Textdaten
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Autor: Max Ring
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Titel: Nach siebenzig Jahren
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aus: Die Gartenlaube, Heft 48, S. 808–810
Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1879
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Nach siebenzig Jahren.
Ein Rückblick auf das Wirken des Vaters der deutschen Genossenschaften.[1]


Wer den westlichen Theil der Leipzigerstraße in Berlin zur Zeit der Reichstagssessionen in den Morgenstunden zwischen zehn und elf Uhr durchschreitet, dem wird unter all den ausdrucksvollen Gestalten der Volksvertreter ein nicht zu hoch gewachsener Greis mit mächtigen Schultern auffallen, welcher mäßigen, aber festen Schrittes, ein wenig vornüber gebeugt, dem Eingang des Parlamentes zugeht. Die hohe Stirn, der kraftvolle Mund, welchen leicht ein humorvolles Lächeln umspielt, schneeweißes Haar und gleichgefärbter Bart, blaue, gleichsam funkensprühende Augen, welche in ihrer Jugendlichkeit die Anzeichen des Alters Lügen zu strafen scheinen, vereinigen sich zu einem ebenso wohlthuenden, wie bedeutsamen Ganzen. Mit freundlichem Blick und Dank den häufigen ehrfurchtsvollen Gruß, der ihm vorzüglich von anscheinend dem kleinen Bürgerstande angehörigen Männern zu Theil wird, erwidernd, schreitet Dr. Hermann Schulze-Delitzsch der Versammlung zu, welche er so oft mit der gewaltigen Kraft seiner Rede hingerissen und für seine Gedanken gewonnen hat. Doch, wie groß auch die Zahl seiner parlamentarischen Erfolge ist, wie mächtig sich auch der Einfluß offenbart, welchen die unentwegte Stütze der Fortschrittspartei auch auf die politischen Gegner übt – diese Seite der Thätigkeit Schulze’s hat den geringeren Antheil an seiner Bedeutung. Um mit dem gelehrten französischen Schriftsteller Nefftzer im Pariser „Temps“ zu sprechen: „Gehörte Hermann Schulze-Delitzsch auch nicht dem Landtage von Berlin und dem Parlamente des Nordbundes an, so würde er nichts desto weniger allein durch den Werth seiner Wirksamkeit eine der ersten und mächtigsten Persönlichkeiten Deutschlands sein.“

Von all den Vielen, welche sich berufen glauben, die Lösung der socialen Frage zu ihrem Lebenszweck zu machen, ist Schulze, der Vater der auf Selbsthülfe gegründeten Genossenschaften, einer der Auserwählten, welcher für seine Ideen die am schwersten wiegenden praktischen Erfolge in die Wagschale zu werfen vermag. Aus der Delitzscher Rohstoffassociation der Schuhmacher und dem Vorschußverein, welche Schulze im Jahre 1849 und 1850 mit einer Handvoll Anhänger in das Leben rief, sind dem Jahresbericht von 1878 zufolge im deutschen Reiche 3146 nachweisbare Genossenschaften mit mehr als einer Million Mitglieder emporgewachsen. Nach den Schlüssen, welche aus den vorliegenden Geschäftsergebnissen des letzten Jahres gezogen werden müssen, sind in demselben von den Genossenschaften für über 2000 Millionen Mark Geschäfte gemacht, 160 bis 170 Millionen eigener Capitalien in Antheilen und Reserven angesammelt und über 400 Millionen Mark verzinsliche Anleihen zum Geschäftsbetrieb aufgenommen worden. Allein von der Hälfte sämmtlicher Creditgenossenschaften ist den eigenen Mitgliedern eine Summe von 1456 Millionen Mark an Vorschüssen gewährt worden. Diese ungeheuren Zahlen sprechen für sich selbst und lassen nur noch mehr die kaum glaubliche Arbeitskraft des Mannes bewundern, der diese Riesenelemente beherrscht.

