Oesterreichische Berühmtheiten/2. Der Minister des Innern

Textdaten
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Autor: Sigmund Kolisch
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Titel: Oesterreichische Berühmtheiten. 2. Der Minister des Innern
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aus: Die Gartenlaube, Heft 43, S. 677–679
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[677]
Oesterreichische Berühmtheiten.
Von Sigmund Kolisch.
2. Der Minister des Innern.

Gegen die Neige des letzten Winters wogte durch die weiterleuchteten Säle des Ministerialgebäudes in der Wiplingerstraße zu Wien eine unabsehbare Menschenmenge. Alles was in der Hauptstadt des Kaiserreichs sich irgendwie bemerkbar macht, gleichviel ob durch das Schwert oder die Feder, durch Abkunft oder durch Verdienst, oder nur irgend ein bischen Einfluß erworben, sei es durch die Geduld und die Kunst des Sitzens in der Kanzlei oder durch reges Drängen auf dem Markte, war zur Abendgesellschaft auf dem Ministerium des Innern geladen. Auch kann nicht Wunder nehmen, daß in diesem bunten Gemisch von Leuten der Kirchenfürst den Zeitungsschreiber, der Kriegsoberste den Speculanten, der Prinz von Geblüt den Bauernsohn streifte.


Dr. Karl Giskra.


Die Wiederkehr des goldenen Zeitalters, die Verwirklichung der Sage von freundlichem Verkehr zwischen Wolf und Lamm hätte kaum etwas Ueberraschenderes, als diese Verschmelzung der Stände, wenn auch nur für einen Abend, in der Stadt, wo die gesellschaftlichen Classen einander von jeher unerbittlich schroff abgestoßen. Schicksalsschläge haben eine reformatorische Gewalt, deren sich kein Staatsmann und kein Prophet rühmen können, und ein Kanonenschuß richtet mehr aus als tausend warnende Stimmen, als die weisesten Auseinandersetzungen. Von jeher waren die eindringlichsten Offenbarungen diejenigen, welche sich im Sturme geltend gemacht haben.

Am Eingang in die lichterfüllten Gemächer stand der freundliche [677] Wirth, um die herbeiströmenden Gäste zu begrüßen, und für Jeden, der eintrat, hatte er ein liebenswürdiges Lächeln, ein gewinnendes Wort, einen zuthunlichen Händedruck und vor Allem natürlich eine höfliche Verneigung. Die Aufmerksamsten wollen je nach der Bedeutung der sich darstellenden Persönlichkeiten einen Unterschied in dem Wärmegrad dieser Kundgebungen bemerkt haben; da aber bis jetzt zur genauen Bemessung dieser Temperatur noch kein Thermometer erfunden ist, mag diese Wahrnehmung nicht weiter in Betracht gezogen werden.

Auf der Brust des Mannes, welcher so zahlreichen Besuch erhielt und so leicht auf dem glattgewichsten Boden sich zu bewegen wußte, prangte ein Orden und aus seiner Bescheidenheit sprach das stolze Bewußtsein der hohen Stellung, die er gewonnen. Bei aller Beherrschung konnten seine Züge eine gewisse Genugthuung nicht verbergen, besonders wenn die großen Herren aus alten Geschlechtern ihm, ihre Zuvorkommenheit bezeigten. Als Cardinal Rauscher, Fürst-Erzbischof von Wien, einer der rüstigsten Vorkämpfer der kirchlichen Gewalt, im Saal erschien und mit dem Wirthe auf’s Innigste Freundlichkeiten tauschte, ging ein Flüstern des Erstaunens durch die Menge, und über das Angesicht des Empfangenden strich es wie ein leiser Anflug von Ironie.

