Metalloskopie und Metallotherapie

Textdaten
<<< >>>
Autor: Carus Sterne
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Metalloskopie und Metallotherapie
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 27, S. 338-340
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1880
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[435]
Metalloskopie und Metallotherapie.

Auf der letzten Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte überraschte Professor Schiff aus Genf, einer der namhaftesten Physiologen der Jetztzeit, die Versammlung mit dem Geständniß, daß er trotz aller Zweifelsucht und wissenschaftlichen Vorsicht gewisse Einwirkungen der Metalle auf den menschlichen Körper habe bestätigen müssen, welche sonst Jedermann geneigt gewesen sei, in’s Gebiet des Aberglaubens zu verweisen. Den mit der medicinischen Tagespresse vertrauten Zuhörern war es nicht unbekannt, daß, von einer Reihe ärztlicher Capacitäten Frankreichs abgesehen, auch mehrere deutsche Autoritäten auf dem Gebiete der Nervenkrankheiten wie z. B. Professor Eulenburg in Greifswald, Westphal in Berlin und Andere, zu ähnlichen positiven Ueberzeugungen auf diesen Gebieten gekommen sind. Es dürfte deshalb an der Zeit sein, auch den Lesern der „Gartenlaube“ einen Blick in dieses mysteriöse Gebiet zu eröffnen und wenigstens das Thatsächliche darüber kurz mitzutheilen.

Schon in alten Zeiten trug man bekanntlich gegen verschiedene Uebel metallene, mit magischen Zeichen bedeckte Amulette, meist in Form runder oder eckiger Blechschilder, auf der bloßen Brust oder am Halse, und die archäologischen Sammlungen sind reich an oft höchst absonderlich geformten Gold- und Bronzegegenständen, die man im alten Assyrien, Aegypten und Rom zur Abwendung des Krämpfe erzeugenden „bösen Blickes“, gegen Fallsucht und Pest am Halse trug. Die ursprünglich nur von den Kindern römischer Großen, später von allen Kindern, deren Eltern diesen Luxus erschwingen konnten, am Halse getragene Goldkapsel (Bulla aurea) gehört ebenfalls zu diesen magischen Schutzmitteln gegen Krankheiten und böse Einflüsse von außen. Im Mittelalter machte Paracelsus Geschäfte mit seinen metallenen „Constellationsringen“, indem er in jener Zeit astrologischen Aberglaubens Jedermann rieth, einen eigens dazu construirten breiten Ring aus dem Metalle seines Geburtsplaneten zu tragen. So mußten die Sonnenkinder goldene, die Mondkinder silberne, die Mars-, Venus-, Jupiter- und Saturnkinder eiserne, kupferne, zinnerne und bleierne Ringe tragen, die Mercurskinder endlich gläserne Hohlringe, die mit Quecksilber gefüllt waren. Auch empfahl er zuerst die Anwendung des Stahlmagneten gegen rheumatische Schmerzen.

Von da leitet sich die Behandlungsweise und der Name des „thierischen Magnetismus“ her; denn Mesmer, der Vater desselben, begann seine Curen bekanntlich mit Stahlmagneten, mit denen er seine Kranken bestrich, und mit magnetischen Bassins, deren Griffe seine Patienten in der Hand halten mußten. Seit jenen Tagen kam das Tragen magnetischer Armaturen auf, die nach Entdeckung der Voltaischen Säule durch sogenannte „galvanische“ Garnituren abgelöst wurden. Wir erinnern hier nur an Raspail’s galvanische Platten, Georget’s kupferne Migräneringe, Recamier’s (mit Kupfer und Zinkspähnen) gefüllte galvanische Kissen und Goldberger’s Ketten, denen sich viele ähnliche „große Erfindungen“ zum Heile der Menschheit anschlossen.

