Textdaten
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Autor: Stefanie Keyser
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Titel: Herr Albrecht
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aus: Die Gartenlaube, Heft 12, S. 188–194
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[188]

Herr Albrecht.
Eine Ostergeschichte aus dem Ende des 12. Jahrhunderts.
Von Stefanie Keyser.
Illustriert von A. Zick.

Es waren schon ein paar Jahrhunderte verflossen, seitdem die ersten Sendboten des Christenthums das Kreuz aufgepflanzt hatten in den Bergen, die wie langgestreckte Wälle zwischen Harz und Thüringer Wald sich hinziehen.

Gleich tapferen Kriegern hatten sie dafür die gefährlichsten Stätten gewählt. Wo ein heidnisches Heiligthum stand – eine alte Eiche, mit Pferdeschädeln behangen, ein Steinaltar am rauschenden Quell – hatten die Bekehrer den Kampf mit den herrschenden Göttern aufgenommen.

Auch von dem hohen Berge, der als Wetterscheide zwischen lieblichen Thälern und waldigen Hügeln aufragt und der Verehrung Ostaras, der holden Frühlingsgöttin, geweiht war, hatten Benediktinermönche Besitz ergriffen, das heidnische Völkchen, das darum saß, in väterliche Zucht genommen und auf der höchsten Kuppe des Berges eine Kapelle gebaut zur Ehre „Unserer lieben Frau“. Da war, wie das Volk sich zuraunte, die entthronte Ostara in den Berg geschlüpft, im Schwanenhemd, um drinnen auf einem See dem Weltuntergang entgegen zu träumen.

Mit den kleinen Unholden, die Wald und Feld bevölkern sollten, machten die frommen Väter geringere Umstände. Leicht war das Nixchen zu schrecken, das im Thale nach Süden einen Bach bewohnte, den ein Espenwäldchen überwölbte und der „Bebra“ hieß. Die Mönche stifteten mitten in den zitterigen Bäumen über den quirlenden Wellen und quabbeligen Fischschwänzen St. Margarethen ein Heiligenhäuschen und bestellten einen festen Bruder zum Kampfe mit dem bräunlichen Greuel, zum Schutze für das fröhliche Fischervölkchen, das im freundlichen Dorfe dort wohnte und der Forellen und Schmerle genoß. Und gegen den Wilden Mann, der das starke schwarzhaarige Volk heimsuchen sollte, das am nördlichen Fuße des Berges über fruchtbaren aber oft voll Ueberschwemmungen heimgesuchten Boden in hochbeinig auf Stöcken stehenden Häusern wohnte; setzten sie nur einen Bildstock; denn Riesen waren dumm und leicht zu schlagen.

Zu ihrem eigenen festen Sitze erkiesten die Benediktiner die fruchtbare Südseite des Berges. Sie wandelten das Schloß, das einst ein Kaiser errichtet und zum Andenken an guten Kampf Jechaburg, das ist Siegburg, genannt hatte, in ein Kloster um und erbauten eine große Kirche, für welche sie St. Peter als Schützer wählten.

Die schmiegsame Art der Thüringer fand sich bald in die neuen Verhältnisse. Und wenn sie auch murrten, da die heiligen Misteln all den Bäumen ausgereutet wurden – als dann auf den Holzäpfel- und Feldbirnbäumen die edlen, von den frommen Vätern darauf gepfropften Reiser süßes Obst trugen, lobpreisten sie. Sie folgten dem Rufe der Glocken, lernten christliche Zucht und Sitte, thaten geforderte Arbeit und brachten geheischte Abgaben dafür, daß die Verkünder der neuen Lehre ihnen einen Platz im Himmel vorbereiteten.

[189] Später wurde das Klösterlein in ein Chorstift umgewandelt, das zu Ende des zwölften Jahrhunderts weite Länderstrecken besaß, zwölf Altäre in der Runde bediente, die Seelen bis in die Ewigkeit hinein beherrschte.

Nur einmal im Jahre zerriß das Volk die angelegten Zügel. Das war um die Zeit, wo dereinst der holden Ostara höchstes Fest, die Frühlingsfeier, gehalten wurde. Wie dann der Saft in den röthlich sich färbenden Baumzweigen aufstieg, so schien das Blut der Gaugenossen rascher zu fließen; mit den kleinen Blumen, die aus der allmählich sich erwärmenden Erde herausschlüpften, erwachten uralte Erinnerungen, verpönte Mißbräuche wurden geübt, bis endlich am Osterfest die Unbändigkeit ausbrach. Vor Thau und Tag ergaben sich Jünglinge, und Mädchen dem heidnischen Quellendienst, und wenn der Abend kam, dann brachten sie das andere Element, das Feuer, zu Ehren. Mit brennenden Holzfackeln ging’s dem alten Heiligthum zu. Gott allein wußte, woher plötzlich ein Reisighaufen auf die Spitze des Berges kam und eine mächtige Flamme von ihm emporschlug.

„Stab aus!
Brennt dem Winter die Augen aus!“

tönte der rauhe Sang zum wilden Reigen. –

Wieder einmal war Ostern im Anzug und mit dem hohen Feste die Sorge des Stiftes um die ihm untergebene Herde.

Es war nicht der warme Sonnenschein allein, der die Stirn des Chorherrn Cölestin röthete, als er heimkehrte von den Arbeitern, die ein Dornenfeld ausrodeten, um einen Weinberg anzulegen. Mit großen Schritten wandelte er über den Hof, den die Häuser der Chorherren und das Schulgebäude umschlossen, alle geistlichen Brüder aufscheuchend und sich nachwinkend nach dem Gemach des Propstes.

Herr Burchard saß auf seinem hohen schön geschnitzten Stuhle und schlug beim Eintritt der erregten Chorherren das mächtige Buch zu, in dem er gelesen hatte. Auf einem Bärenfell ruhten seine Füße; denn der Steinboden hauchte noch Kühlung aus, so hell auch die Sonne in den Edelsteinen blitzte, mit denen der Einband des Buches verziert war.

