Nürnberg und die baierische Landesausstellung

Textdaten
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Autor: Karl Braun-Wiesbaden
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Titel: Nürnberg und die baierische Landesausstellung
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 35, S. 572–577, 584
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Nürnberg und die baierische Landesausstellung.

Von Karl Braun-Wiesbaden. Mit Abbildungen von Prof. Rudolf Geißler.


Es war am Sonnabend vor Pfingsten 1882, als ich früh vor vier Uhr in Nürnberg einfuhr, um die Ausstellung zu sehen.

Bilder aus der baierischen Landesausstellung in Nürnberg:
Das Hauptgebäude.

Noch war es nicht ganz helle, und der Dämmerschein hatte eine blaugraue Hülle um die Gebäude geschlungen, in welchen und um welche eine geradezu unheimliche Stille herrschte, als ob die ganze Stadt ausgestorben wäre. Vor zwanzig, dreißig Jahren hatte ich öfters hier verweilt. Ich erkannte die einzelnen Häuser wieder. Dort der halb verwitterte dunkle Stein-Riese mit dem hohen zweifachen Giebel und der Pechnase über dem Eingangsthor – sollte ich den denn nicht kennen?

„Guten Morgen, altes Haus!“ rief ich ihm zu.

„Guten Morgen, mein alter Junge!“ scholl es zurück. „Wie geht es? Bist inzwischen hübsch grau geworden.“

„Und Du schwarz.“

„Soll aber uns Beiden nichts schaden. Ich weiß noch von damals: Deine Constitution ist gut und die meine noch besser.“

„Ja, es ist lange her, daß wir uns nicht gesehen haben, wohl zwanzig Jahre.“

„Ist Deine Schuld, mein alter Junge; Du kannst zu mir kommen, aber ich nicht zu Dir. Wo hast Du denn gesteckt die Zeit über?“

Ich nannte verschiedene Länder im deutschen Osten und Norden. Da zog das alte Haus sein breites Thor, das nun wie ein Mund aussah, noch mehr in die Breite, rümpfte die darüber befindliche Pechnase und sprach in höhnischem Tone:

„So, so? Also da hinten herum, bei den heidnischen Kassuben, Littauern, Russen, Sorben und Wenden! Pfui Teufel!“

„Was doch so ein altes christlich-germanisches Haus vorurtheilsvoll und grob sein kann!“ sagte ich und fuhr eilig weiter.

Im „Rothen Roß“ fand ich das bestellte Quartier in Bereitschaft – ein mächtiges großes Zimmer, in dem man einen Ball geben könnte, jetzt aber zu meinem Privatgebrauch durch spanische Wände in Wohn- und Schlafraum abgeschieden. Das ist auch so ein altes Nürnberger Haus, dieses „Rothe Roß“, das ich schon seit dreißig Jahren besuche. Fünfhundert Jahre steht es schon. Im fünfzehnten und sechszehnten Jahrhundert erfreute sich „das roth Rößlein, ein Wierthshaus am Wein-Marck“, eines absonderlichen Ansehens. Die Stadt pflegte hohe Gäste hier einzuquartieren, wo sie mit dem besten Wein aus dem Rathskeller tractirt und dann auch noch mit dem werthvollen Pokal beschenkt wurden, daraus sie getrunken. Ottavio Piccolomini hat hier Anno 1649 schräg gegenüber gewohnt; ich konnte von meinem Quartier aus in seine Fenster sehen. Das „Roß“ ist in den Händen deutscher, italienischer und französischer Wirthe gewesen: Erhard Rauh (1548), P. Roth (1760), Finsterer, Havard sind hier auf einander gefolgt. Im Jahre 1834 übernahm es Paolo Galimberti, und nach einer zehnjährigen Zwischenherrschaft unter einem gewissen Bauer, ist es jetzt wieder unter die italienische Dynastie zurückgekehrt, welche hier unter dem Namen „Galimberti u. Sohn“ ein segensreiches Regiment führt. Allzu häufiger Dynastiewechsel pflegt einem Lande in der Regel schlecht zu bekommen. In dem „Roth-Rößli“ aber hat er durchaus nichts geschadet.

