Michael Munkacsy
Daß den Menschen nichts besser im Gedächtniß bleibt, als was ihnen Furcht oder Grauen eingeflößt, sie erschüttert oder gerührt hat, ist eine alte Erfahrung, die von den Künstlern zu allen Zeiten verwerthet worden. Wir vergessen den viel weniger, welcher uns Thränen ausgepreßt, als den, welcher uns lachen gemacht. Darin besteht auch das Geheimniß jenes immensen Erfolges, den der Maler errungen, von dessen reicher Thätigkeit hier eine kurze Skizze gegeben werden soll.
Es war bei der Ausstellung des Jahres 1870 in Düsseldorf, daß man den Namen Munkacsy zum ersten Male unter einem – damals auch in der „Gartenlaube“ (vergl. Jahrg. 1870, Nr. 30), wiedergegebenen – Bilde las, das alle Beschauer mit magischer Gewalt fesselte und von sämmtlichen vorhandenen Werken die größte Anziehungskraft ausübte. Und doch glänzte es weder durch den Reiz sonniger Farbenpracht, noch durch den schöner Formen, ging beiden vielmehr mit einer auffallenden Entschlossenheit aus dem Wege. Führte es uns doch in die düstere Zelle eines ungarischen Gefängnisses, wo ein zum Tode verurtheilter wilder Pußtensohn in Fesseln dasaß und zu allen Qualen des Abschiedes von Frau und Kind noch die ertragen mußte, von einer theilnahmlosen oder ihn sogar verabscheuenden Menge angestarrt zu werden.
So wild, unheimlich und trostlos die Scene, so groß war auch die Energie, mit der sie gegeben war. Wolfgang Müller von Königswinter hat das Bild den Lesern der „Gartenlaube“ bei Gelegenheit der Wiedergabe desselben in ergreifender Weise geschildert. Diese Malerei hatte mit der in Düsseldorf üblichen absolut nichts gemein, versüßte und verhüllte nichts, kannte keine Spannung. Sie entsprach durchaus dem düsteren Gegenstande, und in ihrer energischen Behandlung, in dem jede mildernde Farbe anscheinend hassenden, fast blos aus schwarz und weiß gemischten finstern Ton sowie der großartig einfachen und kräftigen Modellirung der Gestalten erinnerte sie, wenn überhaupt an irgend etwas, am ersten an Salvator Rosa oder Spagnolett. Das war aber eben das Packende an dem Kunstwerke, daß Inhalt und Form sich vollkommen entsprachen; man fühlte, daß hier nur Selbsterlebtes auf die Leinwand hingemalt sei von einem Manne, der es mit ungewöhnlicher Kraft und Frische empfunden.
Alle Welt, die sich um das Bild drängte, fragte nach dem Maler, der mit so viel Ursprünglichkeit, mit solch fast drohender Energie aufgetreten. Niemand wußte viel von ihm. Er sei ein Ungar, hieß es, erst sechsundzwanzig Jahre alt, ein ehemaliger Schreinergeselle, der, von glühender Liebe zur Kunst erfaßt, zuerst einigen Unterricht in Pest und Wien genossen, dann in München Franz Adam’s Schüler gewesen und nun hierhergekommen sei, um seine Studien abzuschließen. Auch hier habe er still und abgeschlossen vor sich hingelebt, wenig beachtet bis gestern, während sein Name jetzt auf einmal in Aller Munde war.
Munkacsy’s Vater führte den Namen Lieb; erst der Sohn nahm als ungarischer Patriot jenen magyarischen Namen an. Der Vater war als Theilnehmer an der Revolution im Gefängniß gestorben, und hatte den kleinen Michael mit vier Geschwistern als hülflose Waisen hinterlassen, denn die Mutter war schon längst todt. Michael fand in einer Tante eine zweite Mutter. Aber in einer dunklen Nacht bricht eine Räuberbande in’s Haus, plündert und mordet und läßt den Kleinen in den vier leeren Wänden verlassen an der Leiche dieser Pflegemutter zurück. Kann man sich bei solchen schrecklichen Jugenderinnerungen über den düstern Ernst wundern, der als Grundton in seinen ersten Bildern durchklingt?
