Noch einmal General Wolffersdorff, der Bedränger Altenas

Textdaten
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Autor: Erich Schild
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Titel: Noch einmal General Wolffersdorff, der Bedränger Altenas
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 52, S. 853–854
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1883
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[853] Noch einmal General Wolffersdorff, der Bedränger Altenas. In Blätter und Blüthen der Nr. 42 hat die „Gartenlaube“ das äußerst gewaltthätige Verfahren geschildert, das sich General Wolffersdorff (so ist die richtige Schreibung des Namens) zur Zeit Friedrich’s des Großen gegen das Städtlein Altena zu Schulden kommen ließ, wofür er vom König einen scharfen Verweis erhielt. Nur „in Erwägung seiner sonstigen Meriten“ belegte Friedrich II. den General nicht nach Gebühr mit einer härteren Strafe. Nachdem die Leser der „Gartenlaube“ den alten Haudegen von einer üblen Seite kennen gelernt, sei es gestattet, auch seiner „Meriten“ zu gedenken, um deren willen er beim alten Fritz einen großen Stein im Brette hatte, worauf er freilich bei seinem übermüthigen Zuge gegen Altena allzu sehr sich verlassen zu haben scheint.

Passirt man, vom Bahnhofe kommend, das Wittenberger Thor der Elbfestung Torgau, so gewahrt man rechts von der Straße im inneren Raume der Schleusenlünette Nr. 3 (Lünette Wolffersdorff) eine aus polirtem Granit gefertigte Pyramide mit der Inschrift: „Zur Erinnerung an die tapfere Vertheidigung von Torgau durch den königlich preußischen Oberst von Wolffersdorff vom 10. bis 14. August 1759.“

Torgau war 1759 noch nicht eine regelrecht ausgebaute Festung. Ein einfacher Erdwall mit Graben umgab und schützte die Stadt. Trotz dieser ungenügenden Befestigung hatte der Commandant Wolffersdorff drei Sturmangriffe des Feindes nicht nur völlig abgeschlagen, sondern war auch beim dritten dieser Angriffe dem zur Flucht sich wendenden Gegner nachgefolgt und hatte ihm noch manchen Verlust beigebracht.

Damit aber hatten die Belagerten auch das Letzte gethan, was ihnen noch möglich war; denn es mangelte ihnen jetzt an aller Munition.

Wiederholt hatte der Befehlshaber des Belagerungscorps, Prinz von Stolberg, die Capitulation angeboten und war dabei selbst so weit gegangen, daß er die Hauptbedingungen derselben Wolffersdorff überließ. Die Unterhandlungen gelangten zu dem Abschluß, daß der Garnison ein freier, ehrenvoller Abzug bewilligt wurde und sie ihre Waffen behielt. Der betreffende Passus der Capitulation lautete: „Der königlich preußischen Garnison wird freier Abzug mit klingendem Spiel und fliegenden Fahnen, der Artillerie mit brennenden Lunten bewilligt.“

In einem besonderen Artikel hatte der capitulirende Oberst von Wolffersdorff sich noch ausbedungen, daß, so lange die Besatzung nicht [852] aus der Stadt und aus der Schanze vor dem Elbbrückenthore völlig ausmarschirt sei, kein Ueberläufer in die Reihen der Feinde aufgenommen werden solle. Mit gutem Grunde hatte Wolffersdorff auf diesem Punkt bestanden. Er wußte, daß unter seinen Truppen viele Ueberläufer und solche waren, die als Kriegsgefangene Dienste genommen hatten, und es war ihm nicht verborgen, was er von einem Theile derselben bei dem Abzug zu erwarten hatte.

So zog denn am 15. August 1759 Morgens 8 Uhr die Besatzung von Torgau mit klingendem Spiel und fliegenden Fahnen aus, ihren Weg über die Elbe nach Wittenberg nehmend. Jenseits der Elbe waren auf der großen Wiese zwei Bataillone Kroaten des österreichischen Generals Luczinsky zur Rechten und Linken zur Parade aufgestellt, zwischen denen hindurch die abziehenden preußischen Truppen marschirten. Ebendort, unweit des Ausganges der Elbschanze, hielt auch Prinz von Stolberg mit seinem Stabe.

