Textdaten
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Autor: Enoch Heinrich Kisch
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Titel: Nervöse Magenleiden
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 9, S. 160, 162, 163
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1886
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Nervöse Magenleiden.

Von Professor Dr. E. Heinrich Kisch in Prag-Marienbad.


Wer kennt nicht die Fabel von der Empörung der Gliedmaßen des Körpers gegen den Magen, diesen trägen Tyrannen, für den sie alle arbeiten und sich quälen müssen, während er in aller Ruhe gemächlich sich nährt und mästet? Und wie schön vertheidigt Shakespeare durch den Mund des edlen Römers Menenius Agrippa (in „Coriolan“) des Magens Recht und Macht:

Es ist gewiß, Ihr einverleibten Freunde,
Daß ich die Speisen all’ zuerst empfange,
Die Euch ernähren, und mit allem Recht,
Da ich das Vorrathshaus und das Gewölbe
Des ganzen Körpers bin. Bedenkt es wohl:
Durch Eures Blutes Strome send’ ich sie
Bis an des Herzens Hof, des Hirns Senat
Durch alle Ständ’ und Aemter
Im Gliederstaat des Menschen. Ich vertheile
Der kleinsten Ader, wie dem stärksten Nerv,
Was die Natur zu ihrem Leben heischt.

Es kann mit wenigen Worten nicht besser die hochwichtige Rolle des Magens für den gesammten Haushalt des Körpers gezeichnet werden, als dies der Freund Coriolan’s that. Ja wohl, es klingt Manchem vielleicht beschämend: der Magen ist für den Menschen ebenso wie für jeden thierischen Leib das nothwendigste Organ zur Erhaltung des Lebens. Den Verdauungsorganen und dem Magen in erster Reihe fällt die Aufgabe zu, die Stoffe, aus denen sich der Leib aufbaut und erhält, aus der pflanzlichen und thierischen Nahrung auszuziehen und sie frei von jeder unnützen Beigabe darzustellen. Ein gar merkwürdiges chemisches Laboratorium ist dazu im Magen eingerichtet, um aus dem verschlungenen Bissen jenen Speisebrei zu bereiten, welcher dem Blute die erhaltenden Stoffe zu bieten vermag. Kräftig arbeitet die Muskulatur des Magens durch abwechselnde Zusammenziehung der Längsfasern und Kreisfasern, um mittelst dieser wurmförmigen Bewegung jedes Theilchen der zerkleinerten Nahrungsstoffe mit der Magenschleimhaut in Berührung zu bringen. Die zahlreichen Drüsen dieser Schleimhaut sind dabei in voller Thätigkeit und mengen ihre Absonderungen, den Magensaft, dem Breie bei. In diesem klaren, farblosen Safte von saurem Geschmacke und eigenthümlichem Geruche sind besonders das Pepsin und die freie Salzsäure wirksame Bestandtheile, denen die bedeutungsvolle Eigenschaft zukommt, die Eiweißkörper und das Leim gebende Gewebe der Nahrung in eine lösliche Substanz zu verwandeln, die man Peptone nennt. Während der Magen seine Bearbeitung der Nahrungsbestandtheile vollzieht, bleiben die Oeffnungen desselben nach oben und unten verschlossen und nur pausenweise wird unter stärkeren Zusammenziehungen des Magens der Speisebrei in den Dünndarm entleert.

Es ist leicht begreiflich und seit alten Zeiten wohl erkannt, daß Veränderungen in der anatomischen Beschaffenheit des Magens, also Erkrankungen der Muskelhaut, wie der Schleimhaut und der in dieser eingebetteten Drüsen, die Verdauung beeinträchtigen und eine Fülle von Störungen hervorrufen, welche auf den ganzen Organismus den schädigendsten Einfluß üben. Schwäche der Muskelschicht hemmt die nöthigen Bewegungen des Magens, wie sich dies bei Magenerweiterung zeigt; eine zu große Menge von Magenschleim, wie sie sich bei Magenkatarrh findet, hüllt die Nahrungsstoffe in eine dicke Lage, durch welche es dem Magensafte schwerer wird, durchzudringen; ein an der Wand sitzendes Magengeschwür bringt weitgehende Zerstörungen zu Stande, und Neubildungen wie Magenkrebs verschließen den Ausgang des Magens und zersetzen den Mageninhalt. Dies Alles ist bereits seit Langem in der Medicin genügend gewürdigt; aber erst in der jüngsten Zeit ist es erwiesen worden, daß eine große Reihe von Verdauungsstörungen ihren Ursprung nicht in krankhaften Veränderungen in dem Gewebe des Magens und Darmes hat, sondern nur durch Störungen im Nervensystem verursacht ist. Es giebt also verschiedene nervöse Magenleiden, welche ähnliche krankhafte Erscheinungen mit sich bringen wie die Gewebsveränderungen des Magens.