Ich zog mich alsbald hinter meine spanische Wand zurück und schlief ein paar Stunden, aber präcis acht Uhr, wo die „Bairische Landes-Industrie-, Gewerbe- und Kunstausstellung“ (da mir dieses sechszehnsilbige Wort ein wenig zu lang ist, werde ich in Zukunft einfach „die Ausstellung“ sagen) eröffnet wurde für Diejenigen, welche ein Zwei-Mark-Stück an sie wagen wollten – von zehn Uhr Vormittags kostete sie dann nur noch eine Mark – präcis acht Uhr also war ich wieder gestiefelt und gespornt.

„Wo ist die Ausstellung?“ fragte ich.

„Auf dem Maxfeld,“ lautete die Antwort.

„Maxfeld? Maxfeld? Nie was davon gehört! Eine wahre Unsitte, alle Straßen und Plätze umzutaufen und sich dazu bloßer Vornamen zu bedienen, welche für die Meisten nicht mit einem Begriffe oder einer Vorstellung verknüpft sind. Wo liegt denn dieses Maxfeld, und wie hat es früher geheißen?“

Das Letztere wußte natürlich der Kellner nicht; denn er war kein Nürnberger. Aber die Lage des Maxfeldes beschrieb er ganz richtig. Es liegt im Nordosten der Stadt, außerhalb des Lauferthores, wohin man früher selten zu kommen pflegte, wo aber jetzt ganz neue Häuser-Viertel entstanden sind. Die neuen Häuser vor dem Lauferthore bestehen zum Theil, statt der scheußlichen Miethcasernen, welche man in Hamburg „Etagenhäuser“ und in Wien „Zinshäuser“ nennt, aus hübschen Einzelwohnungen – für je ein Haus nur eine Familie, ein Wohnungssystem, welches in England das herrschende ist, in Deutschland aber bis jetzt, soviel ich weiß, nur in Bremen festen Fuß gefaßt hat, obwohl es auf das Nachdrücklichste empfohlen zu werden verdient.

[573] Der Eingang zur Ausstellung ist schwierig, wie der Weg zum Himmelreich. Erst muß man nach der Casse suchen, welche sich jenseits der Straße befindet und äußerlich nur wenig kenntlich ist. Allein man wird reichlich belohnt für die Ueberwindung dieser kleinen Schwierigkeit. Durch das Hauptthor eingetreten, hat man ein Paradies vor sich – vorausgesetzt, daß die Sonne scheint; denn schönes Wetter gehört zu Ausstellungen und Festen. Vor Allem sieht man einen prachtvollen Park mit großen, laubigen und vollsaftigen alten Bäumen, mit schönen Weg-, Wiesen- und Beetanlagen, mit kleinen Seen und hübschen Springbrunnen, mit malerischer Decoration und Architektur und dazu allerlei Menschen-Staffage. Wenn auch die Gebäude, deren Spitzen und Kuppeln, Rotunden und Thürme hinter und über dem üppigen Saftgrün hervorschimmern, gar nicht den Zweck einer Ausstellung hätten, wenn sie blos decorative Wände wären, man würde dennoch dem Ganzen seinen lebhaftesten Beifall nicht versagen können.


Bilder aus der baierischen Landesausstellung in Nürnberg: Die „Kosthalle des bürgerlichen Brauhauses“ in München.


Aber das ist noch das Geringste, was man an dieser sinnreichen Anlage loben muß. Während man bei anderen Ausstellungen der Axt des Baumfällers nicht gewehrt, hat man hier den entgegengesetzten Weg eingeschlagen: man hat, nachdem das Maxfeld zum Ausstellungsplatze bestimmt war, sämmtliche Bäume des Platzes nach Standort, Größe und Umfang genau aufgenommen und dann erst die Gebäude in den Grundriß eingezeichnet. Dem Letzteren ist nicht ein einziger Baum zum Opfer gefallen. So ist es denn auch gekommen, daß man nicht den ganzen Gebäudecomplex auf eine zusammenhängende Fläche concentriren konnte. Aber auch das gereichte dem Ganzen zum Vortheil.

Ich will das näher erläutern. Daß z. B. die Maschinenhalle in die äußerste nordöstliche Ecke verwiesen werden mußte, ist ein offenbarer Vorzug. Die meisten Menschen verstehen nichts von Maschinen, und die Wenigen, welche etwas davon verstehen, werden den besonderen Gang nach der Halle nicht scheuen und froh sein, daß sie hier von der unverständigen Menschenmenge in ihren Studien nicht gestört werden. Zweitens machen die Maschinen, wenn sie in Bewegung gesetzt werden, ein Geräusch, das nicht sehr angenehm ist und Jedenfalls Denjenigen, welche Bilder und Statuen betrachten oder die Erzeugnisse des Gewerbefleißes studiren wollen, störend sein würde. Endlich drittens ist der Maschinenraum immer etwas feuergefährlich, und es erscheint daher sehr zweckmäßig, daß man ihn isolirt hat, wozu dann noch viertens – und das hätte ich beinahe vergessen – hinzukommt, daß man an diesem entlegenen Platze das Geld für eine glänzende Façade und andere derartige Künste sparen konnte.