Bekannt ist auch der im Volke lebende Glaube an die Wirksamkeit großer metallener Gegenstände gegen Krämpfe. So soll Wadenkrampf oftmals durch Berührung mit einem großen Hausschlüssel gestillt werden, und Dr. Burq in Paris, der Wiedererwecker der Metallotherapie, erzählt in seinem ersten über diese Behandlungsweise 1854 veröffentlichten Buche von Personen, die stets mit Schaufel und Feuerzange zu Bette gingen, und von einem Pariser Commandanten, der sein ganzes Bett mit alten, durch Traben auf gepflasterten Straßen besonders stark „magnetisch“ gewordenen Pferdehufeisen gegen den Krampf-Dämon verbarricadirt hatte. In der Normandie sollen die Bauern, wie Burq versichert, in ihren Holzschuhen vielfach einen eisernen Schlüssel als Vorbeugungsmittel gegen Krämpfe tragen.

Seit dem Jahre 1821 machte ein französischer Arzt, Namens A. Despine, Beobachtungen über den Nutzen einer Auflegung von Goldsachen bei Hysterie; eine den Kranken umgehängte goldene Uhr that Wunder, besonders wenn sie an einer goldenen Kette hing. Man lachte darüber und meinte, mit goldenen Schmucksachen ließen sich viele weibliche Patienten curiren. Nicht viel mehr Beifall erwarb der englische Arzt Elliotson bei seinen Collegen, als er (1838) bemerkt haben wollte, daß das Auflegen verschiedener anderer Metalle krampfstillend, dagegen das Auflegen von Nickel krampferregend wirken sollte. In den dreißiger Jahren wollte man bemerkt haben, daß die Arbeiter in österreichischen Kupfer- und Quecksilberbergwerken und Metallarbeiter überhaupt von der Cholera verschont geblieben seien, und man begann mit Quecksilber gefüllte Glasröhren und große kupferne Medaillen als Schutzmittel gegen Cholera auf dem bloßen Leibe zu tragen. Die letzteren, auch von Hahnemann (1833) empfohlenen sogenannten „ungarischen Medaillen“ haben dann in allen Cholera-Epidemien bis auf die neueste Zeit ihre Rolle gespielt.

Der eigentliche Wiedererwecker der Metallotherapie ist, wie schon erwähnt, der Pariser Arzt B. Burq, der im Jahre 1848, durch die Versuche Elliotson’s angeregt, schon als Eleve im Hospital Cochin den damaligen Dirigenten Maisonneuve ersuchte, ihm eine aufgegebene Kranke, ein hysterisch gelähmtes Mädchen, welches an schrecklichem Erbrechen und Krämpfen litt, zu überlassen, und dabei durch Anwendung messingener Platten und Ringe nicht nur eine nach wenigen Minuten erfolgende Stillung der Krampferscheinungen, sondern endlich dauernde Heilung des für unheilbar erklärten Mädchens erzielte. Seitdem wurde Burq der Apostel und Fanatiker dieser Heilmethode, und da es ihm gelang, während der Cholera-Epidemie 1849 in den Pariser Hospitälern durch Anlegen von Messing- und Kupferringen die Krämpfe vieler Cholerakranken augenscheinlich zu mildern, öffneten sich seinen Versuchen bereitwilligst alle Krankenhäuser; Napoleon der Dritte interessirte sich für seine Untersuchungen und gab die Mittel zur Beschaffung von Metallarmaturen für die Krankenhäuser her, die Akademien nahmen seine Berichte entgegen, und Burq war für einige Zeit ein gefeierter Mann. Er curirte schließlich alle Nervenübel, Lähmungen, Rheumatismen und Neuralgien, Krämpfe, Delirien und hysterischen Leiden mit seinen stählernen und kupfernen Armaturen, oder indem er die Kranken in kupferne Badewannen brachte, und suchte seine Mittel in Form von etwas massiven Schmucksachen (Armbänder, Halsbänder, Medaillen, Ketten und Ringe) einzubürgern.

