Noch eine Erinnerung an Wöbbelin

Textdaten
<<< >>>
Autor: Gustav Adolph Ackermann
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Noch eine Erinnerung an Wöbbelin
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Artikel über Tod und Begräbnis von Theodor Körner 1813
Siehe auch Die Wöbbeliner Festgräber
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[489]
Noch eine Erinnerung an Wöbbelin.
Von Apell.-Rath Ackermann in Dresden.

Mit Wehmuth greifen wir gerade in diesen Tagen nach jedem Erinnerungsblatte aus dem denkwürdigen Jahre 1813, mit Wehmuth besonders nach dem, was uns die Presse, vor Allen aber die „Gartenlaube“ über unsern jugendlichen Tyrtäus Körner brachte und bringt. Tausende ihrer Leser haben daher auch mit Dank in Nr. 27 die Mittheilung über die „Körnergräber und ihr alter Wächter“, den alten ehrwürdigen Dorfschulzen Franck, gelesen.

Nicht um das, was der biedere Greis aus jener Zeit erzählt, zu bezweifeln und zu berichtigen, sondern um Einiges zu erläutern, was ein halbes Jahrhundert und Geistesschwäche verwischt, erlaube ich mir nachfolgende Mittheilung.

Wer aber berichtigen oder auch nur ergänzen will, muß dazu berechtigt sein. Ich legitimire daher zuvörderst meine Bekanntschaft mit unsrem Körner. Er Leipziger, ich Wittenberger Student, hatten wir bei den Reibungen einiger Verbindungen beider Universitäten und bei den diesfalls vorkommenden Verhandlungen mehrfache Gelegenheit uns zu sehen und zu messen. Man reiste herüber und hinüber, als gälte es Europa’s Wohl. Dabei kam auch im Winter 1810 Körner von Leipzig zu uns. Sein freies, jugendliches, joviales, studentisch ungenirtes Wesen erwarb sich bald Freunde.

Der Krieg sprengte nach wenig Jahren die mehr als 300jährige Universität Wittenberg und schleuderte ihre Jünger nach Ost und nach West. Körnern, der inzwischen bereits seine Dichterbahn betreten, führte er auf seine blutige Bahn.

Mit Körnern zugleich focht mein Bruder, den deutscher Patriotismus aus glücklichen Verhältnissen bei seinem väterlichen Freunde Pestalozzi zu Yverdun in der Schweiz in sein Vaterland zurück und in Dresden in das Lützow’sche Corps geführt hatte. Mein edler Bruder, eine hohe, reine, deutsche Natur, gebildet durch Reisen und Wissenschaften, ward bald Körner’s Freund. Seinen Mittheilungen verdanke ich manche Erhebung und manche interessante Erzählung von dem Heldensänger, so auch über Körner’s Tod und Beerdigung.

Aus diesen mündlichen Mittheilungen, und aus den bereits vor sechzehn Jahren veröffentlichten „Erinnerungen aus den deutschen Befreiungskriegen in den Jahren 1813 und 1814“ enthaltenen Aufsätzen meines Bruders kenne ich dessen Antheil an den traurigen Feierlichkeiten nach Körner’s Tod; und ich glaube kein tadelnswerthes Plagiat zu begehen, wenn ich, unter Zugrundlegung eines Aufsatzes meines schon längst in seinem lieben Frankfurt heimgegangenen Bruders, diesen selbst sprechen lasse.




Der 20. August 1813 war für uns ein trauriger Tag; an ihm verloren wir einen unserer herrlichsten Kampfgenossen, den Streiter mit Leier und Schwert.

