Textdaten
<<< >>>
Autor: Dr. L–n
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Nach Tarasp
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 20–21, S. 235–238;246–247
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Tarasp, eine Gemeinde in Graubünden
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
} [235]
Nach Tarasp.
Von Dr. L–n.
Die Conditoren und Zuckerbäcker Europa’s. – Engadin. – Das Thal den Engadin. Eine Wanderung dahin und der Charakter desselben. – Die Bewohner und ihre Eigenthümlichkeiten. – Die Weiber von Schiers. – Engadiner Hotzelwagen.

Hat Dich, geneigter Leser, auf Deiner Wanderung durch die Städte unsers deutschen Vaterlandes, namentlich im Norden desselben, Gelüste oder Bedürfniß in eines jener Etablissements geführt, wo die braune[WS 1] Bohne Arabiens zu einem aromatischen Tranke bereitet wird, der Cacao America’s wohlschmeckenden Genuß bietet, oder ein kleines Gläschen der verschiedenfarbigsten gebrannten Wasser in feinster Qualität Dich mit flüssigem Feuer erwärmt, Zucker und Mehl, in tausenderlei Formen von Süßigkeiten umgewandelt, Deinen Gaumen kitzeln, so wird schon bei dem Suchen nach diesen Herrlichkeiten der Name ihren Künstlern und Besitzern Dich mit fremdartigem Laute begrüßt haben. Bist Du je in der Stechbahn auf dem Berliner Schloßplätze bei Josti eingetreten? Du hast die glänzenden Uniformen ab- und zugehender Söhne des Mars gefunden und feine, wunderfeine Sachen auf Schüssel und Teller, in Flasche und Glas und Tasse, die wohl besser munden als das harte Brot und der brennende Inhalt der Feldflasche in den kalten und feuchten Lagern an der Donau hüben und drüben. Oder hast Du in einem lebhaften Schwarme von Literaten und Schauspielern, welche die Zwischenakte oder der Schluß des Stückes herbeigezogen, bei sprudelnder Unterhaltung glühenden Wein oder Punsch zu schmackhaftem Kuchen geschlürft, bei Steheli auf dem Gensd’armenmarkte – wieder ist’s kein märkischklingender Name, der Dir Deine Silbergroschenrechnung wissen läßt. Unter den Linden lockte Dich Spangipani mit seinen Süßigkeiten; anderswo in der preußischen Hauptstadt Andere mit ähnlichem Klange; aber nicht blos hier – in Magdeburg, in Bremen, in Königsberg, ja über die deutschen Grenzen hinaus in ganz Europa kannst Du diese in die Conditor-und Zuckerbäckersuniform gekleideten schlichten, meist kurzstämmigen und etwas wohlbeleibten Leute antreffen, wie sie ruhigen Antlitzes sich hinter ihren Ladentischen bewegen und vielleicht den wachsenden Gewinn und die Zeit berechnen, wo er hinreichend sei, ihn auch zu genießen. Es sind wandernde Zugvögel, wenn auch in langen Perioden, diese stillen, fleißig schaffenden Männer; ihre Heimath ist nicht die nordische Ebene, nicht der märkische Sand, wo ein Hügel von einigen hundert Fuß für einen Riesen gilt; sie liegt ferne zwischen aufgethürmten Gebirgswällen, zwischen hohen Alpenstöcken, zwischen tausend wilden und kahlen Felsenfirsten in der Mitte eisiger Gletscher und Schneefelder. Wie der Wasserschatz ihrer Eishöhen aus zerrissenen Schluchten gewaltiger Gebirgsstöcke dem Rhein, der Donau, der Etsch und dem Po zueilt und so zu entlegenen Meeren auseinander läuft, so hat diese Bewohner eines stillen Hochthales von je die Wanderlust ergriffen, und sie tragen ihre emsig sammelnde Rührigkeit, ihren sparenden Fleiß von der einsamen Heimath hinaus in das Gewühl belebter Städte, an die Stätten des Comforts und des Luxus, wo ihnen eine reiche Ernte entgegenwinkt. Ihnen verwandelt sich das Heimweh nur zu einer treibenden Kraft des Erringens und Erwerbens, der Gedanke an das Thal der Geburt und seine großartige Umgebung zum Sporne einer rastlosen Thätigkeit. Denn der als Jüngling hinaus in die Welt gezogen, sich gemüht und geplagt, kehrt beim nahenden Abend des Lebens, wenn die dunkeln Haare zu bleichen beginnen in das nie vergessene Vaterland zurück, nachdem er das blühende Geschäft einem Sohne oder jüngern nachgekommenen [236] Landsmann überlassen, um mit dem Ertrage seiner Arbeit sich im Heimathsdorfe ein stattliches Haus zu bauen und die letzten Jahre, die sonst „den Menschen nicht gefallen,“ in achtbarer Ruhe zu genießen.