„Trage keinen Zorn ob des Einbruchs in Deine Beschaulichkeit,“, sagte Cölestin, „aber Eile thut noth. Als ich bei den ersten Häusern unseres Ortes Jechaburg ankam, hockte bei Reinald, dem Vogelsteller, der zahme Star in der Fensterluke und sang ganz deutlich: ‚Stab aus!‘ Hinter ihm stand der unnütze Tagedieb, umgeben von leichtfertigen Finken und Zeisigen, und lachte. Aber als er mich erschaute, zog er den Star an seinem Schwänzlein hinein und hielt ihm den Schnabel zu.“

Thietmar, der als Oberster über die Wirtschaftsrechnungen des Chorstiftes gesetzt war, nickte bedenklich. „Die Knechte, welche den Zins an Ostereiern in den Stockhäusern einsammeln, haben erzählt, der finstere Kühnrich sitze auf seinem Wassersteg und schnitze ungeheuerliche Stäbe aus harztriefendem Kiefernholz; viel zu dünn däuchten sie ihnen, um Häuser damit zu stützen.“

Jetzt ging auch dem tapferen Michael, der eben vom Dienste in St. Margarethen zurückkam, ein Licht auf. „Darum legte Hiltebold, dem die Mühle an der Bebra eignet, Schrittsteine durch Wasser und Schlamm bis an den Bergesfuß. Sie planen, nächtlicherweile herüber an unseren Quell zu schleichen, um ihren Unfug mit Osterwasser zu treiben. Denn fest sitzt in ihren störrischen Köpfen der Glaube, der Born fließe aus dem See ab, darauf die teuflische Unholdin Ostara schwimmt.“

Eine Stille der Rathlosigkeit folgte.

Da nahm Hildebrand, der kleinste und feinste Chorherr, das Wort. „Es muß einer von uns hinauf auf den Berg gehen in die Kapelle Unserer lieben Frau und den Bruder Albrecht fragen, ob der keinen Rath weiß. Er ist gelehrt und welterfahren. Was er nicht in seinem Stifte zu Halberstadt gelernt hat –“

„Es munkelt sogar von Liebeshöfen, die sie dort errichtet haben,“ fügte mißbilligend der finstere Josephus ein.

Der Propst wehrte ab: „Klostergeschwätz!“

„– darüber ist ihm am Hofe des Landgrafen Hermann auf der Wartburg gewißlich eine Offenbarung geworden,“ vollendete Hildebrand seine Rede.

„Von den Rosenkränze spendenden Hofjungfrauen,“ seufzte leise der jüngste Chorherr.

„Höfischer Brauch,“ erläuterte Herr Burchard.

Unbewegt fuhr Hildebrand fort: „Und wo er als Chorherr die Augen hätte schließen müssen, da durfte er sie als Minnesänger aufschlagen.“

„Er hat es gewißlich gethan,“ murrte Josephus. „Denn ob es nicht eine selbst auferlegte Buße ist, daß er darauf besteht den Dienst droben bei der Kapelle zu versehen, als Klausner in der engem Zelle daneben zu hausen –“

Der Dekan lächelte spöttisch. „Wie in einer Bußzelle sieht es nicht bei ihm aus.“

Der Propst aber sprach kühl: „Wenn weltliche Erfahrung uns einen guten Rath schöpfen könnte, wäre es thöricht, ihn Nicht zu nützen. Bruder Cölestin, da Dein löblicher Eifer diesen Handel angefangen hat, so bringe ihn auch zu Ende! Hebe Deinen Fuß auf und besteige den Berg!“

Cölestin verneigte sich und maß mit bestürztem Blick die steile felsige Wand, die hinter der hohen Umfriedigungsmauer des Stiftes emporstieg, von der warmen Frühlingssonne überglüht. –

Einen weiten breiten Scheitel trug der Berg. Feine Rasenspitzchen, die frisch emporsproßten, überzogen ihn wie mit grünem Sammet, über welchen Maßliebchen gestreut waren. Der nach aufbrechenden Laubknospen duftende Wald säumte ihn nur an einer Seite; an allen andern fiel er steil ab in die von dem ersten lichten Grün überflogenen Thäler. An den Fuß schmiegten sich traulich die Strohdächer fest umfriedeter Dörfer, und in weiter Ferne schloß den Blick nach Mitternacht der finstere Brocken des Harzgebirges und gegen Mittag der immer zuerst und zuletzt weiß bemützte Schneekopf des Thüringer Waldes.

In der Mitte der sonnigen Rasenfläche erhob sich die Kapelle „Unserer lieben Frau“ mit einem Kreuz auf dem First, einem Glöcklein auf dem Dach. Die hölzernen Läden der Rundbogenfenster waren der Frühlingsluft geöffnet; im leisen Zugwind schwankte die ewige Lampe vor dem Muttergottesbild.

Auch in der kleinen Klause, die sich an das Kirchlein schmiegte, waren Thür und Fenster aufgethan. Die rauhen Steinfliesen des Fußbodens waren mit Wachholderzweiglein bestreut; das schmale Polsterbett in einer Wandnische verschwand fast hinter einem farbenleuchtenden persischen Teppich, der kleine Weihwasserkessel an der Wand war kunstvoll getriebene Metallarbeit, das Kruzifix darüber feine Elfenbeinschnitzerei. In der Ecke lehnte eine reich vergoldete Harfe. Der ungefüge Tisch stand in der Mitte des engen Gemaches. Darauf lagen Griffel, Federn, Pinsel, standen Büchsen mit Tinte und Farbenmuscheln.

Davor saß ein junger schlanker Mann in der Tracht der Chorherren, dem wallenden Linnengewand über rothem Unterkleid. Dicke braune Locken, in welche die Tonsur nur leicht eingeschoren war, umkräuselten die schön gewölbte Stirn; die wie zur Beredsamkeit geformten Lippen öffneten sich über Reihen feingeformter Zähne. Die Hand, welche über das Pergament glitt, war zart und schmal.