Denn: um die Centralorganisation der Genossenschaften zu ermöglichen, hat Schulze den „Allgemeinen Verband der auf Selbsthülfe beruhenden deutschen Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften“ gegründet, dessen Geschäfte er selbst als besoldeter Anwalt mit einem förmlich eingerichteten Bureau führt. Die 1100 Vereine, welche bereits dem Verband beigetreten sind, beschicken alljährlich mit Deputirten den „Allgemeinen Vereinstag“, der die gemeinsamen Lebensinteressen der Genossenschaften zu wahren berufen ist. Als Mittelglieder zwischen diesem Centralorgan und den Einzelvereinen bestehen Unter- oder Landes-Verbände von bald größerem, bald kleinerem Umfang, zur Zeit 32 an der Zahl. Ihre Vorstände bilden den engeren Ausschuß, der, zumal in Finanzfragen, dem Anwalt zur Seite steht. Welch hohe Bedeutung die durch den Verband geschaffene Wechselwirkung der Vereine haben muß, liegt auf der Hand: durch Capitalaushülfe wird die Creditfähigkeit der Vereine gehoben und Stockungen begegnet; durch gegenseitigen Commissions- und Incassoverkehr werden die Kosten desselben auf ein möglichst geringes Maß zurückgeführt.

Doch auch die Großbankverbindung wußte Schulze seinen Schöpfungen dienstbar zu machen. 1864 gründeten die verbündeten Vereine in der „Deutschen Genossenschaftsbank“ von Sörgel, Parisius u. Comp. zu Berlin ein Centralgeldinstitut mit einem Commanditantheilscapital von gegenwärtig 9 Millionen Mark. Im Jahre 1871 wurde zur Erleichterung des Geldverkehrs der süddeutschen Genossenschaften eine Commandite der Bank in Frankfurt a. M. eröffnet.

Daß die Gesetzgebung dieser ungemeinen Ausdehnung der Genossenschaften gegenüber nicht unthätig bleiben konnte, war eine unmittelbare Folge einerseits der rechtlichen Eigenart dieser Schöpfungen, andrerseits der rastlosen Thätigkeit Schulze’s auch auf diesem Gebiet. Nachdem der preußische Staat bereits dem Bedürfniß nach legislatorischer Regelung, wenn auch widerwillig, durch das Gesetz vom 27. März 1867 nachgekommen war, gelangte im folgenden Jahre das norddeutsche Genossenschaftsgesetz vom 4. Juli 1868 zur Annahme, welches seit der im Januar 1875 erfolgten Einführung in Baiern nunmehr für das gesammte deutsche Reich Gültigkeit hat.

Die grundlegenden Elemente dieses Gesetzes offenbaren sich vor Allem in der Fähigkeit jeder Genossenschaft, durch Eintragung in ein gerichtliches Register ohne das Erforderniß der Staatsgenehmigung das Recht der juristischen Persönlichkeit zu erlangen. Mit ihr ausgestattet, ist die Genossenschaft als solche Eigenthümerin ihres Vermögens, erwirbt Rechte und übernimmt Pflichten unter [809] ihrer Firma. Ferner ist in dem Gesetze das strenge Princip der Solidarität durchgeführt, indem jeder Genossenschafter bei eingegangenen Verbindlichkeiten für die Aufbringung der ganzen Schuldsumme, also nicht nur für die ihn bei der Vertheilung treffende Quote, sondern zugleich für die auf seine Mitverhafteten fallenden, dem Gläubiger mit seinem ganzen Vermögen aufkommen muß.

Dieser Punkt der Genossenschaftsgesetzgebung ist, wie leicht erklärlich, derjenige, welchen die Gegner vorzüglich als Bresche für ihre Angriffe auszunutzen suchen. Doch gerade die Solidarhaft ist die Creditbasis des ganzen Genossenschaftswesens. Denn um dem in Folge seiner geringen Mittel Creditlosen die Creditfähigkeit zu verschaffen, muß derselbe, nach den unanfechtbaren Grundsätzen von Leistung und Gegenleistung, einen Einsatz machen, und wie die Creditfähigkeit für ihn unbedingt Lebensfrage ist, so wirft er mit Fug und Recht sein gesammtes Hab und Gut für sie in die Wagschale. Außerdem aber – und dies ist durchaus kein unwesentliches Moment – erhöht die Solidarhaft das Gefühl der Zusammengehörigkeit unter den Genossen und wirkt so fördernd auf die sittliche Seite der Vereinigung. Nicht nur die Hoffnung auf den Gewinn, sondern auch die Sorge vor einem wenn auch unwahrscheinlichen Verlust läßt den Einzelnen ein wachsames Auge auf die Geschäftsleitung lenken und veranlaßt ihn erforderlichen Falls zu gemeinsamem Vorgehen mit den Genossen.

