Textdaten
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Autor: E. Werber
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Titel: Dämonen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 50–52, S. 836–839, 852–856, 868–874
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1879
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[836]
Dämonen.
Von E. Werber.


Nicht schaumgeboren, nicht dem Meere unter Donner und Blitz entstiegen war die Schönheit, an der ich zu Grunde ging; sie war zur Welt gekommen wie die Menschen; dennoch war sie göttlich schön. Mir aber hatte die Natur eine besondere, eine furchtbare Häßlichkeit verliehen, und der Haß gegen die Schönheit verheerte mir das Gemüth. Ja, ich haßte die Schönheit, und ich beleidigte sie. Aber Venus rächte sich an mir. Sie rächte sich weiblich fein und göttlich furchtbar.

Ich ward am Meeresstrande geboren, in einem alten, epheu-umsponnenen Hause, das mit seinen zwei spitzigen Thürmen einsam vor einem Tannenwäldchen steht. Meine Mutter hatte blonde, weiche Haare und weiße, weiche Hände, und ihre Küsse waren unendlich sanft; sie sang mir schöne Schlummerlieder und spielte mit mir in den Gängen des Hauses und im Garten.

Mein Vater hatte schwarze Haare und braune Hände und seine Küsse waren rauhe Gluth; er hatte zwei große Hunde und ging viel auf die Jagd. Eines Abends brachte man ihn todt nach Hause, ganz mit Blut bedeckt. Meine Mutter schrie und verlor das Bewußtsein und als sie wieder zu sich kam, war sie von Sinnen.

Am folgenden Tage kam ihr Bruder Alphons de Conihoult. Er hatte mich seit meiner Geburt nicht wieder gesehen; als ich ihm entgegen eilte, sah er mich erschrocken an.

„Ich bin Maurus,“ sagte ich.

„Wirklich? Du bist Maurus? Du siehst weder Deinem Vater noch Deiner Mutter ähnlich.“ Er schloß mich zögernd in seine Arme und sagte: „Ich bin gekommen, Dich zu holen, Maurus. Du wirst nun mit Deiner Großmutter und mir leben, bis Deine Mutter wieder gesund ist.“

Aber meine Mutter wurde nicht mehr gesund. Als die Februarstürme die Meereswogen in’s Land herein warfen, da starb sie. –

Vom siebenten bis zum zwanzigsten Jahre lebte ich im Hause meiner Großmutter, eine Meile von Rouen, zwischen sanften, einzeln aufsteigenden Bergen und dem silberblauen Seine-Fluß. Die Conihoult’s sind ein altes normannisches Geschlecht, welches die Muschel der Kreuzfahrer und die zwei englischen Rosen im Wappen führt. Meine Großmutter lebt in meinem Herzen, obgleich sie schon lange todt ist. O, sie hatte alle Zauber, alle: Schönheit, Güte, Sanftmuth, Feuer, Geduld und Liebe.

Als ich sie zuerst sah, dachte ich: Kann man eine so junge Großmutter haben? Aber gleich meinem Onkel erschrak sie, als sie mich sah, und sie blickte ihn fragend an.

„Es ist Maurus,“ sagte er.

Da nahm sie mich in ihre Arme und streichelte mir die Wangen und flüsterte: „Armes, armes Kind!“

Und ich dachte in meinem kindlichen Gemüth: Was habe ich nur an mir, daß Beide so erschraken? –

Der Wahlspruch der Conihoult heißt: „Ich laufe.“ Und wahrlich, sie liefen Alle. Sie liefen mit Leidenschaft. Nur warf sich die Beweglichkeit und Unruhe dieses Geschlechtes auf verschiedene Organe: bei den Einen war sie in den Füßen, bei den Anderen im Geiste oder auch im Herzen.

Mein Großvater lief mit dem Herzen; er lief so weit, daß er den Rückweg nicht mehr fand, und meine Großmutter, welche nicht aufgehört hatte, ihn zu lieben, sich von ihm trennte, um ihn lieben zu können, ohne sich verachten zu müssen. Nie sprach sie seinen Namen aus, und war ich so ungeschickt, nach dem Großvater zu fragen, dann sagte sie traurig: „Er ist verreist.“

Als ich wieder einmal nach ihm fragte, antwortete sie mir: „Frage mich nie mehr nach ihm – er ist todt.“

„Wirst Du nun auch sterben?“ rief ich; da blickte sie mit ihren dunklen, tiefen Augen in’s verglühende Abendroth hinaus und sagte: „Noch nicht!“

Mein Onkel Conihoult hatte die Beweglichkeit in der Einbildungskraft und in den Füßen. Er war nie lange daheim; meistens in Paris, wo er wie ein Irrlicht unter den Künstlern und Dichtern sich bewegte, oder er machte Fußreisen in nahen und entlegenen Provinzen, in der Schweiz und in Italien.

„Wirst Du denn niemals müde?“ fragte ich ihn einmal.

„Müde? Was ist müde sein? Ich kenne das nicht,“ erwiderte er. „Ich bin ein Conihoult – ich laufe.“

In meinem fünfzehnten Jahre sagte er zu mir: „Nenne mich nicht mehr Onkel, sonst komme ich mir vor wie ein alter Mann!“

Er hatte große blaue Augen und war hochgebaut, seine Stirn war gewölbt und blendend weiß. Ein brauner, gekräuselter Vollbart verbarg ein wenig den feinen, außerordentlich beweglichen Mund, der ein bestrickendes Lächeln hatte. –

Als ich zu meiner Großmutter kam, war Alphons noch nicht verheirathet, und ich glaube, er flog damals, wie ein durstiger Schmetterling, von Blume zu Blume.

Einige Jahre später, als die Unruhe seines Geistes und seiner Füße ihm schon einen großen Theil seines Vermögens gekostet hatte, kam die Liebe zu ihm und sagte: Ich feßle dich. – Aber an dieser Liebeskette, die ihn bald in die Bande der Ehe schlug, waren wenige Rosen und viele Dornen.

Eines Tages kehrte er zu seiner Mutter zurück, bleich und mit fieberhaften Augen. Sie errieth ihn sogleich und sagte:

„Du bist nicht glücklich, Alphons –“

Er senkte das Haupt.

„Deine Frau versteht Dich nicht –“

„Nein!“ rief er, heftig mit den Händen durch sein Haupthaar fahrend. „Als ich umsonst versucht hatte, durch Güte, Bitten und vernünftige Vorstellungen von meiner Frau eine Erleichterung meiner Gefangenschaft zu erlangen, da wuchs mir im Herzen die Erbitterung und der Groll und in den Füßen brannte mir das Conihoult’sche Fieber. O, ich war wie ein gefangener Falke, an dessen Käfig die süßen Luftströme vorbeirinnen. ‚Ich habe einen ganzen Himmel von Wünschen in Dich niedergelegt,’ sagte ich, ‚und Du hast mir nicht Einen erfüllt. Du bist nicht meine Frau, Du bist mein Kerkermeister. Aber Dein Gefangener ist ein Conihoult und – sieh’ meine großen Normannenhände an! – damit zerbreche ich meine Ketten.’

Das war gestern, und heute bin ich von ihr gegangen und kehre nie mehr zu ihr zurück.“

„Wir haben kein Glück in der Liebe, Alphons,“ sagte meine Großmutter und zog ihn in einen Laubgang des Gartens. Ich blieb zurück und schaute ihnen nach, wie sie langsam dahinschritten unter den hohen Bäumen.

Alphons liebte das Schöne; die Schönheit war seine Religion. Er bewohnte ein ganzes Stockwerk des Hauses allein; es wohnten viele Götter und Halbgötter mit ihm. Sie waren freilich nur von Gyps oder Marmor, aber er sprach zu ihnen, als ob sie lebten, als ob sie eine Seele hätten. Er sprach zu ihnen mit Begeisterung, mit Liebe, mit Anbetung. Ich bewunderte Alphons wegen dieses Seelenschwunges, aber ich liebte seine Götter und Göttinnen nicht. Sie standen so ruhig und siegesbewußt da und nahmen die maßloseste Bewunderung mit kaltem Hochmuth entgegen. Das empörte mich. Und doch war meine Abneigung gegen sie vielleicht nur eine instinctive – dies sollte ich in meinem sechszehnten Jahre erkennen.

Ich hatte die Bemerkung gemacht, daß alle Menschen, die mich zum ersten Male sahen, mich mit Schrecken oder doch mit Erstaunen betrachteten; später sahen sie mich mit Mitleid oder mit sarkastischem Lächeln an. Eine heimliche Angst zehrte an mir, und es ward mir von den Blicken der Menschen heiß. Dennoch hatte ich nicht den Muth zu fragen, warum man mich so ansah, und wenn ich in den Spiegel blickte, so fiel mir nichts in meinem Gesichte auf; es war ja, wie es immer gewesen war.

Alphons brachte nach seinen Ausflügen oftmals ihm befreundete Künstler zu längerem Besuche mit; dann erfüllte eine bewegte geistige Atmosphäre unser Haus, und meine schöne Großmutter schwebte und webte darin mit antiker Anmuth und Würde. Die Erregbarkeit von Alphons’ Geist war dann auf liebenswürdige Art gesteigert, aber ich, ich saß still und befangen in einem seltsam bangen Gefühle.

Es war im Frühling, in der süßesten Zeit, als der Dämon zu mir kam und mir die bittere Erkenntniß brachte.

Ich lag im Grase; Veilchen dufteten von den Beeten zu mir her, und eine Wand von Weißdorn schloß mein Plätzchen [837] von den Pfaden des Gartens ab. Ich hatte ein wenig gelesen, aber ohne Aufmerksamkeit; es drängte etwas in meiner Seele, ich blickte wie in Erwartung zum Himmel hinauf. Da näherten sich auf dem Pfade hinter dem Weißdorn lachende Stimmen und eine derselben sagte:

„Hier ist eine Bank; setzen wir uns! Ich zeige es Ihnen.“

Der gesprochen, war ein Maler, welcher mit Alphons von Paris gekommen. Ich hörte jetzt eine Hand in Papieren blättern, und dann rief der Andere, ein Schriftsteller: „Es ist unerhört. Die Aehnlichkeit ist ebenso überraschend wie die Häßlichkeit. Ich habe in meinem Leben keinen so häßlichen Menschen gesehen, wie diesen Maurus. Man möchte lachen und man möchte weinen, wenn man ihn ansieht.“

„Weil er eine Carricatur ist,“ bemerkte der Maler. „Sehen Sie nur diese schiefen Augen, deren äußerer Winkel nicht etwa nach oben, wie bei den Mongolen, sondern nach unten gezogen ist, diese lange, linienlose Nase und den halbmondförmigen weinerlichen Mund! Die umgelegten, betrübten Ohren und das acajourothe Haar! Das einzige nicht Häßliche an ihm ist die Stirn; diese ist edel und bedeutend, aber sein Gesicht ist die unübertrefflichste Carricatur einer antiken Tragödienmaske. Als ich die Zeichnung beendet hatte, machte ich mir den Spaß, sie zwischen einen Antinous- und einen Apollo-Kopf aufzuhängen. Können Sie sich den Effect vorstellen?“

„Ja, aber ich habe keinen Ausdruck für das Bild.“

„Ich habe einen: ein unglücklicher Affe!“ Beide lachten, und dann sagte der Maler: „Mir thut der junge Mensch leid. Jetzt ist er noch ein halbes Kind und ziemlich unbefangen, aber in einigen Jahren, wenn er die jungen Mädchen ansieht und sie die Köpfe zusammenstecken und lachen, dann –“ „O, sagen Sie Alphons nicht, daß Sie Maurus gezeichnet haben! Er hat ihn unbeschreiblich lieb und würde Ihnen diesen Muthwillen nicht verzeihen.“

„Seien Sie ruhig! Solch ein Unicum verwahrt man sorgfältig in der Mappe und zeigt es nur Menschen, die starke Nerven haben,“ erwiderte der Maler, und dann entfernten sich Beide. –

„Erde, verschlinge mich!“ rief ich leise; „Hölle, nimm mich auf! Ich will Dein grimmigster Teufel werden und Gott und die Natur verfluchen.“ Ich wühlte mit meinen Fingern die Erde auf. Und als ich mich erhob mit dem Vorsatze, mich zu tödten – da ward mir, als stürze eine Feuerlawine von allen vier Weltgegenden auf mich herab – der Odem und die Sinne vergingen mir – ich sank im Todesgefühl zu Boden.

