Meistersänger, Sprüche, Priameln

Textdaten
<<< >>>
Autor: Johann Gottfried Herder
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Meistersänger, Sprüche, Priameln
Untertitel:
aus: Zerstreute Blätter (Fünfte Sammlung) S. 238–245
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1793
Verlag: Carl Wilhelm Ettinger
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Gotha
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Google und Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[238]
6.

Warum ich von den Meistersängern noch nicht gesprochen? Weil sie mir oft herzliche Langeweile gemacht haben. Sie fangen dicht hinter den Schwäbischen Dichtern an, und es ist nicht zu läugnen, daß ein Theil dieser schon Meistersängerei enthalte; je mehr aber dies Zunftwesen mit der Zeit zunahm, desto unbarmherziger sangen die Meister. Da ihre ganze Kunst auf Weise, d. i. auf Melodie gestellet war, und Tonlose Handwerker hierin wohl nicht viel Gutes erfinden konnten: so wurden in kurzem die Morgenröth- und Abendröthweisen so gedehnt, so langweilig, daß ich mir bei den meisten nur den Tuchmacher, Schneider und Schuster denken kann, der seinen Faden lang und kurz ziehet. Da ist auch kein Seelerhebender Ton, keine Gegenwart der Dinge, kein plötzlicher begeisternder Augenblick, (denn wie konnte der in ihre Zünfte gelangen?) merklich; Christi Geburt und Auferstehung, der heil. Geist und geistlose Schwänke werden zu einem [239] langen Seil gesponnen, und nach Handwerksgebrauch verdrehet. Viele ihrer Melodieen sind zum Einschlafen; die schönste Sage, das niedlichste Mährchen wird ein Handwerkslied, so trödelhaft, daß es weder Gesellen noch Kinder singen mögen.

Und sie haben viel Schaden gethan, diese langweiligen Meistergesänge. Alle Gesangbücher wurden damit angesteckt: die Flickwörter, Flicksylben, jedes Yah der Meister gieng unvermerkt insonderheit in die geistliche Poesie über. Ich weiß wohl, daß man von dieser Seite die Sache nicht hat betrachten mögen; meine Behauptung ist aber wahr und läßt sich aus der Geschichte erweisen. Die älteste Poesie der Deutschen war kurz, die Lieder der Kirchenväter kurz und bündig; das Trödeln kam von den Handwerksstühlen her, und wie konnts auch anders? Ein Mann ohne Gedanken und Känntnisse soll lange Weisen ausfüllen! Ein Mann ohne große, geschweige außerordenliche Empfindungen soll neue Weisen erfinden [240] und lehren! Nur unter den Deutschen, zumal in den Reichsstädten hat dieser Zunftkram so lange dauern und von da aus sich so weit fortbreiten können: denn der Deutschen Art nach wird alles gern langweilig und zünftig.

Erlauben Sie also, daß ich vom großen Uebel mir das kleinste wähle, mithin auf die geistlichen und weltlichen Schwänke der mehresten Meistersänger Verzicht thue und mich an ihre Grüße und Sprüche halte.

Sie wissen, die Meister sagen einander vor der Lade den Gruß; der Geselle hat seinen Spruch. Solche Grüße und Sprüche hat auch die Meistersängerzunft fleißig gehandhabet.[1]

Sprüche einer gewissen Gattung nannte man Priameln, weil zuerst präambulirt wurde, ehe man zum Aufschlusse kam. Ich habe sie anderwärts das Deutsche Epigramm genannt; die Form derselben ist aber sehr alt. In den Sprüchen [241] Salomons und im Sirach ist schon der Keim zu Priameln da, woher ihre Form auch genommen scheinet. In den Deutschen Zünften ward diese Form ausgebildet, und wenn ich so sagen darf, zum Handwerksleisten. Sie ist in ihrer Art gewiß nicht verächtlich; man kann viel Scharfsinniges in einer vortreflichen Kürze, mit Aufhalt der Erwartung, darinn sagen, welches allerdings die Seele des Spruchs zu seyn scheinet. Ich wünschte also, daß, wie Leßing und Eschenburg dergleichen bekannt gemacht haben, 28)[2] noch mehrere aus alten Papieren hervorgezogen würden; sie enthalten wirklich, wie Leßing sie nannte, Altdeutschen Witz und Verstand.