Der Mann mit dem Orden, an den so viele Menschen sich herandrängen, ist Dr. Karl Giskra, Minister des Innern, der Sohn eines Rothgerbers von Mährisch-Trübau. Karl Giskra, vorläufig weder Graf noch Baron, nicht einmal von Giskra. Vor einigen Jahren war der Würdenträger in demselben Lande, das er nun beherrschen hilft, ein Geächteter, ein Verfolgter; die Polizei hatte ein wachsames Auge auf ihn, und Herr von Bach ließ sich angelegen sein, dem freisinnigen Rechtsgelehrten das Leben schwer zu machen. Mehr war nicht nöthig, um Herrn Giskra von allen Vortheilen des Bürgers, von allen Rechten des Menschen auszuschließen. Nicht nur wurde dem Mißliebigen die Advocatur verweigert, sondern auch durch dem Schrecken, welchen die damalige Regierung um sich verbreitete, der Weg zu Privatanstellungen versperrt. Bei der vorherrschenden Feigheit und Angst, welcher Bürger hätte es gewagt, die Dienste eines Menschen anzunehmen, der die polizeiliche Ungnade sich zugezogen? Einer hat sich’s unterstanden, es war Eugen von Mühlfeld, der den geächteten Cameraden in seiner Schreibstube untergebracht trotz der Warnungen, die ihm von der Behörde zugingen, trotz der Lauscher und Späher, mit denen er sowohl, als sein Concipient umstellt wurden.

Die öffentliche Meinung hat sich erstaunt und verletzt darüber gezeigt, daß der Minister Giskra an dem offenen Grabe Mühlfeld’s kein Wort der Trauer und des Dankes gesprochen. „Ein Dienst, wie ihn der Hingeschiedene dem Ueberlebenden erwiesen hatte,“ lautete der allgemeine Vorwurf, „sei wohl einen warmen Nachruf werth gewesen.“ Weder die amtlichen Rücksichten noch die eingetretene Verschiedenheit der politischen Anschauungen zwischen den beiden Freunden vermochten das Schweigen des Ministers in den Augen der hofunfähigen Menge zu entschuldigen. Dem schlichten Sinn des Volkes fehlt eben das Verständniß für die kluge Berechnung, welche das Recht in Anspruch nimmt, sich zwischen eine heilige Herzenspflicht und deren Erfüllung zu stellen. Anders malen sich die Nothwendigkeiten in dem Kopfe eines Ministers, anders in dem Kopf eines Erdenkindes, dem die Geheimnisse der Macht unbekannt geblieben.

Zum ersten Mal aus dem Dunkel einer bescheidenen Existenz herausgetreten ist Dr. Giskra am 15. Mai des Jahres 1848. Müde des Spiels, das von den Unverbesserlichen mit den Wünschen und Interessen des Landes gespielt wurde, trat die Bevölkerung von Wien an die verstockten Dränger mit einer Sturmpetition heran und machte dem Geplänkel zwischen freiheitlichem Streben und Unterdrückungsgelüsten mit einem Schlage ein Ende. Giskra, als Wortführer der Aula, unterhandelte mit dem Minister Pillersdorf und gab seinem Namen weitgehenden Klang. Strenge Richter verurtheilen die Verspätung dieser Theilnahme an der Bewegung und zeigen sich geneigt, die Zurückhaltung des Doctors in den Märztagen und den folgenden Wochen einem Uebermaß von Vorsicht zuzuschreiben. Uns aber können Voraussetzungen nicht als Anhaltspunkte des Urtheils dienen.

Bis zum Jahre 1848 hatte Karl Giskra seine juristischen Studien getrieben, den Doctortitel erworben und im Lehrfach wirksam es bis zum Stellvertreter des Professors Kudler gebracht, der an der Wiener Hochschule Staatswissenschaft vortrug.

