Napoleons Frühstück
Napoleons Frühstück.
An dem Glockenturm des Tuilerienpalastes hat die Uhr elf geschlagen. Draußen in dem herrlichen Garten, unter dessen mit dem ersten zarten Grün bedeckten Bäumen die weißen Marmorbilder hervorschimmern, blüht und duftet Frühling. Aber der seltsame Mann, der da oben im Schlosse seinen goldbetreßten Marschällen ünd den in roten und violetten Staatsgewändern einherschreitenden Reichswürdenträgern eine Morgenaudienz erteilt, hat keine Zeit, sich um Blumenduft und Vogelgezwitscher zu bekümmern, er kennt nur Kanonendonner, Bajonette und das Wühlen zwischen Karten, Dokumenten, Büchern und Papieren: Erobern und Herrschen.
Es hat elf Uhr geschlagen. Schon ist die für das kaiserliche Frühstück bestimmte Stunde längst vorüber, und in der Schloßküche ist helle Verzweiflung. In einem Vorzimmer werden auf silbernen Schüsseln, unter Glocken, die der kaiserliche Adler krönt, einige Speisen warm gehalten, bis der Gewaltige hereinsagen läßt, daß er zu frühstücken wünsche. Ein bereitstehendes Mahagonitischchen wird eilig herangerückt und mit einem Tischtuche bedeckt; der Palastpräfekt in seiner amarantfarbenen silbergestickten Uniform steht am Tische; der Haushofmeister Guignet, genannt Dunan, hält sich zum Dienste bereit.
Das ist eine distinguierte Persönlichkeit, dieser Herr Dunan, welche schon eine Carriere hinter sich hat. Sein Vater war Koch beim Prinzen Condé, und er selber hatte bereits dem Herzoge von Bourbon und dem Prinzen Louis von Rohan gedient, bevor er in den Dienst des Ersten Konsuls Bonaparte trat, mit dessen Krönung er selber zum kaiserlichen Haushofmeister vorrückte. Seine grüne, mit Silber durchstickte Uniform kostet 500 Franken; an Gehalt bezieht er deren jährlich 6000, abgesehen von kleinen Gratifikationen, deren eine im Jahre 1810 allein 3000 Franken betrug. Dafür hat er denn freilich keinen allzusehr beneidenswerten Dienst. Wenn der Kaiser verdrießlich ist, wirft er gelegentlich den Eßtisch um, so daß die Speisen auf den Teppich fliegen, und geht in sein Arbeitszimmer. Der arme Dunan muß dann schleunigst eine andere Mahlzeit bereiten. Der Kaiser ist aber rasch besänftigt, klopft den Haushofmeister auf die Backen, und der Friede ist wiederhergestellt. „Sie sind besser dran, Dunan,“ sagt Napoleon entschuldigend, „mein Haushofmeister, als ich es bin, Kaiser zu sein.“
Napoleon ist kein Gourmand, und sein Frühstück erscheint einfach, wenn man die Tafelfreuden der französischen Könige kennt, bei denen Dutzende von Gerichten alltäglich auf den Tisch kamen. Eine Suppe, drei Vorspeisen, zwei Zwischengänge, zwei Desserts, eine Tasse Kaffee und als Tischwein eine halbe Flasche Burgunder; das ist alles, was nach der Verordnung aus dem Jahre 1810 auf den kaiserlichen Frühstückstisch kommt, und in späteren Jahren wird das Mahl noch mehr vereinfacht.
Wenn irgendwo in seiner Lebensweise, so zeigte sich der Parvenu bei dem Kaiser während der Mahlzeit. Er ißt hastig, nimmt große Bissen, kaut dieselben schlecht, fährt mit der Hand in die Schüsseln und befleckt sich häufig die Uniform mit Sauce. Auch gehörte es zu seinen Eigentümlichkeiten, ohne jegliche Ordnung alles durcheinander zu essen, so daß er womöglich mit dem Dessert begann und mit der Suppe aufhörte. Dabei war er nicht [419] wählerisch, und seine Lieblingsspeisen waren einfach. Hühnerfleisch in allen möglichen Formen, geschmort, gebraten oder als Frikassee, Huhn à l’italienne, à la tartare, à la Marengo, gehörte zu seinen liebsten Gerichten. Unter den Fischen aß er die Meerbarben am liebsten, von Backwerk gewisse Blätterteige; aber der Korse, der Italiener kam bei ihm zum Vorschein, wenn Maccaroni mit Parmesankäse auf den Tisch kamen, das Lieblingsgericht der Nation, welches der in Italien Reisende ja noch heute bis zum Ueberdruß auf der Speisekarte vorfindet. Als der Konsul Bonaparte von dem märchenhaften Zuge nach Aegypten heimgekehrt war, gefiel sich seine Phantasie darin, eine Zeit lang abgekochten Reis und Datteln auf der Tafel zu sehen, die später verschwanden. Eine nervöse Abneigung hatte der reizbare Mann gegen die Fäden der grünen (Fitz-)Bohnen, ein Gemüse, das er im übrigen liebte. Diese Fäden, pflegte er zu sagen, machten ihm den Eindruck von Haaren, und der bloße Gedanke, ein Haar im Essen zu finden, erregte ihm einen unwiderstehlichen Ekel. Einst widerfuhr ihm in dieser Beziehung eine drollige Geschichte. Als er im Jahre 1811 die Seefestung Cherbourg besichtigte, fiel ihm ein, in einer Wachtstube an dem Mahle seiner Soldaten teilnehmen zu wollen. Er läßt sich Kommißbrot und Suppe reichen. Aber das erste, was der unglückliche Kaiser in dieser entdeckte, war ein langes Haar. Er zog es heraus und verzehrte, trotz seines Unbehagens, mit Todesverachtung die Suppe. Aber es hatte seinen guten Grund: seine Soldaten sahen zu.