Nach und nach hatten ihn seine Untersuchungen darauf geführt, daß nicht alle Metalle in gleicher Weise jedes Uebel höben; er fand, daß solche Leiden, bei denen kupferne Armaturen unwirksam waren, durch stählerne gehoben wurden, oder vielmehr, daß manche Personen durch das eine Metall besser als durch das andere geheilt würden, und daß sich Menschen und Metalle nach einer Scala ordnen ließen, deren entgegengesetzte Enden Kupfer und Stahl bildeten, während die andern Metalle ihre Stellung zwischen ihnen erhalten. Es erinnert dies unmittelbar an die Anordnung der Metalle und anderer Elementarstoffe in eine eletrochemische Reihe nach ihrem elektrischen Verhalten, wie sie Berzelius aufstellte, in welcher jedes Metall gegen seine Vorgänger elektropositiv und gegen seine Nachfolger elektronegativ erscheint, und zwar um so stärker, je weiter es von ihm absteht.

Bekanntlich ist schon vor langer Zeit behauptet worden, daß die elektronegativen und elektropositiven Stoffe und ihre Verbindungen auf die Nerven empfindlicher Personen sehr verschieden einwirkten, und Herr von Reichenbach, der Entdecker des Od’, hat dies einst dem Urheber der elektrochemischen Theorie sehr augenscheinlich dargelegt. Als nämlich Berzelius im Jahre 1845 zur Cur in Karlsbad war und die odischen Erscheinungen kennen lernen wollte, ermittelte Reichenbach daselbst mit Hülfe des Bade-Arztes ein „sensibles“ Fräulein und ersuchte Berzelius, eine Reihe stark elektronegativer und elektropositiver Körper wie Knallbonbons in gleich aussehende Papierstücke einzuwickeln, sodaß sie von außen nicht zu unterscheiden wären. Berzelius, der eine Reihe seltener Metalle und Präparate mit sich führte, that dies und streute die Packetchen durch einander auf den Tisch. Die Sensitive glitt dicht mit der flachen Hand über die Päckchen hin und bemerkte, daß einige Päckchen ein Ziehen in der Hand hervorriefen. Berzelius ersuchte die Dame nun, die „ziehenden“ von den unwirksamen Packeten zu sondern, und es zeigte sich, daß sie lauter elektropositive, die „nichtziehenden“ elektronegative Stoffe enthielten. Für die linke Hand würde die Wirkung nach Reichenbach’s Versicherung eine umgekehrte gewesen sein. Aehnliche Wahrnehmungen haben auch andere Beobachter gemacht; Schindler untersuchte eine Somnambule, der angeblich jedes Metall Schmerzen [436] verursachte, Erdmann eine andere, der sie nur auf der linken Seite angenehm waren. Wir werden solche halbseitige Wirkungen sogleich auch bei der Metallotherapie hervorgehoben finden.

Nach den Anschauungen Burq’s ordnen sich die Menschen und ihre nervösen Leiden selbst in eine ähnliche Reihe, und wie dort dasselbe Metall nach der einen Seite elektronegativ und nach der andern elektropositiv wirken konnte, so sollen sich hier bestimmte Metalle bestimmten Personen und Krankheitszuständen gegenüber heilsam oder unwirksam erweisen. Es käme also zunächst darauf an, zu ermitteln, welches Metall auf ein bestimmtes krankes Individuum bei äußerlicher Anwendung die heilsamste Wirkung ausübt. Dasselbe muß nicht nur die Schmerzen oder die Empfindungslosigkeit in den betreffenden Körperstellen vermindern, sondern soll daselbst auch vermehrte Wärme und Blutumlauf erzeugen, sodaß Nadelstiche, die vorher keine Blutung hervorriefen, es nunmehr thun, in welchem Umstande ein auch für den äußern Beobachter controllirbares Kennzeichen der stattgehabten Metallwirkung gefunden wurde.

