Mann, der so gar nicht zu ihr paßte; für ihn war es auch besser, wenn er frei und allein blieb, eine Familie hätte ja nur seine Sorgen vermehrt.

„Und als ich daheim mein Pferd durch einen Buben in die Stadt führen ließ und dem Häuschen zuging in der Hagenauer Vorstadt und als ich Gertrud allein daheim traf und sie bat, mit mir in die Laube zu kommen, als sie so neben mir saß in all’ ihrer Schönheit – o, da war mir’s so leicht ihr Alles darzustellen als eine Schickung vom Herrn, der ihr Herz wieder frei gebe, das sie nur aus Pflicht hingegeben, und nur so leise und nebenher erzählte ich von meinen eignen günstigen Aussichten und wie ich ihr wollte das Leben leicht machen und ihre Eltern auf den Händen tragen; ach, ich sagte so viel mehr, als ich hatte sagen wollen, mein Herz war so voll, und sie blieb so lange still und hatte ihr Angesicht tief gesenkt.

„Endlich sah sie auf und schaute mich an ganz still und lange mit diesen schönen, tiefen, dunkelbraunen Augen. – „Du glaubst, ich solle sein Anerbieten annehmen?“ fragte sie langsam. „Gewiß,“ sagte ich, „es ist sein eigner Wunsch und Wille.“

„Glaubst Du das?“ – Ich konnte nichts darauf antworten, sie fragte so tief in’s Herz hinein. – „Und glaubst Du, daß es recht so wäre?“ fragte sie wieder.

„Und möchtest Du,“ sagte sie weiter mit ihrer sanften innigen Stimme, „möchtest Du ein Mädchen lieb haben, um ein Mädchen werben, die einem Manne ihr heiliges Wort gegeben hat, als er reich war und glücklich, die seine Güte und seine Gaben angenommen, und die ihn allein ließe und verlassen, wenn er in Unglück ist?“

„Weiß Gott, ich saß da wie ein Schulknabe und konnte nichts erwidern. „Aber Deine Eltern werden nicht mehr wollen,“ stotterte ich endlich, „und für ihn selbst wird eine Frau mehr eine Last sein …“ – „Das ist meine Sache zu sorgen, daß ich ihm keine Last werde,“ sagte sie, „und die Eltern werden sich nicht weigern zu gestatten, was recht ist.“ – „Und ich gelte Dir nichts dazu?“ rief ich endlich heftig, „und daß ich Dich seit Jahren im Herzen getragen, lang eh’ Dich dieser Handelsmann gekauft hat, das rechnest Du für nichts?“ Da hat sie lange und still geweint. - „Das Alles,“ sagte sie endlich leise, „habe ich überwinden müssen, eh’ ich das erste Ja gesprochen. Für Dich wie für mich möchte ich Gottes Segen und Frieden, der denen wird, die das thun, was sie für Gottes Willen halten.“

„Wie lange wir da noch beisammen gesessen, weiß ich nicht; [766] ihr Kopf lag an meiner Schulter, sie weinte und weinte, und ich dachte immer, vielleicht dürfen wir doch so miteinander sterben. Aber sie stand auf und legte den Ring wieder in meine Hand, den ich ihr von dem Bräutigam gebracht, und sagte: „Bringe ihm den zurück und sag’ ihm, daß ich sein treues Weib sein wolle, auch in Sorge und Noth. Und Du, lieber Gottlieb, nicht wahr, Du wünschest mir Gottes Segen?“

„Daß ich’s gethan habe, weiß Gott, wenn ich auch nicht mehr reden konnte.“




Es war sehr still im Zimmer, Niemand hörte auf die fernen Musiktöne, der alte Mann und das junge Mädchen lebten bei lange vergangenem Lieben und Leiden.

„Daß ich dem jungen Ding da so viel sagen mußte,“ begann endlich fast ärgerlich der Onkel, „aber so ist’s, wenn alte Leute in’s Schwatzen kommen.“

„Aber Du sagst mir doch, wie es vollends gegangen ist?“ bat Eugenie.