Mehrere Wochen lag ich im Fieber. Als ich davon erstand, war ich in der Seele um zehn Jahre gereift und hatte die Gedanken und den Willen eines Mannes.

Ich hatte meinen Schmerz wahrscheinlich im Fieber verrathen; denn meine Großmutter sah mich jetzt mit so zärtlichen und bewundernden Blicken an, als wäre ich der schönste Enkel, den eine Großmutter haben kann, und diese liebevolle Lüge führte sie bis zu ihrem Tode durch.

Aber im Abgrund meiner Seele brannte wie ein grimmiges Feuer der Haß gegen das Schöne, und hätte ich den edlen Alphons nicht so sehr geliebt, mit einem Hammer hätte ich seine Göttergestalten zerschlagen.

Und doch schien es mir eine Feigheit, so ohnmächtig zu hassen. Diese eitle Göttin der Schönheit, diese übermüthige Venus, die ihren zarten Fuß auf aller Sterblichen Nacken setzt und sagt: Bete mich an! – diese herzlose Göttin verhöhnt dein unglückliches Affengesicht, sagte ich mir, und sie verachtet deinen Haß, der nichts wagt. – Und als Alphons einmal verreist war, ging ich, den Trotz in der Seele, hinab in den Saal, wo er die Schönheiten aufgestellt hatte. Es war stille dort und feierlich, wie in einer Kirche. Die Wände, mit pompejanischem Roth getüncht, das gedämpfte Licht, die weißen Gestalten, die Harmonie der schwellenden Formen, der Hauch der Göttlichkeit – es ergriff mich mächtig. Ich sank auf eine Ruhebank und bedeckte mein Gesicht mit den Händen – ich weinte.

Da erhob sich in meinem Herzen eine Stimme und sagte: „Ausgestoßener! Geht dir der Trotz in Thränen unter? Wirst du wieder zum Knaben? Schmilzt dir das Mark von dem Lächeln dieser olympischen Gestalten? Brichst du zusammen im Angesichte dieser Venus, die schadenfroh ihre Gaben verschloß, als deine Seele zur Erde kam und um eine Hülle bat? Zitterst du kleinmüthig vor ihr, deren Herzlosigkeit dich um der Erde einzige Seligkeit, die Liebe, brachte? Denn wenn dich die Liebe sieht, so schreit sie auf vor Abscheu und flieht. Und wenn du ihr nacheilest, so wird ihr Hohngelächter dir die Kniee lähmen.“

Ein ganzes Leben ohne Liebe?! Ich hatte schon von ihr geträumt, mich ihr schon zugeschworen. Meine junge Seele hatte heimlich die Schwingen geübt zu hohem Fluge – und nun – ! Da sprang ich auf und trat vor die ungroßmüthige Göttin hin: „Hohn um Hohn, Verachtung um Verachtung!“ rief ich und nahm ein Stück Kohle und zeichnete mit fester Hand auf ihren göttlichen Busen mein Gesicht. Sie blieb ruhig, als hätte sie keinen Schimpf empfangen, und ich entfernte mich ruhig, als hätte ich keinen Frevel begangen.

Ein leiser Donner zog mit den Frühlingswolken am Himmel hin, aber ich achtete seiner nicht.

Von diesem Tage an zeigte ich den Menschen mein Gesicht ohne Scheu, und wenn sie darob erschraken oder mich mit unheimlicher Neugier ansahen, dann freute es mich, ihnen unangenehme Empfindungen verursacht zu haben. Ich war zu jung, als daß meine Verachtung der Schönheit eine kalte hätte sein können; sie war vom Hasse durchglüht; sie war ein Widerspruch, eine Krankheit.

Nach einigen Wochen kam Alphons zurück. Mit einem Lächeln halb des Entzückens, halb der Verlegenheit, sagte er:

„Liebe Mutter, ich habe mir eine Frau für viermalhunderttausend Franken gekauft.“

„Noch eine Frau?“ rief seine Mutter.

„Ja, eine, die mich nie quälen wird; sie ist stumm.“

„Stumm?!“

„Ja, und sie heißt Suleika.“

„Du hast sie in einem Harem gekauft?“

„Nein, ich habe sie in einer Künstlerwerkstätte gekauft – sie ist von weißem Marmor.“

„Alphons,“ sagte meine Großmutter, ihr Auge ängstlich auf ihren Sohn heftend: „Alphons, wie viele Frauen kannst Du Dir noch kaufen?“

„Keine mehr,“ erwiderte er erröthend, „aber ich will auch keine mehr; ich bleibe Suleika treu.“

„Armer Alphons, Du bist von göttlichem Wahnsinn oder von bösen Geistern geplagt! Mußt Du denn Alles haben, was Du bewunderst? Deine Liebe zur Schönheit wird Dich zum Bettler machen.“

Er lächelte. „Mutter, an Deinen Zügen habe ich die Schönheit lieben und anbeten gelernt. Ich bete sie an in der Natur und im Geiste. O welch schlechter Liebender wäre ich, wenn ich mit gemeinem Verstand und gemeiner Vorsicht die Nachtheile erwöge, die durch diese Liebe für mich entstehen können! Wie? Ich sollte ein Kunstwerk, das mir göttliche Gedanken und Genüsse giebt, das ich empfinde, als ob ich es selbst geschaffen hätte, ich sollte es in die weihelosen Hände eines Geldmenschen gelangen lassen, weil er reicher ist als ich, und weil es mich um viermalhunderttausend Franken ärmer macht?!“

„O Conihoults, was seid Ihr für ein desperates Geschlecht!“ rief meine Großmutter. „Nicht Euere Füße, nicht Euer Geist, nicht Euer Herz, nicht Euer Geld können ruhig bleiben! Laufen muß Alles! Laufen!“

„In der That, so ist es,“ sagte Alphons gedankenvoll.

„Aber, lieber Sohn, was willst Du thun, wenn Du nichts mehr hast?“

„Dann werde ich ruhig sein. Ich werde mir sagen: Conihoult, jetzt ist es aus. Sei nicht im Kleinen, was Du im Großen warst! Nimm nicht ein Achtel, noch ein Viertel, noch eine Hälfte von dem an, was Du einst besaßest! Sei stolz!“

„Du wirst unsäglich leiden.“

„Ich habe auch unsäglich genossen, Genüsse, die nicht vergehen, die ewig sind,“ rief er begeistert.

Und dann zeigte er uns seine Frau, Suleika. Sie saß auf einem Säulenstumpf und schaute mit großen, scheuen Augen sehnsüchtig in die Ferne. Ein feines, auf der Brust geschlitztes und von der linken Schulter herabgeglittenes Gewand, unter dem Busen mit einer gefransten Schärpe gebunden, floß ihr bis zu den Knöcheln herab; die halbaufgelösten Flechten ihres Haares entschlüpften in schmachtender Wildheit dem Blumenkrönchen, das [838] auf der Mitte des feinen Kopfes saß. Die Flügel von Suleika’s edler Nase waren erwartungsvoll gespannt, und ihre Lippen schienen sich nach einem Kusse zu sehnen. Suleika war von weißem Marmor, aber nicht von jenem bläulich weißen, kalt weißen carrarischen, sondern von röthlich weißem.

Meine Großmutter küßte sie auf die Schulter und sagte: „Schöne Suleika, süße Tochter, binde meinen Sohn, binde ihn mit allen Deinen Zaubern, binde ihn, damit er sich nicht zu Grunde richtet!“ Und dann entfernte sie sich, Thränen im Auge und ein Lächeln auf den Lippen. –

Alphons ließ Suleika in ein kleines, rundes Gemach bringen, dessen Wände mit persischen Geweben bedeckt waren, und stellte sie auf einen Sockel von schwarzem Marmor. Suleika’s Gemach war stets geschlossen, und Alphons allein besaß einen Schlüssel dazu, Keiner seiner Bekannten durfte es betreten.

„Glaubst Du,“ sagte er einmal zu mir, „daß die banale, leichtfertige Bewunderung der Menschen Suleika’s Werth für mich erhöhen könnte? Im Gegentheil, sie würde mir Suleika entweihen. Ich bewundere ihre Schönheit nicht nur, ich empfinde sie. Es ist, als hätte Suleika mir einen Liebestrank gegeben aber – verstehe mich wohl! – einen geistigen. Und der Gedanke, daß ein anderes Auge, als das meine, auf ihr ruhen könnte, ein verliebtes oder ein bekrittelndes – dieser Gedanke empört mich. Sieh, Andere gehen in die Kirche, wenn sie beten wollen; ich gehe in meine stillen Säle, in die Säle der Schönheit. Ich betrete sie barhäuptig und mit verehrungsvollem Entzücken und ich bete. Ich sage kein Pater noster und keine Litanei, aber ich bete. Und wie in jeder Kirche eine Capelle für die besondere Anbetung ist, so habe ich auch eine in meinem Schönheitstempel: die Capelle der Suleika. Und ich weiß gewiß, daß ich nach dem Tode selig werde, denn Gott ist die Schönheit im Geiste, und ich war in seinem Dienste nicht träge.“

Mehrere Tage nach Alphons’ Zurückkunft betrat ich den Saal wieder, in welchem ich dem Busen der Göttin Venus ein so entsetzliches Maal aufgedrückt hatte – es war verschwunden. Der gute Alphons hatte den göttlichen Busen davon gereinigt, ohne mir einen Vorwurf zu machen.

Aber die That war dennoch geschehen.




In meinem zwanzigsten Jahre sah ich in Rouen ein Mädchen, das sehr häßlich war. Sie saß unter den Platanen des Remparts und hatte ein Buch in der Hand. Die Seine floß still dem Meere zu; der Himmel war im Westen gewitterhaft, goldbraun und rothschwarz, und darüber schossen schwefelgelbe Lichtstrahlen und verblaßten in den weißen Wolken, die dem Flusse nachzogen.

Das Mädchen fühlte meinen Blick auf sich ruhen; erröthend stand sie auf, und da sie hastig fortgehen wollte, stieß ihr Fuß an einen Stein, und sie fiel.

Ich hob sie auf und fragte: „Haben Sie sich weh gethan?“

„Ja, ein wenig,“ erwiderte sie lächelnd. „Ich glaube, ich kann noch nicht gehen.“

Ich führte sie zur Bank zurück und setzte mich neben sie.

„Ich danke Ihnen,“ sagte sie, und jetzt erst sah sie mich an.

Da verschwand das Lächeln von ihrem Munde, und ihr Gesicht wurde traurig. Sie dachte wohl: dieser Mensch ist noch häßlicher, noch viel, viel häßlicher, als ich. – Nach einer Weile fragte ich sie, was sie gelesen habe.

„Montesquieu.“

„Sind Sie denn eine Philosophin?“

„Noch nicht! Aber ich hoffe, eine zu werden.“

„Und warum wollen Sie eine Philosophin werden?“

Erröthend erwiderte sie:

„Weil ich mir denke, es müsse herrlich sein, ganz in der Philosophie zu leben.“

Die Arme hatte nicht die Wahrheit gesagt. Die wahre Antwort wäre diese gewesen: Weil ich nie geliebt werden kann. –

„Aber,“ fragte ich, „wer giebt Ihnen denn solche Bücher?“

„Mein Großvater, bei dem ich lebe. Ich bin eine Waise.“

Sie stand jetzt auf, aber sie hatte vom Fall her Schmerzen am Fuße und hinkte.

„Nehmen Sie meinen Arm!“ bat ich. „Stützen Sie sich recht fest auf mich!“

O süßer Schrecken, als ich ihren Arm in den meinen schlüpfen fühlte!