Er kam nun zu einem seiner Onkel, Namens Reök, einem Advocaten, der aber durch die Revolution auch ganz verarmt war und daher den Jungen bald zu einem Tischler in die Lehre gab. Hier blieb er nun vier Jahre, bis er als Geselle freigesprochen ward. Freilich wartete seiner nun noch härtere Arbeit, aber er konnte jetzt doch wenigstens in den Freistunden seinem Drange nach Belehrung und Wissen aller Art folgen, nachdem er bis dahin fast keinen Unterricht genossen. Einige junge Leute, die in Arad, wo er in Arbeit stand, das Gymnasium besuchten und deren Bekanntschaft er nach und nach gemacht, dienten ihm dabei als Lehrer. Zuerst lernte er lesen und schreiben; dann begann er sich mit Geschichte und Literatur bekannt zu machen, sodaß er bald Schiller mit Begeisterung las, ja selber Verse zu machen versuchte. In der Werkstatt aber lernte er einstweilen das ungarische Volksleben nach allen Seiten hin kennen und prägte sich seine Typen in’s Gedächtniß.
Drei Jahre arbeitete er so als Geselle für spärlichen Lohn und wuchs zu einem hochaufgeschossenen Jüngling heran, aber das leidenschaftliche Studium des Abends bei von fünf Uhr Morgens bis in die Nacht dauernder Arbeit und elender Nahrung erschöpfte die Kräfte des achtzehnjährigen Tischlergesellen, der sich gerade im stärksten Wachsthum befand, und er ward schwer krank. Glücklicher Weise konnte sein jetzt wieder zu etwas Vermögen gekommener Onkel ihn zu sich nach Gyula nehmen. Dort lernt er eines Tages den Portraitmaler Samosy kennen und sieht mit Entzücken demselben beim Malen zu. Jetzt wird er sich auf einmal seines Berufes bewußt und beschwört den Onkel, ihn bei Samosy Unterricht nehmen zu lassen. Letzterer, ein wohlwollender und gebildeter Mann, nimmt sich seiner freundlich an und unterweist ihn so gut wie möglich in seiner Kunst. Sein Talent nach einiger Zeit bemerkend, führt er ihn mit nach Arad, wo sich Munkacsy bereits durch Unterricht im Zeichnen fortbringt, endlich selber Portraits, gewöhnlich für ein Mittagessen, macht und, da er einst einen Schneider mit seiner Familie gemalt, triumphirend sein Honorar in Gestalt eines warmen Winterrocks empfängt. Samosy unterrichtet ihn indeß auch noch ferner, und er fängt bereits an, eigene Compositionen zu versuchen, ja kehrt, um Studien zu machen, nach Gyula zum Onkel zurück. Er malt nun Interieurs mit Bauern, und eines dieser Bilder, eine Einladung zur Hochzeit, fällt so gut aus, daß er den Muth faßt, damit nach Pest zu gehen, wo es ihm der Kunstverein für achtzig Gulden abkauft. Jetzt ist sein Schicksal entschieden, denn bald verkauft er ein zweites sogar für hundertdreißig Gulden, und geht mit diesem Capital nach Wien, um dort in den Museen Studien zu machen. Als er aber 1866 wieder nach Pest zurückgekehrt, befällt ihn ein Augenleiden, das ihn sechs Monate im Spital festhält und beinahe seiner Künstlerlaufbahn ein Ende gemacht hätte. Jedoch ist er nicht der Mann, sich durch Schwierigkeiten zurückschrecken zu lassen, sondern geht jetzt, kaum geheilt, mit zwanzig Gulden in der Tasche nach München, wo er zwei Jahre bleibt, sich nach einander in verschiedenen Ateliers herumtreibt, eine Menge Freunde erwirbt und besonders von Leibl beeinflußt wird, bis er München mit Düsseldorf vertauscht, wo wir ihn kennen gelernt.
Sein oben erwähntes Bild „Der Verurtheilte“ wanderte nun
[840]nach Paris und machte dort im Salon wo möglich noch größeres Aufsehen als in Düsseldorf; es erhielt die goldene Medaille, und alle Zeitungen sprachen von dem neuen glänzenden Stern, der am Kunsthimmel aufgegangen. Das veranlaßte Munkacsy 1872, selber nach Paris zu gehen, wo er fortan in jedem neuen Salon durch irgend ein neues Meisterwerk die Aufmerksamkeit an sich fesselte. Seine Stoffe entnahm er auch jetzt zunächst alle dem Leben der untersten Classen seiner Heimath. Die Poesie des Elends war es, die dauernd das Geheimniß seines Erfolges bildete; er verstand es nach wie vor, erschütternde Momente des Lebens einförmig, trostlos, aber mit rücksichtsloser Energie und höchster künstlerischer Vollendung wiederzugeben. Ein junger Verwundeter, der einem Tisch voll charpie-zupfender Frauen und Mädchen seine fürchterlichen Erlebnisse im unglücklichen Freiheitskampfe erzählt, war noch aus Düsseldorf mit nach Paris gebracht worden; es folgten dort halbwilde Csikose und Conscribirte in der Kneipe, verdächtige Nachtschwärmer, von der Polizei abgefaßt, ein trunkener Schneider, der, zu seiner Frau heimgebracht, von ihr sehr übel empfangen wird, ein ländlicher Kampfhahn, der sich anschickt, mit einem wandernden Hercules zu ringen, und andere dergleichen Scenen. Sie lieferten ihm noch jahrelang die Stoffe, welche er bald mit düsterem Ernst, bald mit unheimlich-wildem Humor behandelte. Der Spiritusduft dieses Proletarierlebens hatte natürlich nichts Anziehendes, und nur das Interesse an der Meisterschaft der Schilderung konnte Einen über die Einförmigkeit derselben hinwegtragen.