In eines der Jahre, welche den Märzerhebungen vorhergingen, fällt ein Vorgang, welcher zu bezeichnend für die Anlagen unseres Ministers ist, um übersehen zu werden. Obgleich das Schweigen in Oesterreich damals zu den ersten Bürgerpflichten zählte und Graf Sedlnitzki dafür zu sorgen wußte, daß kein glückliches Wort die angenehme Friedhofsruhe der Geister störte, veranstaltete Dr. Giskra dennoch Redeübungen junger Leute, welche für die Kanzel oder den Lehrstuhl sich vorbereiteten oder zu ihrem Vergnügen ohne praktischen Zweck eine Gewandtheit im Gebrauch des Wortes zu erlangen suchten. Bei diesen Unterhaltungen pflegte der Lehrer, um den Geist und die Beredsamkeit seiner Schüler recht anzuspornen, abwechselnd für und gegen denselben Gegenstand zu sprechen, und einmal brachte er durch seine Beweisführungen nach zwei entgegengesetzten Richtungen hin einen jungen Theologen derart außer Fassung, daß dessen Sinn sich vollkommen verwirrte und der arme Gottesgelehrte in eine Irrenanstalt gebracht werden mußte. Ueber den Werth dieser dialektischen Gewandtheit giebt es nun freilich abweichende Meinungen; während die Einen für dieselbe alle Bewunderung in Anspruch nehmen, verwerfen sie die Anderen als die alltägliche Fertigkeit eines Sophisten oder Diplomaten, von welcher man mehr auf den Mangel an wirklicher Ueberzeugung, als auf eine besondere Kraft des Denkens schließen könne.

Wurde schon das Auftreten Giskra’s vom 15. Mai und seine Haltung in der Aula höheren Ortes übel vermerkt, so gab die Mißhandlung des verkappten Polizeihäschers Rößler, an welcher man ihn der Theilnahme bezichtigte, Grund oder Vorwand zur Entfernung des Doctors vom öffentlichen Lehramte. Auch war diese Entlassung eine beschlossene Sache, als Giskra, von seiner Vaterstadt Mährisch-Trübau in das Frankfurter Parlament gewählt, freiwillig seine Stelle niederlegte, um sich ganz der politischen Laufbahn hinzugeben.

In der Paulskirche nahm er auf der Linken Platz, der Schaar beigesellt, welche im „Regensburger Hof“ ihre besonderen Versammlungen hielt. Eben so wenig als seine slavische Abkunft ihn verhinderte, deutsches Wissen wie deutsche Bildung zu schätzen und zu suchen, verhinderte sie ihn, bei den verschiedensten Gelegenheiten warme Gefühle für Deutschland an den Tag zu legen; als Redner machte er sich mehr denn bemerkbar trotz des Zusammenflusses von oratorischen Begabungen im Reichsparlamente, die zu erreichen kein Leichtes war. Besonders wirkte Giskra durch die Pracht und den Schwung der Sprache, durch die sinnliche Lebendigkeit des Ausdrucks. Und heute noch, da ihn die Gunst der Ereignisse auf die Ministerbank emporgehoben, quillt der Redestrom aus dem Munde Giskra’s wie vor zwanzig Jahren. Der rauschende Beifall der Schützenversammlung im Prater galt nicht weniger dem glücklichen Sprecher, als dem angesehenen Manne.

So weit ist Giskra nicht gegangen, daß er mit dem Häuflein entschlossener Männer in Stuttgart weiter getagt hätte, nachdem den deutschen Volksvertretern die Thüren des Frankfurter Parlaments vor der Nase zugeschlagen worden, aber doch weit genug, um den Zorn der österreichischen Gewalthaber auf sich zu laden. Viel weniger, als Giskra verbrochen, war hinreichend, um einen Menschen bei General Kempen, dem Stifter eines Gendarmdienstes in Oesterreich, der Louvois’ Dragonaden beschämte, übel anzuschreiben.

Zum Glück für den verfolgten Juristen war der Wütherich mancherlei Einflüssen zugänglich und fand sich eine Person, welche eine Art Ausgleichung zwischen dem Dränger und dem Opfer herbeizuführen geneigt und im Stande war. Ueber diesen Wohlthäter, wie über die Natur seiner Beziehungen zu den beiden Figuren dieses Dramas, liegt ein Schleier des Geheimnisses, den zu zerreißen oder auch nur zu lüften ich aus verschiedenen Gründen nicht versuchen mag. Genug, Dr. Giskra wurde eine Art Schützling des fürchterlichen Kempen, ohne daß, er von seinen Grundsätzen etwas zu verleugnen brauchte, nur mußte er das Versprechen geben, daß er niemals gegen den Bestand Oesterreichs wirken werde. Dieses Gelöbniß legte er auch ab und wurde von dem Mächtigen in Gnaden aufgenommen; er erhielt die Advocatur in Brünn und außerdem das Recht einer freieren Sprache mit dem Unhold, welcher so viele Hinrichtungen und Verhaftungen vornehmen ließ, daß selbst die Fanatiker des Rückschritts ob der Grausamkeit sich entsetzten. Einmal wagte Giskra zu seinem Gönner die Aeußerung: „Excellenz, mit dem Säbel und dem Kreuze werden Sie die Völker doch auf die Länge nicht regieren.“ [677] Und siehe da, der General spielte diesem Posa gegenüber den Philipp; auch nicht mit einem Zucken der Wimper wies er das vermessene Wort zurück.

