Oceandampfer
Als Christoph Kolumbus das amerikanische Festland entdeckt hatte, wie wuchs da von Jahr zu Jahr die Erde vor den Blicken der westwärts steuernden Menschen – hinter dem Atlantischen Ocean ein neuer Erdtheil, weit ausgestreckt von Nord nach Süd, und hinter ihm ein neuer Ocean „ein ungeheueres Meer, das größer ist, als man fassen kann“, wie der Geschichtschreiber und Zeuge der ersten Erdumseglung der staunenden Welt berichtete! Auf seiner ersten Fahrt hatte Kolumbus 36 Tage lang nur Himmel und Wasser gesehen – und heute werden Tausende von Menschen zu der Kolumbus-Weltausstellung von der Alten nach der Neuen Welt hinüberdampfen und auf den Kapitän ungehalten sein, wenn sie nach acht Tagen Amerikas Gestade nicht erblicken! Freilich zwischen damals und heute liegt ein anderes Zeitalter, in welchem die Entfernungen sich verkürzten, die Erde gleichsam kleiner wurde. Der Zauberer, der dies vollbrachte, ist der schnaubende Dampf.
Wie langsam gestaltete sich der Seeverkehr noch zu Anfang unseres Jahrhunderts. Eine Fahrt von der Südspitze Englands nach Halifax in Neu-Schottland dauerte in der Regel 32 bis 33 Tage, wobei eine Strecke von rund 3000 Seemeilen (1 Seemeile = 1852 m) zurückgelegt wurde. Die Durchquerer der Oceane waren noch ganz und gar von Wind und Wetter abhängig; aber im Jahre 1807 baute Fulton in der Neuen Welt den ersten brauchbaren Dampfer „Claremont“, und die Zeit nahte, in welcher der Dampf dem Menschen auch die Fahrt über den Ocean erleichtern sollte. Schon im Jahre 1819 wagte der Dampfer „Savannah“ die erste überseeische Dampffahrt von Savannah nach Liverpool und legte die Strecke in 26 Tagen zurück; aber der Versuch war nicht entscheidend, da man acht Tage lang die Segelkraft benutzen mußte.
Erst im Jahre 1833 arbeitete sich der Dampfer „Royal William“ ganz aus eigener Kraft durch den „großen Teich“ hindurch; er hatte am 18. August Amerika verlassen und kam am 12. September glücklich in Gravesend an der Mündung der Themse an. Das Ansehen der neuen Schiffe wuchs, und fünf Jahre später wurde durch die Fahrten der englischen Dampfer „Sirius“ und „Great Western“, die von Bristol bis New-York 15 bis 20 Tage brauchten, der Sieg des Dampfschiffes über das Segelschiff entschieden.
Mit fieberhafter Hast ging man jetzt an den Bau neuer besserer Dampfer; um für sie kräftige Kolbenstangen zu schmieden, wurde 1842 der erste Dampfhammer der Welt in Creuzot errichtet – der moderne Cyklop hat also jüngst seinen fünfzigsten Geburtstag gefeiert. Das Rad wurde durch die Schraube ersetzt, und schon 1845 dampfte das erste Schraubenschiff über den Ocean; die Maschinen wurden verbessert und von Jahr zu Jahr wuchs die Schnelligkeit der Dampfer. Namentlich auf die Verbindung zwischen Nordamerika und Europa wurde besonderes Gewicht gelegt; die einzelnen Dampfschiffahrtsgesellschaften wetteifern heute miteinander in der Geschwindigkeit, mit welcher ihre Schiffe Passagiere und Post über den Ocean bringen, und in diesem Wettstreite rechnet man selbst mit Stunden und Minuten.
„Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer“ – so ist auch eine einzige gelungene schnelle Fahrt über den Ocean kein Beweis für die Tüchtigkeit des Schiffes. Auch auf die Dampfer übt Gunst oder Ungunst des Wetters ihren Einfluß aus, und so kann das bessere Schiff einmal hinter dem schlechteren zurückbleiben, wenn das letztere ein günstigeres Wetter hatte. Hier können nur Durchschnittszahlen aus einer Reihe von Fahrten maßgebend sein. Einen Anhalt über die Fahrgeschwindigkeit der einzelnen Oceandampfer bietet die Postbeförderung. Der General-Postmeister von New-York veröffentlicht jährlich eine Statistik, in welcher auch diese Frage berücksichtigt ist, und nach der für das Jahr 1891/1892 ausgegebenen gebührt der Siegespreis einem deutschen Dampfer. „Fürst Bismarck“, der auf dem „Vulkan“ zu Stettin gebaute Schnelldampfer der Hamburg-Amerikanischen Paketfahrt-Aktiengesellschaft, hat alle seine Nebenbuhler überflügelt. Er lieferte die Post New-York—London durchschnittlich in 171 Stunden 3 Minuten, also in 7 Tagen 3 Stunden 3 Minuten. Nächst dem „Fürst Bismarck“ steht der „Teutonic“, ein Dampfer der englischen White-Star-Linie, der eine Leistung von 175 Stunden 2 Minuten erzielte; die „City of New-York“ von der englischen Inman-Linie wies eine solche von 179 Stunden 4 Minuten auf, und als der viertbeste Schnelldampfer wurde die „Havel“ vom Norddeutschen Lloyd mit 182 Stunden 8 Minuten verzeichnet. Alle diese Schiffe haben eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 20 Knoten, also 20 Seemeilen in der Stunde – sicher ein unermeßlicher Fortschritt gegenüber den langsamen Fahrten der ersten Oceandampfer!
Aber wir leben im Zeitalter der Geschwindigkeit; die Fahrt über den Atlantischen Ocean dauert uns noch viel zu lange; sie soll kürzer werden; also: mehr Dampf! Leicht gesagt, aber dieser Wunsch bereitet den Ingenieuren viel Kopfzerbrechen.