Es sind zumeist Störungen im gesammten Nervenapparate, welche zu Ernährungsstörung der Magennerven, zu erhöhter Reizbarkeit der den Magen beherrschenden Nervenbahnen führen. Die nervösen Magenleiden sind eine Theilerscheinung der allgemeinen Nervenschwäche, welche durch mannigfache Veränderung der normalen Zusammensetzung des Blutes, z. B. bei Blutarmuth, Bleichsucht, fieberhaften Krankheiten, oder durch Ueberanstrengung des Nervensystems in Folge unzweckmäßiger Lebensweise herbeigeführt wird. Die nervösen Magenleiden sind darum vorwiegend eine Krankheit der vornehmlich mit geistiger Arbeit beschäftigten Stände. Der Landmann, welcher seine Zeit zumeist im Freien verbringt, und dessen Arbeit zwar die physischen Kräfte, nicht aber die Nerven sehr in Anspruch nimmt; der Tagelöhner, welcher im harten Erwerbe des täglichen Brotes wenig Muße zur Reflexion und keine Zeit zum Grübeln über seine Empfindungen hat, kennt wie vieles andere „Nervöse“ auch nicht die nervösen Magenleiden.

Diese kommen besonders bei Personen vor, bei denen die Anlage zu Nervenleiden überhaupt ererbt ist oder bei denen die Nervenschwäche durch ihren Beruf erworben wurde, bei jungen Leuten beiderlei Geschlechtes in den Entwickelungsjahren, bei zarten blutarmen Frauen, bei Männern, die sich unausgesetzt geistigen Anstrengungen unterziehen und eine vorwiegend sitzende Lebensweise führen. Es scheint, daß auch unmäßiges Tabakrauchen die Entwickelung nervöser Magenleiden begünstigt.

Die normalen Funktionen der Nerven des Magens zielen auf Bewegung dieses Organs, Absonderung der Drüsen und Empfindung hin. Nach diesen drei Richtungen hin wirkt auch die Nervenstörung schädigend. Die Forscher haben gefunden, daß Reizung der herumschweifenden Nerven (N. vagi), welche den Magen versorgen, mächtige Zusammenziehungen des unteren Magentheiles, des Pförtners, hervorrufen, Durchschneidung dieser Nerven dagegen Lähmung der Muskelbewegungen des Magens zur Folge hat. Es wurde weiter erwiesen, daß nach Durchtrennung der herumschweifenden Nerven am Halse die Magenabsonderung, namentlich die Pepsinbildung wesentlich beeinträchtigt wird und hierdurch Verlangsamung der Verdauung eintritt.

Was hier das Thierexperiment darthut, das kann täglich durch Beobachtung am Menschen erhärtet werden. Wer hat nicht schon an sich selbst oder an Anderen die Erfahrung gemacht, daß Schreck Magenschmerz verursacht, daß Kummer und Sorge den Appetit nehmen, daß Ekel die Verdauung stört, daß Furcht heftige Magen- und Darmbewegungen (Erbrechen und Durchfall) hervorruft. Wer „sein Brot mit Thränen ißt“, der verdaut es auch schlecht. Wie fördernd wirken hingegen angenehme Nervenerregungen auf die Verdauung! Das wußten die mit allen Genüssen des Lebens innig vertrauten, üppigen Römer ganz genau, indem sie bei der Tafel nicht bloß dem Gaumen, sondern auch allen anderen Sinnen schmeichelten und sich während des Essens an Gesang und Tanz ergötzten. Blumen und Musik, Wein und frohe Gesellschaft erhöhen nicht nur die Freuden des Mahles, sondern erleichtern auch die Verdauung der bunten Reihe von Tafelgerichten. Die freudige Erregung bei Tische wirkt gleich dem elektrischen Reize auf die Vagusnerven, welcher dem Magen mehr Blut zuführt, die Absonderung des Magensaftes vermehrt und die Magenbewegungen steigert.