Die meisten dieser industriösen Wanderer bringt das Engadin hervor, dieses eigenthümliche und noch so wenig gekannte Längenthal, die Wiege des Inns bis zu seinem Austritte aus der Schweiz bei Martinsbruck. Es ist ein merkwürdigen Ländchen dieses Engadin! Wie eine stille heimliche Alpenmatte liegt es zwischen seinen beiden Gebirgszügen; der zahlreiche Fremdenzug, den die verschiedensten Triebfedern, Erholung von anstrengender Arbeit, Stärkung, Ueberdruß städtischen Getümmels, Langeweile und Mode, dazwischen auch Freude an einer reichen großartigen Natur und wissenschaftlicher Drang, in und durch die Schweiz locken, und der, wie die Ameise stets dem Wege folgt, den ihre Vorgängerin betreten, meist den Vorschriften des Reisehandbuchs folgt, läßt gewöhnlich seine tiefe Einsamkeit zur Seite liegen, dringt nicht in die verborgenen Thäler dieses Landestheils. Und doch findet für unsere Phantasie, unser Verstand, unsere Wißbegierde, unser Gemüth so reichen Stoff wie irgendwo; weht die frische Bergluft so rein, glänzen die hohen Felszinnen mit ihrem Firnenschnee, mit ihren Gletscherströmen rosig im Abendlichte, haben Natur und Geschichte der Bevölkerung einen so eigenthümlichen Stempel aufgeprägt! Aber bis zu 6000 Fuß erhebt sich dieses in solcher Ausdehnung höchste bewohnte Thal der Alpen, eine der höchsten Gegenden Europa’s überhaupt, die noch in großen zusammenhängenden Dörfern bewohnt werden; und da schreckt vielleicht des Engadiners eigene etwas übertriebene Aeußerung von seinem Klima: „Neun Monate Winter, drei Monate kalt.“ Freilich fehlt auch mit wenigen Ausnahmen der Comfort der vielgefeierten Punkte, wo die Reiseindustrie ihre Blüthe getrieben: keine mit allen Bequemlichkeiten des verwöhnten Geschmacks ausgestattete Hotels und Pensionen nehmen uns auf; keine in allen Zungen redenden Kellner umkreisen uns; aber auch der Schwarm zudringlicher Führer, die wandernde Virtuosenschaft, die Verfolgung mit gemalten Aussichten, mit geschnitzten tausenderlei Kleinigkeiten, mit dem Gesteine der Alpenwelt ist zurückgeblieben.

Schloß und Dorf Tarasp im Engadin Thale.

In das hohe, nach allen Seiten abgeschlossene Alpenthal des Engadins tritt der Wanderer von der Schweiz und Italien aus entweder von der gewaltigen Bergmasse des Bernina her, dessen von Firnen und Gletschern umgebene Hörner sich bis zu 12,000 Fuß über die Meereshöhe erheben, ja in dem Monte Rosso du Dentro, dem Montblanc des Engadin, bis über 13,000 Fuß ansteigen sollen, auf der schönen Julierstraße, die nach Chiavenna führt, oder durch einen der zahlreichen an und in die Schneeregion reichenden Pässe, welche von Graubünden oder Veltlin her die hohen, vielfach eingeschnittenen Seitenketten des Thales übersteigen. Ist man über einen dieser Pässe gestiegen, befindet man sich in dem bedeutendsten und ausgedehntesten Hochland Europa’s; die Schweizeralpen bieten keine zweite gleich ausgedehnte Erhebung. Um die kleinen wunderbar grünen Seen von Sils und Silvaplana dehnt sich eine Hochfläche von fast 6000 Fuß Höhe, und von da fällt das 15 Stunden lange Thal, in dem der Inn sich sein enges Bette gegraben, nur um einige tausend Fuß. Wo er bei Martinsbruck sich das Thor nach Tyrol gebrochen, eilen seine hellgrünen Wasser noch immer 3800 Fuß über dem Meere dahin. Diese Abgeschlossenheit des hohen Alpenthales, der Mangel an großen Verbindungsstraßen, die stille Großartigkeit der Umgebung haben ihm einen so eigenthümlichen Charakter aufgeprägt, daß man sich, ob man von dem übrigen Graubünden aus oder von der südlichen Natur Veltlins in dasselbe getreten, in einer Welt neuer niegesehener Wunder zu befinden glaubt.