Nicht ohne Achtung konnten der Prinz und sein Gefolge die preußischen Truppen vorüberziehen sehen, die so rühmliche Beweise ihres Muthes und ihrer Tapferkeit gegeben hatten.

Der Oberst von Wolffersdorff hatte, während die Tambours den preußischen Grenadiermarsch schlugen, den ersten Zug des Regiments Hessen-Kassel an dem Prinzen Stolberg vorübergeführt und stellte sich nun, nach dem üblichen Gebrauch, neben dem Prinzen auf, um den Vorbeimarsch selbst beobachten zu können. Da wurde dieser plötzlich durch einen schlimmen Vorfall unterbrochen. Als nämlich das Bataillon von Grolmann in die Nähe des Prinzen kam, rief ein Adjutant des Letzteren mit lauter Stimme den Mannschaften zu:

„Wer unter Euch ein Reichskind oder ein Kaiserlicher ist, der trete aus! Seine Durchlaucht geben solchen allen Schutz!“

Auf diesen Zuruf trennten sich die Glieder des zumeist aus österreichischen und anderen Ueberläufern und Gefangenen bestehenden Bataillons; der größte Theil der Mannschaften lief weg und versteckte sich hinter den Palissaden, sowie hinter den am Wege aufgestellten Kroaten oder im Graben unter der Brücke; einige liefen auch nach den am Elbufer liegenden Kähnen.

In dieser schwierigen Situation verlor Wolffersdorff keinen Augenblick die Fassung. Sofort war er an das Bataillon herangesprengt und rief mit Donnerstimme:

„In den Zügen geblieben oder ich lasse Euch niederschießen, Galgen und Rad soll die Ausreißer treffen!“ – eine Drohung, die er sofort damit bekäftigte, daß er ein Pistol aus dem Gürtel riß und dem ihm zunächst Austretenden eine Kugel durch den Kopf jagte.

Inzwischen war der Prinz Stolberg herangekommen und sagte zu dem Oberst mit drohender Stimme, er möge das bleiben lassen, widrigenfalls es nicht gut gehen würde. Ohne ihn jedoch im Geringsten zu beachten, ertheilte Wolffersdorff seinem Adjutanten von Bonin Befehl, dem schon vorbeigezogenen Regimente Hessen–Kassel nachzujagen und demselben die Ordre zu bringen, Halt und Kehrt zu machen und sich zum Schlagen fertig zu halten. Er selbst sprengte zurück zu dem Bataillone Hoffmann, welches dem Grolmann’schen folgte, und commandirte: „Das ganze Bataillon Halt! Front! Fertig!“ Der Artillerie aber sandte er durch einen andern Adjutanten den Befehl, abzuprotzen und mit Kartätschen zu laden. Hierauf ritt er zu dem Prinzen zurück, setzte ihm zornglühenden Gesichts das zweiläufige Pistol, dessen einer Lauf noch geladen war, auf die Brust und rief ihm mit starker Stimme zu:

„Durchlaucht haben die Capitulation gebrochen, somit bin auch ich nicht mehr daran gebunden. Sie sind mein Gefangener, oder ich schieße Sie auf dem Flecke nieder und lasse Ihr ganzes Gefolge von diesem Bataillone niederschießen. Ich werde in die Stadt zurückgehen und von Neuem anfangen, mich zu wehren. Reiten Sie in die Schanze, oder ich lasse anschlagen und Feuer geben.“

Diese Entschlossenheit brachte den ganz verdutzt dreinschauenden Prinzen aus aller Fassung, zumal er sah, wie vor seinen Augen und ganz in seiner Nähe verschiedene Ausreißer von preußischen Husaren und Infanteristen niedergeschossen und niedergehauen wurden. Er machte Einwendungen, mußte aber aus dem Munde des erbitterten Obersten so demüthigende Reden vernehmen, wie sie unter anderen Umständen ein Reichsfürst sich nicht hätte bieten lassen.