Da sie aus Bescheidenheit sich nicht auf mich zu stützen wagte, drückte ich ihren Arm fest an mich, und da mir Feuer durch die Adern und durch die Gedanken rann, sagte ich: „Fühlen Sie bei gewitterhafter Luft auch anders als sonst?“

„Ja, mir ist beklommen, halb wohl und halb weh.“

„Fürchten Sie sich vor dem Gewitter?“

„Nein, wenn es da ist, fühle ich freudig.“

Ich bat sie, nicht so schnell zu gehen, obgleich wir langsam gingen. „Sprechen Sie mir doch von Ihrer Philosophie, Fräulein!“

„Von meiner Philosophie?! O, so weit bin ich noch nicht! Wie könnte ich überhaupt schon viel wissen? Ich bin ja erst achtzehn Jahre alt.“

„Nun, so sprechen Sie mir von irgend einer Philosophie, von welcher Sie wollen!“

Sie lächelte.

„Soll ich Ihnen von jener sprechen, welche sanfte Bewegung des Geistes und völlige Ruhe des Gemüthes über alles Andere setzt?“

„O Fräulein – das ist die Philosophie der Greise! Ich erlaube Ihnen diese, wenn Sie siebenzig Jahre alt sein werden.“

Sie lachte in sich hinein und sagte: „Und doch ist gerade sie es, welcher ich mich zu ergeben gedenke.“

„Aber halten Sie dieselbe denn für ein Glück?“

„Wenn Sie auch nur ein wenig Philosophie studirt hätten, so wüßten Sie, daß es kein Glück auf dieser Erde giebt. Für ein Glück halte ich jene Philosophie nicht, aber für eine Rettung.“

„Sind Sie denn in Gefahr? Und in was für einer?“

„Aber ich kann Ihnen doch nicht Alles sagen, mein Herr! Ich kenne Sie ja gar nicht.“

„Das ist wahr,“ erwiderte ich kleinlaut. „Ich heiße Maurus le Borré. Mein Haus steht am Meeresstrande, aber ich lebe jetzt bei meiner Großmutter in der Nähe von Rouen in Védie, denn ich bin auch eine Waise.“

„Auch eine Waise?! O, ich habe ja kein Mißtrauen in Sie! Aber es wäre doch nicht schicklich, wenn ich Ihnen Alles gleich sagte, nicht wahr?“ Und als sie vor einem kleinen alterthümlichen Hause stehen blieb, setzte sie hinzu: „Hier wohne ich.“

Das hieß: wir müssen uns trennen. O, ich hätte sie am liebsten an mich gerissen, mit mir fortgerissen zum Meeresstrande und in das epheuumsponnene Haus und in den hohen Saal, und zu ihr gesagt: „Sieh dort das Meer! Ausgelöscht sei für uns das eitle Treiben der Welt! Ich schließe die Thüren hinter ihr zu und schiebe alle Riegel vor! Du bist mein!“

Aber sie entzog mir sanft ihren Arm.

„Wenn ich nur wüßte, ob sich Ihr Fuß nicht verschlimmern wird,“ sagte ich, und da sie schwieg, setzte ich hinzu: „Ich werde sehr unruhig sein.“

Da blickte sie mich mit ihren tiefliegenden Augen an, und ihr dunkler Blick hatte eine zärtliche Gewalt.

„Kommen Sie einmal, nach mir zu sehen!“ sagte sie gütig, „ich werde meinem Großvater sagen, wie gut Sie gegen mich gewesen sind.“

„Werden Sie über der Philosophie mich nicht vergessen?“ wagte ich zu fragen.

„Ich vergesse nie das Gute und das Angenehme,“ sagte sie und trat in die Hausflur.

„O Fräulein, ich habe eine große Bitte.“

„Welche?“

„Wenn Sie mir sagen möchten, wie Sie heißen –“

Sie erröthete und sagte leise:

„Ich heiße Theresa, Theresa Varennes.“ Dann wandte sie sich zur Treppe hin, und ich entfernte mich.

Wie im Traume ging ich durch die Straßen Rouens; die Menschen erschienen mir wie Schatten, die Häuser wie Gefängnisse. Es ward mir schwül, und ich glaubte zu ersticken. Als ich dann die Stadt hinter mir hatte, blieb ich eine Weile stehen; es war dämmerig geworden und stille; das Rauschen der Seine klang wie eine geheimnißvolle Orakelstimme; drüben am Horizont zitterten elektrische Lichtschauer und gossen bläuliches Gold über das finstere Gewölk; dann und wann rollte langsam der ferne Donner.

Ich entblößte mein Haupt: Zu wem soll ich beten? Wem soll ich für den Segen danken? Denn er ist gekommen, der [839] Segen. Ich habe sie gefunden, die mich lieben wird. Der göttliche Hauch kam über meine finstere Seele, und es ward Licht. Theresa, schlafe nicht! O schlafe nicht! Höre meiner Seele zu, die eine Hölle von Leiden und einen Himmel von Seligkeiten vor Dir ausschütten muß! O laß die Philosophie, und komm zur Liebe! Hier ist sie, in dieser Brust, ringend wie ein Gewitter, flammend wie eine neugeborene Sonne! Schlafe nicht, Theresa, denn ich muß die ganze Nacht zu Dir sprechen! Und hilf mir morgen ein wenig, damit der Tag schnell vorüber geht, und wenn ich übermorgen komme, so sage gleich „Maurus“ zu mir, damit ich weiß, daß Du alles gehört und verstanden hast, was meine Seele Dir sagt!

So ging ich die ganze Nacht zwischen Rouen und Védie hin und her in süßester Erregtheit. Die Nacht war dunkel, aber es wetterleuchtete häufig, und zuweilen schimmerte auf Augenblicke der Mond durch Wolken hindurch. Diese sanfte Lichtbewegung war mir wie eine holde Verheißung, und als gegen Morgen die Wolken nach Süden trieben und im Osten Venus erglänzte, da blickte ich lächelnd zu ihr hinauf und rief leise:

„Göttin, ich hasse Dich nicht mehr. Ich habe jetzt mehr als die Schönheit; ich habe das Glück!“

[852] Als ich mit dem ersten Sonnenstrahle am Hause meiner Großmutter geläutet hatte und die Treppe emporstieg, kam mir mit verstörten Zügen Alphons entgegen und drückte mir die Hand.

„Maurus, wir verlieren unsern Schutzengel – meine Mutter stirbt,“ sagte er.

„O Glück, versinkst Du mir schon?“ rief mein Herz, und ich warf mir vor, die Nacht in Liebesträumen verbracht zu haben. Wie ein Schuldiger kniete ich in Zerknirschung am Bette meiner Großmutter nieder und küßte ihre erkaltende Hand. Sie war bei Bewußtsein, aber die Schwäche erschwerte ihr das Sprechen. [853] Als die Sonne einen Strahl auf das Fenster warf, sagte sie langsam: „Die Sonne kommt – und ich gehe –“ Und dann schloß sie die Augen und öffnete sie nicht wieder. –

Am dritten Tage nach meiner Großmutter Begräbniß ging ich nach Rouen; mir war bange um Theresa.

Als ich in den Flur ihres Hauses trat, kam mir der Geruch von Weihrauch entgegen. Man führte mich in ein Zimmer, in welchem viele Blumen und viele Bücher waren, und Theresa stand in einem schwarzen Kleide bei den Blumen. Sie war sehr blaß. Ich war mit einem großen Muth und einem großen Entschlusse gekommen; dennoch bebte ich, als ich eintrat und sie sah – ihre Gestalt erschien mir edel und schön.

„Guter Herr,“ sagte Theresa traurig und reichte mir die Hand.

„Ich habe immer an Sie gedacht,“ stammelte ich, „aber ich konnte nicht früher kommen; es ist mir ein großes Unglück geschehen – meine Großmutter ist gestorben.“

Sie blickte mich mit heiligem Schrecken an:

„Großer Gott! Sehen Sie nicht, daß ich ganz schwarz gekleidet bin? Man hat meinen Großvater gestern begraben.“ Und sie brach in Schluchzen aus.

„Theresa!“ Ich kniete vor ihr nieder und küßte ihre Hände.

„O – o, stehen Sie auf!“ bat sie sanft, „Sie bringen mich aus aller Fassung.“

Da erhob ich mich, und sie wehrte mir nicht, als ich meinen Arm um sie schlang und sie auf einen Divan zog. Nach einem Schweigen voll innigen Schmerzes sagte ich leise:

„Theresa, wir haben ein gleiches Schicksal –“

Sie nickte, trocknete ihre Thränen und strich sich das schwarze Haar aus der Stirn; dann wollte sie ein wenig von mir wegrücken, aber ich hielt sie um so fester.

„Theresa, bleiben Sie!“ bat ich. „Ich habe ein paar Fragen an Sie zu richten – versprechen Sie mir beim Andenken Ihres Großvaters, mir aufrichtig zu antworten!“

„Ich verspreche es Ihnen,“ sagte sie zitternd.

„Theresa – als Sie mich zum ersten Male sahen, erschraken Sie nicht vor mir?“

Sie blickte mich erstaunt an und sagte: „Nein!“

„Sie empfanden keinen Abscheu?“

„Abscheu?“

„Es zog sich nichts in Ihnen zusammen?“

„Nein!“

„Sie dachten nicht: O, wie entsetzlich!?“

„Nein, nein! Aber warum fragen Sie mich dies?“

„Weil ich weiß, daß ich grauenhaft häßlich bin.“

„Nein, das sind Sie nicht,“ rief sie und setzte leise hinzu: „Aber ich bin es.“

„Theresa, Sie kennen sich nicht. Sie haben lauter falsche Spiegel im Hause. Meine Seele ist der einzige, der Sie so zeigt, wie Sie wirklich sind. Blicken Sie einmal hinein! – O, wenn Sie wüßten, wie mir war, als ich neulich von Ihnen wegging! Draußen vor der Stadt, im Wetterleuchten, brach es wie ein feueriger Strom in mir aus. Und ich sprach zu Ihnen – o Theresa, haben Sie es nicht gehört?“

Sie schauerte in meinen Armen und drückte ihr Gesicht an meine Brust.

„Ich hin noch jung an Jahren, Theresa, beinahe so jung wie Sie, aber in Gedanken bin ich ein Mann. Als ich erfuhr, wie häßlich ich bin – wehren Sie mir nicht, Theresa! – da war ich ganz vernichtet, dann aber fing ich an, die Schönheit zu hassen, und jetzt verachte ich sie. Und da Sie, edles Mädchen, keinen Abscheu vor mir empfinden –“

Sie athmete tief, und sie zitterte.

„Theresa, sagten Sie aus Mitleid oder aus Philosophie, daß Sie keinen Abscheu vor mir empfinden?“

„O, sprechen Sie doch das entsetzliche Wort nicht mehr aus! Sie sind ja nicht häßlich – Sie sind schön.“

Da kam ein himmlischer Rausch über mich – ich wußte jetzt, daß ich geliebt war.

„O Theresa,“ sagte ich mit Inbrunst, „ich liebe Dich. Ich liebe Dich mit der hohen Geistesliebe und mit der süßen Herzensliebe. Wäre ich Deiner doch schon würdig! Wären wir doch schon im stillen Hause am Meeresstrande! So groß und stark und tief und von gewitternder Leidenschaft, wie das Meer, soll unsere Liebe sein. Und wenn neugierige Menschen unsere Einsamkeit stören wollen, dann werden die Meervögel sie verscheuchen mit den großen sturmrauschenden Flügeln. Theresa, es ist ein großer hoher Saal in meinem Hause; seine Fenster gehen auf’s Meer; am Abend scheint eine Glorie von allen Farben in den Saal herein, und das Meer singt große heilige Gesänge. Es sind auch kleinere, lauschige Gemächer in meinem Hause; ihre Fenster gehen auf ein Tannenwäldchen, von wo würziger Duft und süßer Vogelsang herdringen. Und im Garten, Theresa, blühen Veilchen und Flieder und Rosen und Geranien, und die Mauern sind mit Epheu umrankt, wie alte Ruinen, und der ganze Wohnplatz ist mit träumerischem Zauber umsponnen. Theresa, willst Du in jener Einsamkeit mit mir leben – für immer?“

„Für ewig!“




Die edle Theresa zauberte eine wohlthätige Milde in mein Gemüth, und die Poesie ihrer Augen sang alle schmerzlichen Erinnerungen in mir zur Ruhe. Einige Wochen, nachdem ich ihre Liebe gewonnen, that ich die harte Pflicht gegen mich selbst, sie für ein Jahr zu verlassen; ich besaß wohl eine allgemeine höhere Bildung, denn ich hatte viel gelesen und von Alphons über das Wesen und den Geist der Kunst Vieles gelernt, aber ich fühlte den inneren Drang und, der hochgebildeten Theresa gegenüber, die Nothwendigkeit, mir ein positives Wissen anzueignen.