Der Oktober des verflossenen Jahres hatte es mit so verspäteten Reisenden, wie wir beide, ich und mein trefflicher Künstler, es waren, ungewöhnlich wohl gemeint. Nur bei solcher Gunst des Himmels allein durften wir aber auch hoffen, von den rauhen Schönheiten des Engadins noch einen gütigen Blick zu erhalten, während wir anderntheils darauf gefaßt waren, uns jeden Augenblick von der Kälte und dem Schnee der hier schon für sehr [237] vorgerückt zu haltenden Jahreszeit in die milderen Striche der ebeneren Schweiz zurückjagen zu lassen. Einen ernsten Charakter trägt das Stück Erde, das wir am Abende vorher bei Pontalta (Pautaut), der hohen malerischen Brücke, die sich über einen in tiefer Schlucht dem Inn zurauschenden Bach spannt, betreten, in jeder Hinsicht. Natürliche Verhältnisse haben dem Unterengadin ein anderes Gepräge gegeben wie dem oberen Theile des Thales. Der breite grüne Thalgrund ist verschwunden; die beiden Thalgehänge stoßen unten zusammen; auch der Inn hat auf seinem jugendlichen Laufe hier das erste Hinderniß gefunden; die Mühe beginnt; ein von Süden vorspringender waldiger Kamm, vermuthlich der Ueberrest eines alten riesigen Gletscherwalles verengt das Thal und zwingt den Fluß, sich in engem steinigen Bette durchzuarbeiten. Von da wälzt er seine unruhigen Wasser, oft nur hörbar und dem Auge verborgen, durch eine tiefe waldige Schlucht dahin. Uns selbst geht es nicht viel besser bei dem Eintrttte in das größtentheils rauhe, spärlicher bewohnte Berggelände des Unterengadins. Führte uns bisher eine ziemlich gute, wenn auch kleine Thalstraße ohne unbequemes Hinderniß von Ortschaft zu Ortschaft, so ist diese bis auf wenige und kurze Strecken gleichfalls bei Pontalta hinter uns geblieben; der Weg ist an die nördliche Thalwand hinaufgeschoben und zieht sich nun bald auf- bald niedersteigend an den zahllosen Vorsprüngen und über die Thaleinschnitte hin. Und welcher Weg! Im kläglichsten holprigsten Zustande eine wahre Plage des Wanderers. Auch die Dörfer haben sich aus der unbebaubaren Tiefe an die höheren Stellen des Thales geflüchtet, von wo sie mit ihren hohen schlanken Kirchthürmen weit in das Thal hinabschauen. Selbst ihr Charakter, ihr äußeres Ansehen hat sich etwas verändert. Die modernen Wohnungen sind seltener geworden; die saubern, höchst behaglich eingerichteten Häuser reich gewordener Zuckerbäcker und Kaffeewirthe mit Frescofriesen, Pfeilern und vergoldeten Gittern, wie sie, in Silvaplana, Samada, den Dörfern ein fast städtisches Aussehen verleihen, reichen kaum bis hieher; wohl aber ist geblieben was die alte Sitte des abgelegenen Thales mit sich gebracht, oder ein lange dauernder strenger Winter fordert. Die weißen Steinhäuser mit flachem Schindeldache und in Nachahmung von Steinbockshörnern ausgeschnittenem Giebel haben auch hier ihre kleinen, sparsam und unregelmäßig an der Mauer, in die sie bei deren Dicke wie Schießscharten für den Gewinn möglichsten Lichtes und die Absperrung der rauhen Luft eingesenkt sind, vertheilten Fensterchen behalten. Eine gewölbte Doppelthüre führt in einen weiten Vorraum für alle Geschäfte des Hauses, auch für das Aus- und Abladen der kleinen Wagen bei geschlossener Thüre; der große Backofen in der Küche tritt bauchartig außen am Hause heraus; über den gewaltigen Ofen der getäfelten Stube steigt man in die Schlafkammern. Das strengere Klima hat die vierfüßigen Hausgenossen in den Kellerraum verlegen lassen, was nun freilich der ohnehin nicht übertriebenen Reinlichkeit nicht eben günstig ist und gleichfalls von der auffallenden, fast holländischen Sauberkeit im Oberengadin absticht. Eine Besonderheit bietet die Vertäfelung der Stuben. Die Arve, hier wie sonst wohl nirgends in stattlicher Größe und Stärke gedeihend, liefert genießbare und häufig genossene Früchte und daneben ein äußerst wohlriechendes Holz, womit der Engadiner das Getäfel seines Wohngemaches herstellt, vielleicht das duftendste dieser Art.

