Textdaten
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Autor: Heinrich Leutemann
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Titel: Menagerie-Bilder. Nr. 6. Das Raubthierideal
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 26, S. 405–407
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[405]
Menagerie-Bilder.
Nr. 6. Das Raubthierideal.


Das Modell.


So wird in der Naturgeschichte von Pöppig der Tiger genannt, und er verdient diesen Namen in der That, denn wenn der Löwe mehr den Eindruck des Großartigen, Gewaltigen macht, so ist es hingegen der Tiger, welcher das Gierige, nach Beute Spähende, und doch auch Eigenschaften des Kraftvollen und Gewandten am meisten in sich vereinigt. Nächst dem Löwen ist er es daher auch, welchen eingesperrt zu sehen das Publicum immer von Neuem interessirt. Selbst in Japan macht man gute Geschäfte mit [406] ihm. Vor einigen Jahren wurde eine solche Bestie dorthin gebracht, um für Geld gezeigt zu werden. Da man nicht wußte, welcher Einfuhrzoll für die noch nicht dagewesene „Waare“ zu fordern sei, so weigerten sich die japanischen Beamten, das Thier aufzunehmen, bis der englische Gesandte erklärte, dann müsse er den Tiger laufen lassen, da dem Capitain das Zurücknehmen und Füttern nicht zuzumuthen sei. Jetzt gaben die biedern Japanesen nach, und mit dem Tiger wurde ein ausgezeichnetes Geschäft gemacht.

Für eine große wandernde Menagerie ist daher, wie der Löwe, so auch der Tiger ein nothwendiges Thier, und sein etwaiges Fehlen eine unangenehme Lücke. In der großen Kreuzberg’schen Menagerie kam denn auch, so viel ich sie kennen lernte, dieser Fall nur ein einziges Mal in früheren Jahren vor. Dafür war aber wenigstens ein „Löwentiger“ zu sehen. Es war dies ein Bastard von Löwe und Tigerin, welcher noch aus der Aken’schen Menagerie herstammte. In der Gestalt, Haltung und Kopfform glich dieses Thier seiner Mutter, während die Färbung die des Löwen war, indem besonders außer einigen schwarzen Flecken am Kopfe alle schwarze Abzeichnung fehlte. Ich sah dieses schöne Thier 1843 zuerst in einer kleinen Menagerie, welche nur noch aus den Trümmern der großen Aken’schen bestand, aber immer noch deren vollen Titel führte, und 1850 erblickte ich dasselbe Thier im Kreuzberg’schen Besitz, und es war kraftvoller und schöner noch geworden als vorher. Es war dies ein seltenes Beispiel von vollkommener Entwickelung und langem Leben eines im Käfig geborenen Thieres.

Bei der vorgezeigten Dressur der Bestie trieb dieselbe ihren Widerstand mitunter so weit, daß Herr Kreuzberg das Vorführen der beabsichtigten Kunststücke aufgeben mußte, was ich übrigens nie bedauert habe, denn gerade dann waren die vorhergegangenen Scenen am interessantesten, da sie das Thier am meisten in seinem Charakter zeigten.

Noch anziehender mußte natürlich ein Kampf werden, welcher eines Tags in den Blättern angekündigt wurde, und zwischen dem Bastard und dem daneben logirenden „Riesenlöwen“, einem alten phlegmatischen Burschen, stattfinden sollte.

Es war ein tragischer Tag. Der Himmel war von Wolken umdüstert, und ein strömender Regen durchnäßte die Wenigen, welche sich trotzdem nicht abhalten ließen, das großartige Schauspiel zu sehen. Zuerst begann die gewöhnliche Vorstellung mit den Thieren, dann ging die Fütterung vor sich, und den Schluß sollte dann der blutige Kampf ausmachen. Wir wenigen Zuschauer hatten alle Ursache das schlechte Wetter zu preisen, da wir dadurch um so bequemer das gewaltige Schauspiel genießen konnten.

