NS-Aufhebungsgesetz
Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege und von Sterilisationsentscheidungen der ehemaligen Erbgesundheitsgerichte
BearbeitenVom 25. August 1998
Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das folgende Gesetz beschlossen:
Artikel 1 Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege (NS-AufhG)
§ 1
BearbeitenDurch dieses Gesetz werden verurteilende strafgerichtliche Entscheidungen, die unter Verstoß gegen elementare Gedanken der Gerechtigkeit nach dem 30. Januar 1933 zur Durchsetzung oder Aufrechterhaltung des nationalsozialistischen Unrechtsregimes aus politischen, militärischen, rassischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen ergangen sind, aufgehoben. Die den Entscheidungen zugrunde liegenden Verfahren werden eingestellt.
§ 2
BearbeitenEntscheidungen im Sinne des § 1 sind insbesondere
- 1. Entscheidungen des Volksgerichtshofes,
- 2. Entscheidungen der aufgrund der Verordnung über die Einrichtung von Standgerichten vom 15. Februar 1945 (RGBl. I S. 30) gebildeten Standgerichte,
- 3. Entscheidungen, die auf den in der Anlage genannten gesetzlichen Vorschriften beruhen.
§ 3
Bearbeiten(1) Ist eine Entscheidung auf die Verletzung mehrerer Strafvorschriften gestützt und liegen die Voraussetzungen des § 1 Satz 1, auch in Verbindung mit § 2, nur hinsichtlich eines Teiles der Entscheidung vor, so wird die Entscheidung insgesamt aufgehoben, sofern der Teil der Entscheidung, der die Voraussetzung des § 1 Satz 1, auch in Verbindung mit § 2, erfüllt, nicht von untergeordneter Bedeutung ist.
(2) Erscheint nach Lage des Falles zweifelhaft, ob die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, so ist die dem Täter günstigere Auslegung zugrunde zu legen.
§ 4
Bearbeiten(1) Ist die Entscheidung in Fällen des § 3 nicht vollständig aufgehoben, so wird auf Antrag der Teil der Entscheidung aufgehoben, für den die Voraussetzungen des § 1 Satz 1, auch in Verbindung mit § 2, vorliegen.
(2) Über den Antrag entscheidet das Landgericht durch unanfechtbaren Beschluß.
§ 5
BearbeitenWeitergehende Vorschriften, die zur Wiedergutmachung oder Beseitigung nationalsozialistischen Unrechts in der Strafrechtspflege erlassen wurden, bleiben unberührt.
§ 6
Bearbeiten(1) Auf Antrag stellt die Staatsanwaltschaft fest, ob ein Urteil aufgehoben ist; hierüber erteilt sie eine Bescheinigung. Antragsberechtigt sind der Verurteilte, nach seinem Tode seine Verwandten und Verschwägerten gerader Linie, seine Geschwister, der Ehegatte und der Verlobte. Sind alle Antragsberechtigten verstorben oder ist ihr Aufenthalt unbekannt, so hat die Staatsanwaltschaft die Feststellung von Amts wegen zu treffen, wenn dafür ein berechtigtes Interesse dargetan wird.
(2) Zuständig ist die Staatsanwaltschaft, die das Verfahren eingeleitet hat, das der in § 1 genannten Entscheidung vorausgegangen ist. Wird am Sitz dieser Staatsanwaltschaft keine deutsche Gerichtsbarkeit ausgeübt oder läßt sich die Staatsanwaltschaft nicht bestimmen, so ist die Staatsanwaltschaft zuständig, in deren Bezirk der Betroffene zum Zeitpunkt der Tatbegehung seinen Wohnsitz hatte. Wird auch am Sitz der Staatsanwaltschaft keine deutsche Gerichtsbarkeit ausgeübt oder läßt sich diese Staatsanwaltschaft aus anderen Gründen nicht bestimmen, so wird die zuständige Staatsanwaltschaft durch den Bundesgerichtshof bestimmt. Die Staatsanwaltschaft teilt dem Bundeszentralregister die Feststellung der Urteilsaufhebung mit.
(3) Absatz 1 Satz 2 und 3, Absatz 2 gelten für Entscheidungen nach § 4 sinngemäß.
§ 7
BearbeitenDie Aufhebung des Urteils umfaßt auch alle Nebenstrafen und Nebenfolgen.
§ 8
BearbeitenEintragungen im Bundeszentralregister über Urteile, deren Aufhebung gemäß § 6 festgestellt worden ist, sind zu tilgen.
Artikel 2
Gesetz zur Aufhebung von Sterilisationsentscheidungen der ehemaligen Erbgesundheitsgerichte
§ 1
Bearbeiten(1) Die eine Unfruchtbarmachung anordnenden und noch rechtskräftigen Beschlüsse, die von den Gerichten aufgrund des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933 (RGBl. I S. 529), zuletzt geändert durch Gesetz vom 4. Februar 1936 (RGBl. I S. 119), erlassen worden sind, werden aufgehoben.