So weit es mit seinen Grundsätzen vereinbar war, hat außerdem das Gesetz selbst die Folgen der Solidarhaft durch die weitgehenden Rechte der Mitglieder zur Berufung von Generalversammlungen, zur Stellung von Anträgen in denselben sowie durch die dem Genossenschafterausschuß zustehende Befugniß zur Suspension der Vorstände beschränkt. Auch hat das deutsche Genossenschaftsgesetz, abweichend von dem ehemaligen preußischen, den Vereinen die Möglichkeit gegeben, durch executivische Zwangsumlagen vor Beendigung des Concursverfahreus den Ausfall zu decken und so die Schuldsumme zu vertheilen.

Selbstständigkeit und Solidität – so nennen sich die beiden Grundsteine, auf welchen Schulze sein durchdachtes System aufbaut und die ihm den sichersten Schutz für etwaige Unfälle bieten, und diesen Grundsätzen getreu trat er mit voller Energie in seiner Schrift: „Die Abschaffung des geschäftlichen Risico durch Herrn Lassalle“ ebenso dem berühmten Agitator und seiner Forderung, daß der Staat für die Associationen die nöthigen Capitalien unter seiner Garantie schaffen solle, entgegen, wie er neuerdings die Raiffeisen’schen Darlehnscassen bekämpft, welche die Bildung der Geschäftsantheile durch allmähliche Beisteuern verwerfen und durch die Beschaffung ihrer Betriebsfonds mittelst Anleihen von dritten Personen den streng soliden Boden verlassen. Daß diese Principien zu einer tief innerlich gesunden Entwickelung der Genossenschaften geführt haben, lehrt der Erfolg. Die schwere Geschäftskrisis, welche seit nunmehr bald sieben Jahren auf dem Markte mit erdrückender Wucht lastet, ist, wenn auch nicht spurlos an den Genossenschaften vorübergegangen, so doch von ihnen überstanden worden. An Concursen, einschließlich der bloßen Auflösungen im Wege der Liquidation, wurden die Genossenschaften in einem Zeitraume von über 20 Jahren von etwa 100 bis 120 betroffen, einer im Verhältniß zu den fallirten Unternehmungen handelsgesellschaftlicher Natur wahrhaft verschwindenden Summe.

Nach den Rechnungsabschlüssen des letzten Jahres von 948 Creditvereinen, welche in dieser Hinsicht statistische Erhebungen ermöglichen, ist bei 743, also fast vier Fünfteln derselben, aus dem Reingewinn eine Dividende von 6 Procent und darüber an die Mitglieder von der Summe ihrer Geschäftsantheile gezahlt worden, während der durchschnittliche Dividendensatz dieser Vereine 71/5 Procent beträgt. Trotzdem sind von denselben Genossenschaften dem Reservefonds fast 2 Millionen Mark überwiesen worden.

Die Creditgenossenschaften, auf welche diese Ziffern sich beziehen, stellen allerdings, insbesondere ihrer 1841 Vereine umfassenden Zahl nach, den blühendsten Zweig des gesammten Genossenschaftswesens dar. Doch ist damit die Wirksamkeit der Genossenschaften keineswegs erschöpft: die bekannten Consumvereine (621) besorgen den gemeinsamen Einkauf von Lebensbedürfnissen im Ganzen in möglichst guter und durch den Großbezug dennoch billiger Qualität und lassen dieselben in kleinen Posten an ihre Mitglieder ab; die Baugenossenschaften (49) stellen, abgesehen von einigen Vereinen, die ihren Mitgliedern Baucredite gewähren, Häuser mit einer Anzahl Wohnungen zum Vermiethen an die Genossen her; die Rohstoffgenossenschaften (211) vermitteln den Großbezug der Rohstoffe für die Handwerker und verschaffen so ihren Mitgliedern eine um mindestens 10 bis 20 Procent billigere Waare; die landwirthschaftlichen Werkgenossenschaften (135) schaffen theuere Maschinen an, deren Benutzung von den Genossen nach Zeit und Raum bezahlt wird; die Magazingenossenschaften (54) richten gemeinsame Verkaufsläden ein, in welchen die Mitglieder ihre Waaren auf eigene Rechnung verkaufen, und verbinden diese Unternehmung häufig mit einem Rohstoffgeschäft für die Genossen; die Productivgenossenschaften endlich (198), nach Schulze selbst die höchste Stufe seiner Schöpfungen, vereinigen eine Anzahl von Kleinmeistern oder von Lohnarbeitern zum Geschäftsbetriebe auf eigene Rechnung und Gefahr.

