Niederrheinische Feste
[595] Niederrheinische Feste. (Zu dem Bilde S. 584 und 585.) An demselben Tage, dem 7. August, haben in zwei niederrheinischen Städten bedeutungsvolle Festlichkeiten stattgefunden, zu denen Kaiser Wilhelm II. und die Kaiserin Auguste Viktoria ihr Erscheinen in Aussicht gestellt hatten. In Wesel handelte es sich um die feierliche Einweihung der wiederhergestellten, aus dem 12. Jahrhundert stammenden protestantischen Willibrordikirche und in Ruhrort um die Enthüllung des von Eberlein geschaffenen Denkmals für Kaiser Wilhelm I. und den Fürsten Bismarck. In letzter Stunde traf leider die Nachricht ein, daß Kaiser Wilhelm II. sich erkältet habe und auf ärztlichen Rat von der Fahrt Abstand nehmen müsse; die Kaiserin aber – wurde hinzugefügt – werde die Reise programmmäßig ausführen und von ihrem Schwager, dem Prinzen Heinrich, als Vertreter des Kaisers begleitet werden.
Am Tage des Festes langte der Kaiserzug kurz nach 91/2 Uhr vormittags von Oberhausen in Wesel an, wo nun die Feierlichkeiten den vorgesehenen Verlauf nahmen. Dann erfolgte unter dem Salut der Festungsgeschütze die Abfahrt der hohen Gäste auf dem Rhein-Salondampfer „Deutscher Kaiser“ nach Ruhrort, wo das Schiff gegen 21/2 Uhr im Hafen am Eisenbassin landete.
Die Kreisstadt Ruhrort liegt an der Mündung der Ruhr in den Rhein, wo sich auch der 4,5 Kilometer lange Ruhrkanal nach Duisburg abzweigt. Gegenüber am anderen Rheinufer ist die Station Homberg der Ruhrort–Krefelder Bahn, und zwischen beiden Orten werden die beladenen Eisenbahnwagen mittels einer großartigen Trajektanstalt über den Strom geführt. Ruhrort ist ein Hanptstapelplatz des Handels mit Steinkohlen nach Holland und dem Mittel- und Oberrhein und der Sitz einer hochentwickelten Jndustriethätigkeit.
Es ist ein Emporium der Arbeit und des Weltverkehrs, und aus ganz kleinen Anfängen haben sich seit 1822 die Binnenschiffahrtsanlagen an der Ruhrmündung zu den größten Verkehrsvermittlern entwickelt. Ruhrort besitzt heute den größten Binnenhafen des Kontinents; die großartigen Hafenanlagen sind 7,5 Kilometer lang und hatten 1894 einen Orts- und Durchgangsverkehr von etwa zwölf Millionen Tonnen aufzuweisen.
Der Rundfahrt im Hafen und Flottenparade ging die Denkmalsenthüllung voran, die programmmäßig verlief. Nachher bestieg die Kaiserin mit dem Prinzen den Hafendampfer „Düssel“, den eine goldene Krone überragte und der mit seiner prächtigen Ausschmückung den Eindruck eines altvenetianischen Prunkschiffes machte; der Dampfer „Erft“ nahm das Gefolge auf. Nun begann die Dampferfahrt durch den Außenhafen, den Süd-, Nord- und Kaiserhafen. Salutschüsse erschollen, doch das Donnern der Geschütze wurde fast noch übertönt von dem Jubel der überall am Ufer wahrhaft beängstigend dichtgedrängten Menge, mit dem sich die von den Schiffen erklingenden Hurras einten. Von einer Art Kommandobrücke konnten die Kaiserin und ihr Schwager, der die Marineuniform trug, in bequemster Weise das in seiner Art einzig dastehende Schauspiel genießen, das ihnen nunmehr geboten wurde und das der Stift unseres Zeichners im Bilde wiedergibt.
Alle die großen Firmen und die verschiedenen bedeutenden Gesellschaften, deren Schiffe den Rhein befahren, hatten sich vereinigt, um diese Flottenparade bei Ruhrort zu ermöglichen, die den hohen Gästen vor ihrem Scheiden von der betriebsamen Stadt gewissermaßen in einem einzigen Blick die hohe Bedeutung des Verkehrs auf Deutschlands schönem Strome und der rheinisch-westfälischen Industrie, in deren Diensten die überwiegende Mehrzahl jener Fahrzeuge steht, anschaulich machen sollte. Und dies Vorhaben ist in glänzendster Weise gelungen. Die zur Parade hier versammelten Schiffe, an denen das Kaiserschiff nun vorüberzog, waren alle, mehrere hundert an der Zahl, in Stromlinie verankert. Fürwahr eine stolze Reihe! Ein Dampfer lag neben dem anderen, hier die großen Schleppdampfer der Firmen Haniel, Stinnes u. a., dort die gewaltigen Kolosse, welche den unteren Rhein wie auch den Ocean [596] befahren, und dann wieder elegante Salondampfboote. Unterschiedlich waren sie in Form und Größe, alle aber aufs schönste und reichste geschmückt, und von allen schollen der Kaiserin, sobald ihr Schiff sich nahte, begeisterte Zurufe und Grüße entgegen. Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis der Kaiserdampfer die Parade abgenommen und die Linie der aufgestellten Schiffe passiert hatte. Ein Schauspiel von solchem Glanz und Umfang ist auf dem Niederrhein bisher noch nicht zu sehen gewesen; Ruhrort darf auf diesen Tag und die Rheinfahrt der Kaiserin stolz sein.
Nach beendigter Parade begaben sich die hohen Herrschaften zu dem unfern der Landestelle liegenden Stahlwerk der Aktiengesellschaft Phönix, das besichtigt wurde, worauf um 61/2 Uhr die Weiterfahrt auf der Eisenbahn nach Essen folgte. Der 8. August war der eingehenden Kenntnisnahme der Kruppschen Werke gewidmet; mit besonderem Interesse ließ sich die Kaiserin namentlich die verschiedenen Wohlfahrtseinrichtungen zum Besten der Beamten und Arbeiter zeigen, über die sie sich mit hoher Befriedigung äußerte. Damit war die glanzvolle Rheinreise der Kaiserin und des Prinzen Heinrich, die in der Erinnerung der Bewohner des Niederrheins noch lange fortleben wird, zum Abschluß gebracht; am Abend traten die hohen Gäste ihre Rückreise an. P. G.