Auch sonst noch zeigen die Wohnhäuser des Engadins manche Besonderheiten. Die weiße Hauptmauer zieren eingegrabene Umrisse von Wasserfrauen, Löwen und Blumen; selten auch fehlt das große, mit heraldischem Bauwerk gezierte Familienwappen, das ehemals selbst die ärmlichste Hütte nicht entbehren durfte. Seit diese einfachen Bewohner eines entlegenen Thales, deren Urahnen wohl schon vor dem Schwerte eines Eroberers ihre Freiheit aus dem schönen Himmel Italiens in die rauhen Berge ihrer neuen Heimath geflüchtet haben, sich von einer Zahl kleiner Tyrannen, deren Schlösser, hier nur weniger zahlreich als im übrigen Graubünden, wie Geiernester von den Felsgipfeln selbst der abgelegensten Thäler drohten, durch ihre starke Hand losgemacht, suchte sich gewissermaßen das Selbstgefühl des freien Mannes und der Familie einen Ausdruck gerade in dem, worin bisher der anmaßende und gewaltthätige Adel ausschließlich das Zeichen seiner Selbstständigkeit gegenüber dem unterdrückten Hörigen erblickt hatte, in dem Wappen. Der Sieger nahm die Ehren und Vorzüge des Besiegten an sich. Von da an sagte ein altes Wort: daß nächst Gott und der Sonne im Engadin der gemeine Mann die höchste Obrigkeit sei. Gleichwohl lebt einmal Dagewesenes und Gegoltenes oft noch lange fort, und heute noch üben in dem durchaus demokratischen Thale die alten Adelsgeschlechter der Planta und Salis bedeutenden Einfluß aus, wobei man nun freilich bedenken muß, daß er ein ganz anderer geworden, als den einst ein wilder Ahnherr von seinem Felsenhorste aus geübt haben mag, und sich vielfach wohlthätig in die Geschicke des Landes verwachsen hat.

Wir hatten in nicht eben beneidenswerther Weise in Zernetz übernachtet. Der Ort ist ansehnlich und liegt schön am Zusammenflüsse des Inns, den man kurz zuvor überschreitet, und des Spöl, der aus den hohen wormsischen Thälern Livigno und Vallacia hervor fast gleich stark wie der Inn heranbraust, in diesem aber seinen Namen verliert. Die Einmündung seines Thales veranlaßt hier die einzige (größere Erweiterung des Unterengadiner Thalbodens.

Zernetz ist in der Geschichte des Landes durch einen Akt des Schreckens und eine That weiblicher Klugheit bekannt. In Graubünden spielt der Raub- und Brandzug des unmenschlichen österreichischen Obersten Baldrian im Jahre 1622 eine ähnliche Rolle wie bei uns die Verwüstung der Pfalz durch die grausamen Werkzeuge des großen (!) Ludwig von Frankreich; hierüber hat jener Mordbrennerzug, den nur eingeäscherte Dörfer bezeichneten, der graubündnerischen Landesgeschichte einen großen Reichthum heldenmüthiger Hingebungen und Waffenthaten eingeflochten. So wird erzählt, gegen die Banden jenes Wüthrichs hätten sich die unerschrockenen Weiber von Schiers im Prättigau die Ehre erworben, die Ersten zur Kommunion zu gehen. Zernetz ward von Baldrian wie die übrigen Ortschaften niedergebrannt. In mehreren Gemeinden des Unterengadins pflegt man bei drohendem Morgenreife in der Nähe blühender Roggenfelder Feuer anzumachen, um durch den Rauch die Gewächse zu bewahren. Eine solche Räucherung benutzte eine Frau von Zernetz im Schwabenkriege, um herangeschlichene deutsche Kriegsvölker glauben zu machen, sie sei ein Zeichen für die herbeizurufende Hülfe der Bündner und Eidgenossen. wodurch jene zum Umwenden bewogen wurden. Aehnliche Erinnerungen wiederholen sich überhaupt auf dem Boden der Schweiz ungemein häufig. Die Natur des Landes und der Bewohner erklärt dies. Jene drängte große welthistorische Ereignisse wie sonst nirgendswo oft auf engstem Raume zusammen, und dieser Umstand mußte wieder die Anforderungen an die Kraft der Einzelnen erhöhen. Die Eidgenossen, wie sie am doppelt heißen Tage von Sempach mit nackten Armen gegen die vom Eisen geschützten Ritter des Herzogs Leopold siegreich, bei St. Jacob gegen die Armagnaken wenigstens glorreich kämpften, so zu sagen arbeiteten, sind mir immer als das treueste Bild individuellsten Muthes und persönlichster Tapferkeit erschienen.