Deshalb ging ich mit Alphons nach Paris, um an der Universität und den anderen geistigen Quellen jener Stadt meine Kenntnisse zu vermehren.

Ich stürzte mich mit Leidenschaft in die Studien. Jeden dritten Tag erhielt ich einen Brief von Theresa und erwiderte ihn sogleich. Ich führte sie in meinen Briefen durch die Straßen von Paris, in die Hörsäle der Universität, in die Concerte und Kunstgallerien, in die Gärten und Wäldchen und auf die Blumen- und Vogelmärkte und – durch mein Herz. Ihre Briefe enthielten nicht so Vielerlei wie die meinigen, aber sie enthielten dennoch mehr, und sie wurden ein leidenschaftliches Bedürfniß für mich.

Alphons, der nie lange an einem Orte bleiben konnte, verließ Paris nach dreimonatlichem Aufenthalte.

„Maurus,“ sagte er, „ich will ein wenig nach Italien hinuntergehen, meine Füße sind ungeduldig.“

„Und Suleika?“ fragte ich lächelnd.

„Ich kann nicht immer in Person bei meiner Frau sein, doch in Gedanken bin ich’s. Ich bin fort und bin nicht fort.“

„Aber wenn Du ihr untreu würdest?“

„Du weißt, daß ich mir keine Frau mehr kaufen kann.“

In der That, Alphons hatte viel mehr von seinem Vermögen verbraucht, als seine Mutter geahnt hatte. Es schwebte schon eine fremde Hand über seinem Hause, und von den übrigen Besitzungen trug keine mehr den Namen Conihoult. Aber dies machte ihm keine Sorgen. „So lange ich noch Mittel habe, so lange will ich genießen,“ sagte er. „Eine vorsichtige, kleine Existenz ist kein Leben. Wenn ich einmal nichts mehr habe, dann werde ich Eremit.“

Es war meinem Auge und meinem Gefühle nicht entgangen, daß Alphons’ Freunde und Bekannte, als sie mich zum ersten Male sahen, vor mir erschraken, und manche unter ihnen konnten auch später noch die Ueberwindung nicht verbergen, zu welcher sie im Gespräche mit mir sich anstrengten. Was jener Maler im Garten meiner Großmutter vorausgesagt, war auch eingetroffen: ich hatte junge Mädchen die Köpfe zu einander stecken und lachen sehen, wenn ich in eine Gesellschaft trat. Ich sah auch, daß ich in manchen Menschen Mitleid erweckte, aber ich bäumte mich vor der Ueberwindung, vor dem Lachen und vor dem Mitleid, und benahm mich mit unsäglichem Stolze und fühlbarer Verachtung. Am allerfühbarsten war meine Verachtung den schönen Menschen und den Kunstwerken gegenüber, welche nur die Schönheit ausdrückten.

Fern von Theresa’s Augen, ihrer sanften Stimme und ihren milden versöhnenden Worten fühlte ich den Zwiespalt wieder in meine Seele schleichen; ich ward düster und hochfahrend, und man fand, ich sei ein unverschämter Mensch, der sein Gesicht wohl verdiene.

Da Alphons’ Bekannte jenen Kreisen angehörten, welche der Schönheit in allen Lebens- und Kunsterscheinungen einen wirklichen [854] und begeisterten Cultus widmen, so fand meine Erbitterung immer neue Nahrung, und nachdem Alphons Paris verlassen hatte, zog ich mich mehr und mehr von der Gesellschaft zurück. Mit einem Menschen jedoch war ich auch dann noch oft zusammen; er zog mich an, weil er das Schöne weniger liebte als das Fremdartige, das Seltsame. Dennoch blieb er in den Kunstsälen manchmal vor Bildern stehen, welche nur die Schönheit zum Gegenstande hatten. Wenn ich ihn dann seiner Abtrünnigkeit wegen schalt, sagte er jedes Mal: „Das Schöne ist eben doch schön.“ Manchmal dachte ich über dieses Wort nach und verglich Theresa mit den jungen Mädchen, die ich sah, und dann sagte ich mir wohl, daß Theresa ohne Kränkung sich nicht neben sie stellen könnte, allein ich sagte mir auch: sie hat mehr, als die Schönheit ist. Ich gäbe sie nicht um Venus selber hin. Und nie schrieb ich ihr innigere Briefe, als nach solchen Stunden.

Aber Venus warf einen Brand in mich, und er zündete.

Nach einem warmen Gewitterregen ging ich eines Tages über den Pont neuf; ich ging langsam in süßen Gedanken an Theresa, die mir geschrieben hatte: „Ich bin eine ganz schlechte Philosophin. Eine Haupttugend des Philosophen, die Geduld, habe ich verloren, und wie ängstlich ich sie auch suche – ich finde sie nicht mehr.“

Ich blickte nach Westen zu den Hügeln hin, die in frischem, starkem Grün unter grauen, mit sanfter Eile hintreibenden Wolken hervortraten. Nach Westen zogen die Wolken, nach Rouen, zu Theresa, zum Hause am Meeresstrande. Der Traum meines Herzens zog mit ihnen und noch weiter; er schlich sich in das einsame Haus, in den hohen Saal und in die lauschigen Gemächer, wo ein süßes, heiliges Glück beim Rauschen der Meeresbrandung in stolzer Verborgenheit selbstgenügend der übrigen Welt vergaß. Da plötzlich ergriff Jemand meinen Arm – es war Roudel, der manchmal sagte: das Schöne ist eben doch schön.

„Kommen Sie, ich zeige Ihnen ein Bild, ein Portrait. Sie müssen es sehen.“

Er führte mich in ein Atelier, wo nur ein Knabe zugegen war; ein Bild stand auf einer Staffelei in der Mitte des Raumes. Nach einem ersten Blicke auf dieses Bild fühlte ich, wie wenn eine fremde Gewalt über mich käme und sich mit sanftem, wohligem Drucke meines inneren und äußeren Menschen bemächtigte. Ich hörte Roudel sprechen, aber ich verstand nicht, was er sagte; das Bild verschwamm vor meinen Augen in ein rosenrothes pulsirendes Luftmeer, das einer schwarzen Nacht entstieg – ich fühlte die Schläge meines Herzens bis in die Stirn hinauf. „Ich muß mich setzen,“ konnte ich noch sagen, und dann saß ich eine Weile mit geschlossenen Augen und in tödtlicher Angst. Was war mir geschehen?

Es wurde nach und nach wieder klar in mir, aber ich wagte noch immer nicht, die Augen zu öffnen. – Wenn es das Bild war, das diese Wirkung auf mich hervorgebracht hatte?! Aber es konnte ja nicht anders sein. Und doch hatte ich es kaum angesehen. Ich hatte kein anderes Bewußtsein davon, als daß es eine Frauengestalt bis zu den Knieen darstellte und daß die vorherrschende Farbe des Bildes rosenroth war. – Wenn ich es jetzt ansehe – dachte ich – und es hat wieder diese Gewalt über mich, dann bin ich ein verlorener Mensch. Aber vielleicht war ich zu schnell die Treppe hinauf gegangen, vielleicht war es nur das Blut. Ich öffnete die Augen: Roudel stand vor mir und reichte mir ein Glas Wein.

„Nein,“ sagte ich, „keinen Wein! Ich hatte einen Blutandrang nach dem Kopfe – ich habe dies öfters – jetzt aber ist es vorüber und mir ist ganz wohl.“

Ich trat vor das Bild – Alles in mir schwoll, und jener sanfte, wohlige Druck bemächtigte sich meiner wieder, doch nicht bis zur Ohnmacht. Ich konnte stehen und schauen; es blieb mir sogar die Fähigkeit des aufmerksamsten, feinsten Blickes.

O, dieses junge Weib war göttlich schön. Sie stand, als träte sie aus einer rothschwarzen Nacht dem Lichte entgegen. Das feine, weiche Gewand, welches ihr Brust und Hüften eng umschloß, war nicht eigentlich rosenroth, sondern von der Farbe des allerhellsten, des allerzartesten Geraniums; Goldfäden schlangen sich durch das Gewebe und weiße flockige Knötchen. Ihr braunes Haar lag wie eine schlafende Schlange um den Kopf gewunden und war auf dem Scheitel mit einem Dolche von blaßrother Koralle befestigt. Ihre Brauen waren geschwungen wie ausgespannte Schmetterlingsflügel, und von den zart eingesenkten Schläfen führte das rosige Oval der Wangen zu einem feinen, kaum merklich gespaltenen Kinn herab. Der Ausdruck ihrer Züge war der einer heiteren Ruhe. Sie sah mich mit großen stahlblauen Augen an, und ihres Mundes Siegeslächeln sagte: Ich habe Dich!

Ich stand bebend vor dem Bilde, und als Roudel sagte: „Das Original ist noch mächtiger als das Bild,“ da fühlte ich mein Herz schmerzhaft zucken.

„Wer ist sie?“ fragte ich.

„Eine Russin, oder eigentlich eine halbe Tscherkessin – mehr weiß ich nicht.“

„Wo haben Sie dies Weib gesehen?“

„Hier, als sie zu dem Bilde saß.“

„Wie heißt sie?“

„Sie hat einen russischen Namen, den ich vergaß, aber ihren Vornamen vergaß ich nicht; sie heißt: Suhra.“

Ich hielt mit meinen hastigen Fragen inne und sagte leichthin: „Sie muß ein sehr schönes Geschöpf sein – auch das Bild ist schön; ich meine: schön als Malerei.“

„Das ist Alles, was Sie darüber zu sagen wissen?“

„Alles!“ erwiderte ich, das Atelier verlassend.

„Sie sind ein Barbar,“ rief mir Roudel nach, als ich, um allein zu sein, eiligst davonging.

Ich hatte in tiefster Seele die Ueberzeugung, daß ein Wetterstrahl in mein Leben gefahren war. „Ich bin verloren,“ rief ich. „O Theresa, Stern des Friedens, gehe mir nicht unter!“ –

Es zog mich zu dem Bilde mit dämonischer Gewalt, und ich floh es mit der Angst, mit welcher glückliche Menschen den Tod fliehen. Ich floh das Haus und die Straße, wo es war; ich floh Paris – ich floh zu Theresa.

„Theresa, ich habe Fieber und Angstträume – laß mich bei Dir gesund werden!“ sagte ich und sank in ihre Arme.

Und als ich in ihren Armen lag, bemächtigte sich meiner eine verrätherische Empfindung: Ich war unendlich selig, denn ich fühlte Theresa’s Herz an meinem klopfen und bildete mir ein, sie habe Suhra’s Gesicht.

„O Uebermaß von Glück! O selige, allerseligste Liebe!“ stammelte ich und bedeckte geschlossenen Auges ihr Angesicht mit Küssen.

„O Maurus,“ hauchte sie und entzog sich mir, und ihr Haupt sank auf den Nacken. Da schaute ich sie an, und obgleich ihr Gesicht von Liebe beseelt war, zog sich alles Feuer von meinen Lippen zurück – es preßte mir etwas das Herz zusammen – ich erwachte wie aus einem Rausche.

Ich führte sie zu einem Stuhle und setzte mich neben sie; meine Hand erkaltete in der ihren – ich blickte in’s Leere und wünschte mir den Tod.

„Maurus, Du bist krank, ernstlich krank,“ sagte sie.