Die anderen Gebäulichkeiten, nämlich erstens das Hauptausstellungsgebäude, zweitens der Pavillon für bildende Kunst, und drittens der Pavillon für Verkehrs- und Unterrichtsanstalten, liegen auch getrennt von einander. Für Diejenigen jedoch, welche die Sonnenstrahlen oder ein paar Regentropfen scheuen (zu Letzteren gehören unter Anderem auch die Damen, die für ihre Toiletten fürchten), ist durch eine gedeckte Gallerie gesorgt, welche die verschiedenen Einzelgebäude mit einander verbindet. Wir Anderen, wir gewöhnlichen Menschen, welche für ihren Teint von der Sonne nichts zu fürchten haben und auch eine wetterfeste Toilette besitzen, wir nehmen unseren Weg von einem Ausstellungspalaste zum andern mitten durch den Park, wo wir unsere von dem ewigen Betrachten und Untersuchen angestrengten Seh- und sonstigen Nerven sich wieder erholen lassen, indem wir, statt Ausstellungsgegenstände zu betrachten, zur Abwechslung einmal das Ohr spitzen, um den Gesprächen der Ausstelltungsgäste zu lauschen, welche in baierischer, fränkischer, schwäbischer, pfälzischer, mitunter auch in schriftdeutscher und nur selten in nichtdeutscher Zunge geführt werden, oder indem wir einen der Baumriesen bewundern und uns in dessen Schatten auf einer Gartenbank niederlassen, wohin uns ein benachbarter Springbrunnen einige kühlende Tropfen sendet. Eine solche beschauliche Siesta, während welcher man in seinen Ausstellungsbüchern blättert – leider sind sie unförmlich dick, und es sind deren zu viele, sodaß man sich dafür beinahe einen eigenen Träger mitnehmen müßte – eine solche Siesta wird Jeder für sehr erwünscht halten, der aus eigener Erfahrung weiß, wie sehr der stundenlang fortgesetzte Besuch einer Ausstellung ermüdet.

Und der Stil der Gebäude?

Ich weiß nur, daß alle Baugelehrten, die ich die Ehre hatte in der Ausstellung zu sprechen, diesen Stil verurtheilten, oder vielmehr behaupteten, das Alles sei bedauerlich stillos. Man sprach von arabischem, türkischem, maurischem Stil, von Rococo-, von Schnörkel- oder Zopfstil, ja sogar von Tischler-, Drechsler- und [574] Zuckerbäckerstil. Die Gebäude, so hieß es, spielten gar keine dominirende Rolle, sie verschwänden zwischen und hinter den Bäumen, da sie decorativ, aber nicht architektonisch gehalten seien. Ich ließ Jeden nach Herzenslust räsonniren, und wenn er mich dann fragte, ob ich nicht ganz mit ihm einverstanden sei, machte ich von meiner persönlichen Freiheit Gebrauch und antwortete:

„Im Gegentheil, ganz und gar nicht. Ich bin der Meinung, daß Ihr Baugelehrten die Köpfe zu sehr voll habt von Pedanterien und Vorurtheilen. Ich bin der Meinung, daß der Vorzug dieser Baukunst gerade darin besteht, daß sie nicht nach den alten Schablonen gemacht ist, die wir ja Alle schon bis zum Ueberdruß kennen, sondern daß sie versucht, nicht nur zweckmäßig, sondern auch neu und schön zu sein und sich dem Ganzen, von welchem sie einen integrirenden Bestandtheil bildet und welchem sie zu dienen bestimmt ist, unterzuordnen. Sie wollen nicht dominiren, die Gebäude, und das ist ihr Hauptvorzug; denn Das da ist doch keine Architektur-Ausstellung und kein architektonisches Versuchsfeld, sondern ein Park mit einer Gewerbe- und Kunstausstellung, und wenn nun diese Gebäude sich vernünftiger Weise bescheiden, als Zier- und Ausstattungsstücke dieses schönen Parks zu figuriren, und mit den massenhaften prachtvollen Baumgruppen ein einheitliches künstlerisches Ganze zu bilden – und so hat der Director Gnauth, der das Alles allein componirte, seine Aufgabe mit Recht aufgefaßt – so ist das Höchste erreicht und unter allen Umständen weit mehr geleistet, als wenn man da hohe, kostspielige, anspruchsvoll-gespreizte, steife Baumassen hingestellt hätte, die ihrem Zweck nicht entsprechen und mit dem Uebrigen nicht harmoniren. Nennt das meinetwegen Zopf oder Rococo, maurisch oder wie Ihr wollt. Ich sage: es ist schön und stimmt zu dem Ganzen.“