Die nervösen Magenleiden, welche die Bewegungen des Magens beeinträchtigen, können entweder eine Verminderung dieser Muskelthätigkeit veranlassen und hierdurch die normale Verdauung der Nahrungsbestandtheile verlangsamen und behindern, oder im Gegentheile zu krampfhafter Steigerung der Magenbewegungen führen. Das Letztere giebt zuweilen den Anlaß zu dem eigenthümlichen Schauspiele, daß man bei hochgradig nervösen Individuen ein unaufhörliches, bald schwächeres, bald stärkeres Wogen und Zusammenziehen des Magens und der Gedärme sieht. In anderen Fällen findet durch nervöse Erregung ein so mächtiges Bewegen der Magenmuskulatur statt, daß Aufstoßen von Luft mit weithin hörbarem Geräusche zu Stande kommt. Es giebt nervöse Personen, besonders Damen, die von solchen heftigen Gaseruptionen aus dem Magen derart gequält werden, daß sie nicht nur auf jede Gesellschaft verzichten müssen, sondern durch jene Anfälle auch zu [162] schlafen gehindert sind. Dem peinlichen Zustande des nervösen Erbrechens liegt gleichfalls zuweilen eine abnorme Veränderung der Magenbewegungen zu Grunde, durch welche eben die Beförderung des Mageninhaltes in einer der gewöhnlichen entgegengesetzten Richtung, nämlich nach oben stattfindet. Durch solche erhöhte Reizbarkeit der Bewegungsnerven kommt auch das nervöse „Wiederkauen“ zu Stande, indem gewisse derart Leidende kurze Zeit (zuweilen aber auch längere Zeit, durch drei bis vier Stunden) nach der Einnahme von Nahrung das Verschluckte partienweise wieder in die Mundhöhle hinaufbringen, und zwar ohne daß sie dabei Unbehagen oder Uebelkeit fühlen. Dieser sonderbare Vorgang des Wiederkauens, welcher übrigens manchmal seinen Grund in der üblen Gewohnheit hat, Gase aus dem Magen mit Gewalt empor zu treiben, und deßhalb auch durch energische Willenskraft unterdrückt werden kann, ist schon von den alten Aerzten beobachtet und in wenig schmeichelhafter Weise für die damit Behafteten als eine Thierähnlichkeit gedeutet worden.

Unter dem Einflusse des Nervensystems kommen ferner Magenleiden zur Entwickelung, welche in mangelhafter Absonderung oder krankhafter Veränderung des Magensaftes ihren Grund haben. Die Redensart, daß Einem beim Anblicke oder bei der Vorstellung besonders lockender kulinarischer Delikatessen „das Wasser im Munde zusammenläuft“, hat ihre physiologische Begründung in der Thatsache, daß durch solche Nerveneinflüsse eine vermehrte Speichelabsonderung im Munde stattfindet. Heftige plötzliche Erregung wiederum, wie Schreck und Furcht, kann die normale Speichelabsonderung unterbrechen. Dieser Erfahrungssatz soll in Indien praktisch zur Entdeckung eines Diebes verwerthet werden, den man unter den Dienern des Hauses vermuthet. Man zwingt alle der That Verdächtigen, eine kleine Menge Reis durch einige Minuten im Munde zu halten. Derjenige, dessen Reis am trockensten bleibt, weil seine Speichelabsonderung in Folge der schuldbewußten Angst unterbrochen ist, wird als Dieb erkannt.

Aehnlich wie mit der Speichelbildung verhält es sich auch mit der Absonderung des Magensaftes, welcher durch Nerveneinflüsse sowohl nach Menge als nach Beschaffenheit wesentlich verändert werden kann. In einer Reihe von Fällen findet eine Vermehrung von Salzsäure des Magensaftes statt, wodurch eine häufig zur Beobachtung kommende nervöse Verdauungsstörung ihren ausgeprägten Charakter erhält. Bei Personen, welche geistig überangestrengt oder heftigen Erregungen ausgesetzt sind, treten von Zeit zu Zeit Anfälle von Säuregefühl im Magen auf, als ob dieser von einer Säure angeätzt würde, dann das Gefühl von Uebelkeit, das sich zum Erbrechen steigert. Diese Anfälle können bei nüchternem wie bei vollem Magen auftreten und wiederholen sich wöchentlich oder in Pausen von mehreren Wochen und Monaten mehrere Male. Manche Speise, die zu ihrer Umwandlung im Magen längerer Zeit bedarf, ruft die Anfälle hervor. Mit den Magenbeschwerden ist zumeist quälender Kopfschmerz, sowie Herzklopfen verbunden. Letzteres hat seinen Grund in dem Drucke des im Magen aufgesammelten Gases auf die dünne Scheidewand zwischen Magen und Herz, das Zwerchfell. Da der Sturm dieser Beschwerden sich bald nach Veränderung der Lebensweise durch eine Vergnügungsreise oder Aufenthalt auf dem Lande legt, so läßt sich schon daraus das Wesen dieses nervösen Magenleidens im Gegensatze zu einer organischen Erkrankung des Magens, wie Magenkatarrh oder Magengeschwür, nicht verkennen. Im Anfalle selbst leistet das Trinken eines Glases lauwarmen Wassers oder einer Tasse warmen Thees gute Dienste durch Verdünnung der Magensäure.