Und ich, der gekommen war, um lange bei ihr zu bleiben und mich von ihr heilen zu lassen, ich erwiderte:

„Nein, Theresa, ich hatte nur in den letzten Tagen ein wenig Fieber. Aber es ist mir schon besser, da ich Dich gesehen habe, und ich werde morgen nach Paris zurückgehen und meine Studien fortsetzen können.“

„Morgen? O, das ist zu bald.“ Und sie umschlang mich. O reines Herz von Liebe – dachte ich – eher als Dir wehe thun, will ich Dich belügen, süß belügen. Und ich schloß die Augen und träumte, ich hielte Suhra in meinen Armen, und ich küßte in Wirklichkeit Theresa und sprach Worte süßer Leidenschaft zu ihr. Mein Gewissen klagte mich an, mein Herz sprach mich frei, und im Zwiespalt meiner Gefühle fand ich Wonne und Qual. Als es dunkel ward, holte Theresa Licht und führte mich in das Zimmer, wo die Bücher standen.

„Was machen Deine Philosophen?“ fragte ich sie.

„Meine Philosophen? Ach, ich glaube, sie sind sehr unzufrieden mit mir. Sie haben auch Recht; ich lasse sie hier im Staube verkommen. Neulich, als ich einen herausnahm – es war Montesquieu – schämte ich mich des Staubes, der auf ihm lag, und als ich eine Weile darin gelesen hatte, schlug sich das Buch wie von selber zu, und in mir sagte es: Ach, Deine Gedanken sind ja ganz wo anders, verliebte Thörin!“

Mir drangen diese Worte in’s Herz , und ich drückte einen Kuß auf Theresa’s reine Stirn. Dann lasen wir und tauschten [855] ernste und hohe Gedanken aus, und ich bewunderte Theresa’s klaren Geist und ihre feine Empfindung. – Es war spät, als sie mich in das Zimmer führte, in welchem ich schlafen sollte, und als sie mir sagte: „Maurus, schlafe wohl! Und wenn Du Dich in der Nacht unwohl fühlen solltest, so klopfe an der Wand! Ich werde es hören; ich schlafe neben Dir“ – da schloß ich sie mit einer hohen Empfindung in die Arme und dachte: Ich schlafe neben meinem Schutzgeist! –

Aber als ich am nächsten Tage Theresa verließ, nahm ich die Ueberzeugung mit mir, daß ich sie verehrte wie ein reineres, besseres Wesen, aber sie nicht liebte. – Und mit jeder Minute, die mich mehr von ihr entfernte, wuchs meine Angst vor dem, was nun kommen würde. Als ich dann in meine Wohnung in Paris trat, fand ich auf meinem Schreibtische einen Brief von Roudel, und es stand darin: „Ich hole Sie heute Abend zu einem Besuche bei der Tscherkessin ab. Erwarten Sie mich um neun Uhr!“

Ich sank auf einen Stuhl; ich zitterte am Körper und in der Seele. – Nach und nach ward ich ruhiger; ich sagte mir, daß das wirkliche Wesen vielleicht einen ganz andern Eindruck auf mich machen werde, als das Bild, und daß ich von meinem Fieber vielleicht durch Suhra selbst geheilt würde. Ja, sagte ich mir, ich werde hingehen; ich werde gegen diese geheimnißvolle Gewalt kämpfen und vielleicht siege ich. – Diese drei „Vielleicht“ klangen mir, wie von höhnischer Stimme gesprochen, in der Seele nach. –

Es waren viele Menschen in Suhra’s Zimmern versammelt, und ich kannte die meisten; es waren Alphonsens Freunde und Bekannte, von welchen ich mich seit Monaten zurückgezogen hatte. Sie begrüßten mich mit Erstaunen und Kühlheit.

Nach einigen peinlichen Momenten hörte ich aus einem Nebensalon ein helles, vibrirendes Lachen und fühlte, daß diese Stimme Suhra’s Stimme war. Als ich eben von Jemandem angeredet wurde, trat Suhra plötzlich unter die Thür. Sie stand dort wie auf dem Bilde, aber hundertmal schöner, hundertmal mächtiger. Ich weiß nicht, ob sie vor meinem Gesichte erschrak, als ich ihr vorgestellt wurde, denn ich hatte die Augen vor ihr niedergeschlagen; ich erinnere mich auch nicht, was sie zu mir sprach und was ich ihr erwiderte oder ob ich überhaupt zu ihr sprach. Aber als ich dann endlich zu ihr aufblickte, ruhten ihre großen stahlblauen Augen auf mir, und ihres Mundes Siegeslächeln sagte: Ich habe Dich.

Ich stand vor ihr, wie ein Streiter mit zerbrochener Waffe vor seinem Sieger steht.

Einen ganz genauen Eindruck ihrer Person erhielt ich indeß an jenem Abend nicht; ich war in einem Zustande solcher Erregtheit, daß sich Alles vor meinen Augen verwirrte. Wenn sie in meine Nähe kam, fühlte ich etwas wie einen magnetischen Strom von ihr zu mir herüber gehen, und als sie sich einen Augenblick neben mich setzte und ich aufstehen wollte, hatte ich nicht die Kraft dazu. Ich wandte mein Gesicht ab, damit sie mich nicht ansprechen solle; sie that es auch nicht, aber sie wehte mir mit ihrem Fächer einen starken, fremden Wohlgeruch zu. Wohl fühlte ich, daß zwischen ihr und mir etwas Besonderes bestand; war es nur der furchtbare Gegensatz meiner Häßlichkeit zu ihrer Schönheit, oder war es mehr? Ich vermochte nicht, es zu unterscheiden, allein sie hatte sich absichtlich neben mich gesetzt – dessen war ich mir bewußt. Als sie dann aufgestanden war und sich unter die Gäste gemischt hatte, verließ ich den Saal und das Haus. Ich lief – ich wußte nicht durch welche Straßen – ich lief, bis der Tag anbrach; da sah ich, daß ich bis über Vincennes hinaus gegangen war. Ich legte mich erschöpft in’s feuchte Gras. Jetzt, jetzt ist sie da, die Liebe – ich fühlte es und sagte mir, daß ich an ihr zu Grunde gehen werde. Und als die Sonne am Horizont aufflammte, rief ich laut und mit ekstatischem Verlangen: „Suhra!“

Ja, sie war da, die Liebe, die Leidenschaft, und ich kämpfte nicht mehr dagegen. Ich suchte jetzt jene Bekannten wieder auf, die ich seit Monaten gänzlich gemieden hatte; ich that es, um Suhra so oft wie möglich zu begegnen. Jedesmal, wenn ich sie sah, hatte sie für mich jenes Siegeslächeln, und wenn sie mit Anderen sprach, suchte ihr Blick mich. Jedesmal kam sie mir möglichst nahe und wehte mir mit dem Fächer jenen fremden Wohlgeruch entgegen; sie sprach nicht zu mir, aber ihre blauen, etwas kühlen Augen waren zuweilen von Blitzen durchzuckt, die ihrem Blicke etwas Aufforderndes gaben. Ich sagte mir wohl, daß sie unmöglich ein anderes Interesse an mir haben könne, als das der Eitelkeit; sie hatte natürlich durchschaut, daß meine Leidenschaft für sie eine ungewöhnliche, eine rettungslose war.

O Theresa, Stern des Friedens! Versinkst Du?

An einem warmen Märztage ging ich in’s Wäldchen von Boulogne und setzte mich in einem einsamen Seitenwege. Ich hatte einen Brief an Theresa geschrieben, der mich viele Mühe kostete, denn ich wagte nicht, ihr wehe zu thun, und vermochte doch nicht Gefühle auszudrücken, die ich nicht empfand. Der quälende Druck auf meinem Herzen löste sich allmählich, nachdem ich mich im Tannengebüsch gesetzt hatte. Zuweilen drang gedämpft der rollende Ton der Wagen von den Fahrwegen zu mir; die Schatten der Tannen schwankten sanft auf dem sonnigen Boden, und ich versank in eine Stimmung, wie man sie bei großer Müdigkeit vor dem Einschlafen hat.

Da hörte ich das Rauschen eines seidenen Gewandes und ein starker Wohlgeruch wehte mir zu; als ich aufblickte – trat Suhra zu mir, setzte sich neben mich und sagte sogleich:

„Darf ich heute mit Ihnen sprechen?“

Es zitterte Alles in mir; ich rang nach Fassung und nach Worten und stammelte endlich:

„Ich erinnere mich nicht, jemals absichtlich dieser Ehre mich entzogen zu haben.“

„Sie sind nicht aufrichtig. Können Sie mich mit gutem Gewissen ansehen?“

Der Klang ihrer Stimme war bei dieser Frage gedämpft und zutraulich und verlieh mir den Muth, ihr in’s Auge zu blicken.

O hätte ich es nimmermehr gethan! Der dunkelblaue Schimmer, kühl und heiß, schalkhaft und gebietend, frei und geheimnißvoll, überwältigte mich, und stöhnend schlug ich den Blick zu Boden.

Da sagte sie in tiefem, leisem Tone:

„Gleich am Abend, da ich Sie zum ersten Male sah, in meinem eigenen Hause, wandten Sie das Gesicht ab, als ich mich neben Sie setzte. – Mißfalle ich Ihnen denn so sehr?“

„Diese Frage ist grausam,“ stieß ich hervor. „Hat man Ihnen noch nicht gesagt, wie schön Sie sind?“

„Viel zu oft! Von Ihnen möchte ich Anderes hören – ich fühle mich eigenthümlich zu Ihnen hingezogen. Sie sind kein Schönredner; Sie sind stolz, und ich glaube, Sie können hassen – das gefällt mir. So sind die Männer im Lande meiner Mutter, im Lande der Tscherkessen: stark! Ich liebe die Stärke – was lieben Sie?“

Bethörend wie Musik war der Ton, mit dem sie fragte, und er riß mich zu dem Worte hin: „Warum fragen Sie? Sie wissen es ja.“

Es entstand eine Pause, in welcher ich das Gefühl eines Verbrechers hatte, der sein Urtheil erwartet. Das Urtheil kam, und es war süß und verderblich.

Eine sammetweiche Hand legte sich sanft auf die meine, und als ich zuckte, sagte Suhra:

„Ich denke viel an Sie – Maurus!“

Die Sinne schwanden mir beinahe. „Sie?“ hauchte ich.

„Ja. Ich weiß vieles von Ihnen – ich habe Ihre Bekannten ausgefragt, und sie haben mir Alles gesagt.“

Erschrocken fragte ich: „Was verstehen Sie unter ,Alles’?“

„Sie haben eine Braut – wann werden Sie sich mit ihr vermählen?“

„O seien Sie schonungsvoll!“ bat ich und senkte meinen Kopf auf die Brust.

Theresa – wenn Du mich jetzt sähest neben diesem schönen Weibe, die Untreue auf den Lippen und den Gewissensbiß in der Seele! –

Da sagte Suhra:

„Wenn Sie nur glücklich werden! Ich glaube nicht recht an das Glück der Ehe –“

„Warum glauben Sie nicht daran?“

„Weil das Glück kurz ist und die Ehe lang.“

Diese Antwort überraschte mich.

„Sie dachten noch nie daran?“ fragte sie lächelnd und fügte, in ihrem Pelzmantel schauernd, hinzu:

„Mich friert. Kommen Sie, führen Sie mich! Ich will ein wenig gehen.“ [856] Und sie legte ihren Arm in den meinen, sehr sanft, sehr zart, und doch war mir, als ergriffe mich ein heißer Sturm. Ich wünschte, es möchte ein Wunder geschehen, das Wäldchen möchte sich plötzlich in ein wildes Thal im Kaukasus verwandeln oder in eine Oase der Sahara.