Wir hätten von Zernetz an uns eines der hier gebräuchlichen Einspänner bedienen können, da der nur zweimal wöchentlich gehende Postwagen, übrigens auch nichts weiter als ein etwas größerer Berg- oder sogenannter „Hotzelwagen “ (wahrscheinlich bezeichnend von hutzen, rütteln und schütteln), nicht in unsere Tour fiel. Aber der Anblick dieser Wagen und die Erinnerung des Weges konnte von diesem Gedanken nur abschrecken. Zwar hält der Engadiner, überhaupt von so besonderer Vorliebe für das Althergebrachte, daß er sogar, ohne Arges dabei zu denken, Pfarrstellen durch vier und fünf Generationen ungestört von Vater auf Sohn übergehen läßt, erstaunlich viel auf seinen kleinen Wagen, und dieser ist aus nur zu naheliegenden Gründen, wegen der entsetzlichen Straße, auch höchst solid gebaut – aber er zerbricht doch nur zu oft seine breiten niedern Räder an den kopfgroßen Steinen des Weges, deren sonstige Unberührtheit gleichfalls zu den durch die Jahrhunderte geheiligten Gegenständen zu gehören scheint. Auch die am Vorderwagen unbeweglich befestigte Deichselgabel erweckt nicht eben einladende Gedanken weicher, elastischer Bequemlichkeit; und so ist denn dem Wanderer in den meisten Fällen jenes bequemste und zugleich wohlfeilste Fortbewegungsmittel zu empfehlen, das er in seinen eigenen Beinen besitzt. Versuchsweise mag er sich auch einmal mit einem solchen Fuhrwerk befassen, und, wenn er will, selbst sich nach Art der alten fränkischen Könige, von einem Engadiner Ochsengespann fahren lassen, obgleich es nicht an einigen Pferden fehlt, die für den Personentransport und die geringe Waarenausfuhr bestimmt sind. Nur Esel sind so selten, [238] daß man den Sinsern nachsagt, sie hätten einmal ein verirrtes Langohr für einen riesigen Hasen gehalten und das erlegte Thier verspeist. Jener kleine Wagen dient dem Engadiner zu allen möglichen Zwecken, bei Freud und Leid, auf der Reise wie bei der Land- und Alpenwirthschaft; er trägt sein Heu und Stroh, wie ein andermal einen fröhlichen Hochzeiter oder seinen Herrn auf dem letzten Gange, den er schon nicht mehr gehen kann, zum – Friedhofe.

[246]
Die Reiselust der Engadiner. – Keine Bettler. – Die romanische Sprache. – Ein Wortbruch und das Schweigen der Lerchen. – Süs. – Schloß Tarasp. – Die Mineralquellen.

Mit der Abneigung des Engadiners gegen Neuerungen, scheint seine früher mehr gepflegte Lust zu ausländischen Kriegsdiensten, seine auch jetzt noch vorhandene Reisesucht gewissermaßen in Widerspruch zu stehen. Wie ehemals Tausende vom Kriegsdienste in die Ferne gelockt wurden, so wandert jetzt die Hälfte der männlichen Jugend in Folge des von Alters her im Volke schlummernden unwiderstehlichen Reisetriebs über die Berge und verbreitet sich mit der oben besprochenen Industrie über ganz Europa, während ihr einheimisches Thal fast gar keine Industrie kennt. Der Engadiner bewirthschaftet sogar die ergiebigen, ausgedehnten Alpen auf beiden Seiten des Thales nur selten selbst; sie sind an herumziehende Bergamascerschäfer, einem kühnen, kräftigen Menschenschlage aus dem Seriana- und Brembanathal an der italienischen Seite der Alpen verpachtet. Nur der Wiesencultur, neben dem nicht bedeutenden Getreidebau, wird noch eine gewisse Sorgfalt gewidmet, und zwar von den Frauen, deren schwarze Gestalten man schon frühe am Tage, ehe die Sonne noch über die Berge herübergestiegen, an den Abhängen stehen sieht, mit der Schaufel zum Oeffnen und Schließen der zahlreichen kleinen Kanäle, um das von weitem hergeleitete Wasser bald nach dieser, bald nach jener Rinne fließen zu lassen.

Auf den Bergen wird nach uralter Weise die Alpenwirthschaft geführt; und alles Andere überläßt der Engadiner dem Himmel oder fremden Händen, welch letztere ihn denn auch von seinen großen Waldungen befreien, um sie in den Salzwerken bei Innsbruck verschwinden zu lassen. Seine eigenen nicht unergiebigen Hüttenwerke liegen seit Jahren in Trümmern. Was unter solchen Umständen mit Recht erwartet werden könnte, ist eine zunehmende Verarmung und Erniedrigung, wie man sie wohl in manchen andern Gebirgsthälern bei ähnlichen Verhältnissen findet. Auffallenderweise täuscht man sich indessen hier vollständig in dieser Voraussetzung und stößt auf einen verhältnißmäßigen Wohlstand. Das wohlthuendste Zeichen desselben ist der Mangel an Bettlern. Die Leute sind nicht träge und liederlich; die Thätigkeit und Rührigkeit richtet sich nur in alter Gewohnheit nach der Fremde und sucht außer dem Lande einen Spielraum, den das stille abgelegene Alpenthal nicht gewähren kann. Manchen freilich ist auch draußen das Glück nicht hold, sie gehen zu Grunde; andere aber tragen die Früchte ihres Fleißes als Hauptquelle des neuen Wohlstandes in das heimathliche Dorf zurück. Aber eben der Umstand, daß der thätige Theil der Bevölkerung frühe das Weite sucht, erklärt einmal den wirklichen Mangel mancher Orte an jüngern Leuten, sodann die Fortdauer der alten Zustände, zu deren Bekämpfung die jüngeren Kräfte fehlen, die älteren, der Ruhe bedürftig, nicht mehr geeignet und geneigt sind.

