Mummenschanz der deutschen Weihnacht

Textdaten
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Autor: Alexander Tille
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Titel: Mummenschanz der deutschen Weihnacht
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aus: Die Gartenlaube, Heft 50, S. 848–851
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1891
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Mummenschanz der deutschen Weihnacht.

Von Dr. Alexander Tille.0 Mit Zeichnungen von Werner Zehme.

Wer am Weihnachtsabend einmal mit offenen Augen durch die Straßen unserer Städte wandelt und seine Blicke nicht nur nach den vom Lichterbaum hell erleuchteten Fenstern schweifen läßt, sondern auch in die düsteren Hausflure, in die Höfe der Häuser und in die Schattenwinkel der Straßen blickt, der kann noch hier und da zwei vermummten Gestalten begegnen, welche immer nur in einem kleinen Kreis von Häusern, oft nur in einem einzigen Haus, ja in einem einzigen Stockwerk die Runde machen. Das ist der Knecht Ruprecht und der Heilige Christ. Irgend ein näherer Bekannter oder Verwandter des Hauses ist unter dieser Hülle verborgen, und wer es auch sei, er übt gern das Amt, eine übermüthige Kinderschar ein wenig einzuschüchtern und dann durch Gaben wieder zu lautem Jubel zu begeistern. An der Thür der Wohnung erhält er den großen Sack eingehändigt, mit dem er drinnen die Kinder erst schrecken, dann erfreuen soll; die Thür zum Bescherungszimmer öffnet sich, und ein sprachloses Entsetzen bemächtigt sich der Kleinen bei dem gruseligen Anblick des gefürchteten Pelzmannes, und selbst das freundliche Aeußere des Heiligen Christ, der in weißem Gewande erscheint und einen rosafarbigen oder gar goldenen Gürtel trägt, kann dies nicht mindern. Verlegen sagen die Kinder auf die Frage, ob sie auch beten können, ihre Sprüchlein her, das eine wischt dabei eifrig mit dem Schwamme auf der neuen Schiefertafel, das andere bricht im Eifer einem Bleisoldaten beide Beine ab, und die kleine Schwester versucht vergebens, der neuen Puppe die Kapuze über die Aermel zu streifen. Die Frage nach der Folgsamkeit der Kinder wird von den Eltern bejahend beantwortet, und nun befiehlt der Heilige Christ seinem struppigen Begleiter, den Sack zu öffnen und seine Gaben auszuschütten. Mit einigem Widerstreben thut er’s. Kaum rollen die ersten Aepfel und Nüsse auf der Diele hin, da stürzt sich auch schon die ganze Kinderschar darauf. Denn diese Aepfel aus Knecht Ruprechts Sacke schmecken ja weit besser als die andern, die auf dem Bescherungstische ausgebreitet liegen. Die Aepfel und Nüsse ziehen die Aufmerksamkeit der Kinder völlig von den beiden vermummten Gestalten ab, die sich unbemerkt entfernen, meistens noch einige Ruthen zurücklassend.

Christkind und „Hans Trapp“.

Ein seltsames Paar! Die Vereinigung dieser beiden Gestalten zu treuen Genossen kann fast wie ein Scherz der Sittengeschichte erscheinen. Und doch ist sie schon Jahrhunderte alt, und wenn auch gegenwärtig der Heilige Christ weit hinter dem Knecht Ruprecht zurücktritt, so ist doch auch er ein nothwendiges Stück der kleinen Aufführung.

