Mime und Friseur
[40] Mime und Friseur. Eine Erinnerung an Bogumil Dawison. Der große Dawison hielt seine goldene Ernte auf der Bühne des Stadttheaters zu New-York, das nie glänzendere Zeiten gesehen hatte. Dreimal allwöchentlich waren die Räume zum Ersticken gefüllt, kein Stehplätzchen mehr zu vergeben. Heute sollte Richard der Dritte aufgeführt werden. Aber während sich die Zuschauer der freudigsten Erwartung hingaben ob des zu erwartenden Kunstgenusses, spielte sich hinter den Coulissen eine ärgerliche Scene ab, die beinahe die Vorstellung unmöglich gemacht hätte, und zwar in dem Ankleidestübchen des großen Tragöden. Becker, der Friseur des Theaters, hatte durch seinen Gehülfen eine falsche Perrücke geschickt; er selber war durch anderweitige Beziehungen zurückgehalten worden. „Ich spiele nicht,“ rief der aufgebrachte Mime, „ich spiele nicht.“ Umsonst waren die rührendsten Bitten des Directors Haman; ohne die rechte Perrücke kein Richard möglich. Becker wohnte weit außerhalb der Stadt, jenseits des Hudson, sodaß es nicht thunlich war, das Versäumte nachzuholen.
Schon war die festgesetzte Zeit des Beginnes der Vorstellung überschritten worden, das Publicum ungeduldig und lärmend, Haman in Verzweiflung. Da stürzte Becker athemlos herein, die rechte Perrücke in Händen. Er hatte das Versehen durch Zufall entdeckt und jagte vermittelst seiner langen Beine und aller möglichen Fahrgelegenheiten daher, das geahnte Unheil abzuwenden. Aber der Tragöde hatte sich in solche Gereiztheit hinein gearbeitet, daß er den abgehetzten Becker auf nicht allzu zarte Weise empfing und ebenfalls in Zorn brachte. Ein Wort gab das andere, bis sich Dawison zuletzt so weit vergaß, zu einer Ohrfeige auszuholen. Das war zu viel der Kränkung für den auf Künstlerehre haltenden Friseur. Er glaubte sich selbst für eine Art Artisten halten zu dürfen, da er nicht nur Charakterstriche in die Gesichter der Mimen zu ziehen verstand, sondern auch selber mit dem Pinsel an den Bildern einer kleinen ihm zu eigen gehörenden Gemäldegalerie herumretouchirte und corrigirte. „Herr, was unterstehen Sie sich?“ rief er voll Wuth, ergriff blitzgeschwind Richard’s Schwert und hielt es dem verblüfften Mimen drohend entgegen. „Wer Sie auch sein mögen – ich bilde mir eben so viel ein wie Sie. Rühren Sie mich an, so fährt Ihnen die eigene Waffe in den Leib.“ Dawison sah ein, daß er zu weit gegangen, und brachte schweigend die Perrücke in Ordnung; die Vorstellung begann.
Noch war er nicht ganz im Gleichgewichte, denn als ein Diener dem sich zum Kampfe rüstenden Richard die Rüstung ungeschickt umschnallte und nicht zu Ende kommen konnte, erhielt er die für Becker bestimmte schallende Ohrfeige auf offener Scene, ohne sich wie dieser wehren zu dürfen. Becker war bald versöhnt durch freundliches Entgegenkommen Dawison’s; seine Freude kannte keine Grenzen, als bald nach der Rückkehr des großen Mimen nach Deutschland dessen Photographie eintraf nebst huldvollem Begleitbriefe. Becker lief auf alle Zeitungsofficinen deutscher Zunge, damit ja Jedermann an der ihm widerfahrenen Ehre Theil nehmen könne; nebenbei wurde er nimmer müde, von der Freigebigkeit und Hochherzigkeit Dawison’s zu reden, die derselbe besonders minder glücklich situirten Collegen und Theaterbediensteten bewiesen.