(2) Die Aufhebung kann nicht zum Nachteil eines Dritten geltend gemacht werden.
§ 2
BearbeitenDie Verordnung über die Wiederaufnahme von Verfahren in Erbgesundheitssachen vom 28. Juli 1947 (Verordnungsblatt für die Britische Zone, S. 110; BGBl. III 316–1a) tritt außer Kraft.
Artikel 3
Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung in Kraft.
[Ausgefertigt]
BearbeitenDas vorstehende Gesetz wird hiermit ausgefertigt und wird im Bundesgesetzblatt verkündet.
Berlin, den 15. August 1998
Der Bundespräsident
Roman Herzog
Der Bundeskanzler
Dr. Helmut Kohl
Der Bundesminister der Justiz
Schmidt-Jortzig
Der Bundesminister der Finanzen
Theo Waigel
Anlage (zu Artikel 1 § 2 Nr. 3)
Bearbeiten- 1. Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich vom 24. März 1933 (RGBl. I S. 141)
- 2. Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 (RGBl. I S. 175)
- 3. Gesetz zur Änderung von Vorschriften des Strafrechts und des Strafverfahrens vom 24. April 1934 (RGBl. I S. 341)
- 4. Gesetz zum Schutz der nationalen Symbole vom 19. Mai 1933 (RGBl. I S. 285)
- 5. Gesetz gegen die Neubildung von Parteien vom 14. Juli 1933 (RGBl. I S. 479)
- 6. Gesetz über Volksabstimmung vom 14. Juli 1933 (RGBl. I S. 479)
- 7. Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat vom 1. Dezember 1933 (RGBl. I S. 1016)
- 8. Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutz der Parteiuniformen vom 20. Dezember 1934 (RGBl. I S. 1269)
- 9. Reichsflaggengesetz vom 15. September 1935 (RGBl. I S. 1145)
- 10. Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre vom 15. September 1935 (RGBl. I S. 1146)
- 11. Reichsbürgergesetz vom 15. September 1935 (RGBl. I S. 1146)
- 12. Preußisches Gesetz über die Geheime Staatspolizei vom 10. Februar 1936 (G. S. 21)
- 13. Gesetz über die Hitlerjugend vom 1. Dezember 1936 (RGBl. I S. 993)
- 14. Verordnung gegen die Unterstützung der Tarnung jüdischer Gewerbebetriebe vom 22. April 1938 (RGBl. I S. 404)
- 15. Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden vom 26. April 1938 (RGBl. I S. 414)
- 16. Gesetz zur Änderung der Gewerbeordnung für das Deutsche Reich vom 6. Juli 1938 (RGBl. I S. 823)
- 17. Zweite Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Änderung von Familiennamen und Vornamen vom 17. August 1938 (RGBl. I S. 1044)
- 18. Verordnung über Reisepässe von Juden vom 5. Oktober 1938 (RGBl. I S. 1342)
- 19. Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben vom 12. November 1938 (RGBl. I S. 1580)
- 20. Polizeiverordnung über das Auftreten der Juden in der Öffentlichkeit vom 28. November 1938 (RGBl. I S. 1676)
- 21. Verordnung über den Nachweis deutschblütiger Abstammung vom 1. August 1940 (RGBl. I S. 1063)
- 22. Polizeiverordnung über die Kennzeichnung der Juden vom 1. September 1941 (RGBl. I S. 547)
- 23. Verordnung über die Beschäftigung von Juden vom 3. Oktober 1941 (RGBl. I S. 675)
- 24. Erlaß des Führers über die Rechtsstellung der NSDAP vom 12. Dezember 1942 (RGBl. I S. 733)
- 25. Polizeiverordnung über die Kenntlichmachung der im Reich befindlichen Ostarbeiter und -arbeiterinnen vom 19. Juni 1944 (RGBl. I S. 147)
- 26. Folgende Vorschriften des Strafgesetzbuches für das Deutsche Reich vom 15. Mai 1871 in seiner am 30. Januar 1946 gültigen Fassung: §§ 2, 9, 10, 16 Abs. 3, § 42a Nr. 5, § 42k, 80 bis 94 einschließlich, § 102, 103, 112, 134a, 134b, 140, 140a, 140b, 141, 141a, 142, 143, 143a, 175, 175a Nr. 4 in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs vom 28. Juni 1935 (RGBl. I S. 839), § 189 Abs. 3, § 210a, 226b, 291, 353a, 370 Nr. 3[1]
- 26a. §§ 62 bis 65, 67, 69, 71 bis 73, 77, 78, 80 bis 85, 87, 89, 91, 92, 94 bis 97, 99 bis 104, 106 bis 108, 110 bis 112, 139, 141, 144, 147, 147a, 150 des Militärstrafgesetzbuches in den Fassungen der Gesetze vom 16. Juni 1926 (RGBl. I S. 275), 16. Juli 1935 (RGBl. I S. 1021) und 10. Oktober 1940 (RGBl. I S. 1347)[2]