Das Geschirr, welches auf die kaiserliche Tafel kam, war aus ciseliertem Silber, nur die Salzlöffelchen feuervergoldet. Oelbehälter und Salzfäßchen hatten nach damaligem Geschmacke zierliche Phantasieformen, meist nach antiken Motiven, wie sie der heute wieder in Mode gekommene Empirestil uns vielfach vor Augen führt: Muscheln, Schwäne und Hermesstäbe. Sonst war alles glattes Silber, nur mit dem kaiserlicheu Wappen geschmückt. Außer diesem zum täglichen Gebrauche bestimmten Tischservice besaß natürlich der Kaiser noch anderes kostbares Tafelgeschirr; eines aus Porzellan, weiß mit Gold, dazu Karaffen und Gläser von geschnittenem Krystall, hatte ihm der Pariser Meister Séjournant für 23463 Franken geliefert. Ein herrliches feuervergoldetes Silberservice hatte dem Kaiser die Stadt Paris in den Tagen der feenhaften Krönungsfeierlichkeiten von 1804 geschenkt. Im ganzen hatte im Jahre 1811 der kaiserliche Silberschatz in den Schlössern Frankreichs einen Wert von etwa 2200000 Franken, wozu noch gegen 850000 Franken in den kaiserlichen Schlössern von Toskana, Rom und Holland kamen.
Napoleon pflegte allein zu frühstücken. Die Kaiserin Josephine, seine erste Gemahlin erschien niemals zum Dejeuner. Nach seiner zweiten Vermählung frühstückte der Kaiser nur während der kurzen Zeit, welche der Geburt seines Sohnes, des Königs von Rom, voranging, mit Marie Luise gemeinschaftlich. Später aber mußte Madame de Montesquiou, die Erzieherin der „Kinder von Frankreich“, kommen, um dem Kaiser beim Dejeuner den kleinen König von Rom zu zeigen, den blondlockigen Knaben, über dessen Wiege so viele Kronen schwebten, von denen er doch keine tragen sollte. Als der Kleine etwas älter geworden war, nahm ihn der Kaiser auf die Kniee, und es entwickelten sich Genrescenen, die man bei dem Soldatenkaiser befremdlich finden möchte, wenn nicht auch hier durch die derbe Lustigkeit seiner Laune der Ton der Wachtstube hin und wieder durchgeklungen wäre. Der Kaiser ließ den Kleinen von seinem Rotwein kosten, flößte ihm etwas Sauce in den Mund und amüsierte sich höchlich, wenn Frau von Montesquiou gegen diese Behandlung ihres Pflegebefohlenen vom gesundheitlichen Standpunkte aus energischen Widerspruch erhob.
