Notgedrungene Epistel des berühmten Schneiders Johannes Schere an Seinen Grosgünstigen Mäzen
Wie kümmerlich, troz seiner Göttlichkeit,
Sich oft Genie hier unterm Monde nähre,
Beweisen uns die Keppler, die Homere,
Und hundert grosse Geister, jeder Zeit,
Doch warlich nicht zu sonderlicher Ehre
Der undankbaren Menschlichkeit,
Die ihnen späte Dankaltäre
Und Opfer nach dem Tod’ erst weiht.
Minerva Kunst und nicht gemeinen Adel.
Allein der Lohn, für meine Treflichkeit,
Ist Hungersnot, ein Haderlumpenkleid,
Ist obenein der schwachen Seelen Tadel,
Des Namens Ruhm und Ewigkeit.
Allein was hilft’s, wenn nach dem Tode,
Mich Leichenpredigt oder Ode
Den grösten aller Schneider nent,
An welchem Schere, Zwirn und Nadel hangen,
Und Fingerhut und Bügeleisen prangen,
Der späten Nachwelt dies bekent?
Wenn lebend mich mein Zeitgenosse
Auf Stroh zu schlafen, von sich stöst,
Und nackend gehn und hungern läst?
Der Stümper, der zu meinen Füssen kreucht,
Beschmizet zwar mit seines Neides Geifer,
Oft meinen Ruhm, und schreit: Ich wär’ ein Säufer,
Und stets bedacht, mein Gütchen zu verthun,
Und liess’ indeß die edle Nadel ruhn.
O schnöder Neid! Denn überlegt man’s reifer,
So ist dabei doch ausgemacht und klar,
Und es bestätigt dies die Menge der Exempel,
Daß solch ein Zug von je und je im Stempel
Erhabener Genieen war.
Der Lebensart, und fahren auf gut Glük,
So wie der Wind der Laun’ in ihre Segel
Just stossen mag, bald vorwärts bald zurük,
Und lassen das gemeine Volk laviren.
Ein Stärkerrecht, daß man sie sorgsam hegt,
Dankbar bekleidet und verpflegt,
Zu hoch und frei, sich selber zu geniren.
Und, wenn der Ueberflus verkehrter Welt
Und Kakadu, und Papagei erhält:
So solten sie den Leckerbissen haben,
Der von des Reichen Tische fält.
Allein wie karg ist die verkehrte Welt,
Wilst du davon ein redend Beispiel sehn,
So schau auf mich, grosgünstiger Mäzen,
So guck’ einmal, nebst deinem theuren Weibe,
Auf meinen Rok, durch deines Fensters Scheibe,
Und meinen Leib dem Winter offen stehn!
Sprich selbst einmal, ist’s nicht die gröste Schande,
Daß mich, der ich mit seidenem Gewande
So oft bekleidete des Landes Grazien,
Kan dies dich nicht zu mildem Mitleid reizen,
Mit einer Kleinigkeit mir hülfreich beizustehn,
Zur Menschheit Ehre nicht zu geizen? –
O ja! Ich kan auf deine Güte baun!
Und hält allein, mein wankendes Vertraun.
Sonst wüst’ ich mich fürwahr nicht zu berathen.
Drum borge du mir, für ein besser Kleid,
Zu Schuz und Truz, in dieser rauhen Zeit,
Mit Dank bin ich ihn jederzeit,
Durch künstliche und dauerhafte Rathen,
Abzuverdienen gern bereit.