Endlich gelang es mir auch, die Geschichte des „Maxfeld“ zu ermitteln. Es hat früher „der Judenbühl“ geheißen und war zeitweise der Schauplatz jener religiösen Verfolgungen, welche einigen Blättern der sonst glorreichen Geschichte der deutschen Reichsstädte einen schweren Makel aufdrücken. Hier wurden unschuldige Juden, welchen man Verbrechen zur Last legte, die nur Phantasieproducte einer von gewissenlosen Hetzern toll gemachten Menge waren, zu Tode gemartert, und das düstere Drama fand schließlich einen Abschluß in einer Massenverbrennung nach spanischem Zuschnitt. Der Magistrat von Nürnberg machte schon im Jahre 1473 bei dem Kaiser, unter dessen Schutz die Judenschaft stand, den Versuch, eine Ausweisung derselben zu erwirken. Der Kaiser wies den Versuch zurück. Erst 1498, unter Kaiser Max, ist er gelungen. Maximilian genehmigte die Vertreibung, und schrieb – gleichsam um über die Beweggründe keinen Zweifel zu lassen – gleichzeitig an Herrn Wolfgang von Parsberg, „des Kaisers und des heiligen römischen Reichs Schultheißen zu Nürnberg“, daß er „die sämmtlichen Häuser der Juden, die Synagoge und alle anderen liegenden Güter und Gründe, sammt dem jüdischen Leichenhofe, als kaiserliche Kammergüter auf sein Geheiß und auf seinen Namen in Besitz nehmen solle“.

Und Dem ist denn auch also geschehen. Das war nicht kaiserlich, sondern communistisch und ist auch nicht zu entschuldigen durch die große Finanznoth, in der sich Kaiser Maximilian damals befunden. Auf Mittfasten 1499 sind dann sämmtliche Juden mit Frau und Kind aus der Stadt auf den Judenbühl gezogen und von hier aus nach allen Richtungen der Windrose gegangen. Die Markgräfin Anna von Brandenburg hat sich ihrer warm angenommen, und die Meisten erreichten Unterkunft in der freien Stadt Frankfurt am Main. Andere fanden eine neue Heimath in den näher gelegenen onolzbachschen (das ist anspachischen) Orten, in Fürth, Schneitlach, Hüttenbach, Bruck, Neumarkt, Sulzbach etc.

Wie aber die Bürger innerhalb ihrer Ringmauern Unschuldige peinigten, so wurden sie selbst wieder außerhalb der Stadtmauern unschuldig gepeinigt. Dafür nur ein Beispiel! Unter dem Jahre 1382 – es sind also gerade fünfhundert Jahre her – schreibt der Annalist:

„Johann von Rotenstein hat dem Rathe zu Nürnberg abgesagt (das heißt ihm die Fehde angekündigt), darumb, daß der Rath seinen Knecht Peter von Ortengluching als einen Leuteschinder und Straßenräuber hat niederwerfen und enthaupten lassen. Auch haben dies Jahr Burckard von Seckendorff und Ernst von Seckendorff, genannt ‚Hörauf‘, Ulrich von Wildenstein, Reichhard von Wenkstein und Lutz von Egersdörfer, sammt ihren Helfern und Helfershelfern, ein Reiten gethan wider Hilpold von Stein; und obwohl die Stadt Nürnberg mit dieser Fehde nichts zu thun gehabt, so sind doch die Nürnbergischen Unterthanen merklich beschädigt und ihnen über dreißig Höfe und Güter niedergebrannt worden; sonderlich sind dem Peter Mendel und dem Moritz Mendel zwei Häuser zu Elßenbach, drinnen dreißig Simmer Korn, fünfzehn Fuder Heu, viel Hausrath, sammt einem Kinde, verbrunnen; Dergleichen ist anderen Orten auch geschehen, wie in dem Nürnbergischen Achtsbuch des Längeren zu lesen. Hat also die Bürgerschaft zu Nürnberg dies Jahr große Feindtschaft gehabt, die sie allenthalben hat angegriffen und beschädigt; und zwar sind auch etzliche abtrünnige Burger gewest, Namens Burkard Gailler, Kunrad Schmalz und Andere Mehr, die diesen Befehdern Hülfe und Fürschub zum Zugreifen gethan haben. Seind also dieses wüsten Wesens halber gefährliche Zeitläufte, sonderlich für die Handelsleute, und seind die Straßen allenthalben unsicher gewest.“