Aehnliche Scenen führte der Kaiser, namentlich in den früheren Jahren, mit seinen Neffen und Nichten auf, den Kindern Ludwig Bonapartes und den kleinen Murats. Sein Liebling war in dieser Kinderschar der älteste Knabe Ludwigs, Napoleon Louis, bis zur Geburt des Königs von Rom der präsumtive Thronfolger. Napoleon speiste oft mit dem Kleinen zusammen; so findet ihn am 27. Februar 1809 der Baron Lejeune, der als Kurier vom Ebro herübergerast ist, um die wichtige Nachricht von der endlichen Einnahme Saragossas zu überbringen. Wieder hat der Kaiser das Kind auf den Knieen. Da greift der Kleine, als das Mahl vorüber ist, nach der Kaffeetasse, und der Onkel giebt ihm auch zu trinken. Aber der Kaffee ist bitter, und der kleine Prinz Schneidet ein fürchterliches Gesicht. „Deine Erziehung ist noch nicht vollendet,“ bemerkt hierauf der Kaiser in seiner sarkastischen Weise, „denn Du kannst ja noch nicht einmal heucheln.“ Ein andermal nimmt der Oheim dem Neffen ein Ei weg. Der kleine Bursche greift zu seinem Messer und schreit: „Gieb mir mein Ei wieder oder ich ersteche Dich!“ „Wie, Schlingel,“ versetzt der Kaiser ernsthaft, „Du willst Deinen Onkel ermorden?“ Aber der Knabe schreit weiter: „Gieb mir mein Ei wieder oder ich ersteche Dich!“ Und der Kaiser willfahrt dem ungestümen Willen, indem er lachend hinzusetzt: „Du wirst ein ausgezeichneter Kerl werden.“
Weniger liebenswürdig waren die Scenen, die sich zwischen dem allmächtigen Kaiser und den recht mangelhaft erzogenen Kindern seiner hochmütigen Schwestern Karoline (Madame Murat) und Elisa (Bacciochi, Fürstin von Piombino) abspielten. Als der gewaltige Cäsar einmal nach seiner Lieblingsgewohnheil den jungen Achille Murat am Ohrläppchen ziehen will, stürzt sich dieser auf den Onkel, hält ihm seine kleine Faust unter die Nase und schreit unartig: „Du bist ein garstiger Bösewicht.“ Und als der Kaiser einst der fünfjährigen Napoleone Bacciochi beim Frühstücke vorhält, daß sie sich beschmutzt habe, da erhebt sich das frühreife Prinzeßchen von ihrem kleinen Fauteuil mit der Bemerkung: „Lieber Onkel, wenn Sie mir nur Betisen sagen wollen, werde ich mich entfernen.“
Aber nicht allein die Kinder seiner Familie verkürzten dem Kaiser die Frühstücksstunde, auch Künstler und Gelehrte fanden sich ein, um mit ihm zu beraten und seine von der Universalität seines Geistes zeugenden Urteile über diesen oder jenen Zweig des Wissens und Könnens entgegenzunehmen. Gefiel er sich doch sogar darin, Talma, dem berühmten Heldendarsteller des Empire, seine Ratschläge zu geben, die freilich von fürstlichen Geschenken begleitet waren. Denn Talma bezog in den Jahren zwischen 1806 und 1813 an Gratifikationen nicht weniger als 195200 Franken! Auch Denon kam oft zur Frühstücksstunde, der Generaldirektor der kaiserlichen Museen, welcher unzählige Kunstgegenstände aus aller Herren Ländern in das Louvremuseum zusammengetragen hatte. Da kamen auch die Gefährten des phantastischen Zuges nach Aegypten, die das Wunderland der Pyramiden der modernen Wissenschaft erschlossen hatten, neben Denon ein Berthollet, der Erfinder des Knallsilbers, und der ausgezeichnete Mathematiker Mouge. Auch Fontaine stellte sich ein, der Architekt des Kaiserreiches, welcher dem Sieger von Austerlitz von dem fabelhaften Idealpalaste plauderte, den er ihm bauen wollte. Endlich kamen die Maler Gérard, Isabey, der große David, um für ihre zahlreichen Bilder den am Frühstückstisch sitzenden Kaiser zu zeichnen. Hier und Sonntags, wenn er während der Messe starren Blickes und unbeweglich auf der hohen Empore stand, ließ er sich am besten porträtieren, und die gelungensten Zeichnungen des marmornen Imperatorengesichtes stammen vom Frühstück und aus der Schloßkirche.
Der Leser würde eine falsche Vorstellung gewinnen, wenn er aus der stattlichen Zahl dieser so verschiedenartigen kleinen und großen Besucher den Schluß zöge, daß Napoleons Frühstück lange gedauert habe. Es war schon oben darauf hingewiesen worden, daß der Kaiser, nervös und cholerischen Temperamentes wie er war, sehr schnell und hastig zu speisen pflegte. In zehn bis fünfzehn Minuten war das Frühstück gewöhnlich beendet. Darauf stattete er öfters im Salon seiner Gemahlin einen kurzen Besuch ab. Zu Josephinens Zeiten ergötzte er sich an der bunten Schar der von der Kaiserin zu ihrem Dejeuner geladenen Damen, die er durch sein unvermutetes Eintreten aufzuschrecken liebte wie den Feind in der Feldschlacht. In Marie Luisens Salon ging es ernster und stiller her, und der Kaiser setzte sich wohl in einen der prächtigen Lehnsessel, um für einige Augenblicke zu schlummern. Dann sprang er auf, und nach kurzem Gruße schloß sich hinter ihm die Thür des Arbeitskabinetts, wo bald darauf die hastigen Schritte des Auf- und Niederschreitenden, das immer schnellere Tempo der diktierenden Stimme und das unaufhörliche Rasseln der Feder seines Geheimschreibers von der ungeheuren Gedankenarbeit zeugten, welche dieser gewaltige Mensch im Laufe eines kurzen Tages zu bewältigen wußte.