Schon die Aufzählung dieser so verschiedenen Arten der Schulze’schen Vereine weist darauf hin, zu wessen Gunsten dieselben hauptsächlich geschaffen sind. Der kleine Landwirth, der selbstständige Handwerker, der Fabrikarbeiter und Kleinkaufmann nehmen ist gleichem Maße an dem Segen dieser Institutionen Theil. Der über 706 Vorschuß- und Creditvereine vorliegenden Mitgliederstatistik zufolge gehören in denselben unter 347,000 Genossen 92 Procent dem männlichen und 8 Procent dem weiblichen Geschlechte an. Von der Gesammtzahl sind 111,336 Personen, also fast ein Drittel, als selbstständige Handwerker thätig, während 80,401 Personen, also beinahe ein Viertel, als selbstständige Landwirthe, Gärtner, Förster und Fischer sich bezeichnen. Es folgen die selbstständigen Kaufleute mit 35,151 und die Fabrik-, Bergarbeiter und Handwerksgesellen mit 16,779 Personen. Anders stellt sich das Verhältniß bei den 145 zur Beurtheilung kommenden Consumvereinen dar. Hier sind von 79,106 Mitgliedern 88½ Procent männlich und 11½ Procent weiblich. Die Fabrikarbeiter etc. machen mit 29,199 Personen über ein Drittel, die selbstständigen Handwerker mit 13,303 etwa ein Sechstel der Gesammtsumme aus. Es folgen als neues Element die Aerzte, Apotheker, Lehrer, Künstler, Schriftsteller und Beamte mit 10,048 Personen. Die übrigen Arten der Genossenschaften entziehen sich leider durch die Spärlichkeit der eingegangenen Verzeichnisse der Beurtheilung.

Daß ein Mann wie Schulze seinen von den socialistischen Agitatoren vielverketzerten Grundsatz: „Die Fähigkeit der Capitalansammlung bei den Menschen ist gleichbedeutend mit ihrer Culturfähigkeit“ nicht in dem niedern, gänzlich aus dem Zusammenhang gerissenen Sinne, in welchem man ihn auszubeuten suchte, verstanden wissen wollte, hat er durch seine neueste Schöpfung, an welche er seine volle Kraft setzt, durch die Gründung der Gesellschaft für Verbreitung von Volksbildung bewiesen.

In ähnlicher Weise, wie Schulze bei den Genossenschaften die Centralisirung durch den Allgemeinen Verband hergestellt hat, beabsichtigte er mit dieser Gesellschaft den Mittelpunkt für die vielfachen bisher von einander unabhängigen und in ihrer Vereinzelung schwachen Vereinsbestrebungen für die Hebung der Volksbildung zu schaffen. Die noch junge Schöpfung nimmt bereits den erfreulichsten Aufschwung: am Ende des Jahres 1878 zählte die Gesellschaft 4339 persönliche und 772 körperschaftliche Mitglieder, von welchen die letzteren wiederum zum größten Theil eine bedeutende Anzahl von Personen umschließen.