Sollte man nach allem Diesen in dem Engadiner hervorstechende Charakterzüge eines eigenthümlichen Menschenschlages erwarten, so würde man sich auch hierin täuschen. Der ursprünglichen rhätischen Bevölkerung haben sich im Laufe der Jahrhunderte so viele andere Elemente beigemengt, so viele fremde Einflüsse haben eingewirkt, daß bestimmtere unterscheidende Züge verschwinden mußten, will man nicht die etwas scharfen Gesichtszüge und die ziemlich dunkle Farbe von Haut und Haar hierher rechnen. Nur die Sprache hat den rhätischen Ursprung treu überliefert, wie sie denn überhaupt so oft alle übrigen Stammesmerkmale überlebt. Das in 140 Gemeinden Graubündens vom Volke ausschließlich gesprochene Romanische ist wohl für einen selbstständig gewordenen Zweig der alten lateinischen Sprache zu halten. In ihm selbst aber giebt es zwischen der Mundart des Engadins, der lateinischen und der Rheinthäler nicht unbedeutende Abweichungen, die bei der ersteren in dem Vorwalten neuitalienischer Formen und Biegungen, bei der letztern in dem Zurücktreten derselben und der größeren Einmischung deutscher Stammworte begründet sind. Dem Ohre des Laien klingt das Romanische wie ein Gemisch französischer und italienischer Stammworte mit umgeänderten Vokalen, eingeschobenen Zischlauten und betonten Endsylben. Merkwürdig bleibt es immerhin, wie diese Volkssprache sich so lange gegen das Heranbringen des Deutschen und des Italienischen halten konnte. Neuerdings macht jenes als Unterrichtssprache in den seit fünfzehn Jahren sehr verbesserten Schulen immer mehr Fortschritte, und wird selbst in Engadin allgemeiner verstanden.

Der Weg bis Süs ist eine wilde Thalenge, über die links die grauen und eisigen Riesenhäupter des Scaletta und Fluela, die steilen Felspyramiden der Piz Grimpatsch und Gotschan hereinschauen. Die nähern Hügel krönen die Trümmer alter Burgen und Befestigungen; auf Caschinnas aus hohen Tannen ragen malerisch die Ruinen von Fortezza sura. Eine bedeutungsvolle Sage hat sich an ihr verfallendes graues Gemäuer geknüpft und erhalten. Die aufgebrachten Einwohner hatten dem abziehenden Zwingherrn des Schlosses Sicherheit zugesagt, aber gegen ihr Versprechen ihn doch erschlagen. Seitdem sollen die Lerchen nicht mehr singen an der Stelle des Wortbruchs. Auch dem Gegner Wort zu halten, lehrt die Volkssage. Wie selten müßte der Lerchensang werden, wäre es mehr als eine schöne poetische Sage, die aber ihren Erfindern alle Ehre macht!

Süs ist durch ein im Jahre 1537 hier gehaltenes Religionsgespräch bekannt, in Folge dessen bis auf geringe Ausnahmen ganz Engadin die Reformation annahm, um sie in ihrer ernstesten calvinistischen Gestalt und nicht ohne zahlreiche Blutzeugen festzuhalten. Der begeisterte Geschichtsschreiber seines Vaterlandes, Ulrich Campell, ist hier geboren. In schöner Thalweide liegt Lavin mit stattlichen Zuckerbäckerpalästen an der Mündung des Lavinnozthals. Hinten im Thale ragt die prächtige Pyramide des Piz Linard in die Wolken, bis 11,400 Fuß über dem Meere. Was den mehr kalten als lieblichen Ernst der Landschaft noch erhöht, ist die dunkle Tracht der begegnenden Engadinerinnen. Der vormals scharlachrothe in kleine Falten gelegte Rock der Weiber dieser Gegend hat allmälig dem Schwarz oder Dunkelblau Platz gemacht, wie es in Tyrol und in andern Thälern Graubündens vorherrscht. Auch den Kopf verhüllt ein schwarzes hinten herabhängendes Tuch; und fast will es uns bedünken, als sei der Ernst der düstern Kleidung auch auf die Züge der Trägerinnen übergegangen, die man selten heiter und lachend trifft. Durch den allgemeinen Gebrauch des Schwarzen hat dieses aber nun seine Bedeutung als Trauerfarbe verloren und als solche treten denn bunte Farben auf. So wird in der Gegend von Tarasp bei Leichenzügen der Sarg mit einem weißen Tuche bedeckt, rothe Bänder schmücken ihn und die nächsten Leidtragenden.