Auch will ich mit dem, was gesagt ist, keinem edleren Meister der Zunft seinen Ruhm absprechen; und Hans Sachs bleibt in Deutschland, vielleicht in Europa, der Meistersänger Meister. [242] In seiner schönen Provinzialsprache herrscht eine so angenehme Naivetät, Deutsche Urbanität, Ruhe und Zünftigkeit der Gedanken, daß ich jedem Jahrhundert in seiner Art einen Hans Sachs wünschte. Es war mir unlieb zu bemerken, daß die angefangene Auswahl seiner Verse mit Spracherläuterungen von einem seiner geschickten Landsleute und Liebhaber von einigen Jahren nicht zu Stande kam; ich hoffe, sie wird dazu kommen, oder ihr Urheber für sie auf eine andre Art sorgen. 29)[3] Leider erzeigen die Deutschen ihm nicht die Ehre, die die Engländer ihrem früheren Chaucer beweisen; 30)[4] und doch kurzweiligen Geschichten, die Er, Waldis u. a. haben, wäre es [243] kein übles Werk, wenn wir ihrem Ursprunge nachspürten; woher diese nämlich genommen sind? welche ausländische Schriften zu der und jener Zeit in Deutschland gegolten haben? Italiener, Engländer und Franzosen sind in Untersuchungen solcher Art vor uns voran; und zur Geschichte der Denkart der Nation sind sie unentbehrlich.

Noch ist eine Gattung von Sprüchen in dieser Zeit merkwürdig, die Bildersprüche, die emblematische Poesie der Deutschen. Von jeher liebte unsre ruhig-sinnliche Nation das Anschauen; und wie sie einst ihre Schilde bemahlte, ihre Wapen und Helme emblematisirte: so ließ sie sich Bilder und Embleme auch gern interpretiren. Mochten es gemahlte Fensterscheiben, Holzschnitte oder Kupferstiche seyn; man legte sie aus und erfand gern etwas, was man auslegen könnte. Dies half der Deutschen Kunst auf; und die alte Poesie gieng langsam und lehrhaft an ihrer Seite. Ich wollte, daß wir eine Geschichte dieser [244] Deutschen Bildersprüche, mit ihren merkwürdigsten Producten hätten; ohne Zweifel haben mehrere stille Liebhaber dazu gesammlet, und Meusels nützliche Journale dörften der beste Versammlungsplatz dazu werden. Wie Holbein des Erasmus unsterbliche Moria mit seiner Kunst begleitete: so rüstete Brand sein Narrenschiff in und zu Holzschnitten aus. In den Uebersetzungen desselben, sie mochten prosaisch oder poëtisch seyn, 31)[5] in Raisersbergs Predigten u. f. kamen diese wieder zum Anblick. Wie Aretino seine berühmten Sonnetten zu unzüchtigen Zeichnungen erfand: so suchte der Deutsche keuschere Geist sittliche Embleme kurz- oder langweilig zu empfehlen; dagegen ihm auch die damals vortrefliche Deutsche Kunst zu Gebot stand. Beide haben zu Vorbereitung und Ausbreitung der Reformation das ihrige tapfer beigetragen, 32)[6] [245] so daß ich auch im Druck und in Verzierungen dies Zeitalter fast unübertroffen finde. Man ahmte den alten Mönchsgemählden nach; aber mit viel Verstande und großer Anschauung der Dinge, daher ich dies Zeitalter beinahe das emblematische nennen möchte.

Unvermerkt sind wir also der Reformation nahe gekommen; und Sie verzeihen, daß ich von den berühmten Producten unsrer Sprache, die eine Kaiserliche Majestät betrafen, dem Theurdank, Weiß-Kunig u. f. gar nicht rede. Aus keiner andern Ursache, als weil ich, sie zu lesen, bisher nicht Zeit gehabt habe; wie vieles überhaupt hätte ich noch zu lesen! und wie manches Gelesene könnte ich entbehren! Nächstens erwarten Sie etwas über die Reformation; doch daß Sie für die Poesie ja nicht zu viel davon erwarten!


  1. Eine Sammlung derselben war diesem Briefe beigelegt; sie mag indeß auf einen andern Ort warten.
  2. 28) Leßings Beiträge zur Geschichte und Litteratur Beitr. 5. S. 198. Bragur Th. 2. S. 332.
  3. 29) Auswahl Hans-Sachsischer Gedichte von Häßlein, Nürnberg 1781. Th. I. Im Bragur hat er nebst andern auch aus Hans Sachs Beiträge gegeben.
  4. 30) Die schöne Ausgabe dieses Dichters mit Tyrwitts Gloßarium sollte ein Vorbild solcher Ausgaben werden. Ihren Spenser, Buttler u. f. haben die Engländer mit grossen Commentaren und Noten.
  5. 31) Von Jacob Locher, Idocus Badius u. f.
  6. 32) Einer der Liebhaber, Kenner und Sammler Altdeutscher Kupferstiche, Holzschnitte, Gespräche, Satyren [245] Verse und Schwänke sollte der Materie nachgehn, was dies alles zur Reformation und Aufhellung des Geistes beitragen habe. Unglaublich frei, dreist und kühn waren die damaligen Zeiten.