Schließlich erfahren die Empfindungen des Magens durch Nervenstörungen nicht selten mannigfache Veränderungen. Der gesunde Magen hat nur zwei ihn beherrschende Empfindungen, das unangenehme Gefühl des Hungers, wenn durch längere Zeit keine Nahrung eingenommen wurde, und das befriedigende Sättigungsgefühl, wenn dem Magen genügendes Material zur Verdauungsarbeit zugeführt worden. Durch Einfluß eines kranken Nervensystems kann das Hungergefühl sich zu Heißhunger steigern, welcher die Grenzen der Norm schrankenlos überschreitet. Es treten zumeist zu bestimmten Zeiten, manchmal in der Nacht, Anfälle auf, durch welche die Kranken unter dem Gefühle von Angst und hoher Erregung unwiderstehlich dazu getrieben werden, kolossale Mengen von Nahrungsmitteln zu sich zu nehmen, bis sie den Magen so angefüllt haben, daß er befriedigt erscheint. Ich kenne eine Dame, welche gewöhnlich nur sehr mäßig ißt und sich dabei wohl befindet, die aber in vierwöchentlichen Pausen mehrere Nächte hindurch die heftigsten Anfälle von Heißhunger bekommt. Die Angst, daß solche Anfälle sie unvorbereitet finden, ist bei dieser Dame so groß, daß sie allnächtlich auf ihrem Nachtkasten eine kleine Vorrathskammer von Semmeln, Wurst und Obst aufgespeichert hält. Weit häufiger ist der Fall, daß nervösen Personen das Hungergefühl mangelt, daß sie durchaus keinen Appetit empfinden und das Einhalten der Mahlzeiten nur als eine unangenehme Pflichterfüllung betrachten. Zuweilen ist speciell Widerwille gegen gewisse Speisen vorhanden. Bekanntlich kehrt sich oft genug diese Abneigung der Nervösen gegen den Genuß des ihnen gerade am meisten zuträglichen Fleisches. Es kommt in einzelnen Fällen auch zu widernatürlichen Hungergelüsten, zu Appetit auf Kalk, Kreide, saure Speisen, ja sogar auf recht ekelhafte, dem gesunden Menschen im höchsten Grade widerliche Dinge. (Vergl. die Artikel „Allotriophagie“ in Nr. 6. und 7 dieses Jahrgangs.)

Eine krankhafte Empfindlichkeit der Magennerven giebt sich ferner durch mannigfache Schmerzempfindungen in der Magengegend kund. Nicht nur durch Erkrankungen in dem Gewebe des Magens, sondern auch durch Störungen im nervösen Empfindungsapparate treten solche unangenehme schmerzhafte Gefühle auf. Man muß daher bei heftigen Magenschmerzen nicht gleich an Magengeschwüre oder Magenkrebs denken, wie dies den Laien so häufig in Angst versetzt, sondern einfach an ein weit öfter vorkommendes nervöses Magenleiden. Solche Kranke klagen über das Gefühl von Brennen im Magen, über Schmerz in der Magengrube, ein belästigendes Druckgefühl, das sofort oder erst einige Zeit nach dem Essen auftritt, über stechende und bohrende Empfindungen, welche anfallsweise mit heftigen Bewegungen des Magens einhergehen (Magenkrämpfe).