Befreit von den polizeilichen Belästigungen und wieder eingesetzt in die bürgerlichen Rechte, so weit diese in Oesterreich überhaupt existirten, führte Giskra bis zum Jahre 1861 ein zurückgezogenes Leben. Als jedoch das Regierungssystem der Herren Bach und Kempen bei Solferino eine Niederlage erlitt, von welcher es sich nicht mehr erholen sollte, als die bedrängten Lenker des österreichischen Staates durch schüchterne Versuche mit parlamentarischen Einrichtungen den Zorn der Bevölkerung zu beschwichtigen hofften, trat Giskra aus seiner Schreibstube heraus, um sich in das politische Treiben zu mischen. Bei den Wahlen für die Landtage machte der Advocat zu Brünn seine Candidatur in einer hinreißenden Rede geltend und erlangte die Mehrheit der Stimmen. Aus dem mährischen Landtage wurde er bald in den Reichsrath geschickt, wo er eine hervorragende Stellung unter den Männern des Widerstandes einnahm, die der politischen Lüge des Herrn von Schmerling, dem Vertrag mit Rom und sonstigen Verkehrtheiten entgegentraten.

Eine räthselhafte und nur aus den traurigen Erfahrungen mit österreichischen Märzministern erklärliche Erscheinung ist die, daß in der liberalen Partei ein gewisses Mißtrauen gegen Giskra bei aller Würdigung seiner Fähigkeiten niemals ganz zu besiegen war. Aller Anerkennung der Verdienste des begabten Mannes mischte sich stets die Besorgniß bei, daß er gegebenen Falles die Rolle Bach’s zu übernehmen sich könnte bereit finden lassen. Auf diesen dunklen Argwohn beziehen sich die Worte in der Candidaten-Rede, welche Giskra den 22. März 1861 an die Wahlmänner zu Brünn gerichtet. Diese Worte lauten:

... „Sie mögen es glauben, daß mich vor Niedrigkeit, vor Treubruch der Stolz in meiner Brust bewahrt. Nur einen Stolz giebt es, der im Staate menschenwürdig und der edel ist, das ist der Stolz des Bürgers und des Ehrenmannes, und dieser ist mein eigen und wird es bleiben, wenn auch Alles feil und niedrig würde; der soll die Brust mir schwellen, wenn auch Scheelsucht und Verleumdung noch ärger an mir nagen; er wird mich fest und unerschütterlich erhalten, wenn man auch mit Glanz und Ehren mich berücken wollte; er wird mir bleiben, so lange das deutsche Herz mir im Busen schlägt, so lange bis ich das müde Haupt zur Ruhe neige.“

Bis jetzt, man muß es gestehen, hat Giskra sich von der freiheitlichen Richtung, wie er sie nun einmal versteht, durchaus nicht abbringen lassen; es ist eine Thatsache, daß Schmerling mit Versuchungen aller Art an den Brünner Abgeordneten herangetreten, daß aber die Verführungskünste des Ministers an der Ehrenhaftigkeit seines politischen Gegners gescheitert sind. Möglich wäre es wohl, daß die Geschmeidigkeit des Benehmens, die Glätte der gesellschaftlichen Formen den jetzigen Minister des Inneren in den Verdacht biegsamer Grundsätze gebracht habe; gewiß aber ist es, daß diese weltmännische Gewandtheit Giskra’s der Stadt Brünn während ihrer Besetzung durch preußische Truppen von erheblichem Nutzen gewesen. Zu jener Zeit war Giskra Vorsteher der Gemeinde, und er wußte manchen Uebelstand der schwierigen Lage zu beheben, manches Verdrießliche und Störende fern zu halten.