Auf der Wiener Weltausstellung, wo Munkacsy die ungarische Kunstabtheilung mit einer Anzahl seiner berühmtesten Bilder vollständig beherrschte, stellte sich aber doch bald unwiderleglich heraus, daß mit diesem armen, unentwickelten Leben auf die Länge künstlerisch nichts anzufangen war. Indem mit Munkacsy’s fortschreitender Bildung diese am Galgen endigenden Helden der Pußta aufhörten, seine Ideale zu sein, wuchs die Nothwendigkeit für ihn, sich andere zu suchen.
Eine neue Epoche in seinem Leben sollte ihm alsbald den Uebergang in eine höhere Darstellungssphäre vermitteln. Wir folgen bei ihrer Erzählung den darüber unter seinen näheren Freunden umlaufenden Traditionen, da er, selber wenig mittheilsam, über dergleichen innere Erlebnisse nicht spricht. Er hatte unter andern Salons auch den einer geistvollen Dame, einer Luxemburgerin, besucht, die, leidenschaftliche Kunstfreundin, an der Entwickelung des schnell berühmt gewordenen Deutsch-Ungarn großen Antheil nahm. An einen alten General verheirathet, jung, schön und reich, suchte sie im Verkehr mit begabten und berühmten Menschen, im Genuß der Kunst die Anregung des Gemüths, die ihr die Ehe kaum bieten konnte; Munkacsy scheint ihr schon längere Zeit seine stille Verehrung gewidmet zu haben. Jetzt machte sie der Tod des Gatten frei. Wie sie früher seine Muse gewesen, so ward sie nun bald die Gattin des berühmten Künstlers, die durch das Glück der Liebe nicht nur sein Haus, sondern auch seine künstlerischen Schöpfungen mit jener Atmosphäre wohltuenden Gemüthsfriedens erfüllte, welche aus den letzteren fortan spricht.
Hatten seine Bilder bis dahin ausgesehen, als ob ihr Autor noch kein Lächeln gekannt, immer nur Regenwetter gesehen habe, so ist gleich das erste, das jetzt (1876) entstand, bereits ein glänzendes Denkmal dieser wohlthuenden Umwandlung. Es führt uns in das mit allem Luxus ausgestattete Atelier des Malers [841] selber der nun glücklicher Besitzer einer Villa in den Champs Elysées und eines Schlosses in den Ardennen geworden.
Dämmerndes Helldunkel des nahenden Abends umgiebt uns mit süßer Traulichkeit; denn überall funkelt und glüht uns die reichste Farbe, das Köstlichste ahnen lassend, aus diesem Halblicht entgegen. In demselben fesselt zunächst die elegante Gestalt der schönen Frau in reicher blauer Sammetrobe durch ihr verstandesscharfes feines Profil den Blick. Sie hat vor der Staffelei Platz genommen und mustert, die Hände über den Knieen gekreuzt, eben mit kritischem Blick, was der neben ihr an den Tisch gelehnte, die Palette noch in der Hand haltende Gatte heute geschaffen. Dieses gemeinsame Hineinleben der beiden so bedeutenden und doch so grundverschiedenen Menschen in ein Gefühl, ihre Concentration auf denselben Gegenstand, ihr gänzliches Vergessen der Welt um sich herum, giebt uns ein Bild so tiefen stillen Glücks, so schöner Harmonie der Seelen, daß man sich nicht losreißen kann von der Scene, die bei aller äußeren Ruhe – man glaubt das Ticken der Uhr im Gemach zu hören – doch ein eben so mächtiges, wie unendlich wohlthuendes inneres Leben in ihren beiden Figuren zeigt.