Einstens, in vorgeschichtlicher Zeit, als die heidnische Religion noch uneingeschränkt unter den Germanen herrschte, da waren in der Julzeit bereits Vorführungen üblich, über deren näheres Wesen uns freilich jede Kunde fehlt, bei denen aber sicher eine Reihe von Göttern auftrat. Ihre segnenden Umzüge waren es, welche der Flur im kommenden Jahre Fruchtbarkeit verliehen. An scenische Darstellungen ist dabei nicht zu denken. Am wahrscheinlichsten ist es wohl, daß der festlich geschmückte Priesterzug, der die Gottheiten darstellen sollte, begleitet von größeren Volksmassen über die winterlichen Fluren hinzog. Einer aus diesem Kreise ist uns in dem Knecht Ruprecht des Volksbrauches übrig geblieben; welcher, das sagt schon der Name. „Hruodberaht“, der „Ruhmesglänzende“, ist ein Beiname des deutschen Gottes Wuotan, den die Nordländer Odhin nennen, ein Name, der auch bei uns noch in Ortsnamen und Bergnamen, in „Wodans Jagd“ und im „Wüthenden Heer“ fortlebt.

Der Heilige Christ ist nun aber keine Gestalt, welche die Kirche etwa dem volksthümlichen Pelzmanne entgegengesetzt hätte, sondern nur eine Gestalt des kirchlichen Christspieles, das schon früh üblich war und in dem ausschließlich Gestalten der christlichen Ueberlieferung vorkamen. Joseph spielte dabei die Rolle des Spaßmachers. In dieses Spiel nahm dann die Kirche in späteren Zeiten auch den Knecht Ruprecht des Volksglaubens auf, wohl nur, um ihn langsam zum christlichen Heiligen umzubilden und

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Christkindel in Schlesien.

[850] dadurch unschädlich zu machen. Während dieses Verfahren aber sonst vielfach von Erfolg begleitet war, sind an der urwüchsigen Gestalt des Knechtes Ruprecht alle Umwandlungsversuche gescheitert. Er ist der alte rauhe Geselle geblieben, der er seit Jahrhunderten gewesen war, und überragt an Bedeutung heute sogar den Weihnachtsmann, als dessen Diener er eigentlich gelten soll.

Der Klapperbock.

Aber der Knecht Ruprecht ist bei weitem nicht der einzige Rest heidnischer Bräuche, wenn er auch derjenige ist, welcher sich der größten Verbreitung erfreut. Neben ihm steht noch eine ziemliche Anzahl anderer Gestalten, welche natürlich mit ihm verwandt sind und in denen bald dieser bald jener Zug des gemeinsamen Urbildes erhalten geblieben ist. Das Volk hat den Ursprung dieses Mummenschanzes längst vergessen und eine ganze Reihe örtlicher Sagen geschaffen, welche Namen und Wesen der Spukgestalt bald so bald anders erklären. Für die Erklärung der Sache sind diese ohne Bedeutung. Um so sorgfältiger aber hat man auf alle die kleinen Züge zu achten, welche den Spukgestalten anhaften. Denn diese sind die Steinchen, aus denen man sich das Mosaikbild des germanischen Himmelsgottes wieder einigermaßen zusammensetzen kann.

Erscheinen von diesem Gesichtspunkte aus all die Formen des Mummenschanzes der Weihnacht höchst bedeutungsvoll für die Wissenschaft der germanischen Mythologie, so ist doch ihre Bedeutung damit noch nicht erschöpft. Wo ein jahrhundertelanger, lebendiger Verkehr mit einem Stamme anderer Mundart alle Eigenthümlichkeiten der Sprache verwischt hat, wo fremdes Recht, fremde Tracht, fremde Anlage der Häuser und Höfe eingedrungen sind, wo selbst die alten Kinderlieder durch neue verdrängt wurden, da geben diese Gestalten und ihre Namen dem Ethnologen oft die einzigen Fingerzeige, in welcher Richtung er nach der Herkunft einer kleinen Gemeinschaft zu suchen hat.

