Nachtrag zu der Besprechung der Kaufmannschen Ablenkungsmessungen

Textdaten
Autor: Max Planck
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Titel: Nachtrag zu der Besprechung der Kaufmannschen Ablenkungsmessungen
Untertitel:
aus: Verhandlungen der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, 9. Jg., Nr. 14, S. 301–305
Herausgeber: Karl Scheel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1907
Verlag: Friedrich Vieweg und Sohn
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Erscheinungsort: Braunschweig
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Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Ergänzung zum Artikel Die Kaufmannschen Messungen der Ablenkbarkeit der β-Strahlen in ihrer Bedeutung für die Dynamik der Elektronen
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[301]
Nachtrag zu der Besprechung der Kaufmannschen Ablenkungsmessungen;
von M. Planck.
(Vorgetragen in der Sitzung vom 28. Juni 1907.)
(Vgl. oben S. 290.)

Meine Herren! In einer früheren, auf der vorjährigen Naturforscherversammlung in Stuttgart mitgeteilten Untersuchung[1] „über die Kaufmannschen Messungen[2] der Ablenkbarkeit der -Strahlen in ihrer Bedeutung für die Dynamik der Elektronen“ bin ich zu dem Resultat gekommen, daß in der Deutung der gemessenen Größen noch irgend eine Lücke enthalten sein müsse, welche erst auszufüllen wäre, ehe die Messungen sich zu einer Entscheidung zwischen der Theorie des starren kugelförmigen Elektrons (Kugeltheorie) und der Theorie des in bestimmter Weise deformierbaren Elektrons (Relativtheorie) werden verwerten lassen. Doch habe ich damals keine besondere Vermutung nach einer bestimmten Richtung hin geäußert, weil mir die physikalischen Grundlagen für die Aufstellung einer solchen zu unsicher schienen. Inzwischen hat sich mir aber doch eine bestimmte Meinung in dieser Frage als die wahrscheinlichste herausgebildet, und ich möchte nicht unterlassen, dieselbe hier kurz mitzuteilen.

Der Umstand, daß, wie ich a. a. O.[3] gezeigt habe, schon die gemessenen „Apparatkonstanten“ allein, unabhängig von jeder speziellen Theorie und auch unabhängig von dem Werte des Verhältnisses , für die am wenigsten abgelenkten Strahlen eine Geschwindigkeit ergeben, die größer als die Lichtgeschwindigkeit, also für jede der Theorien unannehmbar ist, läßt schon die Vermutung [302] aufkommen, daß es die Apparatkonstanten selber sein möchten, welche in anderer Weise, als von Herrn Kaufmann und von mir bisher geschehen ist, aus den Messungen berechnet werden müssen, und zwar würde dies speziell für das elektrische Feld gelten. Dasselbe wurde nämlich zwischen den Kondensatorplatten, in gehörigem Abstande von den Rändern, als homogen angenommen, und die konstante Feldstärke einfach berechnet mittels Division der gemessenen Potentialdifferenz der Platten durch den Abstand:

Volt/cm.

Nun werden aber, worauf besonders Herr Wehnelt bei einer Besprechung dieser Untersuchungen im hiesigen physikalischen Kolloquium aufmerksam machte, die zwischen den Platten befindlichen Luftreste durch die -Strahlen ionisiert, und durch das damit verbundene Auftreten freier elektrischer Ladungen wird der lineare Verlauf des Potentials zwischen den Platten gestört. Es fragt sich daher, ob nicht bei der Annahme eines anderen, der Natur des bei den Versuchen wirksamen elektrischen Feldes näher angepaßten Potentialverlaufs zwischen den Platten die gemessenen Ablenkungen sich in besserer Übereinstimmung mit einer der beiden verglichenen Theorien erweisen.

Um die Entscheidung dieser Frage wenigstens einigermaßen zu fördern, habe ich eine Annäherungsrechnung ausgeführt, die einfach darauf beruht, daß ich die Feldstärke innerhalb des von den untersuchten Elektronen erfüllten Raumes, der sich von der Mittelebene zwischen den Platten an bis in die Nähe der negativ geladenen Platte hin erstreckt, wiederum als konstant angenommen habe, aber nicht gleich dem oben berechneten Werte 20130. Vielmehr habe ich aus jedem einzelnen Ablenkungsversuch nach jeder der beiden Theorien diejenige elektrische Feldstärke berechnet, welche man zugrunde legen müßte, um sowohl für die elektrische wie auch für die magnetische Ablenkung vollständige Übereinstimmung zwischen Theorie und Beobachtung zu gewinnen. Da neun voneinander unabhängige Ablenkungsversuche vorliegen, so ist demnach mit einiger Sicherheit zu beurteilen, ob sich nach einer bestimmten Theorie aus allen Ablenkungsversuchen wirklich immer der nämliche Wert für die Feldstärke ergibt.

[303] Das Verfahren ist deshalb sehr einfach, weil der Verlauf der Funktion (die Feldstärke bezogen auf ihren Wert im homogenen Teil des Feldes als Einheit) vollständig ungeändert aus meiner vorigen Abhandlung herübergenommen werden kann, und nur statt der Beziehung (3) jener Abhandlung:

Volt/cm

die allgemeinere Beziehung:

Volt/cm

eingeführt wird. Dann erscheint in der Gleichung (18) statt des Zahlenfaktors der Faktor , und , das elektrische Potentialgefälle in Volt/cm, berechnet sich aus dieser Gleichung, wenn für die gemessene elektrische Ablenkung eingesetzt wird.