„Gehen wir schnell! Ich liebe das,“ sagte sie, „und erzählen Sie mir von Ihrer Braut!“

„Verzeihung – ich kann es nicht.“

„Ist sie schön?“

Da sagte ich bitter:

„Wie könnte ich eine schöne Braut haben?!“

„Warum nicht?“

„Schöne Frau, es hat einmal Einer gesagt, ich hätte ein Gesicht wie ein unglücklicher Affe.“

„Und Sie glauben, was oberflächliche Menschen sagen? Ihr Gesicht ist unbeschreiblich interessant; es hat eine magische Anziehungskraft – eine fesselnde Gewalt. Wenn Sie zugegen sind, muß ich stets nach Ihnen sehen, und wenn Sie abwesend sind –“

Es wurde mir schwül – leise fragte ich: „Und wenn ich abwesend bin?“

„Dann sehe ich nur Sie.“

Da stand ich stille und legte meine Hand auf die ihre: „Suhra, wissen Sie, was Sie sagen?“

„Ja.“

„Suhra!“ rief ich mit verhaltener Gluth. „Hier will ich Ihnen nicht ein Bekenntniß thun, das nicht weiter hallen soll, als in Ihr Herz. Aber ich kann jetzt auch von nichts Anderem mit Ihnen sprechen. Erlauben Sie, daß ich Sie zu Ihrem Wagen bringe. Heute Abend werde ich kommen. Haben Sie schon eine Wüste gesehen? Eine Wüste, über welcher die Feuergenien langsam den Sonnenball dahinrollen und wo die Sonnenstrahlen in den Boden hineinwachsen? Eine Wüste, die ungeheure Träume und glühende Stürme hat? Eine solche Wüste bin ich, Suhra. Seien Sie groß und gütig gegen mich!“

Sie blickte vor sich nieder und sagte leise: „In der Wüste will ich wohnen.“

Dann geleitete ich sie stumm zu ihrem Wagen; als er davon gerollt war, ging ich zur Stadt zurück, Wonne und Ungeduld in der überraschten, überwältigten Seele.

[868] Am späten Abend war ich bei Suhra. Sie saß in einem kleinen Gemache, welches ganz mit rosenrother Seide behangen war. Goldgestickte Pantöffelchen bekleideten ihre Füße, die, über einander gelegt, auf einem seidenen Kissen ruhten. Ich hatte ihr mein junges Leben geschildert, meine Kindheit, meine Jünglingsjahre mit den furchtbaren Seelenleiden, auch die Wirkung ihres Bildes. Alles hatte ich ihr erzählt, nur von Theresa hatte ich nicht gesprochen. An jenes heilige Wesen, das vielleicht in derselben Stunde mit hoher Liebe meiner gedachte, wagte ich nicht zu rühren. Als ich meine Erzählung geschlossen hatte, bat ich:

„Und nun, Suhra, sagen Sie mir, was soll aus mir werden?“

„Maurus – ich kann die Deine nicht werden, Du hast eine Braut.“

Das Wort durchzuckte mich. „Jenes Wesen verehre ich zu sehr, als daß ich es länger täuschen dürfte,“ erwiderte ich. „Ich liebe Theresa nicht, ich liebe Dich!“

„Du willst sie mir opfern?“

„Suhra, Du hast grausame Worte! Kann ich dafür, daß Du mein ganzes Wesen entzündet hast? Kann ich dafür, daß ich das Schöne vom Häßlichen unterscheide? Kann ich dafür, daß ich zu lieben glaubte, ehe ich Dich sah? Verlangst Du von mir, daß ich mich der Philosophie zuschwöre, wenn das Glück mit goldenem Hammer an meine Thür klopft? Verlangst Du, daß ich mich von Dir wende, nachdem Du gesagt: ‚In der Wüste will ich wohnen’?“

Ich lag zu ihren Füßen, ergriff ihre weißen Hände und vergrub mein Gesicht darin.

„Maurus!“ sagte sie weich, und da ich aufblickte, lag eine Verführung in ihrem Auge, über der ich erschrak. Es war mir einen Augenblick, als befände ich mich nicht auf der Erde und nicht einem menschlichen Wesen gegenüber. Es schwindelte mir und ich rief:

„Suhra, mit diesem Blicke könntest Du einen Menschen in den Tod und in die Verdammniß reißen! Wer bist Du?“

Sie legte ihre Hände, die nach Rosen dufteten, mir auf die Augen und sagte: „Frage nicht so ungestüm!“

Da fragte ich noch einmal fester: „Suhra, wer bist Du?“

[869] „Ich bin die Schönheit, die Dich versöhnen will!“

Betroffen zog ich ihre Hände von meinen Augen herab und blickte in ihr Gesicht, das jetzt einen stolzen Ausdruck hatte.

„Suhra, Du bist göttlich!“ rief ich und küßte den Saum ihres Gewandes. „Du lässest Dich lieben von mir, dem Häßlichsten aller Sterblichen? O! Ich will Dich lieben mit der Größe und der Gluth vergangener Zeiten, wo die Menschen sich noch erinnerten, daß ein Titane das Feuer aus dem Himmel für sie stahl! In meiner Seele wirst Du Träume lesen, stolz und strahlend wie Dein Auge, und mein Herz wird Dir Hymnen singen, brausend wie das Meer im Sturme und süß, Suhra, süß wie in der Mainacht das Lied der Nachtigall!“

Sie ließ ihre Finger durch mein Haar gleiten und sagte leise: „Maurus, Du bist ein wunderbarer Mensch!“ Und in ihrem Blicke schimmerte wieder jene unbeschreibliche Verführung. Beinahe wehmüthig mußte ich fragen: „Suhra, kamst Du aus einem schwarzen Abgrund oder kamst Du von den Sternen? Denn wie ein irdisches Wesen erscheinst Du mir kaum –“

Mit einer raschen Bewegung zog sie den Pfeil aus ihren Haaren, die wie Schlangen ihr auf Brust und Arme niederfielen: „Komm, laß Dich binden, gefährlicher Sclave!“ flüsterte sie und umwand mir damit die Handgelenke. Es beschlich mich dabei ein unheimliches Gefühl, und ich fragte: „Suhra, wirst Du einen Sclaven lieben können?“

„Ja, mehr, weit mehr als einen Gebieter.“

„Und wird mein Gesicht Dein Auge nie beleidigen?“

Sie lächelte und sagte: „Der Mann, mit dem man mich vermählte, war schön, so schön wie ich. Unsere Vereinigung war kein Mißklang, aber auch keine Harmonie, sondern ein einziger verstärkter Ton, langweilig, einschläfernd, erdrückend. Ich suchte oft sehnsüchtig in seinen Zügen nach einer unregelmäßigen, einer excentrischen Linie, aber ich fand keine. Und so war auch sein inneres Wesen; es hatte keine Höhen und keine Tiefen, es war eine Ebene, eine untadelhafte Ebene, langweilig, einschläfernd, erdrückend. Da fing ich an, von hohen Bergen und tiefen Abgründen zu träumen, und zeichnete mit meinen ungeübten Fingern häßliche, seltsame Physiognomien, und ich wünschte heimlich, die Natur möchte ein solches Menschengesicht geschaffen haben und mir begegnen lassen.“

Eine wonnige Gluth bemächtigte sich meiner und ich rief: „Sei Du mein Heil oder mein Verderben, ich bin Dein, Suhra! Führe mich, wohin Du willst, in das Leben oder den Tod – mein Wille ist ausgelöscht!“

Ich vergrub mein Gesicht in den Falten ihres Kleides; ich hatte das Gefühl einer süßen Vernichtung. So blieb ich eine Weile. Als Suhra dann leise sagte: „Gehe jetzt, Maurus!“ erhob ich mich. Auch sie stand auf und reichte mir ihre Hand; sie stand vor mir wie eine Göttin und – wie das Schicksal.

Als ich in die Nacht hinaustrat und zu den Sternen hinaufblickte, kamen sie mir ganz seelenlos vor, und mir war, als sei ich ein anderer Mensch geworden.

Nun war ich Suhra rettungslos verfallen, und mein Stolz, von ihr bevorzugt zu sein, wuchs mit meiner Leidenschaft. Ich sah das Lächeln und hörte die höhnenden Bemerkungen der Menschen. Wenn ich mit Suhra ausging, blieben die Leute auf der Straße stehen, und es entschlüpften ihnen laute Ausrufe der Verwunderung über den entsetzlichen Gegensatz unserer Erscheinungen. In den Kunstsälen, in den Concerten und Theatern zogen wir die Aufmerksamkeit ausschließlich auf uns.

Einige tiefere Menschen empfanden vielleicht eine Art unheimlichen Interesses, das Schönste und Häßlichste in der Schöpfung neben einander zu sehen; aber die Menge belustigte sich an dem außerordentlichen Anblicke. Einige empörte die maßlose Dreistigkeit, mit der ich meine Häßlichkeit neben dieser Schönheit zeigte, und es ward mir offenbar, daß ich mich bis zum Verluste der Achtung lächerlich machte. Und je mehr meine Häßlichkeit auffiel, desto mehr fiel natürlich auch Suhra’s Schönheit auf. Man sprach überall von der Schönheit der Tscherkessin und von der Häßlichkeit ihres Begleiters. Suhra wurde die gefeiertste Frau, und ich der lächerlichste Mann. Ich wußte es, aber die Stärke meiner Leidenschaft hatte die Scham in mir erstickt.

Und was errang ich von ihr, die mich an sich gebunden mit allen Zaubern der Schönheit und der Verführung? Nichts!

Nicht Eine Gunst! Aber viele heiße Versprechungen. – Wochen, Monate, Jahre vergingen, ich folgte ihr und ihrem kränkelnden Bruder von Land zu Land und half ihr, die Triumphe der Schönheit feiern. Ich durchschaute in meinem Fieber nicht die Grausamkeit, mit der sie mich ausgesucht hatte zum Opfer ihrer Triumphe. In ihr lebte nichts als das Bewußtsein ihrer Schönheit und der Hunger nach Huldigung. Wahrlich, sie hatte Glück! Nicht jeder Schönheit ist vergönnt einem solch schreienden Gegensatze zu begegnen, wie sie ihn in mir fand. Und ich, dessen Stolz und Stärke mit dem Meere hatte wetteifern und ein heiliges Glück in der Einsamkeit hinter geschlossenen Pforten genießen wollen, ich zog einem herzlosen Weibe nach von Stadt zu Stadt, von Land zu Land, und ließ mich von der Menge begaffen, wie auf Jahrmärkten merkwürdige Mißgeburten begafft werden! – Und in Rouen saß einsam ein edles Mädchen und weinte um mich oder – verachtete mich! Meine Briefe an Theresa waren kühler und seltener geworden, und zuletzt, als ich den Zwang nicht mehr ertragen konnte, hatte ich ihr geschrieben:

„Vergiß mich, ich bin Deiner nicht mehr würdig.“

Ihr Andenken trug ich im Herzen wie den Verlust des Göttlichen, wie einen Gewissensbiß; und wie der Kranke heftige Schmerzen mit Mohnsaft betäubt, so betäubte ich meine Gewissensbisse mit Suhra’s Schönheit.

Suhra besaß eine Gewalt über mich, die alle meine Kräfte niederhielt, nur die eine nicht: die Leidenschaft. Wenn sie in Huldigungen geschwelgt und Lächeln und Blicke mit göttlicher Anmuth gespendet hatte und ich dann in Ausbrüche der Eifersucht gerieth, dann sagte sie ruhig:

„Maurus, das ist ja nichts, was ich Jenen gebe! Du aber hast mein Herz!“

Ihr Herz! Ich glaubte damals noch, daß sie eines habe! Aber, wenn ich ganz aufrichtig sein will, so muß ich gestehen, daß ich nicht ihr Herz, sondern ganz allein ihre Schönheit liebte.

Zuweilen beklagte ich mich über ihre Launenhaftigkeit, über ihre Kälte, und bat sie, Mitleid mit mir zu haben; dann sah sie mich mit einem räthselhaften Lächeln an, und die Kühlheit ihrer strahlenden Augen machte mich verstummen.

Einmal sagte ich:

„Suhra, Du bist unbegreiflich! Nichts scheint Dich zu bewegen; kein Unwille und keine Traurigkeit umwölken je die Ruhe Deines Angesichtes – Du bist schön wie ein steinernes Bild. O! Wenn ich Dich einmal weinen sähe!“

„Weinen? Ich weinen?“

„Ja, Suhra! Du wärst dann menschlich schön!“

„Ich will nicht menschlich schön sein,“ rief sie.