Im Elsaß geht das Christkind herum und kündigt seine Gegenwart schon von weitem durch den Klang einer Glocke an. Es wird meist durch ein erwachsenes Mädchen dargestellt, das in langem weißem Gewande und wallendem blondem Haar auftritt. Das Gesicht ist weiß geschminkt, und auf dem Kopfe trägt es eine goldene Krone, auf der mehrere Wachslichter brennen. Es hat einen Korb mit Zuckerwerk am Arme, in der andern Hand die erwähnte Glocke. Freundlich spricht es die Kinder an, und schon kommen, gelockt von den süßen Gaben, die Kleinen herbei, die sich erst vor Verlegenheit hinter der Mutter zu verbergen suchten – da tönt vor dem Fenster Kettengerassel, die Fensterflügel thun sich auf, und herein steigt die bis über die Ohren vermummte Gestalt des „Hans Trapp“. Er ist in ein Bärenfell gehüllt, hat das Gesicht mit Ruß geschwärzt und trägt einen langen schwarzen Bart, der ihm bis auf den Gürtel niederwallt. In der Hand führt er ein Geräth, das mehr einem Besen als einer Ruthe ähnelt. Mit diesem droht er der Kinderschar, die sich ängstlich verkrochen hat. Mit Grabesstimme fragt er, wer nicht artig gewesen sei, und geht auf die Unartigen los, die zitternd und zagend in den Rockfalten der Mutter ihre Zuflucht suchen. Doch das Christkind bittet für sie: die Kinder versprechen Besserung und erhalten aus dem Korbe Zuckerwerk zum Geschenke.

In Schwaben tritt das Christkind als weißgekleideter Engel auf, prüft und beschenkt die Kinder. Sein Begleiter ist der „Pelzmärtel“, der auch „Pelzmichel“, „Grale“ oder „Butzegrale“ heißt. Er ist vermummt, oft ganz in Erbsenstroh gehüllt, sein Gesicht ist rußig, sein Leib mit einer Kette umwunden und sein Rücken trägt einen Korb, während die Rechte einen Stock führt. Bisweilen trägt er noch eine Pelzmütze, an der Schellen klingen. Auch in Schlesien erscheint das Christkind im weiten weißen Schleier, eine Krone auf dem Haupte, eine Laterne in der Hand, und singt mit seinem langbärtigen, sacktragenden Begleiter ein Weihnachtliedchen. In der ehemaligen Grafschaft Ruppin heißt der Heilige Christ „Christmann“ oder „Christpuppe“. Er ist weiß gekleidet, mit Bändern geschmückt und führt eine große Tasche. Neben ihm reitet ein vermummter Knecht einen künstlichen Schimmel, und beide sind von „Feien“ d. h. von als Weiber verkleideten Gestalten mit geschwärzten Gesichtern, umgeben.

Der Habersack.

Im Erzgebirge ist der Heilige Christ stellenweise durch Petrus verdrängt worden, der mit „Ruprecht“, „Rupperich“ oder „Semper“ umherzieht. Petrus tritt zuerst ins Zimmer, fragt die Kinder nach ihren Kenntnissen und ruft dann dem Genossen. Dieser tritt herein und spricht: poem>Ich komme geschritten, Hätt’ ich ein Pferdlein, so käm’ ich geritten. Ich hab’ wohl eins im Stalle stehn, Aber es kann nicht über die Schwelle gehn.</poem>

Auf niederdeutschem Boden heißt der Knecht Ruprecht selbst oft „de hèle Christ“, in Mecklenburg nennt man ihn „rù Clas“ (rauher Nikolas); ähnliche Namen trägt er in der Altmark, in Braunschweig, Hannover, Holstein. Zuweilen führt er einen langen Stab und einen Aschenbeutel und hat Glocken oder Schellen am Kleide. Mit dem Aschenbeutel schlägt er die Kinder, welche nicht beten können, und heißt deshalb auch „Aschenclas“.

Im Niederlande Böhmens erscheint der „Rumpanz“ im Gefolge des Heiligen Christ; in einzelnen Dörfern Niederösterreichs die „Budelfrau“. Im südwestlichen Theile Niederösterreichs tritt der heilige „Niglo“ auf und neben ihm „Krampus“ als Schreckmann. Betend harren die Kinder der beiden. Jetzt tönt das Glöcklein, und sie fangen an zu singen:

Hearei, hearei, Hear Niglo,
goar gua’de Kinder sain jo do,
de beden gearn, de lernen gearn,
de biden ’n halig’n Niglo,
er soll earna was beschearn.