Unser Corps bivouakirte auf einer Trift bei Wöbbelin, in deren Mitte zwei uralte Eichen standen. Förster und ich waren mit noch ein paar Freunden an diesem Morgen zu sogenannten Corpsofficieren ernannt worden; das hieß, wir waren officiersdienstthuende Oberjäger, so lange, bis die Bestätigung des Königs, dem wir zu Officieren vorgeschlagen waren, ankam. Wer, wie wir, als Gemeine, Gefreite und Unterofficiere gedient hatte, weiß, was das sagen will, Officier zu werden. Man verläßt die Classe der Gehorchenden und tritt hinauf in die der Befehlenden. Man hat die höchste Stufe militärischer Ehre nun erreicht; ob Lieutenant, ob Feldmarschall, anderes als Officier kann man nicht mehr werden. Im Lager und in unseren Herzen war Sonnenschein; aber ein finsterer Schatten sollte bald alle Freude auslöschen. Lützow, der mit dem Corpscommando sich nicht gern viel zu schaffen machte, sondern lieber, wie er einst mit seinem Freunde Schill gethan, auf Husarenabenteuer auszog, hatte auch heute das Commando dem Major Petersdorf übertragen und war mit seinen Adjutanten und einer Schwadron Husaren weggeritten, um sich vier Stunden weit von unserem Lager in einen Hinterhalt zu legen und von da aus einen Transport Zwieback wegzunehmen, der, wie er durch Spione erfahren hatte, unter militärischer Escorte nach Hamburg gebracht werden sollte.

Man hatte mir ausnahmsweise vergönnt, bei derselben Compagnie, bei der ich bisher als Unteroffizier gestanden hatte, nun auch als Officier zu bleiben. Unter allerlei Einrichtungen für mein [490] neues Verhältniß war der Tag vergangen. Ich lag auf meinem Strohlager. Alles schlief um mich, nur ich konnte keinen Schlaf finden. Wir hatten in diesen Tagen die Nachricht von dem abgeschlossenen Waffenstillstand erhalten, und ich fürchtete die berückende Schlauheit des Corsen noch mehr als sein Schwert. Unsere Heere waren vor ihm in die Lausitz zurückgewichen. Er gewann jetzt Zeit, sich zu verstärken. Wenn der Waffenstillstand mit einem Frieden enden, und Napoleon seinen furchtbaren Einfluß in Deutschland behaupten sollte, welches Schicksal stand dann uns armen von ihm schon geächteten Lützowern bevor? – Verbannung oder Tod, Amerika oder jene hellen Sterne, an denen bei diesen Betrachtungen meine Augen fest hingen.

Da hörte ich auf einmal weiter unten im Lager schönen Gesang; ich raffte mich auf, eilte den Tönen nach, und fand eine Gesellschaft fröhlicher Freunde, die, weil ihnen das Glück eine Bouteille Arac zugeführt, Punsch gemacht hatten, und nun nach Zelter’schen Melodien Lieder sangen, die Körner gedichtet hatte. Ich half ihnen singen und trinken bis auf die Neige. Dann suchte jeder seine Ruhestätte bei seiner Schaar. Im Lager war wieder Alles still. Nur vom Dorfe her hörte man Wagengerassel und unseres Jahn’s Stimme dazwischen. So wenig auffallend dies Letztere auch war, so sprang ich doch noch einmal auf, um zu sehen, was denn wohl Jahn jetzt noch, um Mitternacht, im Dorfe zu wirthschaften habe. Der Mond war aufgegangen, und ich sah einen langen Zug von beladenen Wagen aus dem Dorfe kommen, begleitet von Einzelnen unserer Husaren. Ich fragte den ersten, der an mich herankam, was sie da brächten; er sagte, sie wären so glücklich gewesen, den Franzosen den ganzen Transport von 40 Wagen mit Zwieback abzunehmen, nur hätten sie leider ihren Lieutenant dabei verloren. Mich interessirte dies zunächst nicht besonders, da ich unter der Cavallerie nur wenig Bekannte hatte; doch fragte ich nach dem Namen. Als mir der Husar Körner nannte, dachte ich auch nicht von Weitem daran, daß das unser Theodor sein könnte. Auf meine weitere Frage: was für ein Körner? deutete der Husar auf den nächsten Wagen, mit den Worten: „Da liegt er, da können Sie selbst sehen.“ – Es war der Dichter!! – In diesem Augenblick kam Jahn in Hast an mich heran: „es ist mir lieb, daß ich dich finde, du bist heute Officier geworden, ich übergebe dir hiermit diese 40 Wagen sammt den darauf befindlichen Gefangenen; laß die Wagen auffahren, umstelle sie mit Mannschaft und hafte für ihre Sicherheit, bis der Morgen kommt.“ Fort war er wieder, der alte Jahn! ich glaube, ich hatte nicht einmal so viel Zeit, ihm etwas von unserem großen Verlust zu sagen. Pflichterfüllung trat jetzt an die Stelle des Schmerzes. Ich ließ die Wagen möglichst nah zusammenfahren, auf mehreren lagen todte schwarze Husaren, auf anderen verwundete Franzosen.