Dem König Wilhelm und seinem ersten Minister, dem Grafen Bismarck, gefiel der Verkehr mit dem Brünner Bürgermeister und sie mochten gern sich ihm freundlich erweisen. Und so gelang es diesem, ausgleichend zu wirken. Die Hauptstadt ist dafür dankbar und feiert seinen Namen. Giskra ist in diesem Augenblick ein populärer Mann, viele Städte, besonders in Mähren, haben ihn zum Ehrenbürger ernannt; aber so populär, wie in Brünn, ist der Minister wohl nirgends. Einiges Aufsehen hat es seiner Zeit gemacht, als Giskra zum Lohn für seine Verdienste um das Wohlergehen der Stadt Brünn den Franz-Joseph-Orden erhielt und annahm. Die Freisinnigen schrieen Zeter ob solcher Verlockung von der einen, ob solcher Weichmüthigkeit von der anderen Seite. Die Strengeren forderten von dem Freiheitsmann, daß er die monarchische Auszeichnung, daß er die „goldene Fessel“ zurückweise. Der Bürgermeister war in der peinlichsten Verlegenheit. Er ist nicht aus dem Stoffe eines Ludwig Uhland gemacht, um schlicht und gerade eine fürstliche Huld zurückzuweisen, wie es der schwäbische Dichter gethan, und doch fühlte er, daß seine Parteistellung, daß sein Ruf eines unabhängigen Mannes durch das Bändchen an der Brust leiden werde. Durch eine glückliche Redensart half sich der gewandte Mann aus der Klemme. Er erklärte angesichts der civilisirten Welt, daß er den Orden lediglich als eine Auszeichnung für die Stadt Brünn annehme, und – den verschiedensten Bedenklichsten war genug gethan.

Noch mehr Anstoß als die Ordensverleihung erregte die Ernennung Giskra’s zum Präsidenten der zweiten Kammer durch den Kaiser. Der Abgeordnete war in Verzweiflung. Er hatte so eindringlich und so häufig für das Recht der Kammer gesprochen, ihren Vorsitzenden selbst zu wählen, und nun soll er mit sich selbst und seiner bekannten Ueberzeugung in Widerspruch eine Ernennung annehmen, deren Charakter er laut für unzulässig erklärt hatte. Und auf der anderen Seite war der Kaiser, durch Herrn von Beust bewogen, so gnädig gewesen, zu dieser Ernennung sich herbeizulassen; konnte da Dr. Giskra diese Huld Seiner Majestät zurückweisen? Nimmermehr. Auch aus dieser Bedrängnis wurde ein Ausweg gefunden. Nach einem Abkommen mit Baron Beust konnte Giskra seinen politischen Glaubensgenossen sagen, er habe die Ernennung nur unter der Bedingung angenommen, daß später den gesetzgebenden Versammlungen die Wahl ihrer Präsidenten überlassen bleiben werde. Unerbittliche verweigern freilich trotz der gestellten Bedingung den Ablaß dem ehemaligen Präsidenten. Sie meinen, daß in Widerrechtliches auch nicht vorübergehend gewilligt werden darf. Allein was wollen derlei Catonen mit den österreichischen Verhältnissen anfangen?

Dr. Giskra ist ein Kind seines Vaterlandes, dem er nach Kräften dient. Die Handhabung der Gewalt hat noch nicht nachteilig auf seinen Sinn und seine Denkweise gewirkt. Er ist, wie er war, und wird, so hoffen wir, nicht nur das hartnäckige Mißtrauen einiger Kreise zu beschämen wissen, sondern in des ganzen Volkes Vertrauen sich um so fester setzen, je kräftiger er auf dem von ihm mit Entschiedenheit betretenen Kampffelde gegen den Ultramontanismus vorgeht und die gesammte geistliche und weltliche Concordatsritterschaft in Oesterreich unter die Gewalt des Gesetzes beugt.