Er wußte, warum er in der Einsamkeit hauste. Er wollte sein Versprechen erfüllen, das er dem Landgrafen Hermann gegeben hatte, da er als sein Gast auf der Wartburg weilte. Die „Wandlungen“ des Ovidius wollte er in deutsche Reime übertragen. Ein lockendes Werk, denn noch keiner der eifrig übersetzenden Sänger hatte sich daran versucht.

Aber er kam heute nicht vorwärts. Mit durstigen Lippen athmete er die vom Lenzeshauch erfüllte Luft ein; er lauschte auf den aus dem Walde herüberkommenden Gesang der Vöglein. [190] Seine Augen verloren sich träumerisch in dem klaren Himmel, folgten den eilig dahinsegelnden lichten Wölkchen. Es waren wunderbare Augen. Ihre Farbe schien sich zu wandeln nach dem, was sich darin spiegelte: dem blauen Himmel, dem lustig schimmernden, grünlichen Wald oder der düsteren grauen Zellendecke.

Wie die krausen Blättchen der wilden Rosen hereindufteten! Eia, der Blüthenschnee über dem Schwarzdorn! Warum plagte er sich damit, für die „Erdbeerbäume“ des üppigen römischen Dichters ein deutsches Wort zu finden? Er nahm die beiden heimischen Früchtchen Hagebutten und Schlehen dafür.

Da tönte Gekreisch. Jubelnd kam eine Kinderschar gezogen, barfuß, im rauhen flächsenen Hemd, einen grünen Busch dahertragend. „Wir haben den ersten Maikäfer im Walde gesucht; da ist er!“ Sie hatten dem Käfer einen Faden um ein Beinchen gebunden und ihn damit an den Busch befestigt.

Das konnte Albrecht nicht ansehen. Er legte die Federn nieder, ging zu den Kindern, band den Gefangenen los und ließ die Kleinen so lange „Flieg’ aus!“ singen, bis er davongebrummt war.

Dann nahm er wieder Platz und begann, an den Fingern die Versfüße abzuzählen.

Da schob sich plötzlich ein großer Strauß blauer Leberblümchen und weißer Frühlingssterne zwischen ihn und den Blick auf die grüne Bergfläche, und eine helle Stimme fragte: „Wer ist’s, ehrwürdiger Vater?“ lachend, als machte die Fragende sich lustig über die Anrede.

Auch der junge Chorherr lächelte. „Die Finger sind braun und schlank wie Schmerlchen – es ist die Fischerin Irmelein aus Bebra. Komm herein, mein Kind!“

Ein junges Mädchen mit einem Köpfchen braun wie eine Haselnuß schlüpfte in die Klause. „Errathen! Wir jungen Mägde sind in den Wald gegangen und holen zum Osterschmuck der Stiftskirche Epheu und Moos. Da bringe ich für Unsere liebe Frau auch einen Strauß.“

Er warf einen prüfenden Blick darauf. „Sind auch die Maiblumen dabei, die Du so sorglich den ganzen Winter gepflegt hast, damit sie zum heiligen Osterfest blühen sollten?“

Die Maiblumen fehlten; er hatte es gleich gewußt. Die Lieblingsblumen Ostaras sollten der Göttin geopfert werden beim Schöpfen des Osterwassers. Er hob drohend den Finger.

Irmeleins Blick wischte seitwärts durch das offene Kirchenfenster zu dem Bilde der Gottesmutter hin. „O, sie wird darum nicht ihr Angesicht von mir wenden,“ bat sie in weichem aber lautem Tone, daß es bis in die Kapelle schallte. „Sie ist so gut und mild. Ich habe daran gedacht, was sie gern mag. Seht, da sind Himmelsschlüssel, mit denen sie den Himmel aufthut, und eine Marienthräne. Gleicht sie nicht einer rosenrothen Aehre? Es ist die erste weit und breit. Ein Marienkühchen sitzt darauf, das Käferlein, dem Unsere liebe Frau hold ist.“ Es war klar, sie wollte die heilige Jungfrau überreden, daß sie auf die Maiblumen verzichtete.

Da tönte der Pfiff einer Amsel vom Walde her. Irmelein horchte auf und wandte sich um.

„Wohin willst Du?“ fragte er.

Ihr Gesichtchen wurde trübe, als flögen Wolkenschatten über die Sonne. „Es ist Reinald. Ach, wir müssen uns im Walde verstecken. Und wir gehören doch zusammen. Die Fischerin und der Vogelsteller sind beide leichtes Volk, das auf den Wellen schwimmt und in der Luft hängt. Aber die jungen Gesellen in Bebra sind dem Jechaburger ganz aufsässig, verstören ihm die Sprenkel, die Schlingen und bedräuen ihn, sie wollen ihn in den Bach werfen. Als er diesen Winter einen schönen Eisvogel gefangen hatte da riß ihn Hiltebold, der Müller, an sich und hat sich eine Haube davon, machen lassen.“

Wieder ein Amselruf. Sie nickte mit dem Köpfchen muthwillig nach dem Walde hin. „Pfeife nur! Ich weiß gar wohl: nach den klugen Vöglein, die am längsten sich vor den Leimruthen hüten, steigst Du am eifrigsten.“ Dann flüsterte sie Albrecht vertraulich zu: „Ehrwürdiger Vater, legt den Strauß und Eure Fürbitte Unserer lieben Frau zu Füßen.“

Noch einmal beschaute sie sich in dem Spiegelein, das sie an der Seite trug. Reinald hatte es bei der Domina in Münchelora gegen einen Dompfaffen eingetauscht, der schöne Tanzweisen pfiff. Sie strich sich die Ringellöckchen aus der Stirn und verschwand nach dem Walde zu.