Nun eilte ich an Körner’s Wagen. Daß er uns für immer entrissen sei, hielt ich noch nicht für möglich; ich meinte, er sei vielleicht schwer verwundet, schlafe oder liege in Ohnmacht und werde uns wohl noch einmal, so wie nach jenem fürchterlichen Hieb, der ihn schon bei Leipzig in eine tiefe Ohnmacht versenkt hatte, erhalten werden. Ich wollte mich daher von der Art der Verwundung selbst überzeugen. Den Kopf fand ich frei von jeder Wunde, ebenso die Brust; aber mitten in der Magengegend fühlte ich eine Schußwunde, die ihrer Richtung nach das Rückenmark verletzt haben mußte. Da hatte ich denn plötzlich die schreckliche Gewißheit, daß der Herrliche für uns unrettbar verloren sei. Ich weckte die Freunde und theilte ihnen die traurige Kunde mit. Bald schlief im ganzen Lager Niemand mehr. Alles war von tiefem Schmerze ergriffen.

In der Compagnie, in welcher Körner zuletzt als Lieutenant gestanden hatte, waren zwei Schreinergesellen. Diese verschafften sich sogleich im Dorfe Eichenholz und machten sich noch in der Nacht daran, ihm einen Sarg zu zimmern. Nahe bei unserem Lager stand das Häuschen des Hirten. Da hinein wurde Körner’s Leiche gebracht und in die Mitte der Hausflur auf eine lange Tafel auf Eichenlaub gelegt. Außer Körner waren noch ein Graf Hardenberg, der als Freiwilliger diese Expedition mitgemacht hatte, und ungefähr sieben von unseren Husaren gefallen. Diese wurden auf den Boden der Hausflur ebenfalls auf Eichenlaub um die lange Tafel, auf der unser Heldenjüngling lag, herumgelegt. Sie waren Alle von wohlgezielten Schüssen plötzlich getödtet und daher mit den Mienen, die sie im Augenblick ihres Todes gehabt hatten, erstarrt. Da sah man noch freudigen Muth oder Zorn in ihren Gesichtern; Einer hielt den Arm in die Höhe und die Faust geschlossen, als wollte er eben zu einem Streiche ausholen; Einer schien sogar zu lachen. Es war ein schauerlich belebtes Bild, diese sprechenden Leichen auf dem Boden umher! Körner’s Mienen waren ruhig; so schien sein Gemüth im Augenblick des Todes gewesen zu sein. Als den schwer Getroffenen, vom Pferde Stürzenden seine Cameraden auf den Wagen legten, soll er noch mit großem Gleichmuth gesagt haben: „ich habe wieder Etwas weggekriegt, doch es wird wohl nichts zu bedeuten haben.“ – Einen Augenblick darauf hauchte er sein schönes Leben aus.