Der Löwe hatte gefressen und lag in einer Ecke seines Käfigs; der Bastard schien noch unschlüssig, was er thun solle, als der Wärter endlich erschien, um die Zwischenwand, welche die Käfige trennte, herauszuziehen und dadurch das Zeichen zum Kampfe zu geben. Jetzt wendete sich der Löwentiger um, und als durch das beginnende Herausnehmen des Schiebers eine Lücke entstanden war, trat er hinzu und grinste durch diese den Löwen an. Schnell sprang ein Wärter zu Herrn Kreuzberg, welcher ruhig an der Casse saß, und meldete ihm das schreckliche Grinsen. Aber dieser, in seiner Gewissenhaftigkeit offenbar erwägend, daß der bei dem schlechten Wetter gezeigte Enthusiasmus der wenigen Zuschauer verdiene, das gegenseitige Zerfleischen der Bestien nun auch ungeschmälert zu genießen, winkte ruhig zum Gewährenlassen. Jetzt wurde der Schieber völlig herausgezogen. Ich wagte kaum hinzusehen. Doch ich war ja deswegen gekommen. So sah ich denn, wie der Bastard zurückging, wie um zum Sprunge auszuholen, sich aber in seine Ecke legte und – gähnte. Der Löwe, welcher in der ganzen Zeit auch nicht die geringste Notiz von seinem Nachbar genommen hatte, that ein Gleiches, und wir? nun, wir besahen uns sehr aufmerksam die noch lange gähnenden Bestien, uns mitunter umsehend, ob wir etwa schadenfroh beobachtet würden. Zuletzt, da man so schonungsvoll war, uns nicht auszulachen, thaten wir dies selber, wobei wir übrigens dem Verstande der beiden Thiere unsere Anerkennung nicht versagen konnten. Sie waren jedenfalls alte Bekannte.

In der äußern Erscheinung war natürlich dieser Bastard bei weitem nicht so prächtig, als es der eigentliche Tiger ist. Zwar kann man vom künstlerischen Standpunkt aus die lebhaft gefleckten oder gestreiften Thiere nicht immer so schön finden, wie die schön einfach gefärbten, weil durch diese Abzeichnung der Genuß an der eigentlichen Schönheit der Form und des Muskelspiels oft beeinträchtigt wird; für das Auge an sich hingegen, welches nun einmal Farbenglanz verlangt, ist der Tiger ein so recht passendes Thier. Ist eine solche Bestie nun ohnedies noch nicht durch lange Haft abgestumpft und von wildem Naturell, so gewährt sie dann gerade mit durch den Glanz ihres Felles eine furchtbar schöne Erscheinung. Ich erinnere mich eines solchen Exemplars, welches sich gleichfalls, aber zu anderer Zeit, in der Kreuzberg’schen Menagerie befand. Schon ein scharfes Ansehen genügte, um diesen Tiger in Grimm zu versetzen; kam man ihm aber näher, so setzte er sich sofort in Vertheidigungsposition; auf den Hinterbeinen kauernd und den Rachen weit aufreißend, grinste er den vermeintlichen Gegner mit so furchtbarer Wuth an, daß er einen wahrhaft diabolischen Anblick darbot. Ich benutzte diese Reizbarkeit zu einer Studie, zu welcher ich mir schon längst die Gelegenheit gewünscht hatte. Ein Wärter stellte sich auf meine Veranlassung vor den Käfig und hob einfach den Arm in die Höhe, in Folge dessen die Bestie so beharrlich in der Stellung ihrer Wuth verblieb, daß ich ein verhältnißmäßig sehr bequemes Zeichnen hatte, denn das Modell „saß“ wirklich besser, als manches menschliche.

Ich kenne in der That kein anderes Raubthier, welches in der Wuth einen so dämonischen und grauenhaften Ausdruck hat, sodaß mir dies schon hinreichend erklärt, daß gerade der Tiger in den Ruf der „Grausamkeit“ gekommen ist.

Einen noch anziehenderen Anblick, als der eben besprochene Tiger, bot ein anderer in der Renz’schen Menagerie befindlicher, da derselbe, außer der auch ihm inwohnenden Wildheit, noch von gewaltiger Größe und Stärke war. Mit ihm in demselben Käfig war noch ein anderer, etwas kleinerer Tiger zusammengesperrt, wurde aber von seinem stärkeren Genossen so vollständig beherrscht, daß er in seiner unterwürfigen Rolle gar nicht mehr den Eindruck eines Tigers, eines Raubthiers machte. Ein Kampf zwischen Beiden hätte allerdings auch keinen Augenblick zweifelhaft sein können. Selbst den Wärtern graute es vor dem größern der beiden Thiere, was ich sonst nie wieder beobachtet habe.

Bei der Natur des Tigers ist es erklärlich, warum man gezähmte und dressirte Thiere dieser Art seltener sieht, als Löwen; sie sind unzuverlässiger als dieses gewiß edlere Raubthier. Der erste Besuch in einem Tigerkäfig mag daher schon manchem Thierbändiger Herzklopfen verursacht haben. So ging es wenigstens auch dem von mir schon früher erwähnten Brandel in der Schreier’schen Menagerie, obgleich es sich hier keineswegs um Dressur handelte. Es mußte eine nicht mehr aufschiebbare Ausbesserung im Innern des Käfigs vorgenommen werden, ohne daß man den Tiger, ich weiß nicht genau warum, absperren konnte. Brandel wählte zu dem Wagniß die frühe Morgenstunde, wo die Thiere noch halb schlafend in ihrem Stroh liegen. Der Tiger, ein allerdings mehr ruhiges Exemplar, ließ auch wirklich den Wärter seine Arbeit ungestört vollenden, so daß dieser wohlbehalten wieder herauskam und sich nicht wenig darob freute.