Albrecht stützte das Haupt in die Hand, die Gedanken zu sammeln.

Lautes Schluchzen tönte aus der Kirche herüber, das Weinen eines Weibes. Gerade das konnte Albrecht nicht hören. Abermals stand er auf und trat in die Kirchenpforte.

Vor dem Altar kniete eine schlanke Mädchengestalt, das Gesicht in die gefalteten Hände gedrückt. Zwei lange gelbe Zöpfe fielen bis auf den Saum des aus weicher Lämmerwolle selbst gesponnenen und gewebten Rockes herab. Es war Gotelinde, die tugendreichste Maid von Jechaburg.

„Was bedrückt Dich so schwer, meine Tochter?“ fragte er sanft.

Sie erhob sich und kam schluchzend zu ihm heran. „Ach, ich mußte mein Herz einmal ausschütten, und St. Peter unten versteht solcherlei Dinge nicht recht. Da bin ich zu Unserer lieben Frau gegangen.“

Er nickte ihr ermuthigend zu. „Nun, so erzähle! Die heilige Jungfrau hört es auch von hier aus.“

Sie trocknete die Augen ab. „Der schwarze Kühnrich aus den Stockhäusern unten hat mir immer alles zu Liebe gethan. Wenn er seine Abgaben vom Korn dem Stiftsmeier brachte, dann legte er mir einen Kuchen aus Weizenmehl auf das Fensterbrett oder setzte eine bunte Ente in den Hof. Aber die jungen Gesellen in unserem Jechaburg, wollen keinen Fremden dulden. In diesem Jahre fand ich das erste Veilchen hart an dem Grenzstein unserer Fluren. Ich rief und winkte nach beiden Seiten. Unsere Bauern liefen von den Aeckern herbei, die Spielleute kamen, und wir hoben den Reigen um das Veilchen an, wie es aller Brauch ist. Auch Kühnrich kam und wollte neben mich in den Ringelreihen treten. Da quakte Reinald, der Vogelsteller, wie ein Frosch – Ihr wißt, die Stockhäuser stehen im Sumpf – und die jungen Burschen aus Jechaburg fielen über Kühnrich her. Er ist ja stark wie ein Wolf; aber es waren ihrer zu viele, und sie stürzten ihn hinab. Das arme Veilchen, das so bescheiden aus seinem Moosbettlein lugte, hatten sie zertreten. Und als ich Klage führte bei unserem Dekan, da schalt er über die Abgötterei, die wir mit einer Blume trieben. Mein Vater aber lachte, daß Reinald [191] gequakt hatte. Und wir könnten doch für unser Gartenland im Kirchthal so gut ein Paar tüchtiger Arme brauchen.“

Albrecht sah mitleidig auf das jammernde Mädchen.

In die Stille tönte ein rauhes Getute von dem mitternächtlichen Absturz des Berges. Siie fuhr empor. „In den Stockhäusern blasen sie den ersten Storch an! Das ist gewiß Kühnrich!“ Und sie rannte an den Rand des Abhangs, riß unziemlich ihr Kopftüchlein ab und winkte mit aller Kraft.

„O weh über die sittigste Jungfrau von Jechaburg!“ sagte Albrecht lachend für sich. „Aber wer hackt da Holz an meinem Herde?“

In seiner Klause stand an der Feuertätte eine junge Magd von kräftigem Wuchs, starken schwarzen Haaren und ebenso dunklen Augen. Sie hatte Feuer angezündet, und blies in die Flammen. „Ich back’ Euch einen Kuchen aus den neunerlei heilkräftigen Kräutern, den Ihr Gründonnerstag essen müßt,“ sagte sie. „Bachbungen und Brunnenkresse habe ich mitgebracht, Gierenkraut, Lauch, Sauerampfer unterwegs gesammelt, Schlüsselblumen, Frauenmantel und junge Nesseln hier oben gepflückt.“ Sie eilte hinaus und streifte vom Hollunderbaum an der Thür eine Handvoll Blattknospen dazu.

„Und was soll ich für Deinen heilsamen bitteren Kuchen leisten, Elsemuth?“ fragte Albrecht und sah behaglich zu, wie ihre flinken Finger die Pfanne auf das Feuer stellten, aus einem Krüglein Oel hineingossen, Eier dazu schlugen, die Kräuter zerschnitten.

Ohne die Augen von dem sich bräunenden Gebäck zu wenden, fuhr, sie fort: „Macht doch Einmal die Sache Unserer lieben Frau ordentlich klar. Er, ich meine der Müller Hiltebold, kann ein tüchtiges Weib brauchen, das ihm die Mühle stellen hilft. Im Wasser herumsteigen bin ich gewöhnt. Unser Stockhaus steht am tiefsten Sumpf. Und ich vermag auch das Volk im Zaum zu halten, das bei ihm die liebe Feldfrucht und Eicheln mahlen und Oel aus Bucheckern schlagen läßt. Ich will schon ein scharfes Auge haben, daß wir unserer Abgaben nicht verlustig gehen. Und dann treibe ich Handel mit dem feinsten Mehl, dem klarsten Oel, mäste Schweine und Gänse. Wir werden reiche Leute. Aber er ist zitterig wie die Bebra und ihr ganzes Ingesinde an Forellen und Schmerlen, wagt sich nicht in unser Gehege, streicht mit seiner schönen Haube nur von weitem daran vorüber, weil der wilde Kühnrich gesagt hat, er wolle ihm Arme und Beine entzwei schlagen. wenn er unseren Boden betrete. Unsere liebe Frau muß ihm das Herz stärken, daß er ehrlich wirbt. Alsdann will ich schon mit meinen Leuten fertig werden.“ Sie ballte die starken Hände.

Der Kuchen war gar. Sie schob ihn auf eine Schüssel.

Plötzlich ging ihr Blick hinab in das Thal. „Dort schleicht er unter den Bäumen an der Bebra entlang – er sucht mich; ich muß hinab.“ Und heidi! ging’s stracks den steilen Abhang gerade hinunter.