Dieser Bericht der Nürnberger Chronik von 1382, den ich erst vor Kurzem gelesen, fiel mir wieder ein, als ich 1882 im Nürnberger Ausstellungspark saß unter einem mächtigen Kastanien- oder Nußbaume – ringsum die Producte einer hochentwickelten Industrie und Kunst, und Leute „aus aller Herren Ländern“, welche Leute unter dem Schutze der Cultur, der Civilisation, des Friedens und der Freiheit hierher gekommen waren, um diese Werke des Friedens, des Fortschritts und der Culturentwickelung zu betrachten. Ein Blick auf diese Umgebung, in der Alles lachte und lebte, aber Niemand bangte und bebte, eine Vergleichung dieses frohmüthigen und sonnenhellen Bildes mit den oben geschilderten Hergängen von 1382 und 1499 zwang mir die Frage auf: wie lange wird es noch Menschen geben, die albern genug sind, an das tausendmal widerlegte Märchen von der guten alten Zeit noch immer zu glauben? Wie lange wird es noch Menschen geben, die gewissenlos genug sind, den Leuten einzureden, die Schädigung des Nachbarn sei ihr einziger Vortheil, und sie aufzustacheln zu Schandthaten, wie sie vormals gespielt haben hier auf diesem „Judenbühl“, der jetzt Maxfeld genannt wird?

Ist dieses Maxfeld in seiner neuesten Gestaltung nicht selbst ein herzerfreuendes Beispiel des Fortschritts?

Die große Fläche von mehr als 120,000 Quadratmeter war bis dahin trotz ihrer schönen Bäume, unter welchen sich namentlich die stattlichsten Linden und Kastanien hervorthun, wenig beachtet worden. Die Masse der Bevölkerung mied sie; höchstens suchten dort einsame Spaziergänger etwas Erholung. Anno 1848 hatten hier große Volksversammlungen mit stürmischen Reden stattgefunden, etwa wie damals in Berlin „unter den Zelten“. Dann war das Maxfeld wieder in sein Dunkel zurückgesunken. Es lag außerhalb der städtischen Bewegung. Erst nachdem die Direction des Gewerbemuseums den Platz in gerechter Würdigung seiner Schönheit für die Ausstellung ausgewählt und der Magistrat der Stadt, welcher das Maxfeld gehört, dasselbe zu diesem Zwecke der Commission zur Verfügung gestellt hatte, begann man es gartenkünstlerisch zu behandeln in einer Weise, die selbst einem Fürsten Pückler-Muskau zur Ehre gereicht haben würde. Auch das hatte freilich, wie alles Gute und Schöne, seine besonderen Hindernisse und Schwierigkeiten. Verschiedene in der Nähe des Platzes gelegene Gemeinden machten allerlei Servituten an demselben geltend, wie Fahr-, Gang-, Wegerechte und sogar Trieb- oder Triftgerechtigkeiten für die Viehheerden. Es gelang jedoch, sich mit diesen Prätendenten zu verständigen. Und nun konnte es denn mit der Kunstgärtnerei losgehen, welche an Stelle der alten Viehtriften zierliche Blumenbeete, pleasure-grounds und Wege schuf, aber auch bei dieser Anlage mit der größten Pietät vorschritt, um alle Bäume und größeren Gesträuchanlagen zu erhalten. Die Ausstellungscommission hat ganz Recht, sich dessen zu berühmen. Es geschieht mit den Worten:

„Wenn bei der ersten Weltausstellung 1851 in dem Hyde-Park in London die Rücksicht auf die Bäume des Parks soweit ging, daß eine alte Linde, welche in dem Raume wuchs, der für das Ausstellungsgebäude bestimmt war, dadurch erhalten wurde, daß man sie in den Krystallpalast einbaute und diesem ausschließlich zum Zwecke der Erhaltung des Baumes eine Glaskuppel aufsetzte an dieser Stelle, wo man sonst Steine aufgerichtet hätte, so hat die Baierische Landesausstellung nicht minder rücksichtsvoll mit größter Sorgfalt jeden Eingriff in die vorhandenen Baumanlagen vermieden.“

Und dann hat sie für Wasser gesorgt, um die Baum-, Park- und Zieranlagen stets bei der nöthigen Frische zu erhalten, um [575] einen kleinen See zu füllen, den man da ausgegraben, und eine Anzahl von Fontainen zu speisen. Das Wasser wird durch ein Pumpwerk aus der Pegnitz gehoben, durch eine Rohrleitung in die Reservoirs an der Maschinenhalle geführt und von da wieder auf die verschiedenen Stellen der Ausstellung und des Parks vertheilt. Die Fontainen, das Pumpwerk, die Rohrleitung, das Gaswerk, das Musikzelt, die verschiedenen Pavillons, die altdeutsche Weinstube, das Empfangsgebäude, alle die Pflanzen und Blumen der baierischen Gartenbau-Vereine – kurz Alles und Jedes ist nicht nur Hülfsmittel, sondern auch selbst wieder Ausstellungsobject, Mittel und Zweck zugleich geworden: es dient der Ausstellung und stellt sich selbst aus.

Bei jedem Schritte hat man als wißbegieriger Tourist auf etwas zu achten. Aber auch bei jedem Schritt wird man stärker beseelt von dem Bewußtsein, daß wir Deutsche nun doch endlich auch das Ausstellen gelernt haben. Ich habe alle europäischen Weltausstellungen seit 1851 mitgemacht. Die anmaßliche Kritik der Erzeugnisse deutschen Gewerbfleißes, die sich in das unüberlegte Wort „Billig und schlecht“ zusammenfaßte, ist stets eine Unwahrheit gewesen (wenigstens in dieser Allgemeinheit). Dagegen ist es wahr, daß der Zollverein, oder Deutschland, trotz aller inneren Tüchtigkeit, es nicht recht verstanden, uns auf eine gute Art angenehm und liebenswürdig zu präsentiren.

Schon die Austellungen in Berlin, Düsseldorf, Breslau und Stuttgart haben uns gezeigt, daß wir jenen früheren Fehler des aschenbrödelhaften Auftretens überwunden haben und unsere Ausstellungen auch in eine geschmackvolle und künstlerische Form zu bringen wissen. Und wo sollte das bester gelingen, als in Nürnberg, in der Stadt der ersten deutschen Kunstschule, oder wenn man lieber will „Malerzunft“, wo zugleich eine Stätte vorhanden war, wie man sie nicht schöner hätte wünschen können?

Ich habe nicht die Absicht, auf die einzelnen Ausstellungsbranchen und Ausstellungsgegenstände einzugehen. Das besorgen die Zeitungen und Fachzeitschriften. Ich will nur eine Gesammtskizze geben, welche die charakteristischen Eigenthümlichkeiten gerade dieser Ausstellung hervortreten läßt.

Zu diesen Eigenthümlichkeiten gehört nun aber vor Allem die Methode der Eintheilung der Gruppen. Diese Eintheilung folgt nicht den Provinzen, Kreisen und Städten; sie folgt auch nicht den Fabrikaten. Sie folgt den Rohstoffen, als da sind: Feldfrüchte, vegetabilische Fasern, animalische Fasern, Felle und Häute, Gummi und Guttapercha, Stein und Horn, Meerschaum und Bernstein, Glas und Thon, Gyps und Cement, Metall und Holz etc. Dies hat zwei Vortheile. Einmal kann man dem ganzen Entwickelungs- und Gestaltungsprocesse folgen: vom Rohproduct zum Halbfabrikat und von diesem zum Ganzfabrikat und den façonnirten Artikeln. Der zweite Vortheil aber ist, daß man hier so recht mit den Händen greifen kann, wie unrecht eine Handelspolitik thut, wenn sie vor Allem darauf ausgeht, die Rohstoffe und Halbfabrikate zu vertheuern; denn dadurch nimmt sie unserer sonst ebenso exportfähigen wie exortbedürftigen Industrie die Möglichkeit, mit dem Auslande zu concurriren.