Was von Malern unter unseren Freiwilligen war, kam herbei, um seine Züge auf dem Papiere festzuhalten. Förster und ich aber gingen zu Major Petersdorf, mit ihm das Nähere über unseres Freundes Beerdigung zu besprechen. Wir äußerten den Wunsch, ihm unter der größeren der beiden Eichen ein Grab allein machen zu dürfen. Indeß unser Major meinte, er finde es viel passender, ihn unter den Meilenstein zu legen, der bei dem Dorfe an der Landstraße stand; denn dieser könne dann zugleich als ein Denkmal des Dichters dienen. Wir waren entrüstet über das Unpassende dieses Vorschlags und erklärten, daß wir die Bestattung unseres Körner an solch profanem Orte nimmermehr zugeben würden, er bedürfe keines Meilenzeigers zum Denkmal, er habe sich eines in den Herzen seines Volkes auf ewige Zeiten gesetzt, übrigens wiederholt in seinen Gedichten den Wunsch ausgesprochen, wenn er bliebe, unter einer deutschen Eiche zu ruhen. Der Major, der sonst ein wohlwollender Mann war, ließ noch einige Worte über jugendlich romantische Ideen fallen, und gab nach, da er wohl fühlte, daß die Rechte des Befehlshabers denen der Freundschaft in dieser Angelegenheit weichen mußten.

Förster, Nostitz, Thümmel und ich ließen es uns als Körner’s Freunde und Landsleute nicht nehmen, ihm sein Grab zu machen.

Unter der zweiten Eiche wurde zugleich ein zweites größeres Grab für die übrigen gefallenen Cameraden gegraben.

Gegen Mittag war Alles fertig. Körner lag in seinem eichenen Sarge auf Eichenblättern, und nun setzte sich vom Hirtenhäuschen aus der Trauerzug unter dem gedämpften Schall der Trommeln in Bewegung. Was im Lager abkommen konnte, schloß sich an; auch Officiere von Regimentern des Wallmodischen Corps, die gerade vorbei marschirten. Da die vierte Compagnie des ersten Bataillons seit Körner’s Tod ohne Officier war, führte Freund Stiebel (damals Feldwebel Bär) den Leichenzug. Als wir den Sarg in das Grab gesenkt hatten, sangen Diejenigen, die vor Weinen singen konnten, noch einige Verse aus seinen Liedern, in denen er seinen Tod für’s Vaterland wiederholt voraus verkündigt hatte, dann warfen wir vier Freunde das Grab zu, und der alte Markworth von Berlin schnitt Körner’s Namen und Todestag so tief in die das Grab überschattende Eiche ein, daß diese Inschrift wohl bis auf den heutigen Tag noch nicht ganz verschwunden sein wird.

Voll Trauer, wie wir waren, wollten wir eben still auseinandergehen, als plötzlich Alarm im Lager geblasen wurde und es hieß, der Feind zeige sich. Da strahlten die traurigen Gesichter auf vom freudigsten Muthe. Was konnte uns in diesen Augenblicken des dumpfen, sprachlosen Schmerzes erwünschter sein, als denen im Kampfe zu begegnen, an denen wir unsern Zorn auszulassen nur zu sehr berechtigt waren, die durch ihre ungerechten Kriege schon so viel Elend und Schmach über unser Deutschland gebracht, die uns eben erst noch unseren herrlichen Freund geraubt hatten! – Aber leider! es war nur ein blinder Lärm gewesen. Wir mußten unsere Waffen wieder hinstellen, und hatten Zeit genug unseren trüben Gedanken weiter nachzuhängen.

Was war das ganze Ergebniß des unglückseligen Zuges gewesen? Wir hatten unsern Körner, die Zierde unseres Corps, den Stolz der Jünglinge Deutschlands hingeopfert, und was hatten wir dagegen gewonnen? – – eine Partie Zwieback!! O Krieg! o menschlicher Wahnsinn!

Ueber das Nähere von Körner’s Tod hörten wir Folgendes: Am Morgen, so lange die Schwadron im Versteck lag, hatte er sich mit Schreiben beschäftigt. Förster fand in der Brieftasche desselben den Entwurf zu dem schönen Schwertliede, den er später vervollständigte. Als der erwartete Transport in die Nähe des Hinterhaltes kam, und unsere Husaren sich auf die aus ein paar Hundert Mann bestehende Bedeckung stürzten: flüchteten sich die Feinde in ein nahe liegendes Gehölz, und richteten von da aus ihre sicheren [491] Schüsse auf unsere Reiter, die mit dem Umdrehen der Wagen zu thun hatten. Körner, der sah, wie gefährlich die Franzosen von diesem Gebüsch aus den Unsrigen wurden, rief den nächsten Husaren zu: „Cameraden, wer folgt mir da hinein?“ – der kühne Jüngling bedachte nicht, daß Reiterei in einem Walde gegen Fußvolk immer verloren ist. Er sprengt bis an einen Graben und ist im Begriff, einen der Feinde niederzuhauen, als er von demselben den tödtlichen Schuß erhält und vom Pferde sinkt. Und dieser Feind, der den deutschen Dichter erschoß, soll – ein Deutscher gewesen sein! – – So mußte damals das arme Vaterland gegen sich selbst wüthen.