Das Jahr 1877 bezeichnete Munkacsy durch die humoristische Darstellung eines flotten Waidmannes, der sein Jägerlatein in einer ungarischen Kneipe zum Besten giebt; 1878 überraschte er Paris wie das Publicum der eben eröffneten Weltausstellung durch jenen rasch berühmt gewordenen „Milton“, dessen Wiedergabe diesen Aufsatz schmückt. Unstreitig fesselte das Bild neben Hans Makart’s „Karl der Fünfte“ die Aufmerksamkeit der Beschauer am meisten von all den sechstausend, die dort aus allen Weltenden zusammengeströmt waren. Die beiden Bilder verhalten sich zu einander wie der strahlende, glühende Tag zur mondbeglänzten Nacht mit ihrem süßen, milden Zauber; man kann sie beide wohl entzückt genießen, aber nicht vergleichen.
Während die früheren Bilder Munkacsy’s nur die niedersten Menschenclassen darstellen, während er erst mit dem eben erwähnten Atelierbilde sich von denselben losriß, aber doch immer noch im Kreise des Selbsterlebten blieb, sehen wir ihm hier die Schwingen auf einmal mächtig gewachsen. Er wird selbst zum Dichter, der uns längst vergangene Zeiten und Geschichten mit voller Lebendigkeit und Glaubwürdigkeit zu schildern, sie mit allem Reize der Poesie zu umkleiden weiß. Man staunt über die Tiefe der Empfindung, die aus dem erhabenen blinden Milton, aus diesen liebevollen Mädchen spricht, fast ebenso sehr, wie über den Reichthum der Palette, den der einst so eintönige Maler hier entfaltet; und er verleiht ihm durch die vornehme Zurückhaltung, mit der er es thut, noch feineren Reiz.
Aus dem diesmal noch klareren und leuchtenderen Helldunkel glänzt uns das Gemach des in sehr bescheidenen Verhältnissen lebenden puritanischen Landedelmanns und Gelehrten mit bestrickendem Zauber entgegen. Gehört die Erfindung des blinden, blos der inneren Stimme lauschenden Dichters ganz den künstlerischen Inspirationen an, ist sie malerisch wie historisch gleich sehr ersten Ranges, so bleibt auch bei den Töchtern die schöne Abstufung des Antheils, den sie am begeisterten Vater nehmen, kaum weniger interessant. Bei der schreibenden Aeltesten ist die angestrengte Aufmerksamkeit, mit der sie keines seiner Worte zu verlieren trachtet, ebenso glücklich der Natur abgelauscht, wie das Aufblicken der Stickenden und die mit Bewunderung gemischte Zärtlichkeit der Stehenden. Außerordentlich [842] viel trägt die vortreffliche Erfindung des Gemaches, die ernste Traulichkeit seiner Stimmung zur Wirkung des Ganzen bei, welches uns den reinsten, wohlthuendsten Eindruck tiefer Rührung hinterläßt, den Munkacsy bis jetzt erreicht hat.
War er früher ein großer Colorist, der aber bereits einer einförmigen Manier zu verfallen drohte, so ist er hier als solcher unendlich reicher und reizender zugleich. Jedes kleinste Stück ist vollendet classisch, behielte seinen eigenthümlichen Zauber, auch wenn man es aus dem Bilde herausschnitte. Und dabei ist er hier durchaus original; selbst die Anlehnung an die Spanier und ihr schwärzliches Colorit ist, wenn auch vorhanden, doch sehr wohlthuend gemildert. Sein Farbenbouquet gleicht jetzt am meisten dem jener herrlichen orientalischen Teppiche, deren Grundfarbe ein tiefes Blauschwarz ist, um das ein gedämpftes gelbliches Weiß nur in geringen Quantitäten eingesprengt und durch leuchtende Punkte und Linien von allen möglichen Tinten mit dem Grundton verbunden ist. So sind denn auch sowohl der Tisch- wie der Bodenteppich, endlich die Fensterwand mit ihren durch die kleinen Scheiben spärlich hereinfallenden Sonnenstrahlen Meisterstücke, die einem Peter de Hooghe alle Ehre machen würden. Angesichts seines „Milton“ muß man Munkacsy nicht nur als Virtuosen der Farbe, die hier in ihrer ruhig gedämpften Pracht doch nur die Fülle seines Gemüths wiederspiegelt, sondern auch als hervorragenden Seelenmaler anerkennen, der nunmehr mit der angebornen Kraft eine seltene Zartheit zu verbinden gelernt hat.
Nicht zu dem geringsten Theil darf man diese so glückliche Umwandlung des Künstlers Munkacsy wohl dem Einflusse seiner Gattin zuschreiben, die uns auch hier wieder dargethan, wie recht der Dichter hat, wenn er sagt, daß es das Ewig-Weibliche sei, das uns hinanziehe, weil es eben die reichen Schätze des Herzens in uns erst zu erschließen vermag.