„Wunderbar, daß auf solchen Wegen selten die Hälse gebrochen werden!“ sagte Albrecht. „Aber sind die Dorfsprentzeln nicht wie die Gockel auf ihren Höfen? Aufgeblasen stolzieren sie, wollen allein im Korbe sitzen und hacken auf jedes arme fremde Hühnlein eifersüchtig wüthend ein.“

Und da die Sonne im Mittag stand, zog er die Glocke. Behaglich verzehrte er dann sein Mahl, das der Schaffner des Stiftes durch einen Küchenjungen heraufgeschickt hatte, der Fastenzeit gemäß einen gebratenen Fisch und eine aus süßem Teige gebackene Biene, mit Honig gefüllt.

Nun ging’s wieder an das lustige Versedrechseln.

Wuchtige Schritte näherten sich der Klause. Die rundbogige kleine Thür verdunkelte sich: Cölestin erschien mit Gepuste, den Schweiß von der Stirn trocknend, und bot brüderlichen Grüß. Neugierig überflog sein Blick die Blätter, die auf Bank und Schemel herumlagen und deren schön ausgemalte Zeilen wie Prozessionen erschienen, über welchen purpurrothe und blaue Fähnlein flatterten. Aber plötzlich hielt sein Blick an. Aus einem mächtigen O schaute wie aus einer Grotte ein Mädchenkopf, mit bräunlicher Farbe gemalt.

„Ist das nicht –“

„Eine Wasserholde,“ schnitt Albrecht seine Rede ab.

„Aber soll das ein J sein? Scheint es nicht eine hochgewachsene Jungfrau mit azurblauen Aeuglein? Und wie viel Gold hast Du an die Zöpfe verschwendet!“ nörgelte Cölestin.

„Eine Waldfei ist’s!“ erklärte Albrecht. „So habe ich die Nymphen und Sylvanen übersetzt, die in dem Sange des Ovidius vorkommen. Dahin gehört das alles.“

„Auch das U, welches als Herd einer Kreatur dient, schwarz wie die Heerscharen der Hölle?“

Albrecht schob ungeduldig das Blatt fort, darauf er im Gedankenspiel nach Tische gemalt hatte. „Das wird ein Gezwerg. Denn was wissen die Deutschen von den Faunen und Satyrn, die in den Wäldern des feinen Römers hausen?“

Cölestin schüttelte den Kopf. „Bruder Albrecht, fliehe die Versuchung!“

Der lächelte. „Die Versuchungen banne ich alle auf das Pergament; da können sie mir nichts anhaben, Du aber sage mir, welche Versuchung Dich in der heißen Stunde aus dem lauschigen Klostergang den steilen Berg herauf getrieben hat.“

Der andere legte ein paar Kissen, mit morgenländischer Seide überzogen, auf die steinerne Fensterbank und trug dann in wohlgefügter Rede die bösen Erfahrungen und die Sorge der Chorherren in Bezug auf die immer noch wallende Ostara vor.

Nachdenklich hörte Albrecht zu. Dann sagte er: „In den armen kalten Ländern können sich die Menschen nicht genug thun mit der Freude über den holden Lenz. Ueber den dunklen Harzbergen sahen wir von Halberstadt aus im Frühling rothen Feuerschein. In Eisenach feierten sie am Sonntag Lätare den Sommergewinner, banden eine wüste Strohpuppe, die den Winter vorstellte, an ein Rad und ließen dies brennend vom Metilstein hinablaufen. Mit Juchhei rannten die jungen Mägde und Gesellen nach, hinab zur schön geschmückten Sommerdocke, die in grüner Tanne vor dem Georgenthor saß. Es wurden schwere Strafen auf den Unfug gesetzt.“

Cölestin nickte. „Und das half.“

Albrecht zuckte die Achseln „Das nächste Mal schwärzten sie sich die Gesichter, damit sie niemand erkannte. Das Volk läßt nicht von allen Bräuchen, die aus seiner Art, seinem Bedürfnis herausgewachsen sind. Wie die ersten Bekenner des Kreuzes in deutschen Landen bei dem Namen Ostern die alte Ostara – gestatte, daß ich sage: zu Gevatter baten“ – Cölestin prallte entsetzt zurück – „um das Fest dem Volke vertrauter zu machen, so sollten wir den alten heidnischen Brauch mit neuem christlichen Geiste erfüllen, ihn in den Dienst unserer Kirche nehmen. Sind wir nicht gesandt, um zu versöhnen? Soll das Joch nicht sanft, die Bürde nicht leicht sein?“

„Ich verstehe Dich nicht,“ sprach Cölestin.

Nach kurzem Besinnen erwiderte Albrecht: „Wenn ich heute zum letzten Male geläutet und damit Land und Leute in den Schutz der heiligen Engel befohlen habe, will ich hinabkommen und meine Meinung den Brüdern vortragen. Sage das dem Herrn Propst und überwinde den mühseligen Heimweg in Geduld – in Geduld, lieber Bruder.“

„Ein kühler Trunk wird vonnöthen sein,“ Meinte der wohlbeleibte Chorherr und begab sich auf den Abstieg.

Nun war die große Woche gekommen. Die Hausfrauen schmückten die Stuben mit Weidenzweigen voll silberglänzender Kätzchen, streuten Binsen auf den Fußboden und buken Osterfladen.

Die Glocken schwiegen, und die Kinder erzählten von ihnen, sie seien am Gründonnerstag nach Rom geflogen, um dort Milch und Wecken zu essen.

Die letzte Nacht vor dem Auferstehungsmorgen lag still und dunkel auf dem Gefilde, in dem einst die holde Frühlingsgöttin geherrscht hatte. Nur der starke Quell, der aus dem Felsengeklüft des Berges sprudelte und sich zu einem kleinen Weiher sammelte, murmelte sein uraltes Lied.

