Der neue Lukas Cranach im Leipziger Museum
[595] Der neue Lukas Kranach im Leipziger Museum. (Zu dem Bilde S. 581.) Zu den in neuerer Zeit ans Licht gezogenen Werken alter Meister ist jüngst als einer der hervorragendsten Funde eine eigenhändige Bildnisschöpfung des älteren Lukas Cranach (1472 bis 1553) gekommen, die aus dem Besitze der Leipziger Stadtbibliothek in den des dortigen städtischen Museums der bildenden Künste übergegangen ist. Dies Porträt, das unser Holzschnitt auf S. 581 wiedergiebt, hat als ganz neu aufgefundenes Werk jenes Meisters nicht nur Wert für die Kunstgeschichte im allgemeinen, sondern wegen seiner auch dem Laien sich offenbarenden Schönheit noch für die Würdigung des Malers im besonderen. Das Bildnis ist auf eine Tafel aus Lindenholz, das der ältere Cranach als Malgrund bevorzugte, von 0,405 Meter Höhe und 0,282 Meter Breite, gemalt und vorzüglich erhalten. Es zeigt uns auf dunklem Hintergrunde die Halbfigur eines jungen Mannes von fünfundzwanzig bis höchstens dreißig Jahren. Das lockige Haupt bedeckt eine graue, mit Hasenfell verbrämte Mütze; über dem reich gemusterten schwarzen Wams, das auf der Brust das mit einer zarten Kante bestickte Hemd sichtbar werden läßt, trägt er eine am Kragen mit schwarzem Pelz umsäumte braune Schaube. Durch deren Aermellöcher hat er die Arme hindurchgesteckt, die Hände hält er gefaltet. Sem Gesicht ist bartlos und trägt einen träumerisch-sinnenden Ausdruck, der ihm in Verbindung mit den treuherzig in die Welt blickenden Augen etwas einnehmendes verleiht und uns darauf schließen läßt, daß der Betreffende ein lauteres und biederes Wesen besessen haben muß. Unter der Mütze fallen beiderseits ein paar Locken über die Schläfen herab; die Hautfarbe ist in einem zartbräunlichen, etwas ins Violette hinüberspielenden Kolorit gehalten. Das Bildnis verrät eine große Kunst der malerischen Darstellung und eine wunderbare Gabe der Charakterisierung. Zur Bezeichnung des Malers fehlt allerdings das bekannte Monogramm des älteren Cranach: die geflügelte Schlange mit dem Ring im Rachen, auf der Tafel; dafür geben uns jedoch zwei aus verschiedenen Jahrhunderten stammende Inschriften auf ihrer Rückseite über den Verfertiger des Bildes wie über den Dargestellten Auskunft.
Am oberen Rande steht: „Meines Großvaters Gerhart Vollk Contrafei Kurtz hernach als er sein erst weib geeheliget ist abgemalet anno 1518 vom alten Lucas Chranach.“ Die Mitte der Tafel trägt von anderer, die Schriftzüge der Reformationszeit verratenden Hand die Jahreszahl: „Anno domini XV c XVIII“ und noch weiter unten liest man, augenscheinlich von derselben Hand: „Meister Lucas in Wittenberg seyn selbsthand 1518.“ Die Inschrift am oberen Rande rührt vermutlich von dem urkundlich festgestellten Wittenberger Amtsschreiber Abel Volk her, der sich 1604 mit einer Urenkelin Lukas Cranachs des Aelteren vermählte. Es ist nicht mehr festzustellen, wie und wann das Gemälde auf die Leipziger Stadtbibliothek gekommen ist. Ihr Oberbibliothekar, Dr. Wustmann, entdeckte es; dem Direktorialassistenten des städtischen Museums, Dr. Julius Vogel, aber gebührt das Verdienst, das Bild als ein unzweifelhaft echtes Werk des älteren Cranach bestimmt und es für diese Galerie erworben zu haben, die außerdem noch ein anderes hervorragendes Gemälde desselben Meisters enthält: die ebenfalls aus dem Jahre 1518 stammende, schon von Goethe gepriesene „Sterbescene“. Th. K.