Beinahe ein Jahr nach diesem Unglückstag stand unser Corps in Oudenarde in Belgien in Cantonnirungsquartieren. Ich benutzte die Zeit der Ruhe, um meinen Onkel, den verstorbenen Kunsthändler Rudolph Ackermann in London, zu besuchen. Durch ihn wurde ich mit der deutschen Correspondenz der zwei Hülfsgesellschaften beauftragt, die sich in der City und in Westminster zur Unterstützung der durch den Krieg verunglückten Deutschen gebildet hatten. Man glaubte, daß der wohl am geeignetsten sein möchte, Wunden zu heilen, der eben genöthigt gewesen war, sie schlagen zu helfen. 130,000 Pfund Sterling wurden durch diese beiden Gesellschaften allein an milden Beiträgen zusammengebracht; andere 100,000 Pfund Sterling bewilligte das Parlament, so daß nahe an drei Millionen Gulden zur Unterstützung der Nothleidenden nach Deutschland geschickt werden konnten. Die Vertheilung von London aus hatte aber ihre Schwierigkeit. Die Berichte der deutschen Stadträthe und Hülfsgesellschaften, mit deren mehr als funfzig ich zu correspondiren hatte, konnten nicht wohl als maßgebend angenommen werden, da es in der Natur der Sache lag, daß diese ihre durch den Krieg erlittenen Verluste in der Regel als die schrecklichsten im ganzen Vaterlande darstellten, um so viel als möglich von den goldenen Strömen Albions auf ihre Fluren zu leiten. Mein trefflicher Onkel, der der Urheber des ganzen wohlthätigen Unternehmens gewesen und daher die Seele beider Gesellschaften war, wußte sich indeß zu helfen. Er gab mir eine nicht illuminirte Karte von Deutschland und wies mich an, die Gegenden, in denen es während des Krieges blutig hergegangen sei, die also auch wahrscheinlich vorzüglich gelitten hätten, mit roter Dinte mehr oder weniger, je nach meinem besten Wissen, anzustreichen. Das geschah. Um Leipzig herum entstand so ziemlich ein rotes Meer, und von da aus ergoß sich ein roter Fluß die ganze Heerstraße entlang über Erfurt und Frankfurt bei Mainz in den Rhein; die vielen roten Flecken nicht gerechnet, die hier und da auf der Karte als Sporaden figurirten. Das blutige Bild war fertig, aber jedenfalls auch ein sehr unzulänglicher Maßstab der Hülfsbedürftigkeit in Deutschland. Indeß, es hatte für die alten Herren, unter welchen mehrere Bischöfe, selbst der Primas von England, der Erzbischof von Canterbury, waren, und die wohl Deutschland eben so wenig, als den Krieg je mit eigenen Augen gesehen hatten, die beiden großen Vortheile der Anschaulichkeit und der möglichsten Unparteilichkeit. Ich hatte für jede Gesellschaft ein Exemplar auf diese Weise entwerfen müssen, und in allen ungewissen Fällen, was so ziemlich alle waren, richtete man sich mit den Guineen nach der rothen Dinte.