„Nun, was ist da noch viel zu sagen? Die Alten wären gern wieder rückwärts gegangen, wer aber fest blieb, das war Gertrud. Sie verkaufte ihren Schmuck und den kostbaren Shawl – ich war schon außer Landes, als sie Hochzeit hatte – und zog mit ihrem Mann in eine Mansardenwohnung, da arbeitete sie heimlich um Geld. Ich blieb wohl sechs Jahre fort und versprach dann dem Baron, die Verwaltung seiner Güter zu übernehmen – an einem Amt hatte ich keine Freude mehr. Als ich zurück war, besuchte ich Gertrud. Wie eine schöne Königin in der Verbannung kam sie mir vor in ihrer Mansarde. Aber wie ich die Treppe hinauf stieg, hatte ich sie mit ihrer lieblichen Stimme ein heiteres Liedchen singen hören, sie hatte viele Blumen am Fenster und ein Vögelein, und zwei schöne Kinder spielten bei ihr auf dem Boden; da sah ich denn, daß sie nicht unglücklich war, noch eh’ ich in ihre klaren Augen geschaut, die still waren und rein und unschuldig, wie Kinderaugen. Ihr Mann kam eben mit seiner Trommel vom Boden herunter, wo er sich vergnügt hatte. Sein Anblick hat mich weniger erquickt, obgleich er seelenvergnügt war und seine Frau über alle Himmel hinaus pries und mir rühmte, wie er wieder ein paar ganz nette, kleine Geschäftchen gemacht habe, und es sichtbar vorwärts gehe mit ihren Umständen.

„Ich habe ihnen ihren Frieden recht von Herzen gegönnt, aber, Gott verzeih mir, wenn es eine Sünde war! als man die schöne junge Frau ein Jahr nachher hinaus trug mit einem Geleite wie es nicht viel Gräfinnen gehabt haben, als ich wußte, wo sie schlief in der grünen Ecke vom Kirchhof, da war mir’s doch noch viel friedlicher ums Herz. Es ist vorüber. Aber gut Nacht, Mädchen! gute Nacht! Leg’ Dich zur Ruh, sonst wirst Du müder, als wenn Du beim Balle gewesen wärest.“




Einen Abend lang währet das Weinen, aber am Morgen kommt die Freude. Die junge Frau war nicht gestorben, der Arzt gab wieder Hoffnung, durch das geöffnete Fenster des Nebenzimmers durfte die frische Morgenluft in das Krankenzimmer eingelassen werden, und das ältere Knäblein spielte im Garten.

Eugeniens Mutter hatte sich zur Ruhe gelegt, der Onkel, dem es heute eine gewisse Verlegenheit war, mit dem jungen Mädchen zusammen zu sein, der er sein Herz so aufgeschlossen, hatte einen Spazierritt unternommen, die drei Mädchen aber saßen in der Gartenlaube, wo der gestrige Ball gründlich durchgesprochen wurde.

„Wie schade, Eugenie,“ meinte Jeannette, die heute ziemlich bleich und verwacht, ganz und gar nicht wie eine Flora aussah; „wie schade, daß die Frau jetzt erst nicht gestorben ist, und Du so vergeblich dabliebest!“

„Nun, Gott sei Dank, daß sie besser ist,“ sagte lächelnd Eugenie, „ich kann Euch versichern, mir thut’s nicht so leid um den Ball.“

„Ach, das ist nicht möglich!“ rief ungläubig Hedwig, „es haben so viel Leute nach Dir gefragt.“

„Ist’s möglich, wer denn?“ fragte Eugenie, bei der jetzt trotz aller Herzensstille doch einige Neugier aufwachte.

Sie schrak zusammen, als sie beim Schall von Männertritten aufblickte und, als sichtbare Antwort auf ihre stille Herzensfrage, an der Seite ihres Vaters einen jungen Mann von einnehmendem Aeußern den Gang herab kommen sah. Jeannette war unglückselig, daß sie mit aufgewickelten Haaren und so überwachtem Teint überrascht wurde. Der Fremde aber schien sie nicht besonders zu beachten und grüßte zunächst Eugenie.