- 27. Gesetz über Verhängung und Vollzug der Todesstrafe vom 29. März 1933 (RGBl. I S. 151)
- 28. Gesetz zur Gewährleistung des Rechtsfriedens vom 13. Oktober 1933 (RGBl. I S. 723)
- 29. Gesetz über Maßnahmen der Staatsnotwehr vom 3. Juli 1934 (RGBl. I S. 529)
- 30. Verordnung über das Sonderstrafrecht im Krieg und bei besonderem Einsatz (Kriegssonderstrafrechtsverordnung) vom 17. August 1938 (RGBl. 1939 I S. 1455)
- 31. Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen vom 1. September 1939 (RGBl. I S. 1683)
- 32. Verordnung gegen Volksschädlinge vom 5. September 1939 (RGBl. I S. 1679)
- 33. Verordnung zur Ergänzung der Strafvorschriften zum Schutz der Wehrkraft des deutschen Volkes vom 25. November 1939 (RGBl. I S. 2319)
- 34. Verordnung zum Schutze des Reichsarbeitsdienstes vom 12. März 1940 (RGBl. I S. 485)
- 35. Verordnung zum Schutze der Metallsammlung des deutschen Volkes vom 29. März 1940 (RGBl. I S. 565)
- 36. Verordnung über die Strafrechtspflege gegen Polen und Juden in den eingegliederten Ostgebieten vom 4. Dezember 1941 (RGBl. I S. 759)
- 37. Verordnung des Führers zum Schutze der Sammlung von Wintersachen für die Front vom 23. Dezember 1941 (RGBl. I S. 797)
- 38. Verordnung des Führers zum Schütze der Rüstungswirtschaft vom 21. März 1942 (RGBl. I S. 165)
- 39. Verordnung über den Schutz der Waffenabzeichen der Wehrmacht vom 3. Mai 1942 (RGBl. I S. 277)
- 40. Verordnung zur Sicherung des totalen Kriegseinsatzes vom 25. August 1944 (RGBl. I S. 184)
- 41. Polizeiverordnung über das Betreten von Seeschiffen in deutschen Häfen vom 16. September 1944 (RGBl. I S. 223)
- 42. Verordnung zur Sicherung des Fronteinsatzes vom 26. Januar 1945 (RGBl. I S. 20)
- 43. § 1 des Gesetzes zur Änderung des Reichsstrafgesetzbuches vom 4. September 1941 (RGBl. I S. 549)
- 44. Abschnitt IV der Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz des Deutschen Volkes vom 4. Februar 1933 (RGBl. I S. 35)
- 45. Verordnung des Reichsministers des Innern über das Verbot kommunistischer Demonstrationen im Freistaat Sachsen vom 21. Februar 1933 (RGBl. I S. 78)
- 46. § 5 der Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat vom 28. Februar 1933 (RGBl. I S. 83)
- 47. Verordnung des Reichspräsidenten gegen Verrat am Deutschen Volke und hochverräterische Umtriebe vom 28. Februar 1933 (RGBl. I S. 85)
- 48. Verordnung des Reichspräsidenten zur Abwehr heimtückischer Angriffe gegen die Regierung der nationalen Erhebung vom 21. März 1933 (RGBl. I S. 135)
- 49. Verordnung des Reichspräsidenten über die Gewährung von Straffreiheit vom 21. März 1933 (RGBl. I S. 134)
- 50. Gesetz zur Abwehr politischer Straftaten vom 4. April 1933 (RGBl. I S. 162)
- 51. § 1 des Gesetzes über die Gewährung von Straffreiheit vom 23. April 1936 (RGBl. I S. 378)
- 52. Gesetz gegen Wirtschaftssabotage vom 1. Dezember 1936 (RGBl. I S. 999)
- 53. Gesetz zum Schutze von Bezeichnungen der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei vom 7. April 1937 (RGBl. I S. 442)
- 54. Gesetz gegen Straßenraub mittels Autofallen vom 22. Juni 1938 (RGBl. I S. 651)
- 55. §§ 3 und 8 des Gesetzes zur Änderung des Reichsstrafgesetzbuches vom 4. September 1941 (RGBl. I S. 549)
- 56. Polizeiverordnung über das Photographieren und sonstige Darstellen verkehrswichtiger Anlagen vom 29. März 1942 (RGBl. I S. 156)
- 57. Verordnung zur Erweiterung und Verschärfung des strafrechtlichen Schutzes gegen Amtsanmaßung vom 9. April 1942 (RGBl. I S. 174)
- 58. Verordnung des Führers zum Schutz der Sammlung von Kleidung und Ausrüstungsgegenständen für die Wehrmacht und den Deutschen Volkssturm vom 10. Januar 1945 (RGBl. I S. 5)
- 59. Volkssturmstrafrechtsverordnung (VOSTVO) vom 24. Februar 1945 (RGBl. I S. 34)
einschließlich aller zusätzlichen Durchführungsbestimmungen, Verordnungen und Erlasse.