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6.

Warum ich von den Meistersängern noch nicht gesprochen? Weil sie mir oft herzliche Langeweile gemacht haben. Sie fangen dicht hinter den Schwäbischen Dichtern an, und es ist nicht zu läugnen, daß ein Theil dieser schon Meistersängerei enthalte; je mehr aber dies Zunftwesen mit der Zeit zunahm, desto unbarmherziger sangen die Meister. Da ihre ganze Kunst auf Weise, d. i. auf Melodie gestellet war, und Tonlose Handwerker hierin wohl nicht viel Gutes erfinden konnten: so wurden in kurzem die Morgenröth- und Abendröthweisen so gedehnt, so langweilig, daß ich mir bei den meisten nur den Tuchmacher, Schneider und Schuster denken kann, der seinen Faden lang und kurz ziehet. Da ist auch kein Seelerhebender Ton, keine Gegenwart der Dinge, kein plötzlicher begeisternder Augenblick, (denn wie konnte der in ihre Zünfte gelangen?) merklich; Christi Geburt und Auferstehung, der heil. Geist und geistlose Schwänke werden zu einem

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Johann Gottfried Herder: Zerstreute Blätter (Fünfte Sammlung). Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1793, Seite 238. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zerstreute_Blaetter_V.djvu/254&oldid=- (Version vom 1.8.2018)