Mehr Wissen leichter zu erlernen

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Autor: Fr. Hofmann
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Titel: Mehr Wissen leichter zu erlernen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 11, S. 175–176
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1866
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Gedächtnißkunst
Blätter und Blüthen
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[175] Mehr Wissen leichter zu erlernen – daß ein Mittel hierzu für die Schule wie für das Leben von unschätzbarem Werthe sein würde, bezweifelt Niemand. Und wenn man die neuerdings von einem sächsischen Lehrer, Herrn Mauersberger, in mehreren Lehrerversammlungen mit dem System der Gedächtnißkunst (nach dem Griechischen Mnemonik oder Mnemotechnik genannt) vorgeführten Proben betrachtet, so möchte man die Lösung dieser Aufgabe wenigstens sehr nahe gerückt glauben. Einer allgemeinen sächsischen Lehrerversammlung zu Chemnitz z. B. stellte Herr Mauersberger drei Knaben aus der ersten Classe der dortigen mittlern Bürgerschule vor, welche er nur vier Tage lang nach den Regeln der Gedächtnißkunst unterrichtet und denen er in dieser kurzen Zeit eine Tabelle sächsischer Geschichte von dreihundert Daten nach Jahr, Monat und Tag, ferner die geographische Lage von etwa achtzig Orten und mehrere der hundert Potenzen von der Zahl 2, also riesige Zahlen von mehr als dreißig Stellen, mnemonisch gut und fest eingeprägt hatte. Die Knaben bestanden das Examen vor der Versammlung auf das Glänzendste.

Auch dem Herausgeber d. Bl. führte Herr Mauersberger einen von ihm unterrichteten Knaben von etwa zwölf Jahren vor, der nach den Regeln derselben Gedächtnißkunst eine Menge Geschichts-Daten und geographischer Zahlen in verhältnißmäßig sehr kurzer Zeit gelernt hatte und die Fragen darnach größtentheils geläufig und sicher beantwortete.

Carl Otto Reventlow (und nach ihm Hermann Kothe und alle späteren Mnemoniker) geht nämlich von der Anschauung aus, daß man Das am leichtesten und nachhaltigsten merke, was man begriffen habe; deshalb verwandelt er Alles, was außerhalb der Sphäre des Begriffs liegt, d. h., alle Zahlen und Laute, von denen man nichts als ihre Zahl- und Lautbeziehungen kennt, in Begriffe, indem er diesen Zahlen und Lauten Merke-Wörter oder Merke-Sätze unterschiebt. Zu diesem Behufe bestimmte man folgende Gleichstellung der Consonanten:

a) mit den Ziffern:
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9
l z tz
c=z
t d n x m w r q ſ s
ß sch
b p v f
ph ver
vor
h ch
j
g k ck
c=k


b) mit den Monatsnamen:
Jan. Febr. März April Mai Juni Juli Aug. Sept. Oct. Nov. Dec.
l z tz
c=z
f ph r q p t m w Bademonat
b
Bademonat
d
g k
ck
c=k
ſ s
ß sch
h ch
j
v
vor
ver
x n


Bei dieser Gleichstellung ist für die Ziffern die Gestalt, für die Monate der Klang der betreffenden Consonanten maßgebend und hilft sie dem Gedächtniß leicht vertraut machen. Wir wollen dies an einigen Beispielen anschaulich zeigen. Man wähle für 1 das dieser Ziffer sehr ähnliche t und merkt dann leicht, daß auch d ebensoviel bedeute; für 2 gilt n, wegen seiner zwei Grundstriche, und x, das, deutsch geschrieben, umgekehrt wie 2 aussieht; für 3 gelten, wegen ihrer drei Grundstriche, m und w; für 4 gilt r und q, weniger der Aehnlichkeit wegen, als weil der Deutsche wie der Lateiner in vier und quatuor an diese Buchstaben leicht erinnert wird; für 5 gilt das ihm ähnliche (lateinische) s und darum auch s, ſ, ß und sch; die 6 sieht dem b ähnlich und dazu merkt sich p von selbst; wenn man ein lateinisches V an ein f zur Linken oben ansetzt, so kommt eine Figur heraus, die einige Aehnlichkeit der 7 hat, und darum gelten dafür f, v und ph; die Aehnlichkeit von 8 und dem geschriebenen deutschen h liegt näher und dazu fügt man das j, welches wenigstens wie ein halbes h aussieht, und ch; noch, näher liegt 9 = g, und der Klangähnlichkeit wegen auch k, ck und c (= k); dagegen muß c (= z), sowie z, l und tz als 0 gelten. Diese Consonanten für 0 bedeuten auch den Januar, Februar = f (und ph), März = r (und q), April = p und wegen Aprilwetter auch = t, Mai = m und als Wonnemonat auch = w, Juni und Juli sind beide Bademonate, also Juni = b, Juli = d, August = g (k, ck und c = k), September = s (ſ, ß, sch), October, der achte Monat = h (ch und j), November = v (vor und ver) und December = x = x und n.