Eine weitere Eigenthümlichkeit ist der in den Durchgangshallen zum ersten Male gemachte Versuch, die Ausstellungsgegenstände von dem Zuschauer in der Weise abzuschließen, daß diese Objecte die volle Beleuchtung haben, während der Beschauer im Halbdunkel steht. Die beweglichen Glasabschlüsse, deren man sich hierbei bedient, haben allerlei Vortheile: sie gewähren Schutz gegen Beschädigung durch Staub etc. und ersparen dem Aussteller die Ausgabe für den Schrank oder, wie man in neuerer Zeit sagt, für die „Vitrine“.

Diese Schränke- und Vitrinenkosten waren der Gegenstand lebhafter Beschwerden für viele unserer Aussteller und haben zu recht unangenehmen Processen Anlaß gegeben. Doch sprechen wir nicht von solchen „garstigen“ Dingen! Erfreuen wir uns lieber an den Erzeugnissen der Kunst und der Kunstgewerbe, und noch mehr an den frohen Menschen, die bestrebt sind, sich ihrer zu erfreuen, und daneben sich auch leiblich und geistig zu erfrischen! Denn auch dafür ist reichlich gesorgt, sowohl drinnen wie draußen, sowohl in Bier wie in Wein.

Inwendig sind die „Kosthallen“, auswendig die Kneipen die auch hier lokal concentrirt sind, ähnlich wie 1897 in Berlin, wo man die betreffende Fläche des Ausstellungsparkes „die nasse Ecke“ zu nennen pflegte.

Flaniren wir durch die Gruppe I (Gewerbliche Consumtionsproducte für Leben und Haushalt: Nahrungs- und Genußmittel, Mittel zur Beleuchtung, Beheizung, Reinigung etc.), so finden wir eine kleine Menschenanhäufung vor einem riesigen Fasse – freilich nicht so groß wie das auf dem Heidelberger Schlosse, und dabei schön decorirt. Die Menschen blicken in das Faß, welches es Allen angethan zu haben scheint: Jung und Alt – sowohl dem flotten Studenten und dem schneidigen Lieutenant, wie auch dem ehrwürdigen Greis mit dem schwabbeligen Bauche. Was mag wohl in dem Fasse stecken? Ist es der alte Diogenes, welchem König Alexander von Macedonien in dieser etwas ungewöhnlichen Schlafstelle die Ehre seines Besuches erwiesen? Nein, es ist etwas viel Besseres oder wenigstens Schöneres. Es ist die „Schützenliesel“, eine Biernixe so schön und so lustig, wie unser Herrgott nur eine erschaffen. Und man kann darüber streiten, was diese Männer – „den Jüngling wie den Greis am Stabe“ – mehr anzieht, die schöne Liesel oder das schöne Bier. Hier ist nämlich, in und vor diesem Fasse, „die Kosthalle des Bürgerlichen Brauhauses“ in München, und dieses „Bürgerliche Brauhaus“ braut alljährlich für beinahe eine Million Mark Bier und versendet diesen Gerstensaft nach Deutschland, Frankreich, Belgien, Holland und Italien; die Leute scheinen also immer noch nicht dem Orakelspruch, daß „Bier dumm macht“, Glauben zu schenken.

Draußen aber im Parke steht die „Pfälzer Weinstube“, auch das „Altdeutsche Weinhaus“ genannt, ein stattlicher Holzbau mit hohem steilem Schieferdache, innen und außen stilgerecht durchgeführt im deutschen Frührenaissancegeschmack. Die große Weinstube und das kleinere Herrenstüblein im Innern sind schön. Aber noch schöner ist draußen die Veranda, wo man sitzt, wie „unser Herrgott in Frankreich“. So sagen die Pfälzer, die da droben sitzen. Wir aber, wir Andern, die wir nicht die Ehre haben, Pfälzer zu sein, trinken ihnen zu mit dem Wahrspruch: „Fröhlich Palz – Gott erhalt’s!“

Gestärkt mit einem frischen kühlen Trunk „Forster Rießling“, kehren wir wieder zurück in das Hauptausstellungsgebäude. Wir bewundern die ausgestellten Objecte; wir bewundern die Art der Ausstellung. Aber wir amüsiren uns auch, und zwar amüsiren wir uns, nachdem wir nunmehr unser pflichtmäßiges Pensum an Studium erledigt und uns ein wenig aufgefrischt haben, am meisten mit dem Publicum und über dasselbe, und wir haben auch nichts dagegen, wenn wir selbst, die wir ja auch zum Publicum gehören, Gegenstand des Studiums und der Heiterkeit für Andere werden.

