Textdaten
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Autor: L. K—r
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Titel: Neujahr in China
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aus: Die Gartenlaube, Heft 1, S. 20
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1879
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[20] Neujahr in China. Bei den Chinesen ist der Neujahrstag ein bewegliches Fest und fällt meist in den Februar, oft in den Januar, zuweilen in den März. Er gilt für einen der größten Feiertage. Schon zehn bis zwölf Tage vorher werden alle officiellen Bureaus geschlossen und bleiben es einen ganzen Monat hindurch, während welcher Zeit die Beamten Festlichkeiten und Unterhaltungen veranstalten. Unmittelbar vor dem eigentlichen Neujahrstage werden die Feuerherde zu Ehren des Hausgottes gereinigt. Um Mitternacht, wenn das alte Jahr scheidet, wird ein wohlriechendes Bad genommen und die besten Gewänder werden angethan. Einige Familienmitglieder begeben sich an die möglichst glänzend erleuchteten Hausaltäre, um ihre Götzen anzubeten, andere besuchen die Tempel. Bis zur Morgendämmerung wechseln religiöse Uebungen mit Abbrennen von Raketen, Weihrauch und buntem Papier ab.

Bei Tagesanbruch beginnt der Austausch der Besuche und die Verzierung des Hauses; unter letzterer sind besonders weise Sprüche in Transparenten zu verstehen. Das betreffende Papier muß jene Farben haben, die dem Grade der Trauer der Familie entsprechen, also weiß, blau, rosa, scharlachroth. Trauert man gar nicht, so ist das Papier carmoisinroth. Das Aeußere der Häuser ist mit Blumen geschmückt. Allenthalben werden Feuerwerke abgebrannt; wohin man während jener vier Wochen kommt, giebt es Feuerwerke, zahllos und ohne Ende. Auch Geschenke spielen eine große Rolle. Geht man am Neujahrstage durch eine chinesische Stadt, so fühlt man sich wie nach London an einem Sonntage versetzt. Alle Läden sind geschlossen, die Straßenverkäufer verschwunden, sogar Fußgänger schwer zu entdecken. Selbst die sonst lustigsten Menschen tragen an diesem Tage ein höchst ernstes Gesicht zur Schau. Auch im Zimmer geht es ganz ruhig her. Nach dem Speisen werden theils ernste Spiele, theils Theatervorstellungen arrangirt. So lebt man drei Tage in derselben Ordnung fort.

Vierzehn Tage nach dem eigentlichen Neujahrstage findet das Laternenfest statt, welches äußerst gewissenhaft beobachtet wird und unbedingt die glänzendste Augenweide ist, die man in China haben kann. Jede, selbst die ärmlichste Wohnung wird da mit Laternen jeder Gestalt und Größe illuminirt. Dieser Laternencultus geht so weit, daß die Leute sich lange vorher in ihren Bedürfnissen einschränken, um für das Ersparte desto mehr und möglichst elegante Laternen kaufen zu können. Was man von der Größe einiger dieser Beleuchtungsmittel erzählt, grenzt an’s Unglaubliche; man spricht von einer Laterne, die siebenundzwanzig Fuß im Durchmesser hatte und in der man speiste, schlief und tanzte. Der Effect der Laternen in Baum-, Felsen-, Thier- und Menschenformen in voller Beleuchtung ist feenhaft. Auch an diesem Tage mangelt es nicht an Feuerwerken. Ueber den Ursprung des Laternenfestes erzählt man: als einst eines Mandarinen Tochter ertrank, wären alle Bewohner des betreffenden Ortes mit Laternen auf die Suche nach dem Leichnam ausgezogen; seither hätten sie, da sie den Mandarinen liebten, alljährlich am Gedenktage ihre Laternen und andere Feuer angezündet, bis allmählich der ursprüngliche Zweck vergessen und jener Tag zum allgemeinen Feiertag gemacht worden sei. Daß dieser Erzählung ein uralter Mythus zu Grunde liegt, ist zweifellos. Wer übrigens in China am Jahresende seine Schulden nicht zahlt, dem wird das Leben sehr verbittert. Daraus erklärt sich, daß während der zwei letzten Wochen jedes Jahres die Zahl der Einbrüche und Ueberfälle rapid steigt.
L. K—r.