Da, als das erste Frühroth aufstieg, knirschte der Kies auf den Feldwegen, raschelte es leise im Gebüsch, kam es von allen Seiten heran.

Unter den hohen Eichen, die den Quell schützten, trat der finstere Kühnrich hervor. Das lange schwarze Haar – nur Hörige trugen es gestutzt – fiel bis auf die kräftigen Schultern herab; am Gürtel, der mit Metall reich beschlagen war, klirrte das kurze Schwert. Er war vom Scheitel bis zum trotzig auftretenden Fuß der freie deutsche Bauer. Langsam schritt er heran. Er wäre nicht gekommen, aber Gotelinde hatte ihn so lieblich angeschaut, so bittend nach der Quelle gewinkt, als er gestern die Birken zum Festschmuck für das Chorstift brachte. [192] Ja, arbeiten durfte er für Jechaburg; dann aber hieß es: „Schab ab!“ Wenn sie ihn heute wieder anfallen wollten! Seine Faust krampfte sich um den Schwertgriff.

Da umschlangen ihn zwei weiche Arme. Eine Hand, die selbst in der Nacht weiß leuchtete, faßte ihn und zog ihn dem Weiher zu. Sprechen durfte niemand bei dem Zauberwerk; aber es mißte auch niemand das Wort.

In der Grotte lag schon das Sträußchen der Jungfrau. Jetzt schöpfte sie Wasser, benetzte ihre Hände und strich ihm damit die Falten von der Stirn. Da schloß er die Augen; das Brennen verging wirklich von dem

linden Netzen, und der Krampf der zusammengeballten hartgearbeiteten Finger löste sich, als sie aus ihrer hohlen Hand das kühle Wasser darüber goß.

Dann stand sie an ihn geschmiegt, und sie blickten hinein in die wieder ruhig werdende Wasserfläche, die in der Morgendämmerung spiegelte. Da schauten ihre Gesichter nebeneinander heraus.

Glückliches Vorzeichen! Man sah die zukünftigen Eheliebsten in der Osternacht im Wasser … die natürlichsten Dinge macht hoffendes Herz zum Wunder! Er schlang den Arm um sie; sie legte das Haupt an seine Brust.

Trippelnde Füßchen huschten heran. Sie enteilten.

Nur Irmelein hatte solch schnellen Gang. Sie kam von Bebra herauf, trug geschäftig ihre Maiblumen in die Grotte und that gar nicht, als wartete sie ebenfalls auf den Einen. Sie warf das verhüllende Huch ab und begann, mit den runden Armen in dem Wasser zu plätschern, begoß sich das Köpfchen, wusch, den zarten Nacken, schniegelte sich wie ein badendes Täubchen. Nur zuweilen stahl sich ihr Blick unter den krausen Wimpern seitwärts.

Da erschien im Wasser ein lustiges Gesicht hinter ihr. Wollte Reinald vielleicht selbst zu einem Finken werden, daß er so den Schnabel nach ihr spitzte? Klatsch! hatte er einen Schlag darauf.

Im nächsten Augenblick gab es noch einen Schall. Reinald hatte Irmelein erwischt und küßte ihren rothen Mund. Dann flohen sie auseinander.

Kräftige Schritte nahten; sanftes Geklingel tönte dazwischen.

Elsemuth führte ihren Hiltebold heran, den echten Dorfgecken, der seinen feinen Tuchrock an den Nähten mit Schellen hatte besetzen lassen und auch auf dem nächtlichen Gange sich nicht von seiner schönen Haube trennen konnte.

Während Elsemuth den Strauß niederlegte, und eifrig ihre Arme badete – die Hauptsache war ja doch, daß sie kräftig blieb – bespiegelte er sich in der Wasserfläche. Wie schön war doch die Haube! Wenn sie nur deutlicher in dem Morgengrauen zu erschauen wäre! Er bog sich vor – abermals gab es einen Klatsch – die Haube lag im Wasser und trieb ab.

Hiltebold streckte hilflos die Arme aus.

Im nächsten Augenblick hatte Elsemuth die zierlich geschnitzten Holzschuhe abgeworfen, und, die Röcke hoch schürzend, stieg sie furchtlos hinein in die Fluth. Immer tiefer ging’s. Jetzt hatte sie das Leibstück ihres Erwählten ergriffen und kehrte damit zurück.

Hiltebold schüttelte die Tropfen heraus und setzte sie auf sein Flachshaar. Dann ging das Paar einträchtig davon und machte anderen Jünglingen und Mädchen Platz, die von ihren heißen Herzen an das alte Heilwasser getrieben wurden. –

Die Kinder hatten überall auch nicht viel geschlafen. Sie lugten die halbe Nacht zu den Fensterluken hinaus, um zu sehen, wie der Hase über den Weißdornzaun in das Wurzgärtlein stieg und seine rothen Eier in die Salbeistauden, in den blauen Schwertel legte. Und manch altes Mütterlein spähte gen Osten, ob es ihr diesmal gelingen werde, zu erschauen, wie die Sonne beim Aufgang drei Freudensprünge machte. Sie hatten es bis jetzt immer verschlafen, oder es war Nebel gewesen. Sonnenaufgänge haben nun einmal ihre Haken.

Jetzt blitzte der erste Sonnenstrahl auf, und zugleich schlugen alle Glocken an zu der Verkündigung: Christ ist erstanden.

„Christ ist erstanden!“ grüßten sich die Leute, während sie in die Stiftskirche zu St. Peter pilgerten.

Weihrauchwolken entströmten der hohen Kirchenpforte an welcher Birken, in jungem Laube und Blüthengetroddel prangend, gesetzt waren. Auf den Altären flammten Kerzen, St. Peter trug einen Purpurmantel und den goldenen Schlüssel. Und über allen Prunk erhöht, schaute aus einem Gemälde auf Goldgrund der blasse auffahrende Heiland, in der von Nägeln durchbohrten Hand die Siegesfahne schwingend. Mächtig tönte der feierliche Gesang der Chorherren; erschüttert kniete das Volk bis hinaus auf die Hügel des Kirchhofes.