In Folge gewisser mysteriöser Verwandtschaften zwischen den lebenden Wesen und den zusammensetzenden Hauptelementen der Umgebung, sagt Burq, existiren mit den verbreitetsten Metallen Beziehungen der innigsten Art, und es ist nöthig, dem Organismus dasjenige Metall innerlich zuzuführen, welches bei äußerlicher Anwendung den günstigsten Einfluß darauf übt. Denjenigen Nervenkranken, auf welche Eisen den günstigsten Einfluß übt, muß Eisen in passender Form innerlich gereicht werden, anderen Kupfer, Silber und besonders vielen Gold. Man hat diese Ausmittelung des heilsamsten Metalles mit dem Namen Metalloskopie, der sonst für das Metallspüren der mit Wünschelruthe und siderischem Pendel versehenen Bergleute galt, belegt, und wirklich wird damit eine Theorie aufgefrischt, die mit jenen Proceduren viele Berührungspunkte hat; denn bekanntlich sollten die Nerven der erwähnten Ruthengänger oder Rhabdomanten durch unterirdische Metalladern so beeinflußt werden, daß eine von ihnen ausströmende Kraft die Wünschelruthe in Bewegung setzte. Andererseits hat die auf die Metalloskopie basirte innerliche Metallotherapie viele Aehnlichkeit mit den Heilsystemen von Paracelsus und Rademacher, wie denn in der alten Medicin nicht nur nervenstärkende Eisen- und Goldtropfen, sondern auch Kupferpräparate eine bedeutende Rolle spielten.

Trotz aller dieser verdächtigen Verwandtschaften veranlaßte die Ausdauer und Unermüdlichkeit des von seinen Ideen enthusiasmirten Arztes, daß die Pariser biologische Gesellschaft im August 1876 eine Commission aus drei renommirten Pariser Aerzten einsetzte, welche, unter Leitung einer der ersten medicinischen Autoritäten Frankreichs, nämlich des Professor Charcot, in der von diesem geleiteten Salpetrière die Versuche Burq’s prüfte und in den letzten Jahren (1877 und 1878) sehr günstige Berichte darüber erstattete. Die Versuche wurden wegen einer dabei hervortretenden doppelten Beweiskraft namentlich an Kranken angestellt, die an sogenannter Hemi-Anästhesie litten. Diese Krankheit, welche sich nicht selten bei hysterischen und nervösen Frauen, zuweilen auch bei nervenleidenden Männern ausbildet, stellt eine vollständige periodische oder dauernde Unempfindlichkeit einzelner Theile oder auch einer gesammten Körperhälfte dar, während die Beweglichkeit aller Theile erhalten ist. Diese Unempfindlichkeit halbirt den Körper so scharf, daß z. B. die rechte Seite der Zunge empfindlich sein kann, während die linke unempfindlich ist, und ebenso sind Gesichts- und Gehörssinn auf der entsprechenden Seite mehr oder weniger unempfindlich. Anatomisch erklärt sich dieser Zustand, der ja auch durch die halbseitige Gehirnlähmung illustrirt wird, sehr wohl durch die zweiseitige Anordnung des Nervensystems und Gehirnbaues, aber über die Natur jener Krankheit ist man völlig im Unklaren, und es ist nur eine Umschreibung, wenn man sagt, das „Nervenfluidum“ circulire in der einen Hälfte nicht, die „Innervation“ sei dort periodisch aufgehoben etc.

Nach dem Auflegen der für die betreffende Person als wirksam erkannten Metalle stellt sich nun nach Burq und vielen anderen Beobachtern im Verlaufe einer viertel bis halben Stunde die Empfindlichkeit in den betreffenden Theilen wieder her, das Ohr beginnt zu hören, das Auge langsam erst Formen, dann Farben zu unterscheiden, und zwar nach einer in letzter Zeit vielbesprochenen Scala Roth zuerst, Blau zuletzt.