„Suhra, wenn einmal Deiner Brust ein Schluchzen sich entränge und ein heißer Tropfen aus Deinem Auge fiele, ein Tropfen des Mitleids oder des Schmerzes – wenn Deines Mundes Siegeslächeln unterginge in einem Weh – ich warte immer darauf.“

„Du bist thöricht, Du bin klein, Maurus,“ erwiderte sie. „Du willst, daß meine Züge im Schmerze sich verzerren? Du willst, daß meine Augenlider roth werden und der Thränen beißendes Salz mir die Haut verderbe? Würdest Du mich dann vielleicht mehr lieben? Die Schönheit ist ein göttliches Geschenk; soll ich sie durch menschliche Schwäche verlieren, verderben, beschädigen? Wenn Du Durst nach Thränen hast, so steige zu Jenen herab, die weinen. Ich weine nicht.“

Und dann sah sie mich mit verführerischem Blicke an, der mir jedesmal die Seele lähmte.

Wir waren in Rom; Suhra hatte mir seit einiger Zeit Zeichen des Ueberdrusses gegeben, die ich mit feiger Geduld hinnahm. Eines Nachts träumte mir, die marmorne Göttin, welcher ich mein Gesicht auf den Busen gezeichnet hatte, käme zu mir. Sie hatte die Zeichnung noch auf der Brust, aber die Züge waren nicht schwarz, sondern feurig, und die Göttin hatte Suhra’s Gesicht. Sie beugte sich über mich, ihre Augen bohrten sich wie Dolche in mein Herz – und ich erwachte mit einem Schrei. Es war finster in meinem Zimmer, und den Traum noch vor Augen, sah ich die weiße Gestalt sich auflösen und wie Dunst verschwinden.

Ich erhob mich und blickte in die Nacht hinaus: der Himmel war gewitternd, die Luft schwül und vom heißen Dufte der Orangeblüthen erfüllt. Die Wasser des Springbrunnens plätscherten [870] sanft von jenseits der Gebüsche herüber, sie klangen wie heimliches Schluchzen.

Es kam eine Sehnsucht über mich, o, eine Sehnsucht! Die Orangenblüthen flüsterten von Liebe, und die Wasser drüben schluchzten. Suhra – Theresa – O, meine arme Seele, wer hilft mir bei dieser Noth?! – Ich sank mit der Stirn auf die Fensterbrüstung und weinte bitterlich. –

Als ich am nächsten Vormittage mit einem festen Entschlusse nach Suhra’s Hause ging, fand ich sie nicht daheim; man sagte mir, sie sei ausgefahren und am Nachmittage war sie noch nicht zurück. Ich wartete auf ihre Rückkehr mit brennender Ungeduld, denn der Traum der vergangenen Nacht hatte mich aufgerüttelt aus meiner Sclaverei.

Es war spät am Abend, als Suhra, strahlend von Schönheit und Frohsinn, in den Saal trat, wo ich auf sie gewartet hatte. Ich ging ihr einen Schritt entgegen:

„Wo warst Du heute, Suhra?“ fragte ich.

„Rom drückte mich; ich bin in die Campagna hinausgefahren.“

„Warum ließest Du mich nicht holen, damit ich Dich begleitete?“

„Maurus, ich liebe diesen tadelnden Ton nicht; frage mich in einem anderen!“

„Setze Dich zu mir, Suhra,“ bat ich, nahm das Tuch, mit dem sie ihre Schultern bedeckt hatte, und legte es auf einen Stuhl.

„Wie feierlich Du heute bist!“ erwiderte sie mit spöttischem Lächeln.

„Ja, ich bin feierlich, Suhra, und ich will Ernstes mit Dir sprechen.“

„Laß mich, ich bin müde!“

„Dann ruhe Dich in meinen Armen aus –“ und mit diesen Worten wollte ich sie an mich ziehen.

„Maurus – ich will nicht in Deinen Armen ausruhen,“ rief sie und bannte mich mit ihrem kalten Blicke.

„Suhra, seit ich Dich kenne, hast Du nur eine Güte für mich gehabt, die: mich immer fester an Dich zu ketten! Du hast Dir nicht nur eine unumschränkte Gewalt über mich bewahrt, sondern auch eine Selbstbeherrschung und eine Stärke meiner Leidenschaft gegenüber, die mir beinahe übermenschlich dünkt. Du hast nichts darauf zu erwidern?“

Als sie schwieg, fuhr ich fort: „Du weißt, daß ich die Schönheit verachtete bis zu dem Tage, wo ich Dich sah ‚Ich will Dich versöhnen,’ sagtest Du zu mir an jenem Abend, wo ich zum ersten Male zu Deinen Füßen lag; aber Du hast mir nicht die Versöhnung gebracht, sondern ein verheerendes Feuer in mir entflammt und gießest täglich, stündlich Oel darauf und niemals einen Tropfen Wasser!“

„Du bist ungenügsam!“

„Ah, ungenügsam!“ Ich lachte bitter. „Suhra, ich habe in der vergangenen Nacht einen merkwürdigen Traum gehabt –“

„Einen Deiner Wüstenträume?“

„Er gab mir viel zu denken.“

„Wirklich? Was zum Beispiel?“

„Dies: Ob Du ein Weib seiest oder ein Dämon –“

Mit einer Bewegung der Ungeduld legte sie ihren Kopf auf den Polster des Divans und sagte:

„Es gährt in Deiner Wüste – laß mich – ich versichere Dich, Du langweilst mich.“

„Suhra, für dieses Wort tödte ich Dich,“ schrie ich und riß sie an mich. Sie aber drückte mir ihre beiden Hände auf’s Gesicht und es strömte von ihnen in meine Sinne ein betäubender Wohlgeruch, eine entnervende Gluth; die Muskeln meiner Arme erschlafften und ich sank machtlos zu Boden.

Wie lange ich dort gelegen in dumpfem Halbbewußtsein, das weiß ich nicht. Als es klar in mir wurde, erhob ich mich und tastete mich durch die Finsterniß bis zu Suhra’s Schlafgemach; ich lauschte an der Thür, und als ich das Rauschen ihres Kleides hörte, da rief ich langsam und feierlich:

„Weib, Göttin oder Dämon – wer Du auch seiest, vernimm mein letztes Wort: Du hast meine Seele gemordet – sei verflucht auf der Erde, in der Hölle und im Himmel!“

Dann tastete ich mich durch die Säle zurück bis in die Vorhalle, wo ein Licht brannte. Es brannte düster, wie meine Gedanken. Ich floh aus dem Hause, elend, vergiftet, zerstört. –

Ja, zerstört! Ich hatte an der Quelle der Schönheit getrunken und von dem Trunke das Fieber bekommen, und wie ich auch rang und kämpfte und Kühlung und Genesung suchte, ich genas doch nicht.

Alphonsens Liebe zur Schönheit war eine Andacht, und er hatte ihr sein Vermögen geopfert; die meinige war ein Wahnsinn; ich opferte ihr mein Vermögen, meine Würde und – Theresa! Ich verkaufte, da meine Einkünfte mir jetzt nicht mehr reichten, stückweise meine Güter und dann auch das väterliche Haus. Die Hand voll Gold, schlich ich mich demüthig wie ein Bettler vor die Thüren der Schönheit, und wenn der Abscheu oder das Lachen mir als Antwort ward, dann warf ich das Geld handvollweise auf den unreinen Opferherd.

O unerbittliche Göttin, ziehe Deinen Zorn von mir zurück!

De profundis clamavi!




Drei Jahre hatte ich so mit kranker Seele gelebt, war ich so mit ruhelosem Herzen gewandert.

Eines Tages – es war in Marseille – ging ich am Meeresstrande auf und nieder und blickte den Strand entlang mit schwermüthigem Herzen; da ward mein Auge durch einen Mann gefesselt, der sich mit beiden Armen auf die Hafenbrüstung stützte und in’s Meer hinunter blickte. Er war wie zu einer Reise gekleidet, und der breite Rand seines Hutes verdeckte sein Gesicht; als ich mich näherte, blickte er auf – es war Alphons.

Erbleichend streckte er mir die Hand entgegen:

„Leb’ wohl, Maurus!“ sagte er mit schmerzlichem Lächeln.

„Leb’ wohl!? Ist dies ein Gruß, Alphons?“ rief ich, ihn in meinen Armen fast erdrückend.

„In einer Stunde besteige ich jenes Schiff dort; ich verlasse Frankreich und Europa – ich wandere aus – nach Südamerika.“

„Warum?“

„Ich habe nichts mehr.“

„Nichts mehr?“

„Höre: Da Niemand mehr mir borgen wollte und die Gläubiger auf die unverschämteste Weise mich bedrängten, verkaufte ich meine Bibliothek, die Bilder und meine Göttinnen und Halbgöttinnen, meine Götter und Halbgötter. Das war der schwerste Tag meines Lebens! Als alle Gläubiger befriedigt waren, blieb mir noch genug, um meine Ueberfahrt zu bezahlen und nicht als Bettler in Amerika zu landen.“

Ich bebte. So konnte auch mein Loos sich gestalten.

„Alphons, ich habe auch viel, sehr viel gebraucht, aber ich besitze doch noch mehr als Du – bleibe, bleibe bei mir!“

Er schüttelte den Kopf.

„Aber wohin willst Du, und was willst Du thun?“

„Ich werde in’s Innere der La Plata-Staaten gehen und dort laufen, laufen, als ein echter Conihoult, laufen mit den Indianern und den wilden Pferden auf den weiten Grasebenen. Die freie Luft, der weite Blick und die ungehemmte Bewegung werden mir gut thun; ich denke, dieses Nachspiel meines Lebens soll mir gefallen.“ Und der arme Alphons lachte.

Aber als ich ihn fragte: „Und Suleika?“ da seufzte er tief. „Wer hat sie gekauft, Alphons?“

„Gekauft?!“ rief er. „Glaubst Du, ich hätte Suleika verkauft?“

„Dann hast Du sie verschenkt; wem?“

„Maurus! Glaubst Du, ich ertrüge den Gedanken, daß Jemand ein Kunstwerk besitze, das mein war, wie meine Seele mein ist? Ein Kunstwerk, das meine geistige Frau war?“

„Aber was hast Du mit ihr gemacht?“

„Das einzig Mögliche; ich habe sie zerbrochen.“

„Zerbrochen? Und die Trümmer?“

„Habe ich in die Seine geworfen.“

Er blickte auf’s Meer hinaus, das im Morgendufte mit dem Horizont verschmolz, und sagte nach einer Weile:

„Ich war vor einigen Tagen in Rouen und habe die letzten Blumen aus dem Conihoult’schen Garten auf meiner Mutter Grab gelegt; ich hatte dort eine schwere Stunde. Aber“ – er fuhr sich mit der Hand durch’s Haar – „sie ging vorüber. Es geht ja Alles vorüber. Alles!“

Dann fragte er mich nach meinen Erlebnissen, und ich beichtete ihm.

„Geh’ mit mir,“ sagte er. „Du bist krank an der Seele, [871] und wenn Du Dir selbst überlassen bleibst, so wirst Du nicht gesund, armer Maurus!“

Ich fühlte, daß er Recht hatte; allein mir war, als sagte eine Stimme in mir: Geh’ nicht!

„Alphons, jetzt kann ich nicht mit Dir gehen, nicht so plötzlich. Laß mir ein wenig Zeit zur Ueberlegung!“

Er nickte.

Es lag eine stille Freudigkeit über dem Meere, und Alphons bestieg das Schiff mit heiterer Stirn; als er mich aber in seine Arme schloß, ward sein Auge dennoch feucht.

„Mache Dir keine Sorge um mich,“ sagte er leise, „und wenn Deine Zeit hier um ist, so komme zu mir. Leb’ wohl, lieber, lieber Maurus!“

Den letzten Menschen, der ein Theil von mir selber war im Blut und in der Seele, verlor ich jetzt! Heiß stürzten die Thränen aus meinen Augen, als ich in seinen Armen lag – zum letzten Mal.