„Der Herr Gutsbesitzer Oswald von Rauhenstein interessirt sich so sehr für meine kleine Baumschule,“ erklärte der Vater etwas eilig Eugenien, ohne zu beachten, daß der Herr Gutsbesitzer etwas roth wurde; „Onkel Gottlieb, der sich am besten darauf versteht, ist leider nicht da, und ich bin im Augenblicke sehr pressirt. Sie verzeihen gütigst, Herr Oswald, wenn ich inzwischen meiner Tochter überlassen muß, Sie zu der Baumschule hinüber zu führen, bis ich wiederkommen kann.“

Herr Oswald hatte ein versöhnliches Gemüth und war geneigt zu verzeihen; das junge Paar ging in einiger Verlegenheit nach der Baumschule hinüber, von dem leisen Kichern der zwei Mädchen begleitet.

„Haben Sie sich auf dem Balle gut unterhalten?“ begann Oswald die Unterhaltung.

„Das wollte ich Sie fragen,“ entgegnete Eugenie, „ich war nicht dort.“

„Auch ich nicht,“ sagte er, etwas erfreut wie es schien, und Eugenie bemerkte jetzt erst den Flor um seinen Hut, „vor wenigen Tagen ist mein Bruder gestorben, so war ich nicht zum Balle aufgelegt; da ich mich aber lange schon auf die kleine Reise hierher gefreut hatte, so beschloß ich doch“ – hier wurde er etwas confus – „die Baumschule Ihres Herrn Vaters in Augenschein zu nehmen.“

Es war wirklich merkwürdig, daß der vielgereiste Landwirth noch nichts Sehenswertheres in diesem Fach gesehen hatte, als die vierundzwanzig Stämmchen des Oberamtmanns! Eugenie erzählte ihm, wie auch sie nicht beim Ball gewesen, und sie vertieften sich in ein recht interessantes Gespräch über den geringen Werth solcher Vergnügungen und wie leicht sie zu entbehren seien im Genuß der schönen Natur und nützlicher Thätigkeit, wobei Herr Oswald übrigens doch noch erheiternde Gäste und kleine Ausflüge als Schmuck des Landlebens gelten ließ.

Sie schraken ordentlich zusammen, als der arglose Oberamtmann hinter sie trat und meinte: „Nun, Herr Oswald, das ist eine Ehre für meine Baumschule, daß Sie sie so gründlicher Inspection werth halten! mein Bruder Gottlieb versteht sich aber noch viel besser darauf; Sie müssen zu Mittag mit uns vorlieb nehmen, dann ist er zurück, und Sie können sich selbst mit ihm darüber besprechen.“

Herr Oswald machte einige Umstände, aber es war ihm freilich vom allergrößten Interesse, die Bekanntschaft des Herrn Verwalters zu machen. Die jungen Mädchen hatten jetzt genug zu flüstern und zu kichern, während Eugenie, stocktaub gegen ihre Anspielungen, emsig oben den Tisch beschickte.




Ein Jahr war vergangen, und wieder ward rings im Lande des Königs Geburtstag gefeiert mit Böllerschüssen, patriotischem Gänsebraten und Festbällen. In der alten Erkerstube des Rauhenstein saß ein junges Paar und stieß zusammen an auf die Gesundheit des Landesherrn.

„Nun, soll ich einspannen lassen,“ fragte der junge Ehemann, „und Dich zum Balle hinüber führen, zur Entschädigung für den verfehlten Ball vom vorigen Jahr? Der diesjährige Sprößling des Oberamtsactuar soll ja mit seiner Mama so gut gedeihen, daß keine Gefahr ist wieder gestört zu werden.“

„Wir brauchen keinen Ball,“ sagte Eugenie mit hellen Augen; „glaub’ mir, es war mir wohler um’s Herz in der stillen Stube voriges Jahr, als auf allen Bällen; und wie viel schöner ist’s heute! Ich habe Onkel Gottlieb als Festgast geladen, er besucht uns heut zum ersten Mal, da soll er sehen, daß die lang begrabene Saat seines Jugendglücks bei uns in hellen goldnen Aehren aufgegangen ist.“