Das Merkwürdigste aber ist, daß in demselben Maße die vorher gesunde Seite die Empfindlichkeit einbüßt; es findet eine vollkommene Umkehrung der „Innervation“ statt, als ob, um wieder dieses grobe Bild zu gebrauchen, das nur für eine Seite ausreichende Nervenfluidum von dem Metall auf die andere Seite herübergezogen würde. Man nennt diese Wirkung die Sensibilitäts-Uebertragung („Transfert de Sensibilité“) und es kann nichts Erstaunlicheres geben, als nun im anderen Auge die Farbenempfindung ebenso schrittweise erlöschen zu sehen, wie sie in dem vorher unempfindlichen Auge wiederkehrt.

Gewiß hatten Professor Schiff, Eulenburg und zahlreiche andere Autoritäten Ursache, mit dem größten Mißtrauen an die Prüfung dieser Phänomene zu gehen. Es ist bekannt, daß hysterische Personen einen krankhaften Hang zur Verstellung und Täuschung besitzen. Schiff, der in der Salpetrière nach Belieben experimentiren durfte, gab sich die größte Mühe, durch sinnreich angeordnete elektrische Apparate die Kranken zu täuschen, ihnen z. B unversehens starke elektrische Schläge zu versetzen, von denen sie nach der Anordnung der Apparate glauben mußten, daß dieselben die empfindliche Seite treffen würden, während sie die angeblich unempfindliche Seite trafen etc. Er endigte mit der Ueberzeugung, daß die Personen, mit denen er experimentirte, wirklich halbseitig unempfindlich seien, und daß die beschriebene Wirkung der Metalle also nicht auf Täuschung beruhe.

Ursprünglich glaubte man, daß ein schwacher elektrischer Strom, wie ihn die Berührung des Metalles mit der feuchten Haut erzeugt, die Wirkung hervorbringen möchte, allein es zeigte sich, daß das Zwischenlegen seidener Tücher die Wirkung nicht hinderte, daß nach Westphal Glas, nach Schiff ein ganz bestimmter Wärmegrad, elektrisirte Körper, deren Strom nicht in den Organismus eintritt, ja sogar mechanische Erschütterungen, wie z. B. Tonschwingungen, dieselbe Wirkung wie die Metalle hervorbringen.

Das Ergebniß aller dieser Untersuchungen, die zum Theil mit der größtmöglichsten Vorsicht angestellt wurden, ist, daß es sich hier im Großen und Ganzen nicht um absichtliche oder unfreiwillige (psychische) Täuschungen auf Seiten der Kranken handelt, sondern daß gewisse äußere Agentien, und zwar nicht blos Metalle und die von denselben repräsentirten elektro-chemischen Spannungen, sondern auch andere unter der Form von Schwingungen anhaltend einwirkende physikalische Kräfte, einen unleugbaren Einfluß auf das Nervenleben äußern. Im Grunde konnte dies bei dem heutigen Zustande der Forschung Niemanden allzu sehr überraschen. Denn seit der Entdeckung Volta’s ist man überzeugt, daß die Nervenkraft eine, wenn auch mit der Elektricität nicht identische, so doch analoge Naturkraft sei, die mit den übrigen physikalischen und chemischenn Kräften ebenso in Wechselwirkung stehen muß, wie diese unter einander. Die von den berühmtesten Aerzten vorgenommene Behandlung der Nervenleiden mit galvanischen Strömen beruht ja größtentheils auf dieser Ueberzeugung, ebenso wenn wir bei rheumatischen Leiden Wärme anwenden, und vielleicht beruht häufig die Unwirksamkeit jener Mittel nur darauf, daß wir nicht leicht im Stande sind, dasjenige Maß von Wärme, Elektricität etc. zu treffen, welches der Zurückführung der gereizten Nerven zur normalen Thätigkeit am günstigsten wäre, sondern eher durch Ueberreizung das Uebel vorübergehend verschlimmern. So sah Schiff in einem Falle Heißwasserumschläge von 54 Grad Wärme völlig unwirksam, während 58 bis 59 Grad warmes Wasser alsbald ebenso günstig wie das wirksamste Metall eingriff. Bei der äußern Anwendung von Metallbandagen mögen, selbst wenn man nicht sogleich das allergünstigste Metall trifft, nicht so leicht – wegen der im Allgemeinen milderen Einwirkung – Verschlimmerungen eintreten.