„Sei stark,“ sagte er und riß sich von mir los.

Ich verließ das Schiff und ging am Strande bis zu einer Stelle, von welcher ich es lange im Auge behalten konnte. Schwarzer Rauch und feurige Funken fuhren aus dem Schlote – Hurrah! tönte es vom Verdecke, und dann glitt das stolze Schiff majestätisch an mir vorüber. Am Ende des Verdeckes stand bleichen Angesichtes Alphons und rief, seinen Hut schwenkend:

„Leb’ wohl, Frankreich! Leb’ wohl, Maurus!“

Das Schiff ging schneller und schneller und warf einen rauschenden silbernen Wasserschweif hinter sich; Alphons’ liebe Züge und seine liebe Gestalt verschwammen vor meinem Auge, und es kam der Augenblick, wo ich sie nicht mehr sah. Lebe wohl, Alphons!

Mit verstörten Sinnen ging ich am Strande weit hinaus; die Wellen netzten mir den Fuß und sagten: Komm! Da erhob sich in meiner Seele mit sanftem Glanze ein Bild – Theresa! Ihre schwarzen Augen blickten mich groß an und mit ganz unsäglicher Trauer, und auf ihren Lippen lag himmlische Sanftmuth.

Ich erbebte. Was war aus ihr geworden? Grämte sie sich? Verachtete sie mich? War sie todt?

„O!“ sagte ich mir, „wende Deine Gedanken von jenem reinen Wesen ab! Du bist nicht werth, an sie zu denken.“

Und ich erhob mich und trug mein Fieber und mein Elend wieder in’s Gewühl der Städte und ließ mich von der Schönheit beleidigen, wie ich sie einst beleidigt hatte.

So lebe ich noch und trinke an der vergifteten Quelle. Ich bin ein Kranker! Ich bin ein Feuer, das nichts löschen kann!




Ein Jahr ist vergangen, seit ich die vorstehenden Blätter schrieb, und manche Schmerzen kamen noch über mich. Alphons ist todt! Er stürzte, als er zur Vertheidigung einer von betrunkenen Europäern beleidigten Indianerin über die Prairie sprengte, vom Pferd und brach das Genick. Er liegt auf der Prairie begraben, und der Hufschlag der Pferde geht über sein Gebein. Einsam liegt er und verloren unter dem hohen Grase.

Als ich die Nachricht erhielt, wurde es völlig Nacht in mir. Ich hatte jetzt Alles verloren!

Monate lang war ich die Beute des Grames und des Trotzes; bald erlahmte ich, bald bäumte ich mich. Mir graute vor der furchtbaren Zerrissenheit meines Innern und flehend erhob ich meine Arme in der Finsterniß der Nächte und betete zu der furchtbaren Göttin um Erlösung.

Da kam der Frühling; es wehten die Märzstürme, die den Veilchenduft ankündigen und die Sehnsucht, und es fing etwas in mir zu stürmen an: der Drang nach der Ferne! Und dann kamen die sanfteren Lüfte und es reifte in mir der wehmütige Entschluß, auszuwandern. Vielleicht, sagte ich mir, finde ich noch die Hütte, welche Alphons sich gezimmert hatte, und vielleicht genese ich durch Arbeit. Vielleicht auch finde ich dort einen schnellen Tod, wie er.

Ich ging nach Rouen und nahm Abschied vom Grabe meiner Großmutter. Ich litt sehr an jenem Grabe. Sohn und Enkel, beide zu Grunde gerichtet!

Aber ich sagte mir, daß ich noch schwerer leiden müsse; ich legte mir die Buße auf, auch von Theresa’s Hause Abschied zu nehmen, doch wartete ich, bis es dunkel wurde. Dann ging ich mehrmals an ihrem Hause vorüber, und ich hatte ein Gefühl, als sollte ich eintreten und zu Theresa’s Füßen niedersinken. Aber da ich plötzlich Licht hinter den Fenstern sah, ergriffen mich Angst und Scham.

Ich wollte mich vor ihr zeigen? Und was wollte ich ihr sagen? Nachdem ich Dich verlassen und Jahre lang, Dich und meine Manneswürde beleidigend, zum Gespötte der Menschen vor den leichtfertigen Altären der Schönheit auf den Knieen gelegen, jetzt komme ich wieder zu Dir!?

Nein, nein! Diesen Schmerz gebe ich Dir nicht zu trinken, Theresa!

Ich könnte Dich ja auch nicht von dem Unglaublichen überzeugen, daß ich Dich nie vergessen habe, daß Du in meiner Nacht voll Irrlichtern der einzige Stern warst, meiner Seele Sehnsucht und meines Gewissens Qual!

Fort, fort! Wohl Dir, wenn Du mich vergessen hast!

Aber noch mehr wollte ich büßen: ich wollte auch von meiner Eltern Hause Abschied nehmen.

Es war im April und gegen Abend, als ich dem Meeresstrande nahe kam. Das Meer lag ruhig und bereit, die Sonne zu empfangen; unnennbar weich war die Luft, und aus dem Garten drang süßer Fliedergeruch zu mir. Da lag es, das Haus mit den zwei spitzigen Thürmen, traulich vom Epheu umschlungen. Das Herz klopfte mir mit wilden Schlägen – ich dachte an meine blonde Mutter, an meinen braunen Vater und an die selige, selige Kindheit!

Ich näherte mich dem Hause in der Absicht, einen Epheuzweig abzupflücken. Wer mag es wohl bewohnen? fragte ich mich. Die Fenster waren, zwei ausgenommen, alle geschlossen, aber die Hausthür stand offen. Ich dachte, es sei vielleicht nur während der Sommermonate bewohnt und in der übrigen Zeit des Jahres durch Jemanden aus dem Dorfe beaufsichtigt, und dieser Gedanke gab mir den Muth, einzutreten. Ich athmete beklommen, als ich die breite, braune Treppe betrat und dem großen Fenster mit den farbigen Scheiben entgegenstieg. Mein Eigenthum und nicht mehr mein Eigenthum! Und jetzt stand ich vor der Thür des großen Saales; es war so stille im Hause wie in einer Ruine. Ueber der Thür blickte im braungoldenen Rahmen eine spinnende Normannenkönigin auf mich herab, und ihr vorwurfsvoller Blick drang bis in die Tiefen meines Herzens. Wie ein Verbrecher, der entdeckt zu werden fürchtet, spähte ich nach beiden Seiten des Ganges und drückte dann leise auf die Thürklinke. Sie ging leicht, doch als die Thür beim Oeffnen ein wenig knarrte, schreckte es mir alle Nerven auf. Dennoch trat ich ein, langsam und leise – und es war Niemand im Saale.

O Jahre, vergangene, verlorene, wie kommt ihr über mich! Es befiel mich ein Zittern, ich mußte mich an die Wand lehnen, denn meine Kniee drohten zu brechen. Die Wände riefen mir zu: Heimathloser, was willst Du hier? Fürchtest Du nicht, daß wir auf Dich stürzen, Ungetreuer, der Du uns verkauft hast, uns, die Deine Kindheit schützten vor Regen und Sturm, die Deines Vaters Leiche sahen und den Jammer Deiner Mutter?

Da schrie ich auf und bedeckte mir das Gesicht mit beiden Händen, und ich wünschte, die Wände möchten einstürzen und mich begraben. Fort, fort auch von hier! – Und wie mir die Hände vom Gesichte sanken und ich noch einen Blick über den Saal warf, da stand unter der Thür zu meiner Mutter Zimmer eine Gestalt – und als ich zusammenfuhr, sagte die Gestalt mit Theresa’s sanfter Stimme:

„Maurus!“

Ich wurde kalt am ganzen Körper, und der Athem verging mir. Da trat die Gestalt zu mir her – und es war Theresa! – Sie nahm meine Hand und sprach:

„Sie sind unglücklich, Maurus – ich sehe es.“

Und sie blickte mich wehmütig an. Ich rang nach Worten – endlich konnte ich zu ihr sagen:

„Theresa, warum stehst Du nicht vor mir wie der Racheengel mit dem feurigen Schwert? Warum stehst Du vor mir wie ein Engel der Güte?“

„Maurus,“ sagte sie bewegt, „komm’, setze Dich zu mir, Du zitterst ja, Du kannst ja nicht mehr stehen!“

Und sie führte mich langsam und schonend zu einem Sitze und nahm neben mir Platz. Ich vermochte nicht, sie anzusehen; gesenkten Blickes sprach ich: [874] „Theresa, Du sitzest neben einem Unwürdigen; ziehe Deine Hand aus der meinen – laß mich fliehen!“

„Fliehen?“

„Ja, Theresa. Hätte ich gewußt, daß ich Dich hier finden würde, nimmermehr wäre ich hergekommen, denn ich muß vor Deinem inneren Auge wie ein häßlicher Flecken stehen.“

„Maurus, thu’ mir nicht so weh!“ sagte sie bittend.

„Kann ich Dir noch wehe thun, Theresa? Was für ein Wesen bist Du denn, daß Du mich nicht verachtest?“

„Ich habe keinen Grund Dich zu verachten, ich habe Dich beklagt und habe mit Dir gelitten, denn ich wußte, daß Du nicht glücklich würdest.“

„O Theresa, nie möge Dir im Gemüth eine Ahnung aufgehen von den Martern, die ich gelitten habe! Aber Eins lasse mich Dir gestehen: mein Herz war nicht in der Verirrung, nur meine Einbildungskraft und meine Sinne waren es. Und wie hinter Nebel und Wolken die Sterne in ihrem reinen, fernen Lichte stehen, so standest Du stets in meinem Herzen hinter der Wirrniß, dem Rausche und dem Wahnsinne. Und wenn es für Augenblicke still und klar in mir wurde, dann sah ich Dich und verging in Gewissensbissen und in Sehnsucht. Aber heiße mich schweigen, Theresa, sonst sage ich Dir Dinge, die ich Dir nicht sagen darf. Ich gehe – ich bin ein Kranker und ein Schiffbrüchiger – verzeihe mir und – lebe wohl!“

Ich sank auf die Kniee vor ihr.

„Verzeihe mir, Theresa, um der schönen Erinnerungen willen! Verzeihe mir um der Leiden willen! O, sei nicht so stumm! Habe Erbarmen mit mir! Du weißt nicht, was die Qualen des Schuldigen sind, aber glaube mir, sie sind entsetzlich!“

Theresa zitterte und es fielen Thränen auf ihre Hand.

„Aber,“ sagte sie schluchzend, „wohin willst Du gehen?“

„Ueber’s Meer – ich will auswandern.“

Sie sank zurück und schloß die Augen.

„Theresa, was ist Dir?“

Sie suchte meine Hände, und als ich sie ihr gereicht hatte, drückte sie dieselben mit der Kraft des Schmerzes; dann blickte sie mich an mit fast gebrochenen Augen und sprach:

„Auswandern? Das thun die armen Leute. – Bist Du denn arm?“

„Beinahe ein Bettler.“

„O Du armer Maurus!“

Die Thränen liefen über ihre blassen Wangen herab – ich hatte das Verlangen, aber nicht den Muth, sie zu trinken.

„Maurus – höre mich jetzt ruhig an: Ich habe dieses Haus gekauft, weil – weil es Dein Haus ist. Nimm es zurück!“

„Theresa!“

„Entsetze Dich nicht! Denke – denke, Du seist mein Bruder und ich hätte es Dir gehütet. O nimm es zurück!“

Und sie hob flehend die Hände zu mir auf.

„Theresa – Du bist ein himmlisches Wesen, Du bist meine Schwester nicht! Und Du wirst sie nie sein! Ich habe vergeudet, laß mich büßen – laß mich gehen!“

„Maurus – daran werde ich sterben.“

„So weit geht Dein Mitleid für mich?“

„Nein,“ rief sie, die Hände ringend, „nicht mein Mitleid, aber meine Liebe!“

„O! – Süße, süße Erlöserin!“

Jetzt küßte ich ihr die Thränen von den Augen und den Wangen. Und nun, Vorhang, falle! Falle gleich einer ehernen Pforte zwischen der Welt und meinem unverdienten Glücke!