Der Vorstand, welcher aus Schulze selbst, den bekannten Abgeordneten Löwe (Calbe) und Hammacher, dem Justizrathe Makower und dem Generalsecretär der Gesellschaft Lippert besteht, ist unablässig bemüht, für die segensreiche Institution immer weiteren Boden zu erkämpfen. Wanderlehrer ziehen von Ort zu Ort, um vornehmlich der Culturgeschichte und Wirthschaftslehre entnommene Gegenstände in öffentlichem Vortrag zu besprechen, während die Einzelvereine selbst außerdem geeignete Vortragskräfte für diese Bemühungen gewinnen. So wurden allein in einem der acht verschiedenen Provinzial- und Bezirksverbände, dem Preußischen, in dieser Art 826 Vorträge gehalten.

Das in neun Abtheilungen nach Wissensgebieten geordnete Volksmuseum wird den Einzelvereinen zur Veranschaulichung geliehen, vor Allem aber den Volks- und Vereinsbibliotheken die ausgiebigste Unterstützung zu Theil. In gleichem Sinne fördert die Gesellschaft die Pflege der Fortbildungsschulen insbesondere für Lehrlinge und Mädchen der arbeitenden Classen mit Rath [810] und That. Wie wohlthätig diese Einrichtungen wirken, erhellt wohl am besten aus dem unter den zahlreichen statistischen Erhebungen herausgegriffenen Nachweis, daß allein in dem Zweigverein Leipzig 51,184 Bücher gelesen wurden, während in der Fortbildungsschule zu Frankfurt am Main sich im Ganzen 645 Schüler an 29 Cursen betheiligten.

Trotz all dieser großartigen Unternehmungen Schulze’s ist derselbe eine jener seltenen Naturen, bei welchen der Mensch nicht im öffentlichen Leben aufgeht, sondern, so oft er es vermag, im Frieden seiner Häuslichkeit dem Freunde ein stets herzliches und gastfreies Willkommen entgegenruft.

In seinem nahe der russischen Colonie in Potsdam gelegenen Hause in der Spandauerstraße denkt und schafft der greise Volksfreund in unerschöpflicher Frische für das Wohl der kommenden Geschlechter. Wer ihn hier gesehen, wie er in dem prächtigen Garten sorgsam seine Blumen pflegt, wie er mit stolzen Augen den reichen Fruchtsegen betrachtet, der ihm von Baum und Strauch freundlich entgegen grüßt, wer ihn gesehen, wie er mit leuchtender Miene lauscht, wenn der ihm nahe befreundete Capellmeister Taubert dem Flügel die ergreifenden Töne einer Beethoven’schen Sonate entlockt – dem wird klar, was für den Forscher aus jeder Zeile seiner Werke, aus jedem Gedanken seiner Schöpfungen spricht, daß hier ein edler Mann, voll Empfänglichkeit für alles Gute, Wahre und Schöne, seine Stätte aufgeschlagen.

Und doch sind am 29. August 1878 schon siebenzig Jahre über sein im reichsten Schaffen ergrautes, vom edelsten Erfolg gekröntes Haupt dahingerauscht. Alle die Vielen, welche an diesem Tage dem durch plötzliches Leiden in die Krankenstube gebannten Vater der Genossenschaften ihre Liebe und Verehrung bethätigen wollten, konnten nur in Vereinen und Kreisen sein Ehrenfest feierlich begehen. Mit Stolz hörte dort das Volk, seine große Familie, von ihm, von seinem Schaffen und Wirken und ließ im Herzen das Wort des größten Briten wiederklingen:

„Er ist ein Mann – nehmt Alles nur in Allem.“

Max Ring.
  1. Obigen Artikel veröffentlichen wir im Hinblick auf den im vorigen August gefeierten siebenzigsten Geburtstag des ehrwürdigen Volksmannes dessen die „Gartenlaube“ bereits früher (1859, S. 719; 1863, S. 517) eingehend gedacht hat, sowie im Hinblick auf das soeben erschienene Werk „Schulze-Delitzsch. Leben und Wirken“ von A. Bernstein (Berlin, Max Bading). Wir benutzen die sich hier bietende Gelegenheit, um auf die genannte Biographie des großen Organisators, welche die Geschichte seines Wirkens in der Geschichte seines Lebens wiedergiebt, empfehlend hinzuweisen; der geistvolle A. Bernstein giebt den deutschen Lesern mit dieser dankenswerthen Arbeit ein echtes Volksbuch in die Hand.
    D. Red.