Indessen beabsichtigen wir hier keineswegs den Schein zu erwecken, als ob wir etwa den Rheumatismusketten, elektromotorischen Zahnhalsbändern und ähnlichen Wundermitteln irgendwie das Wort reden wollten. Die in diesen Ketten stattfindende Verbindung von Zink und Kupfer, und jede gleichzeitige Anwendung zweier Metalle wird als die Wirkung schwächend bezeichnet. Naturgemäß würde auch die Metallotherapie, falls sie sich überhaupt zu einem ersprießliche Zweig der Heilkunde entwickeln sollte, nur unter Leitung verständiger Aerzte Erfolg haben können, und gerade so gut, wie Jedermann, der ohne eigene Rechtskenntnisse einen Proceß anstrengt, sich einen sachkundigen Rechtsbeistand sucht, sollte Jedermann, [437] der einen Proceß gegen seinen – gewöhnlich durch eigene Schuld – störrisch gewordenen Körper gewinnen will, immer den vertrauenswürdigsten Heilsbeistand wählen.

Ob nun die innere Metallotherapie wirklich die ihr von Burq beigelegte Wichtigkeit habe, ist schwerer und jedenfalls erst nach langer Erfahrung zu beurtheilen. Unmöglich wäre es ja nicht, wenn es auch nicht sehr wahrscheinlich klingt. Im Uebrigen will derselbe gewisse äußere Beweise von der Wirksamkeit der durch Metalloskopie ermittelten Metallarzneien auf die Nervenzustände darin gefunden haben, daß bei ihrem Gebrauch die äußere Metallarmatur im entgegengesetzten Sinne wirke und unter Umständen Empfindungslosigkeit (Metall-Anästhesie) hervorbringe. Ob sich aber nicht hierbei unter die thatsächlichen Wirkungen eingebildete mischen, wird sehr schwer zu ermitteln sein. So ist die Wiederkehr der Empfindlichkeit für die verschiedenen Farben in der Reihe Roth, Gelb, Grün, Blau nicht aus inneren Gründen, wohl aber darum verdächtig, weil diese Eigenthümlichkeit in einer Zeit bemerkt worden ist, in welcher die vermeintliche historische Entwickelung des Farbensinns beim Menschen vielfach in allen Zeitungen besprochen und – nebenbei bemerkt – von dem Unterzeichneten zuerst gründlich widerlegt worden ist. Ueber die Wahrheit gerade dieser Aussagen lassen sich keine Controllversuche machen, weil die Kranken angeben, das Auge werde nie ganz unempfindlich, wie z. B. die Haut, sie behielten immer einige Fähigkeit, Licht und Dunkel, sowie allgemeine Umrisse zu unterscheiden; wir sind also in dieser Farbenfrage einzig auf die nicht eben große Glaubwürdigkeit der Kranken angewiesen.

Was aber bei allen möglicherweise unterlaufenden Täuschungen diesen Versuchen ein tieferes Interesse verleiht, ist weniger die medicinische Bedeutung, als eben der Umstand, daß sich hier Wege eröffnen, durch verschiedene physikalische und chemische Mittel die Nerventhätigkeit zu beeinflussen und mit ihr in Wechselwirkung zu treten. Daß man dabei von anomalen Zuständen ausgehen muß, ist kein Beweis gegen den Werth der Sache: schon viele wichtige Fragen der Physiologie und Nervenphysik sind durch anomale Zustände, Verwundungen, und Krankheitsprocesse aufgeklärt worden, und andere Fragen wurden dadurch zuerst angeregt. Die Forschung steht hier vor Problemen, die nur eine ebenso vorurtheilsfreie wie höchst behutsame und vorsichtige Untersuchung entschleiern kann.

Carus Sterne.