Im übrigen ist der Gang der Berechnung genau derselbe wie früher, nur mit dem einen Unterschied, daß ich bei der Berechnung der Hilfsgröße aus der Gleichung (26) für das Verhältnis statt der Simonschen Zahl diesmal die neuere inzwischen publizierte Zahl von A. Bestelmeyer[4]: , benutzt habe, weil mir dieselbe auf den vorliegenden Fall besser zu passen scheint. Dann ergibt sich natürlich aus der magnetischen Ablenkung eines Elektrons nach jeder Theorie eine etwas andere Geschwindigkeit als früher.

Die folgende Tabelle enthält, wie meine frühere Tabelle, in der ersten Spalte die gemessene magnetische Ablenkung , in der zweiten den nach (10) dazu gehörigen Wert des Winkels in Graden, in der dritten den aus (26) mit der Bestelmeyerschen Zahl berechneten Wert von . Es folgen, für jede der beiden Theorien getrennt, nach (24) bzw. (25), die Geschwindigkeitszahlen (für die Kugeltheorie berechnet aus der Kaufmannschen Hilfstabelle[5]) mit dem daraus und aus der gemessenen elektrischen Ablenkung gemäß der modifizierten Gleichung (18) berechneten Wert für die elektrische Feldstärke in Volt/cm.

[304]

Beob.
Beob.
Kugeltheorie Relativtheorie
0,1354
0,1930
0,2423
0,2930
0,3423
0,3930
0,4446
0,4926
0,5522
1,977°
2,810
3,517
4,237
4,925
5,623
6,325
6,962
7,735
0,4226
0,6006
0,7515
0,9050
1,052
1,200
1,350
1,485
1,649
0,0247
0,0378
0,0506
0,0653
0,0825
0,1025
0,1242
0,1457
0,1746
0,9655
0,9045
0,8424
0,7779
0,7194
0,6650
0,6157
0,5756
0,5321
18 840
18 920
18 770
18 520
18 580
18 560
18 430
18 240
18 040
0,9211
0,8572
0,7994
0,7414
0,6891
0,6400
0,5953
0,5586
0,5186
17 970
17 930
17 810
17 650
17 800
17 860
17 820
17 710
17 590

Wie man sieht, ist der berechnete Wert durchweg kleiner als der aus der Annahme eines überall zwischen den Platten homogenen Feldes abgeleitete Wert 20130, und zwar liegen die Zahlen der Kugeltheorie, wie zu erwarten war, diesem Werte merklich näher als die der Relativtheorie. Die Abweichung beträgt im Mittel für die Kugeltheorie etwa 8 Proz., für die Relativtheorie, etwa 11 Proz. Wäre bei einer Theorie für alle Ablenkungen gleich groß, so könnte man sagen, daß für diese Theorie alle von Herrn Kaufmann gemessenen Ablenkungen vollständig erklärt werden durch die Annahme einer entsprechend geringeren elektrischen Feldstärke. Nun zeigt aber die Größe für jede Theorie einen deutlichen Gang, und zwar beim Fortschreiten von langsameren zu schnelleren Strahlen in ansteigendem Sinne. Doch ist dieser Gang bei der Kugeltheorie merklich stärker ausgeprägt; denn bei ihr beträgt die Differenz der extremsten Werte 880 oder 5 Proz. des Mittelwertes von , bei der Relativtheorie dagegen nur 380 oder 2 Proz. des Mittelwertes von . Dieser Umstand fällt zugunsten der Relativtheorie ins Gewicht, ohne natürlich entscheidend zu sein.

Immerhin wird man als Ergebnis dieser Untersuchung aussprechen können, daß, falls die früher gefundenen Differenzen zwischen Beobachtung und Theorie auf den damals für die elektrische Feldstärke angenommenen Wert geschoben werden dürfen, und falls die Bestelmeyersche Zahl für der Simonschen Zahl vorzuziehen ist, die Chancen der Relativtheorie einigermaßen [305] wachsen. Eine nähere Untersuchung der Frage, wie man den Potentialverlauf in dem wirksamen Teile des elektrischen Feldes annehmen müßte, um einen noch besseren Anschluß einer jeden der Theorien an die Beobachtungen zu erzielen, und ob ein solcher Potentialverlauf auch wirklich durch die Annahme einer Ionisation der Gasreste plausibel gemacht werden kann, ist von mir angeregt worden. Noch aussichtsvoller wären freilich erneute Messungen in demselben Gebiete.




  1. Verhandl. der D. Phys. Ges. 8, 418, 1906. – Phys. ZS. 7, 753, 1906.
  2. W. Kaufmann, Ann. d. Phys. (4) 19, 487, 1906.
  3. Verhandl., l. c., S. 428. – Phys. ZS., l. c., S. 757.
  4. A. Bestelmeyer, Ann. d. Phys. (4), 22, 429, 1907.
  5. W. Kaufmann, l. c., S. 552.