Um Zahlen zu merken, muß man ihnen also Merk-Wörter oder Merk-Sätze unterlegen. Spielend leicht ist dies natürlich, wenn man sich die zu merkenden Zahlen selbst auswählen kann, denn dann nimmt man eben das erste beste Wort oder den ersten besten Satz und bildet nach den Consonanten desselben die Zahl. Man kann damit eine in dies Geheimniß noch nicht eingeweihte Gesellschaft in das größte Erstaunen über sein augenscheinlich außerordentliches Zahlengedächtniß versetzen.

[176] z B. Man merkt sich das Wort Vergißmeinnicht, d. i. 79,532,281. Es wird Niemandem ganz leicht sein, diese Zahl sich ohne die geheime Hülfe zu merken; mit derselben ist’s natürlich Kleinigkeit. Man kann aber das Erstaunen bis zur Bewunderung steigern, wenn man irgend einen Satz oder gar einige Strophen eines Gedichts in Zahlen verwandelt, z. B: wandelt, z. B.

7 4 1 5 2 4 9 1 1 4 7 2 9 2 1 8 1 4 5 0 5 3
3 4 6 1 4 1 2 3 2 2 1 4 2 9 2 8 3 3 0 8 1 2 8 0 9 1 8 3.

Welche Zahlen! Aber der Eingeweihte sagt sie ohne Anstoß her, weil er nur die vier ersten Verse der ersten Strophe von Schiller’s Lied an die Freude in Ziffern übersetzt hat.

Schwerer wird die Sache, wenn die Zahlen gegeben sind; dann erst geht das, was wir zur Kurzweil unserer Leser als Spielerei hingestellt haben, in die eigentliche mnemonische Kunst über. Es gilt dann, die Merke-Wörter oder Merke-Sätze oder das, was der Mann vom Fach die mnemonischen Substitutionen nennt, selbst zu suchen, für sich zu bestimmen, oder die in den Lehrschriften der Mnemoniker bereits für geschichtliche Daten, geographische und andere Zahlen etc. bestimmten zu merken.

Dabei wird nicht blos dem Gedächtniß, sondern hauptsächlich dem Verstand und der Phantasie – und dazu dem gern mit Kling und Klang spielenden Geist der Kinder das Meiste aufgegeben. Will z. B. Jemand das Jahr merken, in welchem die Censur in Deutschland in’s Leben trat, so wird es ihm nicht schwer fallen den Rückert’schen Reim vom kräutersammelnden Apotheker und der Natur auf die Censur und Literatur anzuwenden:

Da ward Alles leichenfarber
Als Rhabarber

vermag ihn aber die Censur an Rhabarber zu erinnern, so hat er (das Jahr 1000 versteht sich von selbst) in Rhab = 486 die nun sicherlich unvergeßlichen übrigen Ziffern dazu.

Die Wiederherstellung des Jesuitenordens am 7. August 1814 merkt man durch den Zusatz: „Der Gefährliche“, d. h. (nachdem sich 1800 von selbst versteht) der = 14, G = August, f = 7.

Um zu prüfen, wie und wie rasch der von Herrn Mauersberger uns vorgeführte Knabe sich selbst für neue Aufgaben die Gedächtnißhülfe schaffe, legte Herr Keil ihm die Frage vor, welches Wort er sich merke, wenn er die Höhe z. B. des Nicolaithurms in Leipzig, diese zu 260 Fuß angenommen, mnemonisch sich einprägen wollte?

Der Knabe antwortete nach kurzem Besinnen: „Nebel.“

„Warum dies?“

„Weil der Thurm doch oft im Nebel stehe.“

Im Worte Nebel ist aber nach dem eben angedeuteten System der Mnemonik die Zahl 260 ausgedrückt.

Leider sind den Mnemonikern bis jetzt noch nicht alle Substitutionen so treffend und sinnig gerathen, bei vielen erscheint sehr Vieles an den Haaren herbeigezerrt, so daß diejenigen, welche sich mit einem flüchtigen Blick in eines der mnemonischen Lehrbücher der Geschichte, Geographie, Statistik begnügen, mit dem Urtheil über die Untauglichkeit der Sache sehr bald fertig sind. Jedenfalls ist’s rathsam, durch solche Urtheile nicht auch hier das Kind mit dem Bade auszuschütten, das Gelungene nicht wegen des Mißlungenen mit zu verwerfen, sondern das Gute zu benützen, bis es von Besserem abgelöst wird. Dagegen werden die Mnemoniker selbst gut daran thun, ihr Gebiet nicht sofort über alles Wissen ausdehnen zu wollen, sondern auf bestimmten Feldern auch dem Gedächtniß seine Ehre allein zu lassen.

Zu den jüngsten Bearbeitern der Geschichte nach den Regeln der Mnemonik gehört Herr C. T. Mauersberger, der uns die Veranlassung zu dieser Besprechung der Sache gab. Seinem ersten Werkchen: „Die wichtigsten Daten aus der Weltgeschichte, mnemonisch bearbeitet“ (Lpz., Friedr. Fleischer), verspricht er ein Wörterbuch von Substitutionen nachfolgen zu lassen, das allerdings den Anfängern das Fortschreiten in dieser Kunst sehr erleichtern würde.
Fr. Hofmann.