Es war zum Theil in Angelegenheiten dieser Gesellschaften, daß ich im Winter 1814 bis 1415 eine Reise nach Deutschland, vorzüglich nach Sachsen, was bekanntlich am meisten durch den Krieg gelitten hatte, machen mußte. Auf dieser Reise kam ich nach Dresden, und wurde in Körner’s Familie mit großer Herzlichkeit aufgenommen. Ich lernte Körner’s Schwester, Emma, kennen. Es war eine hochbegabte Jungfrau, und in ihrem Kreise für des Vaterlandes Ehre und Erhebung so wirksam, wie es ihr Bruder in dem seinigen gewesen war. Sie hatte ihn nicht nur (aus der bloßen Erinnerung) als Lützow’schen Jäger in Oel gemalt, wonach der bekannte Kupferstich gemacht worden ist, sondern auch sonst noch in verschiedenen Lebensaltern. Jetzt war sie beschäftigt mit einem kleinen Miniaturbilde, welches ihn als siebenjähriges Kind vorstellte, und womit sie ihren Vater bei seinem bevorstehenden Geburtstage zu überraschen gedachte. Sie fragte mich nach meinem Urtheil über die verschiedenen Bilder, welches wohl das geistige Wesen ihres Bruders am besten wiedergebe; und ich mußte mich unbedingt, nicht für das große Oelgemälde, sondern für das kleine Bildchen aussprechen. Emma war eben mit ihren Eltern in Mecklenburg am Grabe des Bruders gewesen. Sie erzählte mir, wie sie da eine unendliche Sehnsucht ergriffen habe, ihn zu sehen, wie aber ihr Vater, zu große Gemüthsbewegung fürchtend, ihrem Wunsche nicht willfahret habe, das Grab öffnen zu lassen.

Als sie mir das sagte, stand sie noch vor mir in der ganzen Fülle jugendlicher Gesundheit, und – vier Wochen später sehnte sie sich nicht mehr nach ihrem Bruder; denn sie ruhte im Grabe unter der Eiche bei Wöbbelin neben ihm.

Kaum nach London zurückgekehrt, erhielt ich von einem Freund des Hauses die Nachricht, daß Emma am Nervenfieber darniederliege und in ihren Phantasien oft den Namen Theodor nenne; der nächste Brief brachte mir die Nachricht ihres Todes, und der dritte die, daß ihre Leiche nach Wöbbelin gebracht worden sei, um mit der des Bruders in einem Grabe zu ruhen.

Mein Vaterland, vergiß nicht das treue Geschwisterpaar unter der Eiche bei Wöbbelin! [1]




Damit wird der alte wackere Dorfschulze Franck gewiß auch einverstanden sein, und wenn sein Geist wieder einmal einen lichten Augenblick hat, sich der schwarzen Jäger um die Körnerleiche und Körnereiche erinnern.

Auf mich sind heilige Andenken unseres Körner gekommen. Mein Bruder hinterließ mir, außer einem reichhaltigen Briefwechsel mit den ihm befreundeten Kriegscameraden, wie Fr. Förster, Nostitz (nachmaligem sächsischen Minister), Thümmel und Anderen, auch einige ihm von Körner’s Familie gemachte Geschenke, wie dessen Brieftasche in seiner Todesstunde, ein von dessen Schwester Emma gefertigtes Miniaturgemälde, ihren Bruder als 7jährigen Knaben darstellend, Körner’s Bild als Lützower u. dergl. Mir sind dies und eine von meinem Bruder dem Entseelten abgeschnittene Haarlocke Heiligthümer, die mich zugleich in meinem 73. Lebensjahre mit jugendlicher Frische in eine bewegte Zeit meines Lebens zurückführen.


  1. Der alte Körner trat später in preußischen Staatsdienst. Als ich die nun kinderlosen Eltern nach einigen Jahren in Berlin wieder besuchte, zeigten sie mir auch das kleine Miniaturgemälde, als die theuerste Verlassenschaft ihrer Emma, das letzte Zeichen der Liebe für ihren Vater, dessen Geburtstag sie nicht mehr erlebt hatte. Ich theilte ihnen mit, was ihre Tochter darüber noch mit mir gesprochen hatte, und so schenkten sie es mir, als dem Vertrauten ihres Vorhabens, damit es in Freundes Hand bleibe.