Die Leistungen der gezähmten Tiger sind in der Regel sehr einfache; sich aufrichten am Gitter oder am Thierbändiger, herumgehen oder sich hinlegen, und das bekannte Papa-, und Mamasagen (wobei allerdings der Zuschauer den Unterschied erst heraushören muß), das sind gewöhnlich die Kunststücke des gebildeten Tigers, wobei übrigens den Verdiensten einzelner, mit größerem Talent begabter nicht zu nahe getreten werden soll. Daß übrigens jedes einzelne Exemplar seinen eigenen Charakter hat und sich manche Eigenthümlichkeit angewöhnt, wird manchmal die Ursache von einzelnen neuen Dressurstücken. Es ist daher eine genaue Beobachtung von Seiten des Thierbändigers erforderlich, um die besonderen Neigungen des Thieres zu erkennen und sie zu einem Kunststück zu benutzen, und dies gilt von allen derartigen Thieren.

Ueber dieses Dressiren ist schon viel gesagt und geschrieben worden, und ich kann es mir daher ersparen, hier noch Wasser in den Brunnen zu gießen. Das möchte ich aber doch bemerken, daß hierüber sehr viel irrige Vorstellunen umlaufen, denn nicht nur werden sehr viel derartige Erzählungen erfunden, sondern die Leute selbst sind immer geneigt, das romantisch Klingende eher zu glauben, als die einfache Wirklichkeit.

Wie irrig z. B. die Vorstellung ist, daß die Thierbändiger immer todbringende Waffen bei sich tragen, mag folgendes Beispiel beweisen.

Als Herr Kreuzberg, so erzählte mir derselbe nach seiner Zurückkunft aus Rußland, in Petersburg fast alle seine Thiere durch den Tod verloren hatte, war er genöthigt, die Neuangekommenen [407] möglichst schnell zu dressiren. Eine Löwin, in zehn oder zwölf Tagen angelernt, hatte nur noch eine Hauptprobe zu bestehen, um dann vorgeführt zu werden. Bei dieser Probe aber wurde dieselbe durch deren lange Dauer zuletzt so confus, daß sie den Gehorsam vergaß und ihren Herrn am Arm packte. Er riß sie los, wurde aber von dem aufgeregten Thier jetzt am Knie gefaßt, und nur schwer gelang es ihm, dasselbe zu überwältigen. Noch zur Zeit der Erzählung litt er an der Wunde, aber er hatte sich derselben lieber ausgesetzt und das Thier erhalten, als gleich an Todtschießen oder Todtschlagen gedacht. Ein dressirtes Thier ist eben dem Besitzer viel zu werthvoll, um es gleich bei eintretender Gefahr zu tödten.

Ich will zum Schluß noch eine selbst mit angesehene Dressurscene erzählen, bei welcher allerdings der angestrebte Zweck verfehlt wurde.

Eines Morgens in die Kreuzberg’sche Menagerie eintretend, fand ich zur ungewöhnlichen Stunde die Raubthiere in dem großen Centralkäfig vereinigt. Eine Probe wurde abgehalten, und es galt also Neues einzustudiren. Besonders handelte es sich darum, den einen Leoparden zu bewegen, sich auf den Schooß der jungen Dame, welche bei den Vorstelligen mitwirkt, zu setzen. Dieselbe saß auf einem Klappstuhl dicht vor dem Leoparden, welcher auf seinem am Gitter aufgehängten Bret kauerte. Durch Herrn Kreuzberg’s freundliches Zureden, und durch den von dem jungen Mädchen vorgehaltenen Teller mit Fleisch gelockt, entschloß sich endlich auch das Thier, mit den Vordertatzen auf den Schooß des Mädchens zu treten, aber immer fuhr es wieder zurück und war nicht weiter zu bringen. Ich ging daher zuletzt hinweg und fing an zu zeichnen. Nach einiger Zeit hörte ich plötzlich ein Poltern, ein zorniges Aufbrüllen und die donnernde Stimme des Menageriebesitzers, welcher rief: „Das Lamm hinaus!“ Damit war ein niedliches Schäfchen gemeint, welches inzwischen in den Centralkäfig gebracht worden war. Es kam, als ich hinzueilte, bereits unter dem Wagen hervorgesprungen, am Kopfe blutend, aber sonst ganz munter. Offenbar war beim Anblick des Wiederkäuers die wilde Natur des Leoparden, denn wohl nur dieser war der Attentäter, erwacht, und hatte den Angriff und damit den Schluß der Probe herbeigeführt.

L.