Die Thür geht auf und der heilige Niglo mit Stab und hoher Mütze tritt herein und spricht:

G’lobt sei Jesas Christas,
'n Himlssögn bringt mit hear do
da Godasstab und Ring dös halich’n Niglo.

[851] Darauf antworten die Kinder mit zitternder Stimme:

Miar griaßen Dih, o halicher Mann,
und beden alle Dag Dih an
in alle Ewigkeit, Amen!

Nun tritt Niglo an den Tisch heran, läßt jedes Kind beten und sich seine Gebet-, Schul- und Schreibbücher zeigen. Wehe dem, welches seine Bücher nicht in Ordnung hat oder das beim Beten stottert. Der schwarze Krampus, mit einem Pelze angethan, steht mit glühenden Augen und langer, rother Zunge und mit einer großen Kette vor der Thür, die Befehle seines Herrn zu vollziehen. Zum Schlusse küßt jedes Kind den Ring des heiligen Niglo.

Hatten wir es bisher immer mit Gestalten zu thun, in denen wenigstens die christliche Färbung nicht zu verkennen war, so giebt es andrerseits auch eine ziemliche Menge von solchen, welche ohne jede Spur der Verchristlichung heute noch fortbestehen. Hierher gehört der „Bär“, der in einigen Gegenden Deutschlands erscheint und von einem in Erbsenstroh gehüllten Burschen dargestellt wird, welcher eine Ruthe führt und es mit seinen Züchtigungen namentlich auf die erwachsenen Mädchen abgesehen hat. An ihn schließen sich dann noch eine Reihe Vermummungen, bei denen wie oben bei dem „Christmann“ ein künstliches Pferd eine Rolle spielt, sei es nun als „Schimmel“, „als spanischer Hengst“, als „Klapperbock“ oder „Julbock“.

Der „Schimmel“ erscheint in Bergkirchen, Kreis Minden, und der „spanische Hengst“ in Bassum im Hannöverschen. Beide Thiere sind nahe Verwandte und gute Freunde des „Klapperbocks“ auf der Insel Usedom. Hier treten drei Personen auf, die zusammen „der Ruprecht“ heißen. Die eine trägt Ruthe und Aschensack und ist gewöhnlich in Erbsenstroh gehüllt. Die zweite trägt den Klapperbock, eine Stange, an der vorn ein Widderkopf aus Holz befestigt ist und die im übrigen von einer Bockshaut verdeckt wird. Die untere Kinnlade des Kopfes ist beweglich. An ihr ist eine Schnur befestigt, welche durch die obere Kinnlade und den Schlund läuft, so daß die beiden Kinnladen klappernd zusammenschlagen, sobald der Träger die Schnur zieht. Dieser Klapperbock stößt die Kinder, welche nicht beten können. Der dritte Genosse endlich erscheint als Reiter auf einem Besen.

In Dänemark heißt dieser Klapperbock „Julbock“ und darf in keiner Weihnachtsstube fehlen.

Ilsenburg im Harz ist die Heimath des „Habersack“. Hier nimmt ein unternehmender Bursche eine gabelförmige Stange vor die Brust und klemmt einen stumpfgekehrten alten Besen nebst einem Hut dazwischen, so daß das Ganze wie ein Kopf mit zwei Hörnern aussieht. Den Träger selbst verbirgt ein langes Laken. In dieser Gestalt tritt er dann in der Weihnachtsstube auf, zum Schrecken der Kleinen und zur Freude der Größeren, die sich mühen, zu ergründen, wer wohl in der Vermummung verborgen sein mag, bis auch hier der Mummenschanz in eitel Weihnachtsfreude sich auflöst.