Solche Ueberempfindlichkeit des Magens ist oft eine Theilerscheinung der Ueberreizung des gesammten Nervensystems und deutet auf Veränderungen im Gehirne und Rückenmark. Zuweilen wird sie aber auch plötzlich durch heftige Affekte herbeigeführt, und so datiren manche nervöse Magenleiden von überstandenem Schreck oder Aerger her. Nicht selten rührt aber die krankhafte Empfindlichkeit des Magens von der Erkrankung eines anderen Organes her. Personen, welche mit ähnlichen Leiden behaftet sind, werden zuweilen jahrelang für magenkrank gehalten und als solche behandelt, bis der Sitz des Uebels, das so stürmische Erscheinungen von Seite des Magens hervorrief, in einem anderen Körpertheile gefunden wird. Lebhaft erinnere ich mich einer Dame der höchsten Gesellschaftskreise, welche durch mehrere Jahre an den heftigsten Magenschmerzen, Appetitlosigkeit, stetem Erbrechen nach der Mahlzeit litt und in Folge dieser Beschwerden zum Skelette abgemagert war. Heilmittel und Mineralwässer, welche sich sonst bei Magenleiden trefflich bewähren, blieben zur Verzweiflung der Patientin und ihrer Umgebung ganz erfolglos. Bei einer genauen Untersuchung der Kranken konnte ich die Ursache des Magenleidens in der Erkrankung eines andern Organs konstatiren, und nach einer kleinen Operation waren die quälenden Beschwerden wie mit einem Zauberschlage vollkommen verschwunden, lebhafter Appetit stellte sich ein, die Speisen wurden normal verdaut, und das Gesammtbefinden der Dame besserte sich so, daß sie nach Jahresfrist ein blühendes Aussehen hatte.

Dieses Beispiel zeigt deutlich, daß sich über die Behandlung der nervösen Magenleiden nichts Allgemeines sagen läßt. Es ist vielmehr Aufgabe des Arztes, die Ursachen genau zu erforschen, durch welche eine Störung in dem Nervenapparate des Magens eingetreten ist. Da jedoch die nervösen Magenleiden in der großen Mehrzahl ein Symptom der modernen, in unserer Zeit so weit verbreiteten und mit einem ganzen Heere von nervösen Erscheinungen verbundenen allgemeinen Nervenschwäche sind, so erwächst daraus als unerläßliche Pflicht nicht nur für den Arzt, sondern auch für jeden Gebildeten der seinen Körperfunktionen die nöthige Aufmerksamkeit schenkt, der Widerstandslosigkeit und Hinfälligkeit der Nerven entgegen zu arbeiten. Alles, was die Nerven übermüdet und überregt, soll vermieden werden. Maßhalten in der Arbeit wie im Genuß schont die Nervenkraft, Selbstbeherrschung in erregenden Momenten behütet die Nerven vor Ueberempfindlichkeit, zweckmäßiger Wechsel von geistiger Thätigkeit [163] und Erholung verhindert vorzeitige Abnützung der Nerven. Aus diesen hochwichtigen Sätzen ziehe jeder die Moral für seine Lebensweise!

Gegen die nervösen Magenleiden ist darum das wichtigste Mittel Nervenstärkung im Allgemeinen. Die Magennerven selbst bedürfen dabei insofern der Schonung, als man ihnen ihre Arbeit zu erleichtern suchen soll. Es ist zweckmäßig, die Nahrungszufuhr auf mehrere Mahlzeiten des Tages zu vertheilen und dabei die schwer verdaulichen Speisen zu meiden, aber doch eine gewisse anregende Abwechselung beizubehalten. Zuweilen sind gerade bei nervösen Magenleiden leichte Reizmittel zum Genusse empfehlenswerth. Wenn zu wenig Magensaft abgesondert wird und dieser Mangel den Verdauungsstörungen zu Grunde liegt, thut ein Zusatz von Gewürzen zu den Speisen gute Dienste, oder muß der Verdauung künstlich durch Darreichung von Salzsäure und Pepsin nachgeholfen werden. Wer sein nervöses Magenleiden zu Hause in der gewöhnlichen Beschäftigung nicht los werden kann, der schnüre sein Ränzchen und gehe auf einige Wochen hinaus in Gottes freie Natur, in die Wälder, auf die Berge, an das Meeresgestade. Die neuen angenehmen Eindrücke auf Phantasie und Gemüth, die bluterfrischende Macht der gesunden Luft, die körperstärkende Bewegung aller Muskeln werden ihren mächtigen Einfluß auf Belebung der Nerven nur selten versagen und auch die widerspänstigen Magennerven siegreich bekämpfen.