Guten Muthes schritten wir durch den sonnigen Herbsttag über die steile Höhe von Guarda, die uns 5200 Fuß über das Meer erhob, auf Ardetz zu. Alle diese Orte theilten in jenem für das Engadin so verhängnißvollen Jahre 1622 das gleiche Schicksal, durch die Brandfackel des Obersten Baldiron bis auf den Grund niedergebrannt zu werden. Mit Ausnahme zerfallener Schloß- und Thurmreste und einzelner Landwehren zum Abschluß des Thales begegnet man daher nur Gebäuden, wie sie die Kunst und Sitte des siebzehnten Jahrhunderts und die gebieterische Forderung eines langen Winters hervorgebracht. Schon bei Lavin, wo rechts das Thal Zezeina zum waldigen Gebirge führt, links vom rauhen Fermunt herab das Val Tuoi in seinem Hintergrunde ausgedehnte Schneefelder und Gletscher erblicken läßt, wurden wir des Zieles unserer Wanderung ansichtig. In klarstem Umrisse erhob sich aus der Thaltiefe, von höheren Gebirgen überragt, ein conischer Hügel, seine Spitze von einem weitläufigen, fast vollständig erhaltenen Schlosse gekrönt. Es ist Tarasp auf der südlichen Seite des Thals und die wilden Abgründe des Inns beherrschend. Eigenthümlich wie Gegend und Geschichte des Ortes ist der Zugang zu demselben. Wollten wir nicht noch einige Stunden thalabwärts auf langem Umwege uns nähern, mußten wir bei dem auf sonniger Halde gelegenen Ardetz mit seiner schönen Kirche und den Trümmern des festen Schlosses Reinsberg an der brausenden Tasna über den Inn, um auf kaum sichtbarem Wege uns am felsigen Ufer entlang über die Ausläufer des Pisoc hinzuwinden. Die nicht unbeschwerliche Wanderung wird aber reichlich gelohnt. Ueber den Abstürzen des Inns auf der untern bewohnten [247] Stufe des Abhangs, der sich an die ausgedehnte Masse des Buffalora anlehnt, blitzen hie und da zwischen steilen buschigen oder begrasten Hügeln kleine weiße Häuschen hervor; oben schließt dunkler Wald zwischen grauen nackten Felsenspitzen, bis eine Wendung des Wegs uns an das Kirchdorf Tarasp führt und zugleich den Blick auf die wilde Scenerie tiefer Schluchten und nackter Berghäupter öffnet. Diese nahe Berührung reizender grüner Striche, dunkler Thäler und Wälder mit den höchsten wildesten Gebirgen voll ewigen Schnees und Eises macht einen unbeschreiblichen Eindruck. Die Natur hat diesem Orte seine Geschichte vorgezeichnet. Vornen begrenzt die tiefe waldige Schlucht des Inns; nach beiden Seiten wilde Thalrisse, die zum Plafna- und Scarlthal führen, am Fuße der gewaltigen Felsmasse des Piz Pisoc[WS 2], der seine riesigen Spitzen bis 10,597 Fuß in die Wolken erhebt. Die einzige Kirchgemeinde auf der einsamen schattigen Südseite des Thals, von der Thalstraße und ihrem Verkehre fast abgeschnitten, ist Tarasp nur auf zwei beschwerlichen Wegen nicht ohne Mühe zugänglich. Zudem ist es das einzige deutschredende Dorf im Engadin, und als dessen Bewohner alle sich der Reformation zuwandten, dem alten Glauben treu geblieben. Unter dem Schutze des mächtigen Schlosses, das allein im ganzen Thale fast unverändert die Stürme der Zeit und der Menschen überdauert, blieb dieses Fleckchen Land durch Jahrhunderte meist ungestört. Im übrigen Thale wurden Parteistreite geführt, für die Unabhängigkeit von größeren Fürsten und kleineren Zwingherren gekämpft; der Versuch von Mailand aus das verlorene Thal dem römischen Glauben zurückzuerobern, tränkte seine grünen Matten mit Märtyrerblut, ließ seine friedlichen Dörfer in Schutt legen. Von allem Diesen blieb Tarasp unberührt. Der Stammsitz der alten Herren von Tarasp, im dreizehnten Jahrhundert an die Grafen von Tyrol, dann von Dietrichstein gekommen, war es dadurch mit seinem wie eine Insel umschlossenen Dorfe und kleinen Gebiete bis in dieses Jahrhundert herein unter österreichischer Herrschaft gewesen, im Jahre 1816 erst durch Tausch an die Schweiz gekommen. Von dem Schieferfelsen des Schlosses herab wurden die letzten Reste von Herrschaftsrechten im Graubündner Lande geübt. Bis zum Jahre 1815 bewohnt, schaut es mit seinen gewaltigen Mauerwänden von einer Reihe weitläufiger Nebengebäude umgeben, malerisch aus dem Grün der umgebenden Berge von seinem grauen, zum Theil überhängenden Felsen; am Berge herum durch mancherlei kleineres Gethürme und ummauerte Höfe windet sich der Weg hinauf zu seinen mittelalterlichen Räumen. Jetzt beginnt der Zahn der Zeit schon sichtbarer an den alten Mauern, denen die erhaltende Hand fehlt, zu nagen. Die späteren Besitzer kümmerten sich wenig um das lebendige Bild geschwundener Macht und Größe, und benutzten das Schloß nur als vortheilhafte Fundgrube für Eisen und Marmor. Zu den Füßen des Schloßkegels lagert sich das Dorf Tarasp; ein kleiner dunkler See begrenzt seine schmucklosen Häuser; die architektonische Putzliebe wohlhabend gewordener Zuckerbäcker und Chokoladensieder ist nicht bis hierher gedrungen. Selbst die Wanderlust der übrigen Engadiner theilen die Tarasper nicht.