Das Verhältniß der von den Dampfmaschinen gelieferten Kraft zu der Fahrgeschwindigkeit eines Schiffes ist sehr ungünstig, und bei unseren großen Schnelldampfern muß die Erhöhung der letzteren um nur 1 Seemeile für die Stunde mit Tausenden von Pferdestärken bezahlt werden. In einem englischen Fachwerke wurde dieses Verhältniß neuerdings genauer berechnet, indem als Grundlage für die Betrachtung der Schnelldampfer „City of Paris“ gewählt wurde.
Wollte man ihm eine Fahrgeschwindigkeit von 10 Seemeilen in der Stunde verleihen, so würden die Maschinen 2200 Pferdestärken entwickeln müssen. Erhöht man die Geschwindigkeit um die Hälfte, also auf 15 Seemeilen in der Stunde, so sind nicht etwa 3300 Pferdestärken nöthig; das Verhältniß ist ein ganz anderes, erst mit 7300 Pferdekräften können wir diese Schnelligkeit erzielen. So steigen die Ansprüche an die Maschinenkraft mit jeder Seemeile; bei einer Fahrgeschwindigkeit von 17 Meilen sind schon 10700 Pferdestärken nöthig, bei 19 Seemeilen 15000, bei 20 Seemeilen 17500, bei 21 Seemeilen 20300, bei 22 Seemeilen 23300 und bei 26 Seemeilen in der Stunde gar 38500 Pferdestärken, wobei diese Zahlen stets auf den Schiffstypus der „City of Paris“ zu beziehen sind. Die größten Fahrgeschwindigkeiten, die jetzt erreicht werden, betragen durchschnittlich 20 Seemeilen in der Stunde. Wir können uns auf Grund der vorstehenden Zahlen leicht einen Begriff verschaffen, wie theuer jede weitere Vermehrung der Geschwindigkeit die Gesellschaften zu stehen kommt, denn die Dampfmaschinen brauchen Kohlen!
Nun sind allerdings auch auf dem Gebiet der Dampfmaschinen große Fortschritte gemacht worden. Während man vor dreißig Jahren bei den Maschinen alter Bauart durchschnittlich in der Stunde 1,5 Kilogramm Kohlen brauchte, um 1 Pferdestärke zu erzeugen, sank bei den sogenannten Compoundmaschinen der Bedarf auf etwa 1 Kilogramm, bei den seit 1884 eingeführten Dreifach-Expansionsmaschinen sind nur ¾ Kilogramm Kohlen für Stunde und Pferdestärke nöthig, und man baut jetzt sogar Vierfach-Expansionsmaschinen. Ein Dampfer mit 1000 Pferdekräften mußte vor dreißig Jahren für eine zwanzigtägige Reise 1400 Tonnen Kohlen mitnehmen, jetzt braucht ein gleicher Dampfer für dieselbe Zeit nur etwa den dritten Theil. Wo es sich aber um Vermehrung der Maschinenkraft um viele Tausende von Pferdestärken handelt, da fällt der Kohlenvorrath auf dem Schiffe und der Kohlenverbrauch während der Fahrt schwer ins Gewicht, und es fragt sich, ob die Verkürzung der Fahrt um einige Stunden der hohen Ausgaben werth ist. Darum meinen auch viele, daß wir mit unseren heutigen Dampfern an der Grenze der Leistungsfähigkeit angelangt seien. Aber andere sagen „Zeit ist Geld“ – und scheuen keine Ausgaben zur Erzielung größerer Fahrgeschwindigkeiten. In der That hat die englische Cunard-Linie zwei Schnelldampfer, „Campania“ und „Lucania“, im Baue, welche bei 183 Metern Länge mit Maschinen von 26000 Pferdekräften ausgerüstet werden und die bisher schnellsten Schnelldampfer in der Fahrgeschwindigkeit noch übertreffen sollen – ja man hört sogar von Plänen für Schiffe von 213 Metern Länge mit 30000 Pferdekräften![1]
Wir haben bis jetzt immer die Fahrgeschwindigkeit in Seemeilen angegeben. Den „Landratten“ unter unseren Lesern wird eine Umrechnung in Meter vielleicht nicht unerwünscht sein. Die schnellsten Dampfer legen in einer Sekunde etwa 10 Meter zurück. Nennen wir zum Vergleich noch einige bekannte Geschwindigkeiten, auf die Sekunde berechnet: die des Pferdes im Galopp beträgt 4 bis 5 Meter; ein Eisenbahnpersonenzug kommt in 1 Sekunde um 9 Meter vorwärts, ein Schnellzug um 14 Meter und der Blitzzug um 21 Meter, ja, bei einer Probefahrt in Amerika wurde neuerdings auf der New-Jersey Centralbahn zwischen Sanwood und Westfield die ungeheuere Geschwindigkeit von 42 Metern in der Sekunde erreicht! Auf eiserner Schiene wetteifert also das Dampfroß mit dem Orkan, der mit einer Geschwindigkeit von 30 bis 50 Metern in der Sekunde dahinbraust. Ob die Schnelldampfer jemals diese Geschwindigkeit erlangen werden? In unserer Zeit ist alles möglich, und niemand kann ahnen, mit welchen Neuerungen in der Schiffsbaukunst die fortschreitende Technik die Menschheit noch überraschen wird.
- ↑ Anm. d. Red. Siehe auch „Die neueren Schnelldampfer der Handels- und Kriegsmarine“ von Karl Busley, Professor an der kaiserl. Marine-Akademie zu Kiel. 2. Aufl. (Leipzig, Lipsius und Tischer.)