Jetzt kam der General Luczinsky, der weiter vorn gehalten, herbeigesprengt, um sich nach der Ursache der eingetretenen Stockung des Zuges zu erkundigen. Er war erstaunt, den Prinzen in einer Lage zu finden, wo derselbe nur zwischen Tod und Gefangenschaft zu wählen hatte. Als er jedoch des Näheren vernommen, was vorgefallen, wandte er sich mit ernstem Ton an den Prinzen und sagte:

„Ei, ei, Durchlaucht, der Oberst hat Recht, was capitulirt ist, muß gehalten werden.“

Wohl oder übel mußte jetzt der Prinz sich der Demüthigung unterziehen, die Ueberläufer aufzufordern, wieder in Reih und Glied zu treten. Mehrere derselben trieb General Luczinsky selbst hinter den Reihen seiner Kroaten hervor. An Todten, Verwundeten und solchen, die in Kähnen über die Elbe entkommen waren, kostete dieser Tumult den Preußen 1 Unterofficier und 67 Mann.

Wegen dieses Zwischenfalles stellte Wolffersdorff neue Zusatzbedingungen zur abgeschlossenen Capitulation, welche ihm den freien Abzug sichern sollten. Auf diese einzugehen, zauderte anfänglich der Prinz von Stolberg. Da indessen Wolffersdorff (der, nebenbei gesagt, auch durch seine riesige Figur imponirte) durch das von ihm mit dem Finger am Drücker dem Prinzen stets vorgehaltene Pistol seinen Worten Nachdruck gab, überdies der Prinz auch wahrnehmen mußte, daß schon mehrere Officiere der Reichsarmee, weil das Hoffmann’sche Bataillon schußfertig stand, die Degen und Säbel losschnallten, um sich gefangen zu geben, so blieb ihm nichts übrig, als alle Punkte der Forderung zu bewilligen. Unbehindert setzte nun Wolffersdorff mit seinen Truppen den Marsch fort und traf am 16. August in Wittenberg ein, wo er nachstehende Cabinetsordre seines Königs vom 14. August 1759 vorfand:

„Mein lieber Obrister v. Wolffersdorff. Da die Russen mich bei Kunersdorff zur Retraite gezwungen, so habt Ihr in Torgau in bestmöglichster Art zu capituliren, doch sorgt dafür, daß Ihr freien Abzug nach Potsdam erhaltet, und meldet Euch, wenn Ihr dorthin gekommen seid. Ich bin Euer wohl affectionirter König

Fürstenwalde, den 14. August 1759. Fr–ch.“     

Unter dem 20. August sandte Wolffersdorff einen eingehenden Bericht über die stattgehabten Ereignisse an den König. Dieser, obwohl in seiner damaligen bedrängten Lage mit Ertheilung von Belobigungen durchaus nicht sehr freigebig, schrieb zurück:

„Mein lieber Obrister v. Wolffersdorff. Ich habe Euer Schreiben vom 20. dieses erhalten, muß Euch Meine ganz besondere Satisfaction über Euren in Torgau während der Belagerung sowohl als auf dem Ausmarsch Eurer unterhabenden Bataillons bezeigten Dienst-Eyffer und Fermeté hierdurch zu erkennen geben. Ihr könnt Euch versichert halten, daß ich Euer unvergessen und auf Eure Avangtage und avancement bedacht sein werde. Ich bin Euer wohl affectionirter König

Fürstenwalde, den 26. August 1759.Frch.“     

Um dieser Meriten willen pardonnirte später der König dem General von Wolffersdorff „die mauvaise Altenaer Geschichte“. Wolffersdorff ist am 6. Mai 1781 als Generallieutenant und Chef eines Infanterieregiments gestorben. Erich Schild.