Nur ungern trennten wir uns von dem ernsten und erhabenen Anblicke, um, die ungewöhnliche Gunst des Wetters benutzend, eine weitere Merkwürdigkeit Tarasps, seine bereits berühmt werdende Mineralquelle zu besuchen. Eine kleine Stünde weiter abwärts in der Felsschlucht des Inn tritt die in einen niedern steinernen Schacht gefaßte Quelle zu Tage. Ein guter Fußweg durch Wiesen, dann an dem Felsenabhange hinab führt von dem kleinen Dorfe Volperra zu ihr; an die Felswand lehnt sich ein bescheidenes Trinkhaus; einige hundert Schritt lang zieht zwischen Fels und Strom sich ein romantischer Spaziergang hin. Die vortrefflichen Eigenschaften des Wassers, dessen drei Quellen eine etwas abweichende Zusammensetzung zeigen, könnten Tarasp zu einem bedeutenden Kurorte erheben, würde nur der Zugang auf dem wirklich abscheulichen Thalwege verbessert. Die Anfänge zweckmäßiger Einrichtungen, städtischer Bequemlichkeiten, wie sie in einigen guten Gasthäusern der Häusergruppen Volperra und Grimuts anerkennenswerth sich gebildet, würden bald sich vervollkommnen können. So bleibt sein treffliches Wasser rein vernachlässigter Naturschatz, nur von einigen Nachbargegenden Tirols und Graubündens an Ort und Stelle benutzt oder in Flaschen versendet. Das Wasser hat einen ungewöhnlichen Gehalt an Natron in einem Verhältnisse, das die berühmtesten Natronwasser Karlsbad, Eger und Bilin nicht erreichen. Die mit starkem Wallen aufsteigende Kohlensäure theilt dem salzigen frischen Getränke (von einer Temperatur von 5–6° Cels.) einen angenehmen, stechenden Beigeschmack mit. Uebrigens sind die speciell Bad Tarasp genannten Quellen nicht die einzigen selbst nur der nächsten Gegend. In einem Umkreis von einer Stunde treten nicht weniger als zwanzig Mineralquellen der verschiedensten Art, Natronwasser, Eisen- und Schwefelwasser zu Tage, so daß gerade hier in der sonst schon an mineralischen Wasserschätzen reichen Thallinie des Inn ein besonders bedeutender Mittelpunkt zu bestehen scheint, wo der Verbindungen mit dem Erdinnern und der unterirdischen Ausflüsse ungewöhnlich viele zusammengedrängt sind. Alle diese Quellen sind kalt.

Milde und ruhig stieg der Mond über die riesigen Grenzmauern des Engadins herüber, mit seinem Silberlichte die eisigen Höhen des Selvretta, die spitzigen Pyramiden der Piz Pisoc, Plafne, Madlen, Lischany und Uschadera in einen magischen Glanz kleidend, als wir nach des Tages Last und Hitze die Ruhe in den wirthlichen Räumen des Gasthauses suchten. Noch einmal zogen die Bilder der letzten Stunden vor unserm Blicke vorüber. Draußen kämpfte und befehdete sich die Welt; kaum eine verklingende Kunde davon drang in diesen stillen abgelegenen Kreis des einsamen Thales zwischen leise rauschendem Walde, hohen Felsenzinnen und blendenden Gletscherströmen. Die letzten trüben Lichter der kleinen Häuser verloschen; tiefes Schweigen ringsum. Die Natur allein sprach ihre mächtige Sprache zu zwei empfänglichen Gemüthern, die sich gerne ihrem beruhigenden Einfluß überließen. Wie selten ist uns eine stille Einkehr bei uns selbst gestattet! Vielleicht morgen schon hat uns das Leben mit seinen tausend Strebungen und Sorgen wieder in seinen Strudel gerissen, bis uns das letzte Heimweh ergreift wie die Wanderer des Engadins.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: braue
  2. Vorlage: Pisoi