„Die Heiterkeit nimmt Keiner krumm;
Denn Einer ist kein Publicum.“

Da steht eine Gruppe Altmühler Bauern, das würdige Elternpaar und eine dralle Dirne, vor der Zeltnische, in welcher sich die Ausstellung der Ultramarinfabrik befindet. Man nennt scherzweise diese Nische die „grotta, d’Azurro“, die blaue Grotte von Capri. Die Frau, neugierig wie Eva’s Töchter sind, ist am weitesten vorgedrungen und im Ausharren unermüdlich. Der Mann nimmt eine beobachtende, vorsichtige Aufstellung in zweiter Linie, indem er seinen baumwollenen Regenschirm krampfhaft umklammert. Das Madl aber hat sich umgedreht vor Erstaunen über dies „blaue Wunder“.

Hier ist wieder eine Bauerngruppe, diesmal aus dem Thale der Pegnitz, aber „Pegnitz-Schäfer“ im literargeschichtlichen Sinne sind es gewiß nicht. Der Mann ist schon etwas von der modernen Nivellirung ergriffen. Die Frauen aber sind noch echtes kräftiges bäuerliches Vollblut. Das zeigt ihr charakteristischer Sonntagsstaat, der heute noch gerade so ausschaut, wie zur Zeit ihrer Großmütter. Anch hier fehlt der Regenschirm nicht; er ist unvermeidlich. Das Wetter ist zwar schön, aber man kann ihm nicht trauen. Und dann hat doch dieser Schirm zwölf Mark gekostet; da kann man ihn doch auch sehen lassen.

„Ach,“ sagte die Großmutter, „haben mir meine guten Enkelkinder vor sechs Wochen den schönen theuren Regenschirm zu meinem Namenstage verehrt, und seitdem hat es noch keinen einzigen Sonntag geregnet. Hab’ ich den schönen Schirm noch gar nicht zum Kirchgang mitnehmen und Staat damit machen können. Das ist doch recht jammerschade!“

Zum Schluß werfen wir noch einen Blick in die Bilderausstellung. Sie leidet ein wenig darunter, daß sich manches Bild ersten Ranges zur Zeit nach auf der Ausstellung in Wien befindet. Prachtvoll ist die Ausstellung des sogenannten „Elitesaales“, [576] eines quadratischen Saales mit Eisenconstruction und Oberlicht. Hier hängt auch das außerordentlich fein und wahr charakterisirte Portrait des Fürsten Bismarck von Lenbach in München. In der Nähe befinden sich die Bildnisse des englischen Staatsmannes Gladstone und des deutschen Humoristen Busch, des Humoristen in Schrift und Zeichnung, des Verfassers des „Heiligen Antonius“, des „Max und Moritz“ etc. Aber diese Portraits, so gut sie sind, vermögen nicht aufzukommen gegen dasjenige Bismarck’s.

Unter diesen Bildern fiel mir, inmitten der Beschauer, die massive Gestalt eines echten Baiern vom Lande auf. Er kümmerte sich nicht um das Alles, weder um den berühmten Maler, noch um die berühmten Gemalten. Er wendete sein Antlitz von ihnen ab und der Kühlung zu, welche ihm vom Perseus-Brunnen her zuging. „Hier ist’s serr aromantisch,“ sagte er mit Genugthuung. Damit meint er „erfrischend“. Unser Held ist aus Altbaiern und wiegt über hundertfünfzig Doppelpfund oder Kilo. Seine lederne Hose ist unten zugeschnürt. Er schnupft Brasil und trägt Ueberreste davon in seinem Schnurrbart. Er ist jedenfalls ein gemachter Mann, der in seinen eigenen Schuhen steht. Ob er aber mit Holz handelt oder mit Schweinen – das konnte ich nicht ermitteln.

[577]

Bilder aus der baierischen Landesausstellung in Nürnberg: Altbaier im „Elitesaale“.
Originalzeichnung von Professor Rudolf Geißler.

[584]

Bilder aus der baierischen Landesausstellung in Nürnberg:
Altmühler Bauern vor der „Blauen Grotte“. Die Veranda der Pfälzer Weinstube.

Originalzeichnungen von Professor Rudolf Geißler.