Von feierlichem Gottesdienst durchzogen, verlief der hohe Festtag. Endlich summte die letzte Glocke aus. Die Dunkelheit brach herein.

Da blitzte es auf in der Flur, da huschten Lichter unter den Bäumen über das Feld hin und her wie die Irrwische, sammelten sich, und plötzlich rollten sie sich auf wie feurige Schlangen. Aus dem Moor der Stockhäuser, von den Espen der Bebra, aus den Obstgärten und Weinbergen der Jechaburg bäumten sie sich auf, ringelten dem Gipfel des Berges zu.

[193] Und droben an dem steilen Absturz lohte eine Flamme empor, weit hinaus grüßend alle die Getreuen, die Ostaras nicht vergessen hatten.

„Stab aus! Stab aus!
Brennt dem Winter die Augen aus!“

tönte der rauhe Sang.

Steil war der Berg. Der Athem ging den Singenden fast aus; aber zum wilden Liede mußte er reichen, ja, er stärkte sich noch mehr, als die Klimmenden von den Höhen überall, auf den Kuppen, soweit man schauen konnte, die Feuerfackeln winken sahen, sahen, wie der alte Gau der Frühlingsgöttin seine Huldigung zollte. Singend brachen sie aus dem Walde hervor, stiegen sie über den schroffen Bergrand empor.

Da wurde ihr Gang langsamer. Was war das? Die sonst um diese Zeit wie zürnend verschlossene Kapelle that sich auf; beleuchtet von der ewigen Lampe erschauten sie das Huldbild Unserer lieben Frau.

Und aus der Pforte schritten, voran die Chorknaben, ihre Rauchfässer hoch schwingend, einen feierlichen Hymnus singend, in langem Zuge die Chorherren, an der Spitze der Propst mit seinem Stabe.

Vor der Kapelle stellten sie sich auf wie treue Kriegsknechte vor der Feste, die sie vertheidigen wollen.

Mit raschen Schritten, aber kam Herr Albrecht hervor und bestieg den erhöhten Rain, welcher die kleine Kirche umfriedete.

„Tretet in einen Ring!“ “gebot er nun mit klingender Stimme. Da zogen die Feuerschlangen langsam heran, jedes Dorf für sich.

Es war ein wunderbarer Gottesdienst, zu dem sie berufen wurden. Ueber der weiten Bergfläche das dunkle Himmelsgewölbe, von funkelnden Sternen besät, im Kreise die Gemeinden mit lodernden Fackeln, bestrahlt von den Flammen des heidnischen Ostarafeuers. Vor ihnen der junge Geistliche, als trete er aus dem Kranze von grünendem Christdorn heraus, ein Bote der Kirche, die hinter ihm in sanftem Kerzenglanz mit dem milden Bilde Unserer lieben Frau sich erhob.

Aber siehe! Herr Albrecht strafte nicht, er begann das Frühlingsfest zu feiern. Mit dem Schwunge des Dichters pries er die Auferstehung der Natur, wie sie die Eisfesseln des Baches sprengt, Blumen und Kräuter aus der Erde lockt, den Vöglein die sangeslustige Zunge löst.

Die widerborstigen Gemeinden reckten ihre Ohren auf und lauschten und merkten es nicht, wie er allmählich, nun als Chorherr ihres Stiftes, sie zu dem größeren Wunder führte, zu der auferstandenen Liebe, die das Grab gesprengt, den Tod überwunden habe. Sein falkenscharfer Blick überflog den Kreis. Das demüthige Senken der Fackeln that ihm kund, daß er die zerrissenen Zügel christlicher Gesinnung wieder in der Hand hielt.

Aber weise unterließ er es, sie straffer zu ziehen. „Feiert Euer frohes Fest,“ fuhr er fort. „Gott hat Wohlgefallen an unschuldiger Freude. Wir werden sie Euch nicht verleiden. Aber wir werden Euch hinfüro in jedem Jahre hier begegnen und Gott, dem Herrn, die Ehre geben, bevor Ihr in fröhlichem Muthe Euch seiner schönen Erde freut.“

Er wollte zurücktreten. Da blendete es wie ein Blitzstrahl in seine Augen. Er sah hinüber. Das kam aus Irmeleins Handspiegel; sie hob bittend die Hände. Und da zur Rechten sahen ihn blaue Augen flehend, zur Linken schwarze fordernd an.

Er besann sich. Für Strauß, Kräuterkuchen und Bitt-Thränen wurde ein Wunder erwartet von „Unserer lieben Frau“ und Hilfe von ihm. Ein kaum merkbares Lächeln flog über seine Lippen. Er sammelte sich zu einem zweiten Theile seiner Rede.

„Aber wie wir Euch für Trotz Liebe geben, so heischen wir auch von Euch milden Sinn. Mit einem grausamen heidnischen Reime droht Ihr, dem harten Winter die Augen auszubrennen! Ist von Euren Herzen auch die harte Eisrinde gesprungen? Habt Ihr Widersetzlichkeit, Haß, Mißgunst aus Eurer Seele gebrannt? Werdet Ihr im frohen Ostertanz Euch brüderlich die Hände reichen?“

Unbeweglich stand der Ring.

„Wohlan! Wenn die Männer starrnackig sanfter Sitte sich nicht beugen wollen, so befehle ich den gehorsamen Töchtern unseres Stiftes, mit gutem Beispiel voran zu gehen. Gotelinde, wohlgethane Jungfrau, Irmelein, freundliches Kind, und Elsemuth, aufrichtige Maid, bietet den Nachbarn jenseit Eurer Dorfgehege die Hand, wie die Stimmen in Euren Herzen Euch führen.“ .

Da schritten aus den Reihen ihrer Dorfgenossen drei Mägdlein hervor, wie getrieben von einer unsichtbaren Gewalt


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Sie gingen schnell, immer schneller über den Rasen, ihre Pfade durchkreuzten sich.

Mit fröhlichem Luftsprung that sich der Vogelsteller hervor, schwang seinen hohen Festhut, auf dem die Rohrflöte steckte, und faßte Irmelein bei den Händen. Lachend drehten sie sich umeinander herum.

Und Gotelinde war hinüber gewandelt, hoch und weiß wie Lilie, und streckte dem finsteren Kühnrich die Hand entgegen. Der ergriff sie und sah trotzig um sich. Nun war es sein gutes Recht; das wollte er schon vertheidigen.

Elsemuth aber stürmte, daß der Saum ihres mit rothen Fäden ausgenähten Leinwandrockes flog, zum Müller und führte ihn samt seiner schönen Haube unter Schellengeklingel davon wie ein Lamm zur Schlachtbank.

Und da niemand wagte, Einhalt zu thun, fanden sich mehr und mehr zusammen. Es mußte unter der Asche stark geglimmt haben. Zu fröhlichem Zuge ordneten sich die Paare.

Aber nun schauten sie verlegen drein. Nach welcher Tanzweise sollten sie den Reigen anheben? Reinald begann zwar zu singen: „Stab aus!“ Jedoch Irmelein hielt

ihm den Mund zu wie er vordem seinem Star den Schnabel. Herr Albrecht hatte ja das Lied heidnisch, grausam genannt. Aller Augen richteten sich auf ihn. Wer Altes stürzt, muß Neues schaffen können.

Da winkte Albrecht einem Knaben, daß er ihm die Harfe bringe. In freier edler Haltung, wie die Sänger auf der Wartburg vor dem Landgrafen gestanden hatten, stand er jetzt vor seinem Bauernvölkchen. Seine schmalen Hände glitten über die goldflimmernden Saiten, holder Wohllaut rauschte auf, und in der halb sprechenden, halb singenden Weise seiner Dichterzunft erfand er ihnen ein neues Tanzlied:

„Auf den Wiesen die Blümlein springen,
Kleine Vöglein im Walde singen
Fröhlich mit süßem Schalle.
Ihr Knaben und Mägdlein alle,
Nun hebet auch Ihr Euch zum grünen Plan,
Die holde Sommerzeit zu empfahn!“

Enger schloß sich der Kreis. Die jungen Dörfler raunten, die Mägdlein wisperten die Verse nach.

Ueber Herrn Albrechts Züge flog es wie Schelmerei. War tief in ihm ein Stücklein von dem Geiste des wilden Tannhäuser verborgen?

Schnelle Griffe auf der Harfe folgten. Dann sang er keck:

„Zu Zwei und Zweien
Im Doppelreihen
Nun sollt Ihr springen! Heiahei!
Auch dem Spielmann springt –“

„das Herz dabei“, wollte er enden, aber der Propst hob mahnend den Finger

„Eine Saite entzwei,“ schloß das Lied.

Lauter Jubel folgte. Zu Zwei und Zweien ging’s im künstlichen Zippelschritt davon, um das Osterfeuer herum.

Die Chorherren schauten dem Hoppaldei zu und dem schönen lustigen Firlefei.

Erst als nach alter Sitte klafterlange Sprünge über das Feuer gethan wurden, wandelten sie langsam hinab. Auch Albrecht zog sich nach seiner Klause zurück.

Da umringten ihn plötzlich die drei klugen Jungfrauen. Sie drückten den Saum seines Obergewandes an die Lippen.

„Ihr habt harte Herzen erweicht, deß sagen wir Euch Dank,“ sprach Gotelinde.

„Das beste Krüglein Oel bringe ich Euch!“ betheuerte Elsemuth.

„Ja, wenn Ihr kein Chorherr wäret, da freilich,“ schäkerte Irmelein. Sie wollte weiter sprechen, aber das flinke Zünglein versagte.

„Willst Du mir das Herz schwer machen?“ lächelte er.

Da sah es plötzlich Thränen; die drei Augenpaare standen voll Perlen. Innig sahen sie ihn an.

„Eueren Gesponsen Kuß und Lachen,“ sagte er mit leiser Schwermuth. „Mir eine Thräne. Wem ist das bessere Theil geworden?“

Dann gingen seine Augen über sie hinweg nach dem funkelnden Sternenhimmel hinauf, und nun schien es, als strahlten sie in überirdischem Licht. Er hob die Hand ernst zum Segen über die tief sich beugenden jugendlichen Häupter: „Seid glücklich!“

Die Feier des Osterfestes auf dem Berge Unserer lieben Frau stieg zu immer höherem Glanze empor. Die Kapelle wurde mit einem Ablaß begabt, zahllose Wallfahrten pilgerten hinauf am steilen Weg reihten sich Verkaufsbuden.

Bei der Einführung der Reformation wurde das Stift aufgehoben, das Kirchlein geschlossen. Die Wallfahrten wandelten sich in Osterlustbarkeiten für die Umgegend.

Gemachsam schliefen auch diese ein. Die Trümmer der Kapelle überzog der grüne Rasen. In der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts wurde das letzte Osterei mit seinem altherkömmlichen Kreuze am steilen Weg verkauft.

Nur blaue Glockenblumen läuten noch auf der Stätte, wo der Chorherr Albrecht sich mit der Uebertragung des Ovidius mühte, deren letzter Rest, nach sechshundert Jahren unter Einbänden von Einquartierungsregistern des Dreißigjährigen Krieges und unter Küchenabrechnungen hervorgezogen wurde.

Aber wenn die Osternacht anbricht, dann lodert eine mächtige Flamme auf dem Gipfel des Frauengberges empor; von den Ortschaften ziehen, die jungen Männer aus mit brennenden Fackeln und winken